a. Das griechische Profil

 

In der idealen Bildung des menschlichen Hauptes begegnet uns vor allem das sogenannte griechische Profil.

α) Dies Profil liegt in der spezifischen Verbindung der Stirn und Nase; in der fast geraden oder nur sanft gebogenen Linie nämlich, in welcher die Stirn sich zur Nase ohne Unterbrechung fortsetzt, sowie näher in der senkrechten Richtung dieser Linie auf eine zweite hin, welche, wenn man sie von der Nasenwurzel nach dem Kanal des Ohres zieht, mit jener ersten Stirn- und Nasenlinie einen rechten Winkel macht. In solcher Linie stehen Nase und Stirn durchgängig in der idealen schönen Skulptur zueinander, und es fragt sich daher, ob dies eine bloß nationale und künstlerische Zufälligkeit oder physiologische Notwendigkeit ist.

Camper*), der holländische bekannte Physiologe, hat besonders diese Linie näher als die Schönheitslinie des Gesichts charakterisiert, indem er in ihr den Hauptunterschied der menschlichen Gesichtsbildung und des tierischen Profils findet und die Modifikationen dieser Linie deshalb auch durch die verschiedenen Menschenrassen verfolgt, worin ihm freilich Blumenbach (De varietate nativa, § 60**)) widerspricht. Im allgemeinen aber ist die angedeutete Linie in der Tat eine sehr bezeichnende Unterscheidung des menschlichen und tierischen Aussehens. Bei den Tieren bilden Maul und Nasenknochen zwar auch eine mehr oder weniger gerade Linie, aber das spezifische Hervortreten der tierischen Schnauze, die sich als gleichsam nächste praktische Beziehung zu den Gegenständen nach vorne drängt, bestimmt sich wesentlich durch das Verhältnis zum Schädel, an welchem das Ohr weiter herauf- oder herabgestellt ist, so daß nun die zur Nasenwurzel oder zum Oberkiefer - dahin, wo die Zähne einsitzen - fortgezogene Linie mit dem Schädel, statt wie beim Menschen einen rechten, hier einen spitzen Winkel bildet. Jeder Mensch hat für sich ein allgemeines Gefühl von diesem Unterschiede, der sich allerdings auf bestimmtere Gedanken zurückführen läßt.

αα) In der Kopfbildung der Tiere ist das Hervorragende das Maul, als Freßwerkzeug, mit dem Ober- und Unterkiefer, den Zähnen und Kaumuskeln. Diesem Hauptorgan sind die übrigen Organe nur als dienend und behilflich beigegeben. Vornehmlich die Nase, zum Herumschnuppern nach Nahrung; untergeordneter das Auge zum Spähen. Das ausdrückliche Hervortreten dieser dem Naturbedürfnis und den Befriedigungen desselben ausschließlich gewidmeten Formationen gibt dem tierischen Kopf den Ausdruck bloßer Zweckmäßigkeit für die Naturfunktionen, ohne alle geistige Idealität.

So kann man denn auch von den Freß-werkzeugen aus den gesamten tierischen Organismus verstehen. Die bestimmte Art der Nahrung nämlich fordert eine bestimmte Struktur des Mauls, eine besondere Art der Zähne, mit denen dann wieder der Bau der Kiefer, Kaumuskeln, Backenknochen und weiterhin der Rückenwirbel, die Schenkelknochen, Klauen usf. im engsten Zusammenhange stehen. Der tierische Körper dient bloßen Naturzwecken und erhält durch diese Abhängigkeit von dem nur Sinnlichen der Ernährung den Ausdruck der Geistlosigkeit. - Soll nun das menschliche Antlitz schon seiner leiblichen Gestalt nach ein geistiges Gepräge haben, so müssen diejenigen Organe, welche beim Tier als die bedeutendsten erscheinen, beim Menschen zurücktreten und denen Platz machen, die nicht auf ein praktisches, sondern auf ein theoretisches, ideelles Verhältnis deuten.

ββ) Das menschliche Gesicht hat deshalb einen zweiten Mittelpunkt, in welchem sich das seelenvolle, geistige Verhalten zu den Dingen kundgibt. Dies ist in der oberen Partie des Gesichts der Fall, in der sinnenden Stirn und dem darunterliegenden seelendurchgängigen Auge mit seiner Umgebung. Mit der Stirn hängt nämlich das Sinnen, die Reflexion, das Insichgehen des Geistes zusammen, dessen Inneres sodann aus dem Auge in klarer Konzentration herausschaut. Durch das Hervortreten nun der Stirn, während der Mund und die Backenknochen zurückstehen, erhält das menschliche Angesicht den geistigen Charakter. Dies Vorwärtsgehen der Stirn wird dadurch notwendig das Bestimmende für den ganzen Bau des Schädels, der nun nicht mehr zurückfällt und den Schenkel eines spitzen Winkels bildet, als dessen äußerste Spitze das Maul sich hervordrängt, sondern von der Stirn aus läßt sich durch die Nase zur Spitze des Kinns eine Linie ziehen, welche mit einer zweiten über den Hinterschädel gegen die Spitze der Stirn hingezogenen einen rechten oder dem rechten sich annähernden Winkel bildet.

γγ) Den Übergang drittens und die Verbindung des unteren und oberen Teils des Gesichts, der nur theoretischen geistigen Stirn und des praktischen Organs für die Ernährung, macht die Nase, welche auch ihrer natürlichen Funktion nach als Riechorgan in der Mitte steht zwischen dem praktischen und theoretischen Verhalten zur Außenwelt. Sie gehört zwar in dieser Mitte noch dem tierischen Bedürfnis an, denn das Riechen hängt wesentlich mit dem Geschmack zusammen, weshalb denn auch beim Tier die Nase im Dienste des Mauls und der Ernährung steht; aber das Riechen selbst ist noch kein wirkliches praktisches Verzehren der Gegenstände wie das Fressen und Schmecken, sondern nimmt nur das Resultat des Prozesses auf, in welchen die Gegenstände mit der Luft und deren  unsichtbarem, heimlichem Auflösen eingehen. Wird nun der Übergang von Stirn und Nase so gemacht, daß sich die Stirn für sich herauswölbt und gegen die Nase hin zurückzieht, während diese ihrerseits gegen die Stirn hin eingedrückt bleibt und dann erst wieder sich hervorhebt, so bilden beide Teile des Gesichts, der theoretische der Stirn und der aufs Praktische hindeutende der Nase und des Mundes, einen markierten Gegensatz, durch welchen die gleichsam zu beiden Systemen gehörige Nase von der Stirn ab zum System des Mundes hingezogen wird. Dann erhält die Stirn in ihrer isolierten Stellung einen Ausdruck der Härte und der eigensinnigen geistigen Konzentration in sich gegen die beredte Mitteilung des Mundes, der zum Organ der Ernährung wird und sogleich die Nase als Werkzeug für den Beginn der Begierde, für den Vorsatz des Riechens in ihren Dienst nimmt und sie auf das physische Bedürfnis hin ausgerichtet zeigt. Hiermit hängt dann ferner die Zufälligkeit der Form zusammen, zu deren undetermi-nierbaren Modifikationen sodann Nase und Stirn fortgehen können. Die Art der Wölbung, das Hervor- und Zurücktreten der Stirn verliert die feste Bestimmtheit, und die Nase kann platt oder scharf, herabhängend, gebogen, tiefer eingedrückt und aufgestülpt sein.

Bei der Milderung und Ausgleichung dagegen, bei der schönen Harmonie, welche das griechische Profil in dem sanften ununterbrochenen Zusammenhang der geistigen Stirn und der Nase zwischen den oberen und unteren Gesichtsteilen hervorbringt, erscheint die Nase, eben durch diesen Zusammenhang, mehr der Stirne angeeignet und erhält dadurch, als zum System des Geistigen herübergezogen, selber einen geistigen Ausdruck und Charakter. Das Riechen wird gleichsam zu einem theoretischen Riechen, zu einer feinen Nase fürs Geistige; wie sich denn auch die Nase in der Tat durch Rümpfen usf., wie unbedeutend diese Bewegungen auch sein mögen, dennoch höchst regsam für den Ausdruck geistiger Beurteilungen und Empfindungsweisen zeigt. So sagen wir z. B. von einem stolzen Menschen, er trage die Nase hoch, oder schreiben einem jungen Mädchen mit aufgeworfenem Naschen Schnippischkeit zu.

Ähnliches gilt auch vom Munde. Er hat zwar einerseits die Bestimmung, das Werkzeug für die Befriedigung des Hungers und Durstes zu sein, drückt aber andererseits auch geistige Zustände, Gesinnungen und Leidenschaften aus. Schon beim Tiere dient er in dieser Beziehung zum Schreien, beim Menschen zum Sprechen, Lachen, Seufzen usf., wobei die Züge des Mundes selbst schon einen charakteristischen Zusammenhang mit den geistigen Zuständen beredter Mitteilung oder der Freude, des Schmerzes usf. haben. Man sagt nun freilich, eine solche Gesichtsbildung sei eben den Griechen nur als die eigentlich schöne vorgekommen; Chinesen, Juden, Ägypter dagegen hielten ganz andere, ja entgegengesetzte Bildungen für ebenso schön oder für schöner noch, so daß, Instanz gegen Instanz genommen, das griechische Profil darum noch nicht als der Typus der echten Schönheit erwiesen sei. Dies ist jedoch nur ein oberflächliches Gerede. Das griechische Profil darf als keine nur äußerliche und zufällige Form angesehen werden, sondern kommt dem Ideal der Schönheit an und für sich zu, weil es erstens diejenige Gesichtsbildung ist, in welcher der Ausdruck des Geistigen das bloß Natürliche ganz in den Hintergrund stellt, und zweitens am meisten sich der Zufälligkeit der Form entzieht, ohne doch eine bloße Gesetzmäßigkeit zu zeigen und alle und jede Individualität zu verbannen.

β) Was ferner die einzelnen Formen näher angeht, so will ich aus dem breiten Detail dessen, was hier zu erwähnen wäre, nur einige Hauptpunkte herausheben. Wir können in dieser Rücksicht zuerst von der Stirn, dem Auge und Ohr, als dem mehr auf das Theoretische und Geistige bezüglichen Teile des Gesichts, sprechen, dem sich zweitens Nase, Mund und Kinn als die relativ mehr dem Praktischen zugehörigen Bildungen anschließen. Drittens haben wir vom Haar als äußerlicher Umgebung zu reden, durch welche sich der Kopf zu einem schönen Oval in sich abrundet.

αα) Die Stirn ist in den Idealen der klassischen Skulpturgestalt weder herausgewölbt noch überhaupt hoch, denn obschon das Geistige in der Gesichtsbildung heraustreten soll, so ist es doch nicht die Geistigkeit als solche, welche die Skulptur darzustellen hat, sondern die noch ganz im Leiblichen sich ausdrückende Individualität. In Herkulesköpfen z. B. ist deshalb die Stirn vorzugsweise niedrig, weil Herkules mehr die muskelvoll nach außen gerichtete körperliche als die nach innen gewendete geistige Kräftigkeit hat. Im übrigen erscheint die Stirn vielfach modifiziert, niedriger bei weiblichen, reizenden und jugendlichen, höher bei würdevollen und geistig sinnenderen Gestalten. Gegen die Schläfe hin fällt sie nicht in scharfem Winkel ab und senkt sich an den Schläfen nicht ein, sondern rundet sich eiförmig in sanfter Wölbung und ist haarbewachsen. Denn die scharfen unbehaarten Winkel und eingesunkenen Vertiefungen an den Schläfen kommen nur der Hinfälligkeit des zunehmenden Alters, nicht aber der ewig blühenden Jugend der idealen Götter und Helden zu.

In Rücksicht auf das Auge müssen wir sogleich feststellen, daß der idealen Skulpturgestalt außer der eigentlich malerischen Farbe auch noch der Blick des Auges abgeht. Man kann zwar historisch erweisen wollen, daß die Alten an einigen Tempelbildern der Minerva und anderer Götter das Auge gemalt haben, weil man an einigen Statuen noch Farbspuren auffindet, bei heiligen Bildern jedoch haben sich die Künstler oft gegen den guten Geschmack soviel als möglich an das Traditionelle gehalten. Bei anderen zeigt sich's, daß sie müssen eingesetzte Augen von Edelsteinen gehabt haben. Dies geht dann aber aus der bereits oben angedeuteten Lust hervor, die Götterbilder so reich und prächtig als möglich auszuschmücken. Und im ganzen sind dies entweder Anfänge oder religiöse Traditionen und Ausnahmen, und außerdem gibt die Färbung dem Auge noch immer nicht den in sich konzentrierten Blick, der dem Auge erst einen vollständigen Ausdruck verleiht. Wir können es deshalb hier als ausgemacht ansehen, daß an den wahrhaft klassischen und freien Statuen und Büsten, die aus dem Altertum auf uns gekommen sind, der Augenstern sowie der geistige Ausdruck des Blicks fehlt. Denn obschon häufig in den Augapfel auch der Augenstern eingezeichnet oder durch eine konische Vertiefung und eine Wendung angedeutet ist, welche den Glanzpunkt des Augensterns und dadurch eine Art von Blick ausdrückt, so bleibt dies dennoch wieder nur die ganz äußerliche Gestalt des Auges und ist nicht seine Belebung, nicht der Blick als solcher, der Blick der inneren Seele.

