Früher befolgte Grundsätze bei der Zuchtwahl und deren Folgen


Wir wollen nun kurz untersuchen, wie die domestizierten Rassen schrittweise von einer oder von mehreren einander nahe verwandten Arten erzeugt worden sind. Dem direkten und bestimmten Einflusse äußerer Lebensbedingungen kann dabei wohl ein gewisses Resultat zugeschrieben werden, ebenso der Angewöhnung; es wäre aber kühn, solchen Einwirkungen die Verschiedenheiten zwischen einem Karrengaul und einem Rennpferde, zwischen einem Windspiele und einem Schweißhund, einer Boten- und einer Purzeltaube zuschreiben zu wollen. Eine der merkwürdigsten Eigentümlichkeiten, die wir an unseren domestizierten Rassen wahrnehmen, ist ihre Anpassung nicht zu Gunsten des eigenen Vorteils der Pflanze oder des Tieres, sondern zu Gunsten des Nutzens und der Liebhaberei des Menschen. Einige ihm nützliche Abänderungen sind zweifelsohne plötzlich oder auf einmal entstanden, wie z.B. manche Botaniker glauben, dass die Weberkarde mit ihren Haken, welchen keine mechanische Vorrichtung an Brauchbarkeit gleichkommt, nur eine Varietät des wilden Dipsacus ist; und diese ganze Abänderung mag wohl plötzlich in irgend einem Sämlinge dieses letztern zum Vorschein gekommen sein. So ist es wahrscheinlich auch mit den Dachshunden der Fall; und es ist bekannt, dass ebenso das amerikanische Ankon- oder Otter-Schaf entstanden ist. Wenn wir aber das Rennpferd mit dem Karrengaul, das Dromedar mit dem Kamel, die für Kulturland tauglichen mit den für Bergweide passenden Schafrassen, deren Wollen sich zu ganz verschiedenen Zwecken eignen, wenn wir die mannigfaltigen Hunderassen vergleichen, deren jede dem Menschen in einer andern Weise dient, — wenn wir den im Kampfe so ausdauernden Streithahn mit anderen friedfertigen und trägen Rassen, welche »immer legen und niemals zu brüten verlangen«, oder mit dem so kleinen und zierlichen Bantam-Huhne vergleichen, — wenn wir endlich das Heer der Acker-, Obst-, Küchen- und Zierpflanzenrassen ins Auge fassen, von welchen eine jede dem Menschen zu anderm Zwecke und in anderer Jahreszeit so nützlich oder für seine Augen so angenehm ist, so müssen wir doch wohl an mehr denken, als an bloße Veränderlichkeit. Wir können nicht annehmen, dass diese Varietäten auf einmal so vollkommen und so nutzbar entstanden seien, wie wir sie jetzt vor uns sehen, und kennen in der Tat von manchen ihre Geschichte genau genug, um zu wissen, dass dies nicht der Fall gewesen ist, Der Schlüssel liegt in dem akkumulativen Wahlvermögen des Menschen: die Natur liefert allmählich mancherlei Abänderungen; der Mensch summiert sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann man von ihm sagen, er habe sich nützliche Rassen geschaffen.

Die bedeutende Wirksamkeit dieses Prinzips der Zuchtwahl ist nicht hypothetisch; denn es ist Tatsache, dass einige unserer ausgezeichnetsten Viehzüchter selbst innerhalb nur eines Menschenalters mehrere Rinder und Schafrassen in beträchtlichem Grade modifiziert haben, um das, was sie geleistet haben, in seinem ganzen umfange zu würdigen, ist es fast notwendig, einige von den vielen diesem Zwecke gewidmeten Schriften zu lesen und die Tiere selbst zu sehen. Züchter sprechen gewöhnlich von der Organisation eines Tieres, wie von etwas völlig Plastischem, das sie fast ganz nach ihrem Gefallen modeln könnten. Wenn es der Raum gestattete, so könnte ich viele Stellen aus Schriften der sachkundigsten Gewährsmänner als Belege anführen. YOUATT, der wahrscheinlich besser als fast irgend ein Anderer mit den landwirtschaftlichen Werken bekannt und selbst ein sehr guter Beurteiler eines Tieres war, sagt von diesem Prinzip der Zuchtwahl, es sei das, »was den Landwirt befähige, den Charakter seiner Herde nicht allein zu modifizieren, sondern gänzlich zu ändern. Es ist der Zauberstab, mit dessen Hülfe er jede Form ins Leben ruft, die ihm gefällt.« Lord SOMERVILLE sagt in Bezug auf das, was die Züchter hinsichtlich der Schafrassen geleistet: »Es ist, als hätten sie eine in sich vollkommene Form an die Wand gezeichnet und dann belebt.« In Sachsen ist die Wichtigkeit jenes Prinzips für die Merinozucht so anerkannt, dass die Leute es gewerbsmäßig verfolgen. Die Schafe werden auf einen Tisch gelegt und studiert, wie ein Gemälde von Kennern geprüft wird. Dieses wird je nach Monatsfrist dreimal wiederholt, und die Schafe werden jedesmal gezeichnet und klassifiziert, so dass nur die allerbesten zuletzt zur Nachzucht genommen werden.

