Unterscheidung zwischen der Unfruchtbarkeit bei der ersten Kreuzung und der Unfruchtbarkeit der Bastarde


Die allgemeine Meinung der Naturforscher geht dahin, dass Arten im Falle der Kreuzung speziell mit Unfruchtbarkeit begabt sind, um die Vermengung aller organischen Formen miteinander zu verhindern. Diese Meinung hat auf den ersten Blick gewiss große Wahrscheinlichkeit für sich; denn in derselben Gegend beisammenlebende Arten würden sich, wenn freie Kreuzung möglich wäre, kaum getrennt erhalten können. Der Gegenstand ist nach vielen Seiten hin von Bedeutung für uns, und ganz besonders deshalb, weil die Unfruchtbarkeit der Arten bei ihrer ersten Kreuzung und der ihrer Bastardnachkommen, wie ich zeigen werde, nicht durch fortgesetzte Erhaltung nacheinander auftretender vorteilhafter Grade von Unfruchtbarkeit erlangt worden sein kann. Sie hängt nur beiläufig mit Verschiedenheiten in dem Reproduktionssystem der elterlichen Arten zusammen.

Bei Behandlung dieses Gegenstandes hat man zwei Klassen von Tatsachen, welche von Grund aus in hohem Maße verschieden sind, gewöhnlich miteinander verwechselt, nämlich die Unfruchtbarkeit zweier Arten bei ihrer ersten Kreuzung und die Unfruchtbarkeit der von ihnen erhaltenen Bastarde.

Reine Arten haben natürlich ihre Fortpflanzungsorgane in einem vollkommenen Zustande, liefern aber doch, wenn sie miteinander gekreuzt werden, entweder wenige oder gar keine Nachkommen. Bastarde dagegen haben ihre Reproduktionsorgane in einem funktionsunfähigen Zustand, wie man aus der Beschaffenheit der männlichen Elemente bei Pflanzen und Tieren deutlich erkennen kann, wenn auch die Organe selbst der Struktur nach vollkommen sind, soweit es die mikroskopische Untersuchung ergibt. Im ersten Falle sind die zweierlei geschlechtlichen Elemente, welche den Embryo liefern sollen, vollkommen, im andern sind sie entweder gar nicht oder nur sehr unvollständig entwickelt. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung, wenn die Ursache der in beiden Fällen stattfindenden Sterilität in Betracht gezogen werden soll. Die Unterscheidung ist wahrscheinlich übersehen worden, weil man die Unfruchtbarkeit in beiden Fällen als eine besondere Begabung betrachtet hat, deren Beurteilung außer dem Bereiche unserer Kräfte liege.

Die Fruchtbarkeit der Varietäten, d.h. derjenigen Formen, welche als von gemeinsamen Eltern abstammend bekannt sind, oder doch als so entstanden angesehen werden, bei ihrer Kreuzung und eben so die Fruchtbarkeit ihrer Blendlinge ist in Bezug auf meine Theorie von gleicher Wichtigkeit mit der Unfruchtbarkeit der Spezies untereinander; denn es scheint sich daraus ein klarer und scharf zu bestimmender Unterschied zwischen Arten und Varietäten zu ergeben.


 © textlog.de 2004 • 22.12.2024 04:29:37 •
Seite zuletzt aktualisiert: 17.08.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright