Ethik - Lipps, Lotze, Brentano
Perfektionismus (Energismus, s. d.) ist die Ethik PAULSENS: »Es hat die Ethik auf Grund der Erkenntnis der menschlichen Natur überhaupt, besonders auch der geistigen und sozialen Seite dieser Natur, Anleitung zu geben, die Aufgaben des Lebens überhaupt so zu lösen, daß dasselbe die reichste, schönste, vollkommenste Entfaltung erreicht« (Syst. d. Eth. I, S. 3). Die Ethik ist »eine Wissenschaft von den Sitten«, sie gehört zu den praktischen Disziplinen (l.c. 15, 1), ist »Theorie der Lebenskunst«, basierend auf Anthropologie und Psychologie, ist »allgemeine Diätetik« (l.c. S. 2). Sie zerfällt in Güter- und Pflichtenlehre (l.c. S. 4 f.). Sie will nicht bloß begründen, sondern auch ergänzen und verbessern (l.c. S. 10). Ähnlich LIPPS (Eth. Grundfrag. 1899). Seine Ethik ist formal, perfectionistisch, individualistisch, Persönlichkeits- und Gesinnungsmoral. Auf das Gefühl der Achtung vor der Autorität gründet die Ethik v. KIRCHMANN (Kat. d. Philos.3, S. 172). P. RÉE leitet das Sittliche (s. d.) aus dem Autoritativen, Gesetzlichen ab (Entst. d. Gewiss.).
Unbedingt verpflichtende Ideale liegen nach LOTZE dem sittlichen Handeln zugrunde. »Pflichtenlehre« ist die Ethik nach C. STANGE. Sie ist nicht normativ (Einl. in d. Eth. I, 11), daher kann sie nicht selbst sittliche Normen aufstellen (l.c. S. 12), auch nicht deren Inhalt begründen (l.c. S. 39). Sie hat bloß das Sittliche darzustellen (l.c. S. 40). Sie ist eine »auf empirischer Grundlage ruhende spekulative Wissenschaft« (l.c. S. 55). Sie sucht den Inhalt des Sittlichen zu bestimmen, die allgemeinen Merkmale der als sittlich beurteilten Handlungen, die Faktoren des sittlichen Inhalts, die Quelle der sittlichen Urteile, auch die Entstehungsbedingungen des Sittlichen zu finden (l.c. S. 194; II, 1 ff.).
Eine »idio-psychologische« Gesinnungsmoral mit einer Rangordnung von Motiven lehrt MARTINEAU. Ähnlich auch H. SCHWARZ, der einen »Normzwang« anerkennt (Grdz. d. Eth. 1896; Psychol. d. Will. 1900- Das sittl. Leben 1901). Im Kantschen Sinne lehren H. GREEN (Prolegom. to Ethics), J. MACKENZIE (Manual of Ethics 1892) u. a. Eine »idealistische« Ethik lehrt WENTSCHER. Die Ethik soll »die möglichen Ziele menschlichen Wollens und Handelns« zeigen und für deren Wert oder Unwert Maßstäbe an die Hand geben (Eth. I, 2). Die Ethik ist eine »Idealwissenschaft«, normativ (l.c. S. 3). Der Grundbegriff der Ethik ist der der Freiheit (l.c. S. 4 ff.).
Eudämonistische Gefühlstheorien stellen auf SCHUPPE (Grdz. d. Eth. u. Rechtsphilos. S. 1, 4 u. ff.), ADICKES, DÖRING (Philos. Güterlehre 1888), SIGWART (Vorfr. d. Eth., Festschr. f. E. Zeller, 1886), welcher die Aufgabe der Ethik darin setzt, »einen allumfassenden, in sich einstimmigen Zweck als Aufgabe des Menschlichen Handelns so zu konstruieren, daß seine Erreichung von den gegebenen Bedingungen aus möglich ist« (Log. II, 745). RIEHL unterscheidet Ethik und Moralwissenschaft. »Die Ethik gibt der Moral die Ziele, die Moral ist ein Weg zu diesen Zielen« (Zur Einf. in d. Philos. S. 175).
Einen psychologischen Intuitionismus vertritt F. BRENTANO, der evidente ethische Gefühlsurteile annimmt (Vom Urspr. sittl. Erk.) Zur Werttheorie (s. d.) gestalten die Ethik A. MEINONG (Werttheor. S. 85), EHRENFELS, KREIBIG, O. KRAUS. UPHUES definiert die Ethik als »die Wissenschaft von der Güte oder Schlechtigkeit des Wollens oder von dem Grunde der Wertunterschiede zwischen unseren Handlungen oder Gesinnungen« (Psych. d. Erk. I, 10).
Den Bestrebungen nach einer freien, von metaphysischen, religiösen, politischen Voraussetzungen unabhängigen Ethik dient die »Gesellschaft für ethische Kultur« (F. ADLER, ST. COIT, JODL u. a.).
Auf katholischer Grundlage ruht die Ethik von V. CATHREIN (Moralphilos.3, 1899). - Eine Sozialethik gibt R. GOLDSCHEID (Zur Eth. d. Gesamtwill. I). Die Ethik muß auf dem Gefühl von Lust und Unlust aufgebaut werden (1. G. S. 66, 73), psychologisch fundiert sein (l.c. S. 82), nicht bloß formal sein (l.c. S. 98), sie muß zugleich rationalistisch sein (1. G. S. 103). Sie ist Werttheorie und fragt: »Wie schaffen wir einen Zustand, wo die Vorstellungen vom Bösen unlustbetont auftreten; resp. welche Vorstellungen sind es, an die wir Lustmomente knüpfen müssen, und welche Vorstellungen sind es, bei denen wir ein unlustbetontes Funktionieren zu erstreben haben« (l.c. S. 103). Von Historikern der Ethik seien genannt: P. JANET (Histoire de la philos. morale et polit. 1858), H. SIDGWICK (Eth. 1879), TH. ZIEGLER (Gesch. d. Eth. 1881/1886), K. KÖSTLIN (Gesch. d. Eth. I, 1887), F. JODL (Gesch. d. Eth. in d. neueren Philos. 1882/1889) u. a. Vgl. Sittlichkeit.