Historische Skizze der Fortschritte in den Ansichten über den Ursprung der Arten
Ich will hier eine kurze Skizze von der Entwicklung der Ansichten über den Ursprung der Arten geben. Bis vor Kurzem glaubte die große Mehrzahl der Naturforscher, dass die Arten unveränderlich seien und dass jede einzelne für sich erschaffen worden sei: diese Ansicht ist von vielen Schriftstellern mit Geschick verteidigt worden. Nur einige wenige Naturforscher nahmen dagegen an, dass Arten einer Veränderung unterliegen und dass die jetzigen Lebensformen durch wirkliche Zeugung aus anderen früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind. Abgesehen von einigen, auf unseren Gegenstand zu beziehenden Andeutungen in den Schriftstellern des klassischen Altertums*), war BUFFON der erste Schriftsteller, welcher in neuerer Zeit denselben in einem wissenschaftlichen Geiste behandelt hat. Da indessen seine Ansichten zu verschiedenen Zeiten sehr schwankten und er sich nicht auf die Ursache oder Mittel der Umwandlung der Arten einlässt, brauche ich hier nicht auf Einzelnheiten einzugehen.
LAMARCK war der erste, dessen Ansichten über diesen Punkt großes Aufsehen erregten. Dieser mit Recht gefeierte Naturforscher veröffentlichte dieselben zuerst 1801 und dann bedeutend erweitert 1809 in seiner ›Philosophie Zoologique‹, sowie 1815 in der Einleitung zu seiner Naturgeschichte der wirbellosen Tiere, in welchen Schriften er die Lehre aufstellte, dass alle Arten, den Menschen eingeschlossen, von anderen Arten abstammen. Er hat das große Verdienst, die Aufmerksamkeit zuerst auf die Wahrscheinlichkeit gelenkt zu haben, dass alle Veränderungen in der organischen wie in der unorganischen Welt die Folgen von Naturgesetzen und nicht von wunderbaren Zwischenfällen sind. LAMARCK scheint hauptsächlich durch die Schwierigkeit, Arten und Varietäten von einander zu unterscheiden, durch die fast ununterbrochene Stufenreihe der Formen in manchen Organismen-Gruppen und durch die Analogie mit unseren Züchtungserzeugnissen zu der Annahme einer gradweisen Veränderung der Arten geführt worden zu sein. Was die Mittel betrifft, wodurch die Umwandlung der Arten bewirkt werde, so schreibt er Einiges auf Rechnung einer direkten Einwirkung der äußeren Lebensbedingungen. Einiges führt er auf die Wirkung einer Kreuzung der bereits bestehenden Formen und Vieles auf den Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe, also auf die Wirkung der Gewohnheit zurück. Dieser letzten Kraft scheint er alle die schönen Anpassungen in der Natur zuzuschreiben, wie z.B. den langen Hals der Giraffe, der sie in den Stand setzt, die Zweige hoher Bäume abzuweiden. Doch nahm er zugleich ein Gesetz fortschreitender Entwicklung an, und da hiernach alle Lebensformen fortzuschreiten streben, so nahm er, um sich von dem Dasein sehr einfacher Lebensformen auch in unseren Tagen Rechenschaft zu geben, für derartige Formen noch eine Generatio spontanea an**).
ÉTIENNE GEOFFROY SAINT-HILAIRE vermutete, wie sein Sohn in dessen Lebensbeschreibung berichtet, schon ums Jahr 1795, dass unsere sogenannten Spezies nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus seien. Doch erst im Jahre 1828 sprach er öffentlich seine Überzeugung aus, dass sich ein und dieselben Formen nicht unverändert seit dem Anfang der Dinge erhalten haben. GEOFFROY scheint die Ursache der Veränderung hauptsächlich in den Lebensbedingungen oder dem »Monde ambiant« gesucht zu haben. Doch war er vorsichtig im Ziehen von Schlüssen und glaubte nicht, dass jetzt bestehende Arten einer Veränderung unterlägen; sein Sohn sagt: »C'est donc un problème à réserver entièrement à l'avenir, supposé même, que l'avenir doive avoir prise sur lui.« 1813 las Dr. W. C. WELLS vor der Royal Society eine »Nachricht über eine Frau der weißen Rasse, deren Haut zum Teil der eines Negers gleicht«; der Aufsatz wurde nicht eher veröffentlicht, als bis seine zwei berühmten Essays »über Tau und Einfach-Sehn« 1818 erschienen. In diesem Aufsatze erkennt er deutlich das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl an, und dies ist der erste nachgewiesene Fall einer solchen Anerkennung. Er wendete es aber nur auf die Menschenrassen und nur auf besondere Merkmale an. Nachdem er angeführt hat, dass Neger und Mulatten Immunität gegen gewisse tropische Krankheiten besitzen, bemerkt er erstens, dass alle Tiere in einem gewissen Grade abzuändern streben, und zweitens, dass Landwirte ihre Haustiere durch Zuchtwahl verbessern. Nun fügt er hinzu: was aber im letzten Falle »durch Kunst geschieht, scheint mit gleicher Wirksamkeit, wenn auch langsamer, bei der Bildung der Varietäten des Menschengeschlechts, welche den von ihnen bewohnten Ländern angepasst sind, durch die Natur zu geschehen. Unter den zufälligen Varietäten von Menschen, die unter den wenigen zerstreuten Einwohnern der mittleren Gegenden von Afrika auftreten, werden einige besser als andere im Stande sein, den Krankheiten des Landes zu widerstehen. In Folge hiervon wird sich diese Rasse vermehren, während die anderen abnehmen, und zwar nicht bloß, weil sie unfähig sind, die Erkrankungen zu überstehen, sondern weil sie nicht im Stande sind, mit ihren kräftigeren Nachbarn zu konkurrieren. Nach dem, was bereits gesagt wurde, nehme ich es als ausgemacht an, dass die Farbe dieser kräftigern Rasse dunkel sein wird. Da aber die Neigung, Varietäten zu bilden, noch besteht, so wird sich eine immer dunklere und dunklere Rasse im Laufe der Zeit bilden; und da die dunkelste am besten für das Klima passt, so wird diese zuletzt in dem Lande, in dem sie entstand, wenn nicht die einzige, doch die vorherrschende Rasse werden.« Er dehnt dann die Betrachtungen auf die weißen Bewohner kälterer Klimate aus. Ich bin Herrn ROWLEY aus den Vereinigten Staaten, welcher durch Mr. BRACE meine Aufmerksamkeit auf die angezogene Stelle in Dr. WELLS' Aufsatz lenkte, hierfür sehr verbunden.
Im vierten Bande der Horticultural Transactions, 1822, und in seinem Werke über die Amaryllidaceae (1837, p. 19, 339) erklärte W. HERBERT, nachheriger Dechant von Manchester, »es sei durch Hortikulturversuche unwiderleglich dargetan, dass Pflanzen-Arten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seien.« Er dehnt die nämliche Ansicht auch auf die Tiere aus und glaubt, dass ursprünglich einzelne Arten jeder Gattung in einem Zustande hoher Bildsamkeit geschaffen worden seien, und dass diese sodann hauptsächlich durch Kreuzung, aber auch durch Abänderung alle unsere jetzigen Arten erzeugt haben.
Im Jahre 1826 sprach Professor GRANT im Schlussparagraphen seiner bekannten Abhandlung über Spongilla (Edinburgh Philos. Journ. XIV, p. 283) seine Meinung ganz klar dahin aus, dass Arten von anderen Arten abgestammt sind und durch fortgesetzte Modifikationen verbessert werden. Die nämliche Ansicht hat er auch 1834 im »Lancet« in seiner 55. Vorlesung wiederholt.
Im Jahre 1831 erschien das Buch von PATRICK MATTHEW: ›Naval Timber and Arboriculture‹, in welchem er genau dieselbe Ansicht von dem Ursprunge der Arten entwickelt, wie die (sofort zu erwähnende) von Mr. WALLACE und mir im ›Linnean Journal‹ entwickelte, und wie die in dem vorliegenden Bande weiter ausgeführt dargestellte. Unglücklicher Weise jedoch teilte MATTHEW seine Ansicht an einzelnen zerstreuten Stellen in dem Anhange zu einem Werke über einen ganz andern Gegenstand mit, so dass sie völlig unbeachtet blieb, bis er selbst 1860 im Gardeners Chronicle vom 7. April die Aufmerksamkeit darauf lenkte. Die Abweichungen seiner Ansicht von der meinigen sind nicht von wesentlicher Bedeutung. Er scheint anzunehmen, dass die Welt in aufeinanderfolgenden Zeiträumen beinahe ausgestorben und dann wieder neu bevölkert worden ist, und stellt als die eine Alternative die Ansicht auf, dass neue Formen wohl erzeugt werden könnten »ohne die Anwesenheit eines Models oder Keimes früherer Aggregate«. Ich bin nicht sicher, ob ich alle Stellen richtig verstehe; doch scheint er großen Wert auf die unmittelbare Wirkung der äußeren Lebensbedingungen zu legen. Er erkannte jedoch deutlich die volle Bedeutung des Prinzips der natürlichen Zuchtwahl.
Der berühmte Geolog LEOPOLD VON BUCH spricht sich in seiner vortrefflichen ›Description physique des Iles Canaries‹ (1836, p. 147) deutlich darüber aus, dass er glaube, Varietäten werden langsam zu beständigen Arten umgeändert, welche dann nicht mehr im Stande seien, sich zu kreuzen.
RAFINESQUE schreibt 1836 in seiner ›New Flora of North Amerika‹ p. 6: »alle Arten mögen einmal bloße Varietäten gewesen sein, und viele Varietäten werden dadurch allmählich zu Spezies, dass sie konstante und eigentümliche Charaktere erhalten«, fügt aber später, p. 18, hinzu: »mit Ausnahme jedoch des Originaltypus oder Stammvaters jeder Gattung«.
Im Jahre 1843-44 hat Professor HALDEMAN die Gründe für und wider die Hypothese der Entwicklung und Umgestaltung der Arten in angemessener Weise zusammengestellt (im Boston Journal of Natural History, Vol. IV, p. 468) und scheint sich mehr zur Annahme einer Veränderlichkeit zu neigen.
Die ›Vestiges of Creation‹ sind zuerst 1844 erschienen. In der zehnten sehr verbesserten Ausgabe (1853, p. 155) sagt der ungenannte Verfasser: »das auf reifliche Erwägung gestützte Ergebnis ist, dass die verschiedenen Reihen beseelter Wesen, von den einfachsten und ältesten an bis zu den höchsten und jüngsten, die unter Gottes Vorsehung eingetretenen Resultate sind 1) eines den Lebensformen erteilten Impulses, der sie in bestimmten Zeiten auf dem Wege der Fortpflanzung von einer Organisationsstufe zur andern bis zu den höchsten Dicotyledonen und Wirbeltieren erhebt, — welche Stufen der Zahl nach nur wenige und gewöhnlich durch Lücken in der organischen Reihenfolge von einander geschieden sind, die eine praktische Schwierigkeit bei Ermittelung der Verwandtschaften abgeben; — 2) eines andern Impulses, welcher mit den Lebenskräften zusammenhängt und im Laufe der Generationen die organischen Gebilde in Übereinstimmung mit den äußeren Bedingungen, wie Nahrung, Wohnort und meteorische Kräfte, abzuändern strebt; dies sind die ›Anpassungen‹ der natürlichen Theologie«. Der Verfasser ist offenbar der Meinung, dass die Organisation sich durch plötzliche Sprünge vervollkommne, die Wirkungen der äußeren Lebensbedingungen aber allmählich eintreten. Er folgert mit großem Nachdrucke aus allgemeinen Gründen, dass Arten keine unveränderlichen Produkte seien. Ich vermag jedoch nicht zu ersehen, wie die angenommenen zwei »Impulse« in einem wissenschaftlichen Sinne von den zahlreichen und schönen Zusammenpassungen Rechenschaft geben können, welche wir allerwärts in der ganzen Natur erblicken; ich vermag nicht zu erkennen, dass wir dadurch zur Einsicht gelangen, wie z.B. ein Specht seiner besondern Lebensweise angepasst worden ist. Das Buch hat sich durch seinen glänzenden und hinreissenden Stil sofort eine sehr weite Verbreitung errungen, obwohl es in seinen früheren Auflagen wenig eingehende Kenntnis und einen großen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht verriet. Nach meiner Meinung hat es hier zu Lande vortreffliche Dienste dadurch geleistet, dass es die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenkte, Vorurteile beseitigte, und so den Boden zur Aufnahme analoger Ansichten vorbereitete.
