Organe von äußerster Vollkommenheit und Zusammengesetztheit


Die Annahme, dass sogar das Auge mit allen seinen unnachahmlichen Vorrichtungen, um den Focus den mannigfaltigsten Entfernungen anzupassen, verschiedene Lichtmengen zuzulassen und die sphärische und chromatische Abweichung zu verbessern, nur durch natürliche Zuchtwahl zu dem geworden sei, was es ist, scheint, ich will es offen gestehen, im höchsten möglichen Grade absurd zu sein. Als es zum ersten Male ausgesprochen wurde, dass die Sonne stille stehe, und die Erde sich um ihre Achse drehe, erklärte der gemeine Menschenverstand diese Lehre für falsch; aber das alte Sprichwort »vox populi, vox dei« hat, wie jeder Forscher weiß, in der Wissenschaft keine Geltung. Die Vernunft sagt mir, dass wenn zahlreiche Abstufungen von einem unvollkommenen und einfachen bis zu einem vollkommenen und zusammengesetzten Auge, die alle nützlich für ihren Besitzer sind, nachgewiesen werden können, was sicher der Fall ist, — wenn ferner das Auge auch nur im geringsten Grade variiert und seine Abänderungen erblich sind, was gleichfalls sicher der Fall ist, — und wenn solche Abänderungen eines Organes je nützlich für ein Tier sind, dessen äußere Lebensbedingungen sich ändern: dann dürfte die Schwierigkeit der Annahme, dass ein vollkommenes und zusammengesetztes Auge durch natürliche Zuchtwahl gebildet werden könne, wie unübersteiglich sie auch für unsere Einbildungskraft scheinen mag, doch die Theorie nicht völlig umstürzen. Die Frage, wie ein Nerv für Licht empfänglich werde, beunruhigt uns schwerlich mehr, als die, wie das Leben selbst ursprünglich entstehe; doch will ich bemerken, dass es, wie manche der niedersten Organismen, bei denen keine Nerven nachgewiesen werden können, als für das Licht empfindlich bekannt sind, nicht unmöglich erscheint, dass gewisse sensitive Elemente ihrer Sarcode aggregiert und zu Nerven entwickelt worden sind, die mit dieser spezifischen Empfindlichkeit begabt sind.

Suchen wir nach den Abstufungen, durch welche ein Organ in irgend einer Spezies vervollkommnet worden ist, so sollten wir ausschließlich bei deren direkten Vorgängern in gerader Linie nachsehen. Dies ist aber schwerlich jemals möglich, und wir sind in jedem dieser Fälle genötigt, uns unter den anderen Arten und Gattungen derselben Gruppe, d.h. bei den Seitenabkömmlingen derselben ursprünglichen Stammform umzusehen, um zu finden, was für Abstufungen möglich sind, und ob es wahrscheinlich ist, dass irgend welche Abstufungen ohne alle oder mit nur geringer Abänderung vererbt worden seien. Aber selbst der Zustand eines und desselben Organs in verschiedenen Klassen kann beiläufig Licht auf den Weg werfen, auf dem es vervollkommnet worden ist.

Das einfachste Organ, welches ein Auge genannt werden kann, besteht aus einem, von Pigmentzellen umgebenen und von durchscheinender Haut bedeckten Sehnerven, aber noch ohne Linse oder andere lichtbrechende Körper. Nach JOURDAIN können wir aber selbst noch einen Schritt weiter hinabgehen; wir finden dann Aggregate von Pigmentzellen, welche ohne einen Sehnerven zu besitzen, einfach auf der Sarcodemaße aufliegen und allem Anscheine nach als Sehorgane dienen. Augen der erwähnten einfachen Art gestatten kein deutliches Sehen, sondern dienen nur dazu, Licht von Dunkelheit zu unterscheiden. Bei manchen Seesternen sind kleine Vertiefungen in dem den Nerven umgebenden Pigmentlager, wie es der ebengenannte Schriftsteller beschreibt, mit einer durchsichtigen gallertigen Maße erfüllt, welche mit einer gewölbten Oberfläche, wie die Hornhaut bei höheren Tieren, nach aussen vorragt. Er vermutet, dass diese Einrichtung nicht dazu diene, ein Bild entstehen zu lassen, sondern nur die Lichtstrahlen zu konzentrieren und ihre Wahrnehmung leichter zu machen. In dieser Konzentration der Strahlen erhalten wir den ersten und weitaus wichtigsten Schritt zur Bildung eines wahren, Bilder entwerfenden Auges; denn wir haben nun bloß die freie Endigung des Sehnerven, der in manchen niederen Tieren tief im Körper vergraben, bei anderen der Oberfläche näher liegt, in die richtige Entfernung von dem konzentrierenden Apparate zu bringen, und ein Bild muss dann auf ihm entstehen.

In der großen Klasse der Gliedertiere können wir von einem einfach mit Pigment überzogenen Sehnerven ausgehen, welches weder eine Linse noch eine andere optische Einrichtung darbietet, wenngleich das Pigment zuweilen eine Art Pupille bildet. Bei Insekten weiß man jetzt, dass die zahlreichen Facetten auf der Hornhaut der großen zusammengesetzten Augen wahre Linsen bilden und dass die Kegel eigentümlich modifizierte Nervenfäden einschließen. Es ist aber die Struktur der Augen bei den Gliedertieren so mannigfach, dass JOH. MÜLLER früher drei Hauptklassen von zusammengesetzten Augen mit sieben Unterabteilungen annahm, zu denen er noch eine vierte Hauptklasse fügt, die der aggregierten einfachen Augen.

Wenn wir diese, in Bezug auf die große, mannigfaltige und abgestufte Reihe der Augenbildung bei niederen Tieren hier nur allzu kurz und unvollständig angedeuteten Tatsachen erwägen und ferner bedenken, wie klein die Anzahl aller lebenden Arten im Vergleich zu den bereits erloschenen sein muss, so kann ich doch keine allzu große Schwierigkeit für die Annahme finden, dass der einfache Apparat eines von Pigment umgebenen und von durchsichtiger Haut bedeckten Sehnerven durch natürliche Zuchtwahl in ein so vollkommenes optisches Werkzeug umgewandelt worden sei, wie es bei irgend einer Form der Gliedertiere gefunden wird.

Wer nun so weit gehen will, braucht, wenn er nach dem Durchlesen dieses Buches findet, dass sich durch die Theorie der Deszendenz mit Modifikationen eine große Menge von anderweitig unerklärbaren Tatsachen begreifen lässt, kein Bedenken zu haben, einen Schritt weiter zu gehen und anzunehmen, dass durch natürliche Zuchtwahl auch ein so vollkommenes Gebilde, wie das Adlerauge ist, hergestellt werden könne, wenn ihm auch in diesem Falle die Zwischenstufen gänzlich unbekannt sind. Es ist eingewendet worden, dass, um das Auge zu modifizieren und es doch als vollkommenes Werkzeug zu erhalten, viele Veränderungen gleichzeitig bewirkt worden sein müssen, was, wie man meint, nicht durch natürliche Zuchtwahl geschehen könne. Wie ich aber in meinem Werke über »Variieren der Tiere im Zustande der Domestikation« zu zeigen versucht habe, ist es nicht notwendig anzunehmen, dass alle Modifikationen gleichzeitig waren, wenn sie äußerst gering und allmählich waren. Verschiedene Arten der Modifikation werden auch demselben allgemeinen Zwecke dienen können; so bemerkt Mr. WALLACE: »wenn eine Linse eine zu kurze oder eine zu weite Brennweite hat, so kann sie entweder durch eine Änderung in der Krümmung oder durch eine Änderung in der Dichte verbessert werden; ist die Krümmung unregelmäßig und treffen die Strahlen nicht in einem Punkte zusammen, so wird jede Zunahme der Regelmäßigkeit der Krümmung eine Verbesserung sein. So sind die Kontraktion der Iris und die Muskelbewegungen des Auges beides für das Sehen nicht wesentlich, sondern nur Verbesserungen, welche auf jedem Punkte der Bildung des Werkzeugs hätten hinzugefügt und vervollkommnet werden können.« Innerhalb der Wirbeltiere, der am höchsten organisierten Abteilung des Tierreichs können wir von einem so einfachen Auge ausgehen, dass es, wie beim Amphioxus, nur aus einer kleinen mit Pigment ausgekleideten und mit einem Nerven versehenen faltenartigen Einstülpung der Haut besteht, nur von durchscheinender Haut bedeckt, ohne irgend einen andern Apparat. In den beiden Klassen der Fische und Reptilien ist, wie OWEN bemerkt, »die Reihe von Abstufungen der dioptrischen Bildungen sehr groß.« Es ist eine sehr bezeichnende Tatsache, dass selbst beim Menschen, nach VIRCHOW's [und Früherer] Autorität, die Linse sich ursprünglich nur aus einer Anhäufung von Epidermiszellen in einer sackförmigen Falte der Haut entwickelt, während der Glaskörper sich aus dem embryonalen subcutanen Gewebe bildet. Es ist allerdings für einen Forscher, welcher den Ursprung und die Bildungsweise des Auges mit all seinen wunderbaren und doch nicht absolut vollkommenen Eigenschaften erwägt, unumgänglich, seine Phantasie von seiner Vernunft besiegen zu lassen. Ich habe aber selbst die Schwierigkeit viel zu lebhaft empfunden, um mich darüber zu wundern, wenn Andere zaudern, das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl in einer so überraschend weiten Ausdehnung anzunehmen.

Man kann kaum vermeiden, das Auge mit einem Teleskop zu vergleichen. Wir wissen, dass dieses Werkzeug durch lang fortgesetzte Anstrengungen der höchsten menschlichen Intelligenz verbessert worden ist, und folgern natürlich daraus, dass das Auge seine Vollkommenheit durch einen ziemlich analogen Prozess erlangt habe. Könnte aber dieser Schluss nicht voreilig sein? Haben wir ein Recht, anzunehmen, der Schöpfer wirke vermöge intellektueller Kräfte ähnlich denen des Menschen? Sollten wir das Auge einem optischen Instrumente vergleichen, so müssten wir in Gedanken eine dicke Schicht eines durchsichtigen Gewebes nehmen, mit von Flüssigkeit erfüllten Räumen und mit einem für Licht empfänglichen Nerven darunter, und dann annehmen, dass jeder Teil dieser Schicht langsam aber unausgesetzt seine Dichte verändere, so dass verschiedene Lagen von verschiedener Dichte und Dicke in ungleichen Entfernungen von einander entstehen, und dass auch die Oberfläche einer jeden Lage langsam ihre Form ändere. Wir müssten ferner annehmen, dass eine Kraft, durch die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Passendsten dargestellt, vorhanden sei, welche aufmerksam auf jede geringe zufällige Veränderung in den durchsichtigen Lagen achte, und jede Abänderung sorgfältig erhalte, welche unter veränderten Umständen in irgend einer Weise oder in irgend einem Grade ein deutlicheres Bild hervorzubringen geschickt wäre. Wir müssten annehmen, jeder neue Zustand des Instrumentes werde millionenfach vervielfältigt, und jeder werde so lange erhalten, bis ein besserer hervorgebracht sei, dann würden aber die alten sämtlich zerstört. Bei lebenden Körpern bringt die Abänderung jene geringen Verschiedenheiten hervor, die Zeugung vervielfältigt sie fast ins Unendliche und die natürliche Zuchtwahl findet mit nie irrendem Takte jede Verbesserung heraus. Denkt man sich nun diesen Prozess Millionen Jahre lang und jedes Jahr an Millionen von Individuen der mannigfaltigsten Art fortgesetzt: sollte man da nicht erwarten, dass das lebende optische Instrument endlich in demselben Grade vollkommener als das gläserne werden müsse, wie des Schöpfers Werke überhaupt vollkommener sind, als die des Menschen?


 © textlog.de 2004 • 25.01.2025 01:37:05 •
Seite zuletzt aktualisiert: 16.08.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright