[Vorstellungsarmut. Geringe Entwicklung des Auffassungsvermögens.]


Wenn wir uns nunmehr zu den Kriterien der Dummheit wenden, so geben uns schon die Synonima des Wortes: Beschränktheit, Begriffsstutzigkeit, Einfalt wichtige Fingerzeige. Vor allem kommt hier die Beschränktheit in Betracht. Das geistige Leben des Dummen spielt sich auf einem beschränkteren Gebiet, als das des Besserbegabten ab. Die Elemente, mit welchen sich seine geistigen Operationen vollziehen, seine Vorstellungen, sind weniger zahlreich und ihre Verbindungen minder mannigfaltig, als beim Intelligenten. Die Vorstellungsarmut betrifft ebensowohl die konkreten, durch die Sinnestätigkeit erworbenen Vorstellungen, als die durch Abstraktion gewonnenen Allgemeinvorstellungen (Begriffe), letztere sogar noch mehr, als die ersteren. Unter gleichen äußeren Verhältnissen gewinnt der Dumme weniger Vorstellungen von den Objekten und Vorgängen in seiner Umgebung, als der Intelligente, weil sein Interesse, die Außenwelt kennen zu lernen, geringer ist, sich auf das ihn unmittelbar Berührende beschränkt, und seine Aufmerksamkeit überdies an dem Oberflächlichen haftet. Der Wissenstrieb, der den Intelligenten veranlaßt, lediglich zur Erweiterung seines geistigen Gesichtskreises sich Kenntnisse von Personen und Dingen zu verschaffen und sich nicht mit der Wahrnehmung des an der Oberfläche sich Abspielenden zu begnügnen, fehlt den Dummen gewöhnlich. Die Vorstellungsarmut des Beschränkten betrifft aber, wie schon bemerkt wurde, noch mehr das Gebiet der Begriffe. Auch da, wo die Gunst äußerer Verhältnisse es ihm ermöglicht, durch die Anschauung eine Fülle interessanter Objekte und Vorgänge kennen zu lernen, ist der Gewinn, den er für seinen geistigen Besitz zieht, dürftig: "Ein Gigack flog über den Rhein, als Gänserich kam er wieder heim", sagt das Sprichwort mit Recht.

Die Fähigkeit, aus den einzelnen Wahrnehmungen, die er zu machen Gelegenheit hat, das Gemeinsame und das Verschiedene, das Wesentliche und das Unwesentliche zu abstrahieren und sich dadurch Begriffe zu bilden, ist bei dem Beschränkten wenig entwickelt. Die Begriffe, die er sich im Laufe der Jahre sammelt, sind daher nicht sehr zahlreich, dabei z. T. ungenügend ausgebildet, verschwommener, als beim Intelligenten, z. T. auch irrtümlich. Dies bildet für ihn eine fortwährende Quelle von Täuschungen und Schwierigkeiten. Elegante Kleidung z. B. ist für ihn ein Attribut des Reichtums; er wird daher dem elegant gekleideten Schwindler nur zu leicht zur Beute. Das Abschlagen einer Bitte verträgt sich nicht mit seinem Begriffe von Freundschaft, und er schreibt daher dem Freunde, der ihm in wohlmeinender Absicht einen Dienst verweigert, feindselige Gesinnung zu.

Mit der Vorstellungsarmut hängt die geringe Entwicklung des Auffassungsvermögens bei dem Dummen zusammen. Die Schnelligkeit und Richtigkeit der Auffassung der äußeren Objekte wird ihm dadurch erschwert, daß sein Vorstellungsschatz für die Verbindung und Einreihung des Wahrgenommenen nur wenig zahlreiche Elemente zur Verfügung hat. Die Beschränkung des Auffassungsvermögens betrifft aber ganz besonders das begriffliche Gebiet. Was über die Grenze der täglich in gleichen Bahnen sich abspielenden und daher geläufigen Gedankengänge hinausgeht, findet nur schwer oder überhaupt kein Verständnis. Die vorhandenen wenig zahlreichen Begriffe gestatten nicht das Erfassen ungewöhnlicher Ansichten und Forderungen. Daß ein Mensch um irgend eines naheliegenden materiellen Vorteils willen dieses oder jenes tut, begreift auch der Dumme ohne Schwierigkeit. Daß aber jemand aus idealen Gründen nicht nur auf Vorteile verzichten, sondern sogar materielle Schädigungen auf sich nehmen kann, ist ihm unverständlich. Er ist daher auch geneigt, als Schrulle oder Verrücktheit zu betrachten, was der Idealgesinnte sich als Ziel redlichsten Bemühens gesetzt hat. Die Unmöglichkeit, ideale Beweggründe zu erfassen, läßt den Dummen auch vielfach hinter rein menschenfreundlichen Bestrebungen egoistische Zwecke suchen und ihm erwiesene Güte als Schwäche deuten.


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