Im Jahre 1846 sprach der Veteran unter den Geologen, J. D'OMALIUS D'HALLOY in einem vortrefflichen kurzen Aufsatze (im Bulletin de l'Académie Royal de Bruxelles Tome XIII, p. 581) die Ansicht aus, dass es wahrscheinlicher sei, dass neue Arten durch Deszendenz mit Abänderung der alten Charaktere hervorgebracht, als einzeln geschaffen worden seien; er hatte diese Meinung zuerst im Jahre 1831 öffentlich ausgedrückt.
In Professor R. OWEN's ›Nature of Limbs‹, 1849, p. 86 kommt folgende Stelle vor: »Die Idee des Grundtypus war in der Tierwelt unseres Planeten lange vor dem Dasein der sie jetzt erläuternden Tierarten in verschiedenen Modifikationen bereits offenbart worden. Von welchen Naturgesetzen oder sekundären Ursachen aber das regelmäßige Aufeinanderfolgen und Fortschreiten solcher organischen Erscheinungen abhängig gewesen ist, das wissen wir bis jetzt noch nicht.« In seiner Ansprache an die Britische Gelehrtenversammlung im Jahre 1858 spricht er (p. LI) vom »Axiom der fortwährenden Tätigkeit der Schöpfungskraft oder des geordneten Werdens lebender Wesen«, — und fügt später (p. XC) nach Bezugnahme auf die geographische Verbreitung hinzu: »Diese Erscheinungen erschüttern unser Vertrauen zu der Annahme, dass der Apteryx in Neu—Seeland und das rote Waldhuhn in England verschiedene Schöpfungen in und für die genannten Inseln allein seien. Auch darf man nicht vergessen, dass das Wort Schöpfung für den Zoologen nur einen Prozess, man weiß nicht welchen, bedeutet.« OWEN führt diese Vorstellung dann weiter aus, indem er sagt, »wenn der Zoolog solche Fälle, wie den vom roten Waldhuhn, als eine besondere Schöpfung des Vogels auf und für eine einzelne Insel aufzählt, so will er damit eben nur ausdrücken, dass er nicht begreife, wie derselbe dahin und eben nur dahin gekommen sei, und dass er durch diese Art seine Unwissenheit auszudrücken gleichzeitig seinen Glauben ausspreche, Insel wie Vogel verdanken ihre Entstehung einer großen ersten Schöpfungskraft.« Wenn wir die in derselben Rede enthaltenen Sätze einen durch den andern erklären, so scheint im Jahre 1868 der ausgezeichnete Forscher in dem Vertrauen erschüttert worden zu sein, dass der Apteryx und das rote Waldhuhn in ihren Heimatländern zuerst auf eine Weise, »man weiß nicht auf welche«, oder in Folge eines Prozesses, »man weiß nicht welches«, erschienen seien.
