Schwierigkeiten der Theorie einer Deszendenz mit Modifikationen


Schon lange bevor der Leser zu diesem Teile unseres Buches gelangt ist, wird sich ihm eine Menge von Schwierigkeiten dargeboten haben. Einige derselben sind von solchem Gewichte, dass ich bis auf den heutigen Tag nicht an sie denken kann, ohne in gewissem Maße schwankend zu werden; aber nach meinem besten Wissen sind die meisten von ihnen nur scheinbare, und diejenigen, welche wirklich bestehen, dürften meiner Theorie nicht verderblich werden.

Diese Schwierigkeiten und Einwendungen lassen sich in folgende Rubriken zusammenfassen: Erstens: Wenn Arten aus anderen Arten durch unmerkbar kleine Abstufungen entstanden sind, warum sehen wir nicht überall unzählige Übergangsformen? Warum bietet nicht die ganze Natur ein Gewirr von Formen dar, statt dass die Arten, wie sie sich uns zeigen, wohl begrenzt sind?

Zweitens: Ist es möglich, dass ein Tier, z.B. mit der Konstitution und Lebensweise einer Fledermaus, durch Umbildung irgend eines andern Tieres mit ganz verschiedener Lebensweise und verschiedenem Bau entstanden ist? Ist es glaublich, dass natürliche Zuchtwahl einerseits ein Organ von so unbedeutender Wichtigkeit, wie z.B. den Schwanz einer Giraffe, welcher als Fliegenwedel dient, und andererseits ein Organ von so wundervoller Struktur, wie das Auge, hervorbringen kann?

Drittens: Können Instinkte durch natürliche Zuchtwahl erlangt und abgeändert werden? Was sollen wir z.B. zu einem so wunderbaren Instinkte sagen, wie der ist, welcher die Bienen veranlasst, Zellen zu bauen, und durch welchen die Entdeckungen der gelehrtesten Mathematiker praktisch antizipiert worden sind?

Viertens: Wie ist es zu begreifen, dass Spezies bei der Kreuzung miteinander unfruchtbar sind oder unfruchtbare Nachkommen geben, während, wenn Varietäten miteinander gekreuzt werden, deren Fruchtbarkeit ungeschwächt bleibt?

Die zwei ersten dieser Hauptfragen sollen hier, einige verschiedene Einwürfe in dem nächsten Kapitel, Instinkt und Bastardbildung in den beiden darauffolgenden Kapiteln erörtert werden.


 © textlog.de 2004 • 24.12.2024 14:01:23 •
Seite zuletzt aktualisiert: 30.08.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright