[Verhalten der Assoziationstätigkeit, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, der Übungsfähigkeit.]


Die Assoziationstätigkeit, d. h. das Denken, geht bei dem Dummen zumeist verlangsamt, schwerfällig vor sich. Der geistige Mechanismus arbeitet bei ihm mit einer gewissen Trägheit; das Vorstellungsmaterial, das er besitzt, ist weder reich, noch flüssig; die Vorstellungen reihen sich bei ihm daher langsam aneinander, und er gelangt nur schwer zu bestimmten Schlüssen. Es mangelt aber auch nicht an Beschränkten, die anscheinend eine größere geistige Regsamkeit und lebhafte Phantasie besitzen. Sie sind redselig, neugierig und ermüden durch ihre Unterhaltung den Verständigen. Ihr Gespräch dreht sich ganz vorwaltend um persönliche Angelegenheiten oder untergeordnete Vorkommnisse des alltäglichen Lebens, ihre Beschäftigung, ihre Berufsverhältnisse, ihr Befinden, häusliche Angelegenheiten oder das Tun und Treiben von Verwandten, Freunden, Nachbarn, auch Stadtklatsch, Dinge, die die Zuhörer zumeist nicht interessieren. Besitzen diese Beschränkten besondere Liebhabereien — Sammelpassionen, Sport, Vereinswesen, insbesondere Politik — so bilden diese für sie eine unversiegbare Quelle für Erörterungen, in welchen weder neue noch tiefere Gedanken zutage treten. Bei diesen Individuen verbindet sich mit der Beschränktheit ihrer Gedankenwelt eine regere, aber ausgesprochen oberflächliche Assoziationstätigkeit. Was zeitlich und räumlich sich aneinanderkettet, reproduziert sich fast ausschließlich in ihren Gedankengängen, die geäußert sich vorherrschend als seichtes Geschwätz charakterisieren. Der tiefere Zusammenhang der Dinge beschäftigt ihr Denken nicht und spielt daher in ihren Gesprächen auch keine Rolle.

Mit der Gedankenarmut und der Oberflächlichkeit des Denkens hängt, wie wir später sehen werden, auch die bei diesen Individuen oft zu beobachtende törichte Neugier zusammen, welche sie veranlaßt, sich um Dinge zu kümmern, die ihnen völlig gleichgültig sein könnten, und ihre Bekannten mit Fragen über Angelegenheiten zu belästigen, die kein Verständiger berührt. Ihre Schwatzhaftigkeit setzt sie außerstande, Anvertrautes zu bewahren und über ihre An- und Absichten Schweigen zu beobachten, wo dies aus dem einen oder anderen Grunde ratsam wäre.

Die hier erwähnte Form der Beschränktheit findet sich vorwaltend bei weiblichen Individuen, ist aber auch bei dem starken Geschlecht durch ausgeprägte Exemplare vertreten. Ich erinnere mich aus meiner Universitätszeit eines alten Hauses von Studenten, der nach wechselvollen Schicksalen, die ihn nach Amerika verschlagen hatten, auf die Idee gekommen war, es mit der Jurisprudenz zu versuchen. Der gute Mann war sehr redselig und verschaffte uns durch lange Bierreden, in denen er den ausgesuchtesten Unsinn in durchaus fließender Form vortrug, manche köstliche Stunde. Das brüllende Gelächter, das seine oratorischen Leistungen hervorriefen, betrachtete er als eine Beifallsäußerung, die ihn ermunterte, seiner Suada ungehemmten Lauf zu lassen.

 

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Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand anhaltend zu konzentrieren, ist bei den Beschränkten im allgemeinen wenig entwickelt. Hierdurch wird nicht nur beim Lernen die Einprägung des Stoffs, sondern auch jede andauernde geistige Arbeit, bei welcher es sich um kompliziertere intellektuelle Prozesse handelt, erschwert.

Das Gedächtnis, speziell die Merkfähigkeit, ist bei dem Beschränkten zumeist ebenfalls mangelhaft entwickelt, und zwar sowohl in bezug auf die Genauigkeit der Einprägung, als die Dauer der Aufbewahrung der Eindrücke; doch finden sich in bezug auf die einzelnen Gedächtnisleistungen auffällige Unterschiede. Sehr wenig Begabte können für musikalische Eindrücke, Zahlen, Namen, Verse ein gutes Gedächtnis besitzen, während ihnen das Festhalten von Gedankenverbindungen abstrakten Inhalts wie von Definitionen sehr schwer fällt. In der Schule zeigen die Beschränkten häufig ganz befriedigende Leistungen in den Gegenständen, bei denen es sich um rein mechanische Einprägung eines Gedächtnisstoffs handelt, wie Geschichte, Geographie, Naturkunde, während in anderen Gegenständen ihre Leistungen sehr schwach ausfallen. In manchen Fällen ist aber auch das rein mechanische Einprägen eines Lernstoffs sehr erschwert. Was der Schüler am Abend lernt, hat er am Morgen vergessen, und er wird nicht selten des Unfleißes bezichtigt, da die Lehrer für derartige Gedächtnisschwächen nicht immer das richtige Verständnis besitzen.

Auch die Übungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, durch Übung die Schnelligkeit einer Leistung zu steigern, ist bei dem Dummen in geringerem Grade als bei dem Begabten vorhanden. Der Dumme kommt auch bei Arbeiten, mit welchen er seit langer Zeit sich beschäftigte, nicht über ein gewisses mäßiges Tempo hinaus, während der Begabte durch Übung dahingelangt, ein gegebenes Pensum erheblich rascher zu erledigen, als es ihm anfangs möglich war.

 

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