[Die Verblendung durch Liebe, Haß, Rachsucht, Eifersucht. Fanatismus. Liebestorheiten Intelligenter.]


Auch andere Leidenschaften vermögen den Beschränkten in einer Weise zu beherrschen, daß er die törichtsten und gefährlichsten Handlungen begeht. Insbesondere gilt dies von dem Haß, der Rach- und Eifersucht und dem Spielteufel. Haß und Rachsucht verblenden den Beschränkten oft derart, daß er in dem Eifer, seinem Gegner zu schaden, die Grube nicht sieht, die er sich selbst gräbt. Die Beschränktheit läßt den Eifersüchtigen bei den harmlosesten Anlässen Grund zu einer Erregung finden, durch die er sich selbst, wie den Gegenstand seiner Liebe quält. Die Beschränktheit führt auch oft zu einer Eifersucht in Bezug auf Personen, die Gegenstand einer sexuellen Neigung nicht bilden können. So ist es nicht selten, daß beschränkte Frauen auf ihre eigenen Kinder oder Geschwister eifersüchtig sind, wenn der Gatte diesen besondere Zärtlichkeit entgegenbringt. Sie wollen die Liebe ihres Mannes ganz allein besitzen, nicht einmal mit den Kindern teilen. Bei beschränkten Frauen kommt selbst eine Eifersucht der Beschäftigung des Gatten gegenüber vor, wenn dieser in seinem Beruf sozusagen aufgeht und darüber die Gattin etwas vernachlässigt. In köstlicher Weise hat Proellß1) die Eifersucht einer ebenso schönen als beschränkten Römerin auf die kapitolinische Venus geschildert, mit deren Überwachung ihr Gatte durch sein Amt als Galerieaufseher betraut war. Die gute Donna beruhigte sich erst, als ihr Mann seines Amtes bei dem steinernen Teufelsweibe enthoben und an ein Spital versetzt wurde, dessen Insassen keine Veranlassung zu eifersüchtigen Erregungen gaben.

Eine besonders widerwärtige Form der Verbindung von Dummheit und Leidenschaft repräsentiert der Fanatismus. Politische und religiöse Leidenschaften finden wir zwar auch bei Intelligenten sehr häufig, und es ist zur Genüge bekannt, daß viele hochbegabte Männer für ihre politische oder religiöse Überzeugung das Leben einsetzten; allein jener blinde Fanatismus, der keinerlei Duldsamkeit gegen abweichende Meinungen kennt, der den Gegner mit den grausamsten Mitteln verfolgt, wächst doch nur auf dem Boden der Beschränktheit. So erklärt es sich, daß eine Masse um so leichter zu fanatisieren und zu Gewalttaten gegen Andersgläubige zu bestimmen ist, je niedriger ihr intellektuelles Niveau ist. Der Fanatismus entwickelt sich aber nicht nur mit Vorliebe auf dem Boden der Beschränktheit, er steigert diese auch, wie jede Leidenschaft, ganz außerordentlich, sodaß die Ergriffenen der Bedeutung und Folgen ihres Tuns sich nicht mehr bewußt werden. Die Scheußlichkeiten, die im Namen der Religion und der Freiheit so unzählige Male von fanatisierten Massen verübt wurden, bezeugen dies zur Genüge, nicht minder so manche höchst traurige Vorfälle, die bei uns im Gefolge der Revolution sich ereigneten.

Wenn auch, wie wir im Vorhergehenden schon andeuteten, gute intellektuelle Begabung im allgemeinen einen gewissen Schutz gegen den Einfluß der Leidenschaft verleiht, so lehrt doch die Erfahrung, daß auch intelligente, selbst mit glänzenden Geistesgaben ausgestattete Personen zuweilen der betörenden Macht derselben in einem Maße, wie die Beschränktesten unterliegen. Soweit die Liebe in Betracht kommt, schützt auch Alter und reiche Lebenserfahrung, wie schon das Sprichwort besagt, nicht vor Torheit. In der Mehrzahl der Fälle erweist sich bei Intelligenten die durch die Übermacht der Liebe bedingte Dummheit als ein transitorischer Zustand. Der Intellekt befreit sich allmählich von den Fesseln der Leidenschaft, und wenn die Liebe sich damit auch nicht ganz und gar verflüchtigt, so stellt sich doch wieder eine besonnene Beurteilung der realen Verhältnisse ein, welche von törichten, verhängnisvollen Schritten abhält. Allein nicht immer gewinnt der Intellekt wieder die Oberhand über die Leidenschaft. Ich habe im Laufe der Jahre eine Anzahl wissenschaftlich gebildeter Männer von guter, zum Teil selbst höherer Intelligenz kennen gelernt (Ärzte, Juristen, Ingenieure, Künstler), die nicht etwa im Rausch einer seit kurzem bestehenden Passion, sondern nach langer, zum Teil jahrelanger Bekanntschaft sich zu einer Verehelichung entschlossen, von welcher sie die bescheidenste Erwägung der Sachlage hätte abhalten müssen. Zum Teil handelt es sich um Personen nicht von zweifelhafter, sondern zweifellos übler Vergangenheit, Personen, die noch dazu keineswegs mit körperlichen Vorzügen ausgestattet waren, zum Teil um Frauen, die um viele Jahre älter als der Mann, mit Kindern, aber nicht mit Mitteln gesegnet und auch aller intellektuellen Vorzüge bar waren. Es ist mir wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der Betreffenden im Laufe des ehelichen Lebens aus der Verblendung erwachte, in welche die Leidenschaft sie versetzt hatte, und zu einer nüchternen Beurteilung ihrer Ehehälften gelangte. Die Bürde, die sie sich aufgeladen hatten, war damit natürlich nicht abgestreift.

 

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1) Joh. Proellß: "Die schönste Frau." Novellen, Stuttgart, Verl. Bonz & Co.


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Seite zuletzt aktualisiert: 13.12.2009 
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