Diese Rede wurde gehalten, nachdem die sofort zu erwähnenden Aufsätze über den Ursprung der Arten von Mr. WALLACE und mir selbst vor der Linnean Society gelesen worden waren. Als die erste Auflage des vorliegenden Werkes erschien, war ich, wie so viele Andere, durch Ausdrücke wie: »Die beständige Wirksamkeit schöpferischer Tätigkeit« so vollständig getäuscht worden, dass ich Professor OWEN zu denjenigen Palaeontologen rechnete, welche von der Unveränderlichkeit der Arten fest überzeugt seien. Es erscheint dies aber (vergl. Anatomy of Vertebrates, Vol. III, p. 796) als ein bedenklicher Irrtum meinerseits. In der letzten Auflage dieses Buches schloss ich aus einer mit den Worten »no doubt the type-form etc.« (dasselbe Werk, Vol. I, p. XXXV) beginnenden Stelle (und dieser Schluss scheint mir noch jetzt völlig richtig), dass Professor OWEN annehme, die Zuchtwahl könne wohl bei der Bildung neuer Arten etwas bewirkt haben. Doch ist dies, wie es scheint (vergl. Vol. III, p. 798), ungenau und unbewiesen. Ich gab auch einige Auszüge aus einer Korrespondenz zwischen Professor OWEN und dem Herausgeber der London Review, nach denen es sowohl dem Herausgeber als mir offenbar so erschien, als behaupte Professor OWEN die Theorie der natürlichen Zuchtwahl schon vor mir ausgesprochen zu haben; und über diese Behauptung drückte ich meine Überraschung und meine Befriedigung aus. Soweit es indessen möglich ist, gewisse neuerdings publizierte Stellen zu verstehen (das angeführte Werk, Vol. III, p. 798), bin ich wiederum entweder teilweise oder vollständig in Irrtum geraten. Es ist ein Trost für mich, dass Andere die streitigen Schriften Professor OWEN's ebenso schwer zu verstehen und miteinander in Übereinstimmung zu bringen finden, wie ich selbst. Was die bloße Aussprache des Prinzips der natürlichen Zuchtwahl betrifft, so ist es völlig gleichgültig, ob mir darin Professor OWEN vorausgegangen ist oder nicht; denn wie in dieser historischen Skizze nachgewiesen wird, gingen uns beiden schon vor langer Zeit Dr. WELLS und Herr MATTHEW voraus.
ISIDORE GEOFFROY ST.-HILAIRE spricht in seinen im Jahre 1850 gehaltenen Vorlesungen (von welchen ein Auszug in Revue et Magazin de Zoologie 1851, Jan., erschien) seine Meinung über Artencharaktere kurz dahin aus, dass »sie für jede Art feststehen, so lange wie sich dieselbe inmitten der nämlichen Verhältnisse fortpflanze, dass sie aber abändern, sobald die äußeren Lebensbedingungen wechseln«. Im Ganzen »zeigt die Beobachtung der wilden Tiere schon die beschränkte Veränderlichkeit der Arten. Die Versuche mit gezähmten wilden Tieren und mit verwilderten Haustieren zeigen dies noch deutlicher. Dieselben Versuche beweisen auch, dass die hervorgebrachten Verschiedenheiten vom Werte derjenigen sein können, durch welche wir Gattungen unterscheiden.« In seiner ›Histoire naturelle générale‹ (1859, T. II, p. 430) führt er ähnliche Folgerungen noch weiter aus.
Aus einer unlängst erschienenen Veröffentlichung scheint hervorzugehen, dass Dr. FREKE schon im Jahre 1851 (Dublin Medical Press, p. 322) die Lehre aufgestellt hat, dass alle organischen Wesen von einer Urform abstammen. Seine Gründe und seine Behandlungsart des Gegenstandes sind aber von den meinigen gänzlich verschieden: da aber sein ›Origin of Species by means of organic affinity‹, jetzt (1861) erschienen ist, so dürfte mir der schwierige Versuch, eine Darstellung seiner Ansicht zu geben, wohl erlassen werden.
