Die Fingerfertigen
(30.11.1918)
Das darf nicht sein! Feierlich erheben wir Protest. Zum zweiten Male soll das betrogene deutsche Volk von seinen sogenannten »Dichtern und Denkern«, mit Gerhart Hauptmann an der Spitze, genasführt werden. Soeben wird eine Kundgebung Berliner »Künstler und Dichter« bekannt, die es verdient, niedriger gehängt zu werden. Man sehe sich vor! Cave canem! Videant consules. Namen der in der ganzen Kulturwelt berüchtigten Dreiundneunzig figurieren wieder darunter! Schon das genügt ... Die Wahrheit soll aufs neue genotzüchtigt, die Tatsachen sollen von diesen Geistesheroen, die die Verletzung Belgiens verteidigten, die Lieder auf Ludendorff und Hinden-burg sangen, wieder auf den Kopf gestellt werden. In dieser Kundgebung heißt es:
»Es ist an der Menschheit in einem ungeheuren Maße gesündigt worden. Die zivilisierte Welt wurde zum Kriegslager und zum Schlachtfelde.« Wir fragen: Von wem ist gesündigt worden, wer hat die Welt in ein Kriegslager und in ein Schlachtfeld gewandelt?
Antwort: die gestürzte deutsche Regierung und ihr militaristisches System! Weitere Frage: Wer hat diese besungen und verherrlicht? Antwort: Die »Künstler und Dichter«, die auch dieses Gewinsel unterzeichnet haben und nun im Namen der Menschlichkeit faseln! Das darf nicht sein, dagegen erheben wir feierlich Protest! Sieh dich vor, deutsches Volk! Laß dich von den Fingerfertigen nicht zum zweiten Male einfangen! Hafte ihre Namen auf die Schandsäule, denn sie haben dich in der »Woche« und in allen ähnlichen Blättern vier Jahre hindurch zum Besten gehabt. Kündige ihnen endlich das Vertrauen auf, deutsches Volk! Sie wittern die Konjunktur und wollen nun in Menschlichkeit machen, wie sie vier Jahre lang in Militarismus und Völkerhaß gemacht haben. Es genügt, hier daran zu erinnern, daß Herr Walter Bloem in seinem »Eisernen Jahr« den Krieg verherrlichte, daß Paul Oskar Höcker nicht nur Redakteur am »Daheim«, sondern auch Verfasser der schamlosen Schrift »An der Spitze meiner Kompagnie« in Flandern ist, daß Hermann Sudermann sogar dithyrambisch in den ersten Kriegswochen 1914 in die Scherischen Wochen kam. Also nur diese drei Beispiele für viele! Verbrenne die alte Zeit, komme nicht wieder mit solchen Geisteshelden, die dich vor beiden Hemisphären auf ewig blamiert haben, sonst bist du für alle Zeiten verloren, deutsches Volk!
Der Aufruf ist von folgenden »Männern« unterzeichnet, die samt und sonders um Wilhelms Gunst und um sein Eisernes Kreuz gebuhlt haben und die heute das Recht verwirkten, im Namen des deutschen Volkes vor den geistigen Führern der anderen zivilisierten Nationen das Wort zu ergreifen! Wir nageln sie fest.
Peter Behrens, German Bestelmeyer, Leo Blech, Walter Bloem, Lovis Corinth, Ludwig Dettmann, Max Dreyer, Georg Engel, Otto H. Engel, Herbert Eulenberg, Cäsar Flaischlen, Philipp Franck, Ludwig Fulda, August Gaul, Adele Gerhart, Walter Harlau, Gerhart Hauptmann, Hans Herrmann, Dora Hitz, Paul Oskar Höcker, Ludwig Hoffmann, Gustav Kadelburg, Arthur Kampf, Bernhard Kellermann, Fritz Klimsch, Friedr. E. Koch, Käthe Kollwitz, Ernst Körner, Hermann Kretzschmar, Hans Land, Karl Langhammer, Hugo Lederer, Hildegard Lehnen, Arthur Lewin-Funcke, Max Liebermann, Ludwig Manzel, Otto Marcus, Hans Meid, Walter v. Molo, Alexander Moszkowski, Bruno Paul, Rudolf Presber, Georg Reicke, Gabriele Reuter, Fritz Schaper, Max Schlichting, Theo Schmuz-Baudiß, Rudolf Schulte im Hofe, Georg Schumann, Franz Schwechten, Leo Walter Stein, Richard Strauß, Eduard Stucken, Hermann Sudermann, Heinz Tovote, Louis Tuaillon, Clara Viebig, Hugo Vogel, Fedor v. Zobeltitz.
Sie, und nicht minder ihr gewissenloses Geschreibsel, das angesichts der furchtbaren Geschehnisse weder Hand noch Fuß hat, ein Phrasenschwall, in dem, wie sie meinen, aber diesmal vergeblich, die Wahrheit und mit ihr ihre eigene Verantwortung untergehen soll. Lehne deren Führung ab, deutsches Volk, wenn du nicht völlig im Abgrund der Verachtung der anderen Nationen versinken willst! Sie jammern:
»Millionen der besten Söhne aller Völker ruhen in Gräbern. Die Gefallenen, brüderlich vereint, sind friedlich und stille. Auch bei uns hat der Waffenkampf aufgehört, nicht aber der Kampf um Sein oder Nichtsein unseres Volkes. Dieses Volkes, das einer künftigen gerechten Zeit in einer Glorie erscheinen wird. Wir Gestalter mit Meißel, Palette und Feder, wir Baumeister und Musiker, Männer und Frauen, die wir vor allem Menschen und von ganzer Seele Deutsche sind, zweifeln nicht daran: unser Volk, unser Land wird bleiben und wird nicht untergehen. Aber wir sehen Volk und Land gerade jetzt auf die schwerste Probe gestellt. Es kommt darauf an, sie zu bestehen. Wir haben es schaudernd erlebt, daß der Haß nicht fruchtbar ist. Die Liebe aber ist fruchtbar und schaffend, und sie strömt nur aus einem wachen Herzen. Laßt uns also nicht nur unser Brot mit den Brüdern teilen, die aus dem Felde heimkehren, wir wollen ihnen auch unsere wachen Herzen entgegentragen. Es ist endlich Zeit, daß eine große Welle der Liebe die verheerende Woge des Hasses ablöse. Mit einer klaren und furchtbaren Logik wurde, man möchte sagen, menschliches Planen durch göttliches ersetzt. Aber obgleich es so ist, und obgleich vor der Gewalt dieser so bewirkten Umwandlung jedes Volk zu zerbrechlich erscheint, erkennt doch der Sehende schon in dem, was sich, gleichsam von selbst, an neuer Form durchgerungen hat, das alte, kraftvoll besonnene Wesen des Deutschen unversehrt. Und wer lebt, wird in nicht allzu langer Zeit — dessen sind wir gewiß — den deutschen Boden reicher als je in Blüte sehen. Seit einem Jahrtausend hat die deutsche Nation nichts erlebt, was an Bedeutung dem Ereignis der letzten Tage gleichzusetzen wäre. Wer es versteht, der fühlt seine unvergleichliche Macht. Seine Bedeutung ist unendlich viel tiefer, und es kommt auch aus ganz anderen Quellen her, als es vielleicht jene meinen, deren weltgeschichtliche Pflicht es ward, es äußerlich zu vertreten. Wer wollte sich dieser eisernen Bestimmung entgegensetzen? Heut hat das Volk sein Geschick in die Hand genommen. Keiner wird jetzt zurückstehen, dessen Kräfte im Nationaldienst verwendbar sind. Auch die neue Regierung möge mit uns rechnen, wo sie unser Wirken für ersprießlich hält. Keiner von uns wird zögern, im Wohlfahrtsdienste des Friedens das Seine von Herzen und nach Kräften zu tun.«
Dr. E. S.