Leopold Loewenfeld

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Über die Dummheit

 

Eine Umschau

im Gebiete menschlicher Unzulänglichkeit

 

mit einem Anhange:

 

Die menschliche Intelligenz in Vergangenheit und Zukunft

 

 

(1909)

 

Zweite neubearbeitete Auflage, 1921

 






Vorwort zur I. Auflage.


Über die Dummheit ist mancherlei in alter wie in neuer Zeit, in Scherz und Ernst geschrieben worden. Die hier vorliegende Schrift ist die erste Arbeit, welche den Gegenstand eingehender und selbständig behandelt. Dieser Tatbestand mag zu gewissen Vorurteilen Anlaß geben, denen zu begegnen ich nicht für überflüssig erachte.

In den letzten Jahren wurde in den ärztlichen Kreisen dem Schwachsinn erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, und die Zahl der Publikationen, die sich mit demselben beschäftigten, ist erheblich angewachsen. Manche mögen bei den nahen Beziehungen zwischen Dummheit und Schwachsinn geneigt sein, daraus zu folgern, daß damit auch die Dummheit genügend berücksichtigt und eine besondere Bearbeitung derselben überflüssig wurde. Diese Ansicht trifft nicht zu. Wenn auch die Dummheit vom Schwachsinn nicht scharf abzugrenzen ist, so bildet sie doch einen von diesem verschiedenen Zustand; sie gehört noch in die Breite der Gesundheit, der Schwachsinn in das Bereich des Krankhaften. Die Dummheit ist auch ungleich verbreiteter und deshalb in sozialer Hinsicht viel wichtiger als letzterer. Sie ist, wie sattsam bekannt, eine Macht, die im öffentlichen wie privaten Leben eine gleich bedeutende Rolle spielt, aber eine Macht, die wir nicht respektieren, sondern bekämpfen müssen, und die zu überwinden oder unschädlich zu machen, wir um so mehr Aussicht haben, je genauer wir sie kennen. Diese Sachlage dürfte die Umschau, die ich auf den hier folgenden Blättern unternommen habe, genügend rechtfertigen.

Ein Blick auf die Inhaltsübersicht wird zeigen, daß ich mich nicht mit einer Zusammenstellung des bereits Bekannten begnügte. Eine Reihe z. T. wichtiger Fragen, die wohl schon öfters gelegentlich gestreift wurden, hat in der Arbeit zum erstenmal eine eingehende Erörterung gefunden.

Meine Herrn Kritiker bitte ich, zu berücksichtigen, daß diese Schrift nicht entfernt den Anspruch erhebt, eine erschöpfende oder auch nur systematische Darstellung des Gegenstandes zu bringen. Die Dummheit ist ein so umfassendes Gebiet, daß es noch manchem Forscher lohnende Ausbeute liefern wird. Einer streng systematischen Behandlung des Gegenstandes stellten sich Schwierigkeiten von solcher Art entgegen, daß ich mich entschließen mußte, auf dieselbe zu verzichten.

 

München, April 1909.

L. Loewenfeld.






Vorwort zur II. Auflage.


Die vorliegende II. Auflage meines Werkes "Über die Dummheit" hat, abgesehen von manchen Verbesserungen und Zusätzen, auch der Umgestaltung unserer Verhältnisse, die durch den Krieg und die Revolution bedingt wurde, tunlichst Rechnung getragen. Der Abschnitt, welcher die Hebung der Volksbildung behandelt, mußte daher zum Teil völlig umgearbeitet werden und konnte, da Vieles auf diesem Gebiete im Entwicklungsstadium sich befindet, nicht ganz dem gegenwärtigen Stande der Dinge Rechnung tragen. Beim Erscheinen der I. Auflage dieses Werkes war ich der Ansicht, daß es die erste größere Arbeit über den Gegenstand bildet. Inzwischen ist jedoch meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt worden, daß in den 60er Jahren des verflossenen Jahrhunderts von Erdmann (Professor der Philosophie in Halle) eine Schrift über die Dummheit veröffentlicht wurde. Es ist mir nicht gelungen, mir dieselbe käuflich oder auch nur leihweise zu beschaffen. Trotzdem dürfte meine Annahme nicht unberechtigt erscheinen, daß das vorliegende Werk das erste seiner Art ist, da es den Gegenstand vom psychiatrischen Standpunkte aus behandelt, außerdem, über das Gebiet der Dummheit hinausgehend, das Problem der Entwicklung der menschlichen Intelligenz in Vergangenheit und Zukunft wohl zum ersten Male einer eingehenden Erörterung unterzieht. Die Einnahme des psychiatrischen Standpunktes hatte den Vorteil, daß sie durch die Anwendung der Methoden psychiatrischer Forschung auf das Problem der Dummheit und ihres weitreichenden Einflusses auf den verschiedensten Gebieten menschlicher Tätigkeit ein tieferes und weitergehendes Eindringen in den Gegenstand als die lediglich psychologische Behandlung desselben ermöglichte. Daß ich hiebei bemüht war, mich vor Einseitigkeiten in der Auffassung und Darstellung einzelner Teile des Themas freizuhalten, hiefür dürfte das Inhaltsverzeichnis Zeugnis ablegen. Ich möchte schließlich nicht unerwähnt lassen, daß ich manche der in Abschnitt IX enthaltenen Angaben der trefflichen Schrift von G. Fritz "Über das Volksbildungswesen" entnommen habe.

 

München, im April 1921.

L. Loewenfeld.



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