HERBERT SPENCER hat in einem Essay, welcher zuerst im »Leader« vom März 1852 und später in SPENCER's ›Essays‹ 1858 erschien, die Theorie der Schöpfung und die der Entwicklung organischer Wesen mit viel Geschick und großer Überzeugungskraft einander gegenüber gestellt. Er folgert aus der Analogie mit den Züchtungserzeugnissen, aus den Veränderungen, welchen die Embryonen vieler Arten unterliegen, aus der Schwierigkeit Arten und Varietäten zu unterscheiden, sowie endlich aus dem Prinzip einer allgemeinen Stufenfolge in der Natur, dass Arten abgeändert worden sind, und schreibt diese Abänderung dem Wechsel der Umstände zu. Derselbe Verfasser hat 1855 die Psychologie nach dem Prinzip einer notwendigen stufenweisen Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit bearbeitet.
Im Jahre 1852 hat NAUDIN, ein ausgezeichneter Botaniker, in einem vorzüglichen Aufsatze über den Ursprung der Arten (Revue horticole, p. 102, später zum Teil wieder abgedruckt in den Nouvelles Archives du Muséum, T. l, p. 171) ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Ansicht Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Kultur gebildet worden seien; den letzten Vorgang schreibt er dem Wahlvermögen des Menschen zu. Er zeigt aber nicht, wie diese Wahl in der Natur vor sich geht. Er nimmt wie Dechant HERBERT an, dass die Arten anfangs bildsamer waren als jetzt, legt Gewicht auf sein sogenanntes Prinzip der Finalität, »eine unbestimmte geheimnisvolle Kraft, gleichbedeutend mit blinder Vorbestimmung für die Einen, mit providentiellem Willen für die Anderen, durch deren unausgesetzten Einfluss auf die lebenden Wesen in allen Weltaltern die Form, der Umfang und die Dauer eines jeden derselben je nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, wozu es gehört, bedingt wird. Es ist diese Kraft welche jedes Glied mit dem Ganzen in Harmonie bringt, indem sie dasselbe der Verrichtung anpasst, die es im Gesammtorganismus der Natur zu übernehmen hat, einer Verrichtung, welche für dasselbe Grund des Daseins ist***).« Im Jahre 1853 hat ein berühmter Geolog, Graf KEYSERLING (im Bulletin de la Société géologique, Tome X, p. 357), die Meinung ausgesprochen, dass, wie zu den verschiedenen Zeiten neue Krankheiten durch irgend welches Miasma entstanden sind und sich über die Erde verbreitet haben, so auch zu gewissen Zeiten die Keime der bereits vorhandenen Arten durch Moleküle von besonderer Natur in ihrer Umgebung chemisch affiziert worden sein könnten, so dass nun neue Formen aus ihnen entstanden wären.
Im nämlichen Jahre 1853 lieferte auch Dr. SCHAAFFHAUSEN einen Aufsatz in die Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der Preuss. Rheinlande, worin er die fortschreitende Entwicklung organischer Formen auf der Erde behauptet. Er nimmt an, dass viele Arten sich lange Zeiträume hindurch unverändert erhalten haben, während wenige andere Abänderungen erlitten. Das Auseinanderweichen der Arten ist nach ihm durch die Zerstörung der Zwischenstufen zu erklären. »Lebende Pflanzen und Tiere sind daher von den untergegangenen nicht als neue Schöpfungen geschieden, sondern vielmehr als deren Nachkommen in Folge ununterbrochener Fortpflanzung zu betrachten.« Ein bekannter französischer Botaniker, LECOQ, schreibt 1854 in seinen ›Études sur la géographie botanique‹ T. I, p. 250: »man sieht, dass unsere Untersuchungen über die Stetigkeit und Veränderlichkeit der Arten uns geradezu auf die von GEOFFROY ST.-HILAIRE und GOETHE ausgesprochenen Vorstellungen führen.« Einige andere in dem genannten Werke zerstreute Stellen lassen uns jedoch darüber im Zweifel, wie weit LECOQ selbst diesen Vorstellungen zugetan ist.
