[Zweifache Bedeutung des Ausdrucks Dummheit:
Intellektuelle Qualität eines Individuums und
einer seelischen Leistung. Verschiedenheit der Grundlagen für die Annahme von Dummheit. Bedeutung des Mangels an praktischem Sinn.]


Nach dem Sprachgebrauch kommt dem Ausdruck Dummheit eine zweifache Bedeutung zu: Wir bezeichnen damit ebensowohl die intellektuelle Qualität eines Individuums als einer einzelnen seelischen Leistung, einer Handlung, eines Urteils, einer Ansicht. Soweit es sich um die Qualifizierung eines Individuums handelt, stempeln wir als Dummheit eine geistige Minderwertigkeit, eine Begabung, die unter dem Durchschnitt steht. Diese Minderwertigkeit betrifft jedoch, wie hier sogleich betont werden muß, ausschließlich das Gebiet der Verstandesleistungen (der Intelligenz). Gemüt und Wille bleiben hierbei völlig unberücksichtigt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ein bestimmtes Verhältnis zwischen den Leistungen des Verstandes und dem Verhalten des Gemüts und des Willens nicht besteht. Ein Mensch von hervorragendem Verstand mag ein sehr wenig entwickeltes Gemüt, ein beschränkter, Mensch andererseits ein sehr gutes Herz, d. h. großen Gefühlsreichtum besitzen. Ähnlich verhält es sich mit dem Willen. Mancher Hochbegabte scheitert im Leben, weil ein schwacher Wille ihn nicht befähigt, erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden oder lockende Abwege zu meiden. Auf der anderen Seite mag ein Mensch mit mittelmäßigen Anlagen, ja selbst ein Beschränkter durch einen kräftigen Willen in den Stand gesetzt werden, ein Ziel andauernd zu verfolgen und sich dadurch empor zu arbeiten. Ferner kommt in Betracht, daß Dummheit als Bezeichnung der intellektuellen Qualität eines Individuums nicht eine gleichmäßige Herabsetzung aller intellektuellen Leistungen andeutet; es handelt sich hiebei nach der üblichen Auffassung nur um eine Schätzung des Durchschnitts oder wenigstens der wichtigsten intellektuellen Leistungen, welche das Bestehen einzelner besser entwickelter Fähigkeiten, selbst ausgesprochener Talente nicht ausschließt.

Im praktischen Leben sind wir nur selten in der Lage — gewöhnlich nur in Krankheitsfällen — das intellektuelle Inventar eines Individuums eingehend und nach allen Seiten zu prüfen und darauf unser Urteil über dasselbe zu basieren. Gewöhnlich glaubt man auf Grund der Kenntnis einzelner Seiten des intellektuellen Lebens einer Person sich ein Urteil über die Gesamtbegabung derselben bilden zu dürfen. Diese Unzulänglichkeit der Grundlage bedingt begreiflicherweise häufig Irrtümer, die in der Richtung der über- wie der Unterschätzung liegen können. Einzelne gute Leistungen verleiten zu einem günstigen, einzelne schwache zu einem ungünstigen Urteile über die Gesamtbegabung. Schon in der Schule stoßen wir öfters auf eine derartige irrtümliche Taxation. Zurückbleiben in einzelnen Fächern veranlaßt die Lehrer, einen Schüler, der später sich als sehr begabt erweist, als gering befähigt zu klassifizieren, und es sind mir Fälle bekannt, in welchen den Eltern der Rat erteilt wurde, auf das Weiterstudieren eines Sohnes zu verzichten, der später ein bedeutender Gelehrter oder hervorragender Beamter wurde. Bei der Beurteilung Erwachsener wird häufig dem Grade der Begabung für praktische Angelegenheiten, dem sogenannten praktischen Sinne, eine zu große Bedeutung beigelegt. Ein Mensch, der es nicht versteht, seinen materiellen Vorteil zu wahren, sich den Anforderungen der Zeit und der Umstände anzupassen und für sein Vorwärtskommen günstige Gelegenheiten auszunützen, gilt als dumm. Dabei bleibt oft unberücksichtigt, daß der Mangel an sogenanntem praktischen Sinn im Einzelfalle von sehr ungleicher Bedeutung ist und auf die intellektuelle Gesamtbegabung z. B. beim Künstler oder Gelehrten nicht den Schluß gestattet, wie bei dem Geschäftsmann oder Landwirt. In den Kreisen der Gelehrten hinwiederum mangelt es nicht an solchen, welche auf den Verstand des Geschäftsmannes, der durch seine Findigkeit Erfolge erzielte, mit einer gewissen Geringschätzung herabblicken, wenn dieser z. B. nicht imstande ist, die Bedeutung eines philosophischen Problems zu erfassen. Wieder andere sind geneigt, die religiöse, speziell die orthodoxe Gläubigkeit als ein Anzeichen von Beschränktheit zu betrachten. Vielfach wird auch der Mangel an Lebenserfahrung bei jugendlichen Individuen als Dummheit bezeichnet. Der Jüngling ist als solcher ein dummer Junge, das junge Mädchen ein Gänschen. Das Weib andererseits ist nach der Ansicht gewisser Schriftsteller wegen seines geringen Gehirngewichts, wie der Neger wegen seiner Rasse, mit einem physiologischen Schwachsinn behaftet.


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