Was englische Züchter bis jetzt schon geleistet haben, geht aus den ungeheuren Preisen hervor, die man für Tiere bezahlt, die einen guten Stammbaum aufzuweisen haben; und deren hat man jetzt nach allen Weltgegenden ausgeführt. Die Veredlung rührt im Allgemeinen keineswegs davon her, dass man verschiedene Rassen miteinander gekreuzt hat. Alle die besten Züchter sprechen sich streng gegen dieses Verfahren aus, es sei denn zuweilen zwischen einander nahe verwandten Unterrassen. Und hat eine solche Kreuzung stattgefunden, so ist die sorgfältigste Auswahl weit notwendiger, als selbst in gewöhnlichen Fällen. Wenn es sich bei der Wahl nur darum handelte, irgend welche sehr auffallende Varietät auszusondern und zur Nachzucht zu verwenden, so wäre das Prinzip so handgreiflich, dass es sich kaum der Mühe lohnte, davon zu sprechen. Aber seine Wichtigkeit besteht in dem großen Erfolge einer durch Generationen fortgesetzten Häufung dem ungeübten Auge ganz unkenntlicher Abänderungen in einer Richtung hin: Abänderungen, die ich z.B. vergebens herauszufinden versucht habe. Nicht ein Mensch unter tausend hat ein hinreichend scharfes Auge und Urteil, um ein ausgezeichneter Züchter zu werden. Ist er mit diesen Eigenschaften versehen, studiert er seinen Gegenstand Jahre lang und widmet ihm seine ganze Lebenszeit mit unbeugsamer Beharrlichkeit, so wird er Erfolg haben und große Verbesserungen bewirken. Mangelt ihm aber eine jener Eigenschaften, so wird er sicher nichts ausrichten. Es haben wohl nur wenige davon eine Vorstellung, was für ein Grad von natürlicher Befähigung und wie viele Jahre Übung dazu gehören, um nur ein geschickter Taubenzüchter zu werden.

Die nämlichen Grundsätze werden beim Gartenbau befolgt; nur treten die Abänderungen hier oft plötzlicher auf. Doch glaubt Niemand, dass unsere edelsten Gartenerzeugnisse durch eine einfache Abänderung unmittelbar aus der wilden Urform entstanden seien. In einigen Fällen können wir beweisen, dass dies nicht geschehen ist, indem genaue Protokolle darüber geführt worden sind; um hier ein Beispiel von untergeordneter Bedeutung anzuführen, können wir uns auf die stetig zunehmende Größe der Stachelbeeren beziehen. Wir nehmen eine erstaunliche Veredlung in manchen Zierblumen wahr, wenn man die heutigen Blumen mit Abbildungen vergleicht, die vor 20-30 Jahren davon gemacht worden sind. Wenn eine Pflanzenrasse einmal wohl ausgebildet worden ist, so sucht sich der Samenzüchter nicht die besten Pflanzen aus, sondern entfernt nur diejenigen aus den Samenbeeten, welche am weitesten von ihrer eigentümlichen Form abweichen. Bei Tieren findet diese Art von Auswahl ebenfalls statt; denn es dürfte kaum Jemand so sorglos sein, seine schlechtesten Tiere zur Nachzucht zu verwenden.