Die ›Philosophie der Schöpfung‹ ist 1855 in meisterhafter Weise durch BADEN-POWELL (in seinen ›Essays on the Unity of Worlds‹ ) behandelt worden. Er zeigt aufs treffendste, dass die Einführung neuer Arten »eine regelmäßige und nicht eine zufällige Erscheinung« oder, wie Sir JOHN HERSCHEL es ausdrückt, »eine Natur- im Gegensatze zu einer Wundererscheinung« ist.
Der dritte Band des Journal of the Linnean Society enthält zwei von Herrn WALLACE und mir am 1. Juli 1858 gelesene Aufsätze, worin, wie in der Einleitung zu vorliegendem Bande erwähnt wird, WALLACE die Theorie der natürlichen Zuchtwahl mit außerordentlicher Kraft und Klarheit entwickelt.
C. E. VON BAER, der bei allen Zoologen in höchster Achtung steht, drückte um das Jahr 1859 seine hauptsächlich auf die Gesetze der geographischen Verbreitung gegründete Überzeugung dahin aus, dass jetzt vollständig verschiedene Formen Nachkommen einer einzelnen Stammform sind. (RUD. WAGNER, Zoologisch-anthropologische Untersuchungen. 1861, p. 51.) Im Juni 1859 hielt Professor HUXLEY einen Vortrag vor der Royal Institution über die »Bleibenden Typen des Tierlebens«. In Bezug auf derartige Fälle bemerkt er: »Es ist schwierig, die Bedeutung solcher Tatsachen zu begreifen, wenn wir voraussetzen, dass jede Pflanzen- und Tierart oder jeder große Organisationstypus nach langen Zwischenzeiten durch je einen besondern Akt der Schöpfungskraft gebildet und auf die Erdoberfläche gesetzt worden ist; man darf nicht vergessen, dass eine solche Annahme weder in der Tradition noch in der Offenbarung eine Stütze findet, wie sie denn auch der allgemeinen Analogie in der Natur zuwider ist. Betrachten wir andererseits die persistenten Typen in Bezug auf die Hypothese, wonach die zu irgend einer Zeit lebenden Arten das Ergebnis allmählicher Abänderung schon früher existierender Arten sind — eine Hypothese, welche, wenn auch unerwiesen und auf klägliche Weise von einigen ihrer Anhänger verkümmert, doch die einzige ist, der die Physiologie einen Halt verleiht —, so scheint das Dasein dieser Typen zu zeigen, dass das Maß der Modifikation, welche lebende Wesen während der geologischen Zeit erfahren haben, sehr gering ist im Vergleich zu der ganzen Reihe von Veränderungen, welche sie überhaupt erlitten haben.« Im Dezember 1859 veröffentlichte Dr. HOOKER seine ›Einleitung zu der Tasmanischen Flora‹ . In dem ersten Teile dieses großen Werkes gibt er die Richtigkeit der Annahme des Ursprungs der Arten durch Abstammung und Umänderung von anderen zu und unterstützt diese Lehre durch viele Originalbeobachtungen.
Im November 1859 erschien die erste Ausgabe dieses Werkes, im Januar 1860 die zweite, im April 1861 die dritte, im Juni 1866 die vierte, im Juli 1869 die fünfte, im Januar 1872 die sechste.
