[Besondere Äußerungsformen der Dummheit: Dummpfiffigkeit, Einfalt, Hochmut, Protzentum, Eitelkeit.]


Die Dummheit nimmt je nach ihren Äußerungen verschiedene Gestaltungen an, wobei das Milieu, dem das Individiuum angehört, seine Bildungsstufe und sein Charakter eine Rolle spielen. Bei bäuerlichen Elementen tritt uns die Dummheit häufig in der Form der Dummpfiffigkeit oder Bauernschlauheit entgegen. Der Dumme glaubt in Verkennung seiner geistigen Schwäche durch gewisse Kniffe andere täuschen und übervorteilen zu können. Er stellt sich dümmer, als er ohnehin ist, heuchelt Unkenntnis von Dingen, in denen er wohl Bescheid weiß, gebraucht, statt den einfachen und geraden Weg in einer Sache zu gehen, Winkelzüge, um andere irre zu führen, hält mit der Wahrheit zurück, wo hierzu gar keine Veranlassung ist, und verhält sich ungläubig, wo er volles Vertrauen haben sollte. Bekannt ist, daß Bauern in Prozeßangelegenheiten öfters es recht schlau zu machen glauben, wenn sie ihren Anwalt falsch informieren und einen ihnen unbequemen Tatbestand ableugnen, in der Annahme, daß der Anwalt imstande sein müsse, auf Grund ihrer falschen Angaben den Prozeß zu gewinnen. In ergötzlicher Weise illustriert folgende, den "Fliegenden Blättern" entnommene scherzhafte Erzählung die Bauernschlauheit.

"Die Gemeinde Schlaucherlhausen hatte ihren Wald um 150 000 Mark verkauft. Aber das Geld kam nicht in die dafür bestimmte öffentliche Kasse zur Anlegung. Der Amtmann wartete einige Tage, dann fuhr er selbst hinaus. "Was soll denn das sein!" rief er mit gestrenger Miene. "Wo ist denn das Geld? Muß es verloren gehen?" "O!" schmunzelte der Bürgermeister mit pfiffiger Miene, "das geht uns nicht verloren, wir bewahren es im Gemeindehaus." "Welch ein Leichtsinn!" grollte der Beamte. "Es kann Euch ja geraubt oder gestohlen werden." "Gar keine Red'," entgegnete das Haupt des Ortes schlau. "Wir haben eine Wach' zur Gemeindetruh' gestellt und eine an die Tür." "Pah," meinte der andere zornig. "Was soll das? Zwei Wachen, die kann man niederschlagen." "Unser Geld," schmunzelte der Gemeindevorsteher, "ist dann auch noch sicher." "Ja," rief der Amtmann verblüfft, "wieso denn?" "Schaun's," lacht der Bürgermeister geheimnisvoll, "wir habens ja ganz anderswo."

Die Dummpfiffigkeit beschränkt sich übrigens nicht auf die bäuerlichen Kreise; wir begegnen derselben in allen Klassen der Bevölkerung. Goethe hatte das Vergnügen, einen hochadeligen Vertreter dieser Geistesart (ehemaligen General) bei einer Badekur in Karlsbad kennen zu lernen und gab von der Unterhaltung, die dieser mit ihm pflog, folgenden amüsanten Bericht:

"Nicht wahr, Sie nennen sich Herr Goethe?"

Schon recht.

"Aus Weimar?"

Schon recht.

"Nicht wahr, Sie haben Bücher geschrieben?"

O ja. "Und Verse gemacht?"

Auch.

"Es soll schön sein."

Hm!

"Haben Sie denn viel geschrieben?"

Hm! es mag so angehn.

"Ist das Versemachen schwer?"

So, so!

"Es kommt wohl halter auf die Laune an? ob man gut gegessen und getrunken hat, nicht wahr?"

Es ist mir fast so vorgekommen.

"Na, schauen S'! Da sollten Sie nicht in Weimar sitzen bleiben, sondern halter nach Wien kommen."

Hab' auch schon daran gedacht.

"Na, schauens S'! in Wien ist's gut, es wird gut gegessen und getrunken!"

Hm!

"Und man hält was auf solche Leute, die Verse machen können."

Hm!

"Ja, dergleichen Leute finden wohl gar — wenn s' sich gut halten, schauen S', und zu leben wissen — in den ersten und vornehmsten Häusern Aufnahme."

Hm!

"Kommen S' nur! Melden S' sich bei mir, ich habe Bekanntschaft, Verwandtschaft, Einfluß. Schreiben S' nur: Goethe aus Weimar, bekannt von Karlsbad her. Das letzte ist notwendig zu meiner Erinnerung, weil ich halter viel im Kopfe habe."

Werde nicht verfehlen.

"Aber sagen S' mir doch, was haben S' denn geschrieben?"

Mancherlei, von Adam bis Napoleon, vom Ararat bis zum Blocksberg, von der Zeder bis zum Brombeerstrauch.

"Es soll halter berühmt sein?"

Hm! Leidlich.

"Schade, daß ich nichts von Ihnen gelesen und auch früher nichts von Ihnen gehört habe! Sind schon neue, verbesserte Auflagen von Ihren Schriften erschienen?"

O ja! Wohl auch.

"Und es werden wohl noch mehr erscheinen?"

Das wollen wir hoffen.

"Ja, schauen S', da kauf ich Ihre Werke nicht: Ich kaufe halter nur Ausgaben der letzten Hand; sonst hat man immer den Ärger, ein schlechtes Buch zu besitzen, oder man muß dasselbe Buch zum zweiten Male kaufen; darum warte ich, um sicher zu gehen, immer den Tod der Autoren ab, ehe ich ihre Werke kaufe. Das ist Grundsatz bei mir, und von diesem Grundsatz kann ich halter auch bei Ihnen nicht abgehen." Hm! (S. Bode, Goethes Lebenskunst).

Das Gegenstück der Bauernschlauheit ist die auf einer Kombination von Gutmütigkeit und Beschränktheit beruhende Einfalt, die kein Arg kennt und allen Menschen Vertrauen entgegenbringt. Der Einfältige hält mit der Wahrheit nicht zurück, auch wenn er sich dadurch Schaden zufügt. Er glaubt das ungereimteste Zeug und hält jede Versicherung, ob im Scherz oder Ernst gemacht, für pure Wahrheit. Die Möglichkeit eines Betrugs liegt ihm bei seiner eigenen Ehrlichkeit so fern, daß er selbst dem plumpesten Schwindel zum Opfer fällt und wohlgemeinte Warnungen unbeachtet läßt. Der Einfältige begibt sich oft auch in Gefahr, ohne es zu ahnen, da er in seiner Harmlosigkeit an die Möglichkeit schlimmer Zufälle nicht denkt und deshalb auch keine Vorsicht übt, wo solche dringend geboten ist.

Eine besonders widerwärtige Form, in der sich die Dummheit in gewissen Kreisen äußert, ist der Hochmut, in welchem dünkelhafte Selbstüberschätzung mit unbegründeter und törichter Geringschätzung anderer sich kombiniert. Die Selbstüberschätzung des Hochmütigen stützt sich gewöhnlich auf Verhältnisse, die durch keinerlei Verdienste des Betreffenden bedingt sind, wie: Abkunft und großen, ererbten oder zufällig erworbenen Besitz, Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse oder Korporation etc. Der Mann von höherer Intelligenz, der durch tüchtige oder hervorragende Leistungen sich eine bedeutende Stellung erworben hat, mag im Bewußtsein seiner Verdienste und seiner geistigen Überlegenheit von einem lebhaften Selbstgefühle erfüllt sein; er äußert dieses aber nie in der Form des Hochmuts. Dieser beruht auf einer Kritiklosigkeit, einer Unfähigkeit, die eigene Stellung im Leben und die Bedeutung anderer in der Gesellschaft richtig zu erfassen; wir finden daher denselben insbesondere bei jugendlichen Individuen als Folge von Urteilsunreife. Hierher gehört der Dünkel, mit welchem Angehörige einzelner Studentenkorps lediglich wegen ihrer Zugehörigkeit zu der betreffenden Korporation auf die Nichtverbindungsstudenten, z. T. sogar auch auf die Mitglieder anderer farbentragender Verbindungen herabsahen; ferner der Dünkel, den manche jugendliche Offiziere den Zivilisten im allgemeinen und der Geschäftswelt im besonderen gegenüber bis zur Revolution kundgaben.

Einen interessanten Hinweis auf den Dünkel, der in manchen studentischen Kreisen, insbesondere an kleineren Universitäten, bestand, finden wir noch in einzelnen Studentenliedern. Es sei hier nur an die Strophe erinnert:

"Wo sind sie, die von Breitenstein

Nicht wanken und nicht wichen,

Die ohne Moos bei Bier und Wein

Den Herrn der Erde glichen?"

Die Studenten, die trotz Mangels an Nervus rerum den Herrn der Erde glichen, waren wohl wahre Typen einer durch Urteilsunreife bedingten läppischen Selbstüberschätzung, die heutzutage wohl nicht mehr vorkommt.

Bekannt ist ferner der Hochmut, mit dem gewisse, insbesondere weibliche Angehörige der Aristokratie trotz Mangels an Besitz und sonstigen Vorzügen auf Nichtadelige, manche ohne eigenes Verdienst reich gewordene Parvenus auf die Minderbemittelten, nicht selten auch törichte, vom Zeitgeist unberührte Frauen auf Dienstboten als eine unter ihnen stehende Menschenklasse herabsehen.

Der Dünkel kann sich aber auch auf Leistungen beziehen, denen nichts Verdienstliches anhaftet, so z. B. wenn der Trinkfeste, der zehn Liter Bier ohne Schwierigkeiten bewältigt, auf den armen Schlucker herabsieht, der nicht mehr als einen halben oder einen ganzen Liter verträgt.

Eine dem Hochmut nahestehende Äußerungsform der Beschränktheit ist das Protzentum, das durch Entfaltung von törichtem Luxus und Geldvergeudung der Welt zu imponieren sucht. Der Protz glaubt infolge seiner Urteilsschwäche, sich durch sein Gebahren ein Ansehen bei anderen Menschen verschaffen zu können, während er sich nur verächtlich und lächerlich macht. Wir begegnen dem Protzentum in den verschiedensten Gesellschaftskreisen, und je weniger Bildung der Vertreter dieser Eigenart besitzt, um so rohere Form nimmt die Betätigung desselben an. Das Protzentum des Bauern äußert sich in geringschätziger Behandlung Unbemittelter und Untergebener, in Bezahlung von Zechen für größere Gesellschaften, in dem Halten luxuriöser Fuhrwerke, Weingenuß und dergleichen, die Protzerei des reich gewordenen Kaufmanns in übertrieben eleganter Ausstattung seiner Wohnung, Einladungen, bei denen der Sekt, wie man sagt, in Strömen fließt und den Gästen der Reichtum des Wirts in der aufdringlichsten Weise vorgeführt wird usw.

Eine Pflanze, die ebenfalls häufig auf dem Boden der Dummheit, aber doch nicht ausschließlich auf diesem wächst, ist die Eitelkeit, die übertriebene Schätzung des Urteils anderer Menschen über die eigene Person. Zumeist offenbart sich dieselbe namentlich beim weiblichen Geschlecht in einer übermäßigen Sorge für die Gefälligkeit der äußeren Erscheinung, und wir finden diese bei nicht wenigen den sogenannten höheren Gesellschaftskreisen Angehörigen so weit gehend, daß sie den größeren Teil der Tagesbeschäftigung beansprucht. Die Wahl der Toiletten für die verschiedenen Tageszeiten und die verschiedenen Kreise, in denen man sich bewegt, die Anschaffung dieser Toiletten, sowie die auf möglichste Hervorhebung der körperlichen Reize und Ausgleichung vorhandener Mängel berechneten Verrichtungen bilden bekanntlich das Haupttagewerk vieler unserer Salon- und Modedamen. Was neben dieser Beschäftigung noch das Interesse dieser Damen in Anspruch nimmt, steht oft weit hinter dem zurück, was die Durchschnittsköchin interessiert. Diese Modedamen haben ihr allerdings nicht ganz vollwertiges Seitenstück in den Gigerln auf der männlichen Seite, die ihren Ruhm darin suchen, die Neuheiten der Mode in der krassesten Übertreibung an sich zu präsentieren. Das Bestreben des Gigerls, sich von der übrigen Menschheit durch Äußerlichkeiten zu unterscheiden, erstreckt sich jedoch nicht lediglich auf die Bekleidung und das Zubehör derselben, Stock und Regenschirm, sondern auch auf manche Gepflogenheiten, die Art und Weise des Grüßens und Dankens, des Handreichens, des Sprechens, der Körperhaltung etc. Wie groß indes die Sorge, die das Gigerl seinem äußeren Menschen zuwendet, sein und wie läppisch er auch gewisse Vorbilder nachahmen oder übertreiben mag, so geht doch sein Denken gewöhnlich nicht in dem Maße in Toilettenangelegenheiten auf, wie es bei manchen Modedamen der Fall ist. Ein gewisses Gigerltum schließt sonstige Brauchbarkeit des Menschen nicht aus, und in den meisten Fällen ist die Gigerlitis mehr als Äußerung einer partiellen als allgemeinen Urteilsschwäche zu betrachten.

Auch jene Form der Eitelkeit, die übertriebenes Gewicht auf das Urteil der Menge über den Wert und die Leistungen der eigenen Person legt, findet sich nicht lediglich bei Wenigbegabten, sondern auch keineswegs selten bei intelligenten, selbst geistig hervorragenden Personen. Der eitle Beschränkte, der seine Fähigkeiten und Leistungen ebensosehr wie die Bedeutung des Urteils anderer überschätzt, legt auf Lob das größte Gewicht, da er hierin einen Beweis seiner Tüchtigkeit erblickt. Er ist mitunter auch für die plumpesten Schmeicheleien, die seiner Einbildung Rechnung tragen, empfänglich. Um Auszeichnungen zu erwerben, strebt er auf das Eifrigste, z. T. aber auch mit den lächerlichsten Mitteln nach einem Titel, einem Orden, einem Amt oder auch nur einem Rekord. Kann er es nicht zu einer staatlichen Anerkennung in irgend einer Form bringen, so sucht er in einer Gesellschaft oder einem Verein eine Würde zu erlangen, auch wenn diese mit schwerer Bürde verknüpft ist. Er läßt sich auch oft in Unternehmungen ein, denen er nicht gewachsen ist, lediglich um sich nicht nachsagen zu lassen, daß ihm der Mut oder die Mittel hierzu gefehlt hätten.

 

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