Bei den Pflanzen gibt es noch ein anderes Mittel, die sich häufenden Wirkungen der Zuchtwahl zu beobachten, wenn man nämlich die Verschiedenheit der Blüten in den mancherlei Varietäten einer Art im Blumengarten, die Verschiedenheit der Blätter, Hülsen, Knollen oder was sonst für Teile in Betracht kommen, im Küchengarten, im Vergleiche zu den Blüten der nämlichen Varietäten, und die Verschiedenheit der Früchte bei den Varietäten einer Art im Obstgarten, im Vergleich zu den Blättern und Blüten derselben Varietätenreihe, miteinander vergleicht. Wie verschieden sind die Blätter der Kohlsorten und wie ähnlich einander die Blüten! wie unähnlich die Blüten der Pensées und wie ähnlich die Blätter! wie sehr weichen die Früchte der verschiedenen Stachelbeersorten in Größe, Farbe, Gestalt und Behaarung von einander ab, während an den Blüten nur ganz unbedeutende Verschiedenheiten zu bemerken sind! Nicht als ob die Varietäten, die in einer Beziehung sehr bedeutend verschieden sind, es in anderen Punkten gar nicht wären: dies ist schwerlich je und (ich spreche nach sorgfältigen Beobachtungen) vielleicht niemals der Fall! Die Gesetze der Korrelation der Abänderungen, deren Wichtigkeit nie übersehen werden sollte, werden immer einige Verschiedenheiten veranlassen; im Allgemeinen kann ich aber nicht daran zweifeln, dass die fortgesetzte Auswahl geringer Abänderungen in den Blättern, in den Blüten oder in der Frucht solche Rassen erzeuge, welche hauptsächlich in diesen Teilen von einander abweichen.

Man könnte einwenden, das Prinzip der Zuchtwahl sei erst seit kaum drei Vierteln eines Jahrhunderts zu planmäßiger Anwendung gebracht worden; gewiss ist es erst seit den letzten Jahren mehr in Übung und sind viele Schriften darüber erschienen; die Ergebnisse sind denn auch in einem entsprechenden Grade immer rascher und erheblicher geworden. Es ist aber nicht entfernt wahr, dass dieses Prinzip eine neue Entdeckung sei. Ich könnte mehrere Belegstellen anführen, aus welchen sich die volle Anerkennung seiner Wichtigkeit schon in sehr alten Schriften ergibt.

Selbst in den rohen und barbarischen Zeiten der englischen Geschichte sind ausgesuchte Zuchttiere oft eingeführt und ist ihre Ausfuhr gesetzlich verboten worden; auch war die Entfernung der Pferde unter einer gewissen Größe angeordnet, was sich mit dem obenerwähnten Ausjäten der Pflanzen vergleichen lässt. Das Prinzip der Zuchtwahl finde ich auch in einer alten chinesischen Enzyklopädie bestimmt angegeben. Ausführliche Regeln darüber sind bei einigen Römischen Klassikern niedergelegt. Aus einigen Stellen in der Genesis erhellt, dass man schon in jener frühen Zeit der Farbe der Haustiere seine Aufmerksamkeit zugewendet hat. Wilde kreuzen noch jetzt zuweilen ihre Hunde mit wilden Hundearten, um die Rasse zu verbessern, wie es nach PLINIUS' Zeugnis auch vormals geschehen ist. Die Wilden in Süd-Afrika paaren ihre Zugochsen nach der Farbe zusammen, wie einige Eskimos ihre Zughunde. LIVINGSTONE berichtet, wie hoch gute Haustierrassen von den Negern im innern Afrika, welche nie mit Europäern in Berührung gewesen sind, geschätzt werden. Einige der angeführten Tatsachen sind zwar keine Belege für wirkliche Zuchtwahl; aber sie zeigen, dass die Zucht der Haustiere schon in alten Zeiten ein Gegenstand aufmerksamer Sorgfalt gewesen, und dass sie es bei den rohesten Wilden jetzt ist. Es hätte aber in der Tat doch befremden müssen, wenn der Zuchtwahl keine Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre, da die Erblichkeit der guten und schlechten Eigenschaften so augenfällig ist.


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