Utilitarismus (Utilismus) heißt der Nützlichkeitsstandpunkt in der Ethik. Der Utilitarismus tritt in zwei Formen auf: 1) der individualistische Utilitarismus, welcher lehrt, Zweck des sittlichen Handelns sei der Nutzen, die Wohlfahrt des einzelnen. 2) Der soziale Utilitarismus, welcher den Zweck des sittlichen Handelns in die Förderung des Gesamtwohles, des Wohles aller, der Gesellschaft Setzt. Ferner ist zu unterscheiden zwischen dem Utilitarismus a. als Erklärung des Sittlichkeitsursprunges aus (individuellen oder sozialen) Nützlichkeitserwägungen, b. als Motivation, Normierung, Wertung des sittlichen Handelns, Aufstellung der Wohlfahrt als Ziel des Handelns. Der gemäßigte Utilitarismus betont, daß das ursprünglich rein utilitarisch bestimmte sittliche Handeln (durch das Gesetz der »Motivverschiebung«, s. d.) später zum Selbstzweck wird. Den Ausdruck »utilitarian« gebraucht (1802) schon J. BENTHAM. Durch J. ST. MILL, der ihn einer Novelle von Galt, »Annals of the Parish«, entnimmt, wird er populär (vgl. Eucken, Grundbegr. S. 214).
Teilweise utilitaristisch gefärbt ist der Eudämonismus (s. d.) verschiedener Zeiten, auch schon um Altertum (s. Gut, Sittlichkeit, Tugend, Ethik). Einen sozialen Utilitarismus lehrt EPIKUR bezüglich des Ursprungs der sittlichen Gesetze (vgl. Porphyr, De abstin. I, 7 squ). - In neuerer Zeit tritt der Utilitarismus auf bei HOBBES (S. Sittlichkeit), SPINOZA. Er erklärt: »Quae ad hominum communem societatem conducunt, sive quae efficiunt, ut homines concorditer vivant, utilia sunt« (Eth. IV, prop. XL). »Nemo... nisi a causis externis et suae naturae contrariis victus suum utile appetere sive suum esse conservare negligit« (l. c. IV, prop. XX, schol.). »Quo magis unusquisque suum utile quaerere, hoc est, suum esse conservare conatur et potest, eo magis virtute praeditus est« (l. c. prop. XX). - HELVETIUS erklärt: »L'utilité publique... est le principe de toutes les vertus humaines« (De l'espr. II, 6). Utilitaristisch ist die ethische Lehre PALEYS, MANDEVILLES (Fable of the bees) (s. Sittlichkeit, Tugend). Das »great happiness«-Prinzip (s. d.) findet sich schon bei BECCARIA, HUTCHESON, besonders aber bei dem systematischen Begründer des Utilitarismus (im engeren Sinne), J. BENTHAM. Zweck, Ziel des sittlichen Handelns ist die Maximierung der Glückseligkeit, das größtmögliche Glück der größtmöglichen Anzahl, »the greatest happiness of the greatest number«, »the greatest possible quantity of happiness« (Introd. II, ch. 17, p. 234. Deontolog.. Traité de la législat. civile et penale, 1802). »By the principle of utility is meant that principle which approves or disapproves of every action whatsoever, according to the tendency which is appears to have to augment or diminish the happiness of the party whose interest, in other words, to promote or to oppose the happiness« (Introduct. l. c. I, ch. 1, p. 3). Das Interesse der Gemeinschaft ist »the sum of the interest of the several members who compose it« (l. c. p. 4 ff.). Bei der ethischen Reflexion sind von Wirksamkeit die physische (das für unseren Leib Nützliche und Schädliche bestimmende) Sanktion, die moralische Sanktion (der öffentlichen Meinung), die politische und die religiöse Sanktion. Durch ein »moralisches Budget« sollen bei jeder Handlung die nützlichen und schädlichen Folgen (Lust und Unlust) berechnet werden (Moralkalkül). Hierbei zeigt sich der Egoismus als schädlich: das wohlverstandene Eigeninteresse selbst führt zum Altruismus. zuerst zum Uneigennützigscheinen, dann aber auch zur Uneigennützigkeit selbst. Utilitaristische Momente finden sich bei J. AUSTIN und G. GROTE (Fragments on Ethical Subjekts, 1876. vgl. Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. IV9, 424). - J. ST. MILL (der in seiner Jugend einen Verein der »Utilitarier« gründete) lehrt einen sozialen Utilitarismus (s. Sittlichkeit). Im Gegensatz zu Bentham unterscheidet er nicht bloß Quantitäten, sondern Arten des Glückes, verschiedene Glückswerte, wodurch über das rein utilistische eine höhere ethische Norm sich erhebt. Ferner wird durch Assoziation das, was erst Mittel war (das Sittliche), selbst zum Ziele, zum direkten Gegenstande der Billigung (Utilitarianism, 1863. Log. II4, p. 416 f.). A. BAIN erklärt: »The Ethical end that men are tending to and may ultimately adopt without reservation, is human welfare, happiness, or being and well-being combined, that is, utility« (Ment. and Mor. Sc. p. 442. vgl. p. 460 ff.). Rationeller Utilitarier ist H. SPENCER (s. Sittlichkeit). Am höchsten steht das Handeln, wenn es gleichzeitig die größte Summe des Lebens für den einzelnen, für seine Nachkommenschaft und für seine Mitmenschen zustande bringt (Princ. d. Eth. I, 1, § 8, S. 27). Utilitarier sind mehr oder weniger BENEKE (Grundsätze d. Zivil- u. Kriminalgesetzgeb. 1830), SIDGWICK (s. Ethik), IHERING (Zweck im Recht I, 158), GIZYCKI (Moralphilos.). nach ihm ist nützlich, »was mittelbar, aber in einem höheren Maße, Freude erzeugt« (l. c. S. 14). es gibt ein subjektiv, innerlich Nützliches und ein objektiv, äußerlich Nützliches (ib.. vgl. Üb. d. Utilitarism., Vierteljahrsschr. f. w. Ph. 8. Bd., S. 265 ff.). P. RÉE (Entsteh. d. Gewiss. 1885) u. a. (s. Gut, Sittlichkeit, Tugend). Gegner des Utilitarismus sind KANT (vgl. Grundleg. zur Met. d. Sitt. S. 22), J. G. FICHTE u. a., ferner: CLIFFORD, WINDELBAND, STAUDINGER, WUNDT, E. v. HARTMANN, NIETZSCHE, J. BERGMANN (Über d. Utilitarism. 1883), L. BUSSE (Zur Beurteil. des Utilitarism., Zeitschr. f. Philos. 105. Bd., S. 161 ff.), UNOLD (Grundr. S. 319 ff.) u. a. - Vgl. LESLIE STEPHEN, The English Utilitarians, 1900. Vgl. Nutzen.