Da liegt die Vorstellung nahe, es müsse den Künstler viel kosten, das Auge, diese einfache Beseelung, aufzuopfern. Blickt man doch jedem Menschen zuerst vor allem ins Auge, um einen Anhalt, einen Erklärungspunkt und Grund für seine gesamte Erscheinung zu finden, die sich aus dem Einheitspunkt des Blickes in ihrer einfachsten Weise fassen läßt.

Der Blick ist das Seelenvollste, die Konzentration der Innigkeit und empfindenden Subjektivität; wie durch einen Händedruck und schneller noch setzt der Mensch sich durch den Blick des Auges mit dem Menschen in Einheit. Und dieses Seelenvollste muß die Skulptur entbehren. In der Malerei dagegen tritt dieser Ausdruck des Subjektiven entweder in seiner ganzen Innigkeit oder in mannigfaltiger Berührung mit den Außendingen und den dadurch hervorgerufenen besonderen Interessen, Empfindungen und Leidenschaften durch die Nuancen der Färbung hervor. Aber die Sphäre des Künstlers ist in der Skulptur weder die Innigkeit der Seele in sich, die Zusammenfassung des ganzen Menschen in das einfache Ich, das im Blick als diesem letzten Lichtpunkt erscheint, noch die zerstreute, mit der Außenwelt verwickelte Subjektivität. Die Skulptur hat die Totalität der äußerlichen Gestalt zum Zweck, in welche sie die Seele auseinanderschlagen und sie durch diese Mannigfaltigkeit darstellen muß, so daß ihr die Zurückführung auf den einen einfachen Seelenpunkt und die Augenblicklichkeit des Blicks nicht erlaubt ist. Das Skulpturwerk hat nicht eine Innerlichkeit als solche, welche sich nun auch für sich als dieses Ideelle des Blicks, den anderen Körperteilen gegenüber, kundgeben und in den Gegensatz von Auge und Leib treten dürfte; sondern was das Individuum als inneres, geistiges ist, bleibt ganz in der Totalität der Gestalt ergossen, welche nur der betrachtende Geist, der Beschauer, zusammenfaßt. Ebenso zweitens blickt das Auge in die Außenwelt hinaus; es sieht wesentlich auf etwas und zeigt dadurch den Menschen in seiner Beziehung auf eine mannigfaltige Äußerlichkeit sowie in der Empfindung für das, was ihn umgibt und um ihn vorgeht. Das echte Skulpturbild aber ist gerade dieser Verbindung mit den Außendingen entzogen und - versenkt in das Substantielle seines geistigen Gehalts - selbständig in sich, ohne Zerstreuung und Verwicklung. Drittens erhält der Blick des Auges seine entwik-kelte Bedeutung durch den Ausdruck der übrigen Gestalt, in deren Gebärde und Rede, obschon er sich gegen diese Entwicklung als der nur formelle Punkt der Subjektivität abscheidet, in welchen sich die ganze Mannigfaltigkeit der Gestalt und ihrer Umgebung zusammennimmt. Solche partikuläre Breite nun aber ist dem Plastischen fremd, und so wäre der speziellere Ausdruck im Blick, der nicht zugleich im Ganzen der Gestalt seine weitere entsprechende Entfaltung fände, nur eine zufällige Besonderheit, welche das Skulpturbild von sich fernzuhalten hat. Aus diesen Gründen entbehrt die Skulptur nicht nur nichts durch die Blicklosigkeit ihrer Gestalten, sondern sie muß ihrem ganzen Standpunkte nach diese Art des Seelenausdrucks fehlen lassen. Und so war es wieder der große Sinn der Alten, daß sie fest die Beschränkung und Umgrenzung der Skulptur erkannten und streng dieser Abstraktion treu blieben. Dies ist ihr hoher Verstand in der Fülle ihrer Vernunft und der Totalität ihrer Anschauung.- Es kommen zwar auch in der alten Skulptur Fälle vor, in welchen das Auge nach einem bestimmten Punkte sieht, wie z. B. in der schon mehrerwähnten Statue des Faun, der zum jungen Bacchus hinschaut; dies Hinlächeln ist seelenvoll ausgedrückt, doch auch hier ist das Auge nicht sehend, und die eigentlichen Götterstatuen in ihren einfachen Situationen sind nicht in so speziellen Bezügen in betreff auf die Wendung des Auges und Blicks dargestellt.

 

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*) Petrus Camper, 1722-1789, holländischer Anatom

**) Johann Friedrich Blumenbach, De generis humani varietate nativa, Göttingen 1775

 


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