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*) Aristoteles führt in den 'Physicae auscultationes' (Buch 2, Cap. 8) die Ansicht des Empedokles an, dass der Regen nicht niederfalle, um das Korn wachsen zu machen, ebensowenig wie er falle, um das Korn zu verderben, wenn es unter freiem Himmel gedroschen wird, und wendet nun dieselbe Argumentation auf die Organismen an. Er fügt hinzu (Herr Clair Grece hat mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht): »Was demnach steht dem im Wege, dass auch die Teile [des Körpers] in der Natur sich ebenso (zufällig) verhalten, dass z.B. die Zähne durch Notwendigkeit hervorwachsen, nämlich die vorderen schneidig und tauglich zum Zerteilen, hingegen die Backenzähne breit und brauchbar zum Zermalmen der Nahrung, da sie ja nicht um dessenwillen so werden, sondern dies eben nebenbei erfolgt: und ebenso auch bei den übrigen Teilen, bei welchem das um eines Zweckes willen Wirkende vorhanden zu sein scheint; und die Dinge dann nun, bei welchen alles Einzelne gerade so sich ergab, als wenn es um eines Zweckes willen entstünde, diese hätten sich, nachdem sie grundlos von selbst in tauglicher Weise sich gebildet hätten, auch erhalten; bei welchen aber dies nicht der Fall war, diese seien schon zu Grunde gegangen und giengen noch zu Grunde.« [Acht Bücher Physik. Übersetzt von Prantl. p. 89.] Wir finden hier zwar eine dunkle Ahnung des Princips der natürlichen Zuchtwahl bei Empedokles; wie weit aber Aristoteles selbst davon entfernt war, es völlig zu erfassen, zeigen seine Bemerkungen über die Bildung der Zähne.
**) Ich habe die obige Angabe der ersten Veröffentlichung Lamarck's aus Isid. Geoffroy St.-Hilaire's vortrefflicher Geschichte der Meinungen über diesen Gegenstand (Histoire naturelle générale T. II, p. 406, 1859) entnommen, wo auch ein vollständiger Bericht von Buffon's Urtheilen über denselben Gegenstand zu finden ist. Es ist merkwürdig, wie weitgehend mein Grossvater, Dr. Erasmus Darwin, die Ansichten Lamarck's und deren irrige Begründung in seiner 1794 erschienenen Zoonomia (1. Bd. p. 500 - 510) antizipierte. Nach Isid. Geoffroy Saint-Hilaire war ohne Zweifel auch Goethe einer der eifrigsten Parteigänger für solche Ansichten, wie aus seiner Einleitung zu einem 1794 - 1795 geschriebenen, aber erst viel später veröffentlichten Werke hervorgeht. Er hat sich nämlich ganz bestimmt dahin ausgesprochen, dass für den Naturforscher in Zukunft die Frage beispielsweise nicht mehr die sei, wozu das Rind seine Hörner habe, sondern wie es zu seinen Hörnern gekommen sei (K. Meding über Goethe als Naturforscher p. 34). - Es ist ein merkwürdiges Beispiel der Art und Weise, wie ähnliche Ansichten ziemlich zu gleicher Zeit auftauchen, dass Goethe in Deutschland, Dr. Darwin in England und (wie wir sofort sehen werden) Ét. Geoffroy St.-Hilaire in Frankreich fast gleichzeitig, in den Jahren 1794 bis 1795, zu gleichen Ansichten über den Ursprung der Arten gelangt sind.
***) Nach einigen Zitaten in Bronn's »Untersuchungen über die Entwicklungsgesetze« (p. 79 u. a.) scheint es, als habe der berühmte Botaniker und Palaeontolog Unger im Jahre 1852 die Meinung ausgesprochen, dass Arten sich entwickeln und abändern. Ebenso d 'Alton 1821 in Pander und d'Alton's Werk über das fossile Riesenfaultier. Ähnliche Ansichten entwickelte bekanntlich Oken in seiner mystischen »Naturphilosophie«. Nach anderen Citaten in Godron's Werk 'Sur l'Espèce' scheint es, dass Bory St.-Vincent, Burdach, Poiret und Fries alle eine fortwährende Erzeugung neuer Arten angenommen haben. - Ich will noch hinzufügen, dass von den 34 Autoren, welche in dieser historischen Skizze als solche aufgezählt werden, die an eine Abänderung der Arten oder wenigstens nicht an getrennte Schöpfungsakte glauben, 27 über spezielle Zweige der Naturgeschichte oder Geologie geschrieben haben.