Ursprung und Übergänge von Organismen mit eigentümlicher Lebensweise und Struktur
Gegner solcher Ansichten, wie ich sie vertrete, haben mir die Frage vorgehalten, wie denn z.B. ein Landraubtier in ein Wasserraubtier habe verwandelt werden können; denn wie hätte denn das Tier in einem Zwischenzustande bestehen können? Es würde leicht sein, zu zeigen, dass innerhalb derselben Raubtiergruppe Tiere vorhanden sind, welche jede Mittelstufe zwischen wahren Land- und echten Wassertieren einnehmen; und da ein Jedes durch einen Kampf ums Dasein existiert, so ist auch klar, dass Jedes durch seine verschiedene Lebensweise wohl für seine Stelle im Naturhaushalte geeignet sein muss. So hat z.B. die nordamerikanische Mustela vison eine Schwimmhaut zwischen den Zehen und gleicht der Fischotter in ihrem Pelz, ihren kurzen Beinen und der Form des Schwanzes. Den Sommer hindurch taucht dieses Tier ins Wasser und nährt sich von Fischen; während des langen Winters aber verlässt es die gefrorenen Gewässer und lebt gleich anderen Iltissen von Mäusen und Landtieren. Hätte man einen andern Fall gewählt und mir die Frage gestellt, auf welche Weise ein insektenfressender Vierfüßler in eine fliegende Fledermaus verwandelt worden sei, so wäre diese Frage weit schwieriger zu beantworten gewesen. Doch haben nach meiner Meinung solche Schwierigkeiten kein großes Gewicht.
Hier wie in anderen Fällen befinde ich mich in einem großen Nachteil; denn aus den vielen treffenden Belegen, die ich gesammelt habe, kann ich nur ein oder zwei Beispiele von Übergangsformen der Lebensweise und Organisation bei nahe verwandten Arten derselben Gattung und von vorübergehend oder bleibend veränderter Lebensweise einer und derselben Spezies anführen. Und mir scheint, als sei nur ein langes Verzeichnis solcher Beispiele genügend, die Schwierigkeiten der Erklärung irgend eines so eigentümlichen Falles zu verringern, wie der der Fledermaus ist.
Sehen wir uns in der Familie der Eichhörnchen um, so finden wir hier die schönsten Abstufungen von Tieren mit nur unbedeutend abgeplattetem Schwanze und, nach Sir J. RICHARDSON's Bemerkung, von anderen mit einem etwas verbreiterten Hinterleibe und vollerer Haut an den Seiten des Körpers bis zu den sogenannten fliegenden Eichhörnchen; und bei Flughörnchen sind die Hintergliedmassen und selbst der Anfang des Schwanzes durch eine ansehnliche Ausbreitung der Haut miteinander verbunden, welche als Fallschirm dient und diese Tiere befähigt, auf erstaunliche Entfernungen von einem Baum zum andern durch die Luft zu gleiten. Es ist kein Zweifel, dass jeder Art von Eichhörnchen in ihrer Heimat jeder Teil dieser eigentümlichen Organisation nützlich ist, indem er sie in den Stand setzt, den Verfolgungen der Raubvögel oder anderer Raubtiere zu entgehen, oder Nahrung schneller einzusammeln oder wie wir anzunehmen Grund haben, auch die Gefahr gelegentlichen Fallens zu vermindern. Aus dieser Tatsache folgt aber noch nicht, dass die Organisation eines jeden Eichhörnchens auch die bestmögliche für alle natürlichen Verhältnisse sei. Gesetzt, Klima und Vegetation veränderten sich, neue Nagetiere träten als Konkurrenten auf, oder neue Raubtiere wanderten ein oder alte erführen eine Abänderung, so müssten wir aller Analogie nach auch vermuten, dass wenigstens einige der Eichhörnchen sich an Zahl vermindern oder ganz aussterben würden, wenn ihre Organisation nicht ebenfalls in entsprechender Weise abgeändert und verbessert würde. Daher finde ich, zumal bei einem Wechsel der äußeren Lebensbedingungen, keine Schwierigkeit für die Annahme, dass Individuen mit immer vollerer Seitenhaut vorzugsweise erhalten worden sind, bis endlich, da jede Modifikation von Nutzen ist und da auch jede fortgepflanzt wird, durch Häufung aller einzelnen Effekte dieses Prozesses natürlicher Zuchtwahl aus dem Eichhörnchen ein Flughörnchen geworden ist.
Betrachten wir nun den sogenannten fliegenden Lemur oder den Galeopithecus, welcher vordem zu den Fledermäusen gezählt wurde, von dem man aber jetzt annimmt, dass er zu den Insektivoren gehöre. Er hat eine sehr breite Seitenhaut, welche von den Winkeln der Kinnladen bis zum Schwanze reichend die Beine und verlängerten Finger einschließt, auch mit einem Ausbreitemuskel versehen ist. Obwohl jetzt keine, das Gleiten durch die Luft ermöglichenden, abgestuften Zwischenformen den Galeopithecus mit den anderen Insektivoren verbinden, so sehe ich doch keine Schwierigkeiten für die Annahme, dass solche Zwischenglieder einmal existiert und sich auf ähnliche Art von Stufe zu Stufe entwickelt haben, wie die noch wenig gut gleitenden Eichhörnchen, und dass jeder Grad dieser Bildung für den Besitzer von Nutzen gewesen ist. Auch kann ich keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darin erblicken, es ferner für möglich zu halten, dass die durch die Flughaut verbundenen Finger und der Vorderarm des Galeopithecus sich in Folge natürlicher Zuchtwahl allmählich verlängert haben; und dies würde genügen, denselben, was die Flugwerkzeuge betrifft, in eine Fledermaus zu verwandeln. Bei gewissen Fledermäusen, deren Flughaut nur von der Schulterhöhe bis zum Schwanze geht und die Hinterbeine einschließt, sehen wir vielleicht noch die Spuren einer Vorrichtung, welche ursprünglich mehr dazu gemacht war, durch die Luft zu gleiten als zu fliegen.
Wenn etwa ein Dutzend Vogelgattungen erlöschen sollte, wer hätte auch nur die Vermutung wagen dürfen, dass es jemals Vögel gegeben habe, welche wie die Dickkopf-Ente (Micropterus brachypterus EYTON) ihre Flügel nur als Klappen zum Flattern über den Wasserspiegel hin, oder wie die Penguine als Ruder im Wasser und als Vorderbeine auf dem Lande, oder wie der Strauss als Segel gebraucht oder welche endlich wie der Apteryx funktionell zwecklose Flügel besessen hätten? Und doch ist die Organisation eines jeden dieser Vögel unter den Lebensbedingungen, worin er sich befindet und um sein Dasein zu kämpfen hat, für ihn vorteilhaft; sie ist aber nicht notwendig die beste unter allen möglichen Einrichtungen. Aus diesen Bemerkungen darf übrigens nicht gefolgert werden, dass irgend eine der oben angeführten Abstufungen der Flügelbildungen, die vielleicht alle nur Folge des Nichtgebrauches sind, einer natürlichen Stufenreihe angehöre, auf welcher emporsteigend die Vögel das vollkommene Flugvermögen erlangt haben; aber sie können wenigstens zu zeigen dienen, was für mancherlei Wege des Übergangs möglich sind.
Wenn man sieht, dass eine kleine Anzahl von Formen aus derartigen Klassen wasseratmender Tiere wie Kruster und Mollusken zum Leben auf dem Lande geschickt sind, wenn man sieht, dass es fliegende Vögel, fliegende Säugetiere, fliegende Insekten von den verschiedenartigsten Typen gibt und dass es vordem auch fliegende Reptilien gegeben hat, so wird es auch begreiflich, dass fliegende Fische, welche jetzt weit durch die Luft gleiten und mit Hilfe ihrer flatternden Brustflossen sich leicht über den Meeresspiegel erheben und senken, allmählich zu vollkommen beflügelten Tieren hätten umgewandelt werden können. Und wäre dies einmal bewirkt worden, wer wurde sich dann je einbilden, dass sie in einer früheren Zeit Bewohner des offenen Meeres gewesen seien und ihre beginnenden Flugorgane, wie uns jetzt bekannt ist, bloß gebraucht haben, um dem Rachen anderer Fische zu entgehen?
Wenn wir ein Organ zu irgend einem besondern Zwecke hoch ausgebildet sehen, wie eben die Flügel des Vogels zum Fluge, so müssen wir bedenken, dass Tiere, welche frühe Übergangsstufen solcher Bildungen zeigen, selten noch bis in die Jetztzeit erhalten sein werden; denn sie werden durch ihre Nachkommen verdrängt worden sein, welche mittelst natürlicher Zuchtwahl allmählich vollkommener geworden sind. Wir können ferner schließen, dass Übergangsstufen zwischen Bildungen, welche zu ganz verschiedenen Lebensweisen dienen, in früherer Zeit selten in großer Anzahl und unter vielerlei untergeordneten Gestalten ausgebildet worden sein werden. So scheint es, um zu dem gewählten Beispiele von einem fliegenden Fische zurückzukehren, mir nicht wahrscheinlich zu sein, dass zu wirklichem Fluge befähigte Fische sich in vielerlei untergeordneten Formen, zur Erhaschung von verschiedenartiger Beute auf mancherlei Wegen, zu Wasser und zu Land, entwickelt haben würden, bis ihre Flugwerkzeuge eine so hohe Stufe von Vollkommenheit erlangt hätten, dass sie im Kampfe ums Dasein ein entschiedenes Übergewicht über andere Tiere erlangten. Daher wird die Wahrscheinlichkeit, Arten auf Übergangsstufen der Organisation noch im fossilen Zustande zu entdecken, immer nur gering sein, weil sie in geringerer Anzahl als die Arten mit völlig entwickelten Bildungen existiert haben.