Ursachen, welche das Erlangen nützlicher Bildungen durch natürliche Zuchtwahl stören


Einwendungen derselben Art wie die vorstehenden sind von vielen Schriftstellern vorgebracht worden. In jedem Falle haben wahrscheinlich außer den allgemeinen eben angedeuteten verschiedenartige Ursachen das Erlangen von Gebilden durch natürliche Zuchtwahl gestört, welche, wie man glauben könnte, für die Spezies wohltätig sein würden. Ein Schriftsteller fragt, warum der Strauss nicht das Flugvermögen erlangt habe? Aber schon ein nur augenblickliches Nachdenken dürfte ergeben, was für eine enorme Nahrungsmenge notwendig sein würde, diesem Wüstenvogel die Kraft zu geben, seinen ungeheuren Körper durch die Luft zu tragen. Ozeanische Inseln werden von Fledermäusen und Robben bewohnt, aber von keinem Landsäugetier: da indessen einige dieser Fledermäuse eigentümlichen Spezies angehören, müssen sie ihre jetzige Heimat schon lange bewohnt haben. Sir CHARLES LYELL fragt daher und führt auch gewisse Gründe als Antwort an, warum nicht Robben und Fledermäuse auf solchen Inseln Formen geboren haben, welche auf dem Lande zu leben geschickt wären. Robben würden aber notwendigerweise zunächst in fleischfressende Landtiere von beträchtlicher Größe und Fledermäuse in insektenfressende Landtiere umgewandelt werden; für die ersten würde es an Beute fehlen; den Fledermäusen würden auf der Erde lebende Insekten zur Nahrung dienen; diesen würden aber bereits in hohem Grade die Reptilien und Vögel nachstellen, welche zuerst die meisten ozeanischen Inseln colonisieren und in Menge bevölkern. Allmähliche Übergänge des Baues, von denen jede Stufe einer sich umändernden Art von Vorteil ist, werden nur unter gewissen eigentümlichen Bedingungen begünstigt werden. Ein im engeren Sinne terrestrisches Tier könnte dadurch, dass es gelegentlich in seichtem Wasser, dann in Strömen und Seen nach Beute jagt, endlich in ein so durch und durch wasserlebendes Tier verwandelt werden, dass es dem offenen Meere Stand hält. Robben dürften aber auf ozeanischen Inseln nicht die für ihre allmähliche Rückverwandlung in die Form eines Landtieres günstigen Bedingungen finden. Wie früher gezeigt wurde, erlangten Fledermäuse ihre Flughäute wahrscheinlich dadurch, dass sie zuerst wie die sogenannten fliegenden Eichhörnchen von Baum zu Baum durch die Luft glitten um ihren Feinden zu entgehen oder um das Herabstürzen zu vermeiden; wenn aber das rechte Flugvermögen einmal erlangt worden ist, so dürfte es wohl niemals, wenigstens für den angegebenen Zweck in das weniger wirksame Vermögen, durch die Luft zu gleiten, zurückverwandelt werden. Es könnten allerdings bei Fledermäusen wie bei vielen Vögeln die Flügel durch Nichtgebrauch bedeutend an Größe reduziert werden oder auch vollständig verloren gehen; in diesem Falle würde es aber notwendig sein, dass sie zuerst das Vermögen erlangten, allein mittelst ihrer Hinterbeine schnell auf dem Boden zu laufen, um mit Vögeln oder anderen am Boden lebenden Tieren konkurrieren zu können; und für eine derartige Veränderung scheinen die Fledermäuse merkwürdig schlecht angepasst zu sein. Diese mutmaßlichen Bemerkungen sind nur zu dem Ende gemacht worden, um zu zeigen, dass ein Übergang von einer Struktureinrichtung zur andern, wobei jede Stufe von Vorteil wäre, eine außerordentlich komplizierte Sache ist, und dass darin nichts Befremdendes liegt, dass in irgend einem besondern Falle ein solcher Übergang nicht stattgefunden hat. Endlich hat mehr als ein Schriftsteller gefragt, warum einige Tiere so viel höher entwickelte Geisteskräfte erhalten haben als andere, da eine derartige Entwicklung allen wohltätig sein würde? Warum haben Affen nicht die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen erlangt? Dies könnte verschiedenen Ursachen zugeschrieben werden; da sie aber nur Muthmaßungen enthalten und ihre relative Wahrscheinlichkeit nicht abgewogen werden kann, würde es nutzlos sein, sie anzuführen. Eine bestimmte Antwort auf die letzte Frage sollte man nicht erwarten, wenn man sieht, dass Niemand das noch einfachere Problem lösen kann, warum von zwei Rassen von Wilden die eine auf der Stufenleiter der Zivilisation höher gestiegen ist als die andere; und dies setzt allem Anscheine nach eine vermehrte Hirntätigkeit voraus.

Wir wollen aber auf Mr. MIVART's Andere Einwände zurückkommen. Insekten gleichen häufig des Schutzes wegen verschiedenen Gegenständen, wie grünen oder abgestorbenen Blättern, toten Zweigen, Flechtenstückchen, Blüten, Dornen, Vogelexerementen und anderen lebenden Insekten; auf den letztern Punkt werde ich noch später zurückkommen. Die Ähnlichkeit ist oft wunderbar groß, und nicht auf die Farbe beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Form und selbst auf die Art und Weise wie sich die Insekten halten. Die Raupen, welche wie todte Zweige von dem Buschwerk abstehen, von dem sie sich ernähren, bieten ein ausgezeichnetes Beispiel einer Ähnlichkeit dieser Art dar. Die Fälle von Nachahmung solcher Gegenstände wie Vogelexeremente sind selten und exceptionell. Über diesen Punkt bemerkt Mr. MIVART: »Da nach Mr. DARWIN's Theorie eine konstante Neigung zu einer unbestimmten Variation vorhanden ist und da die äußerst geringen beginnenden Abänderungen nach allen Richtungen gehen werden, so müssen sie sich zu neutralisieren und anfangs so unstäte Modifikationen zu bilden streben, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich ist, einzusehen, wie solche unbestimmte Schwankungen infinitesimaler Anfänge jemals eine hinreichend erkennbare Ähnlichkeit mit einem Blatte, einem Bambus oder einem andern Gegenstände zu Stande bringen können, so dass die natürliche Zuchtwahl sie ergreifen und dauernd erhalten kann.« Aber in allen den vorstehend angeführten Fällen boten die Insekten in ihrem ursprünglichen Zustande ohne Zweifel eine gewisse allgemeine und zufällige Ähnlichkeit mit einem gewöhnlich an den von ihnen bewohnten Standorten zu findenden Gegenstande dar. Auch ist dies durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn man die beinahe unendliche Zahl umgebender Gegenstände und die Verschiedenartigkeit der Form und Farbe bei den Mengen von Insekten, welche existieren, in Betracht zieht. Da eine gewisse oberflächliche Ähnlichkeit als ein erster Ausgangspunkt notwendig ist, so können wir einsehen, woher es kommt, dass die größeren und höheren Tiere, soweit es mir bekannt ist, nur mit der Ausnahme eines Fisches, des Schutzes wegen speziellen Objekten nicht ähnlich sehen, sondern nur der Fläche, welche sie gewöhnlich umgibt, und dies dann hauptsächlich in der Farbe. Wenn man annimmt, dass ein Insekt zufällig ursprünglich in irgend einem Grade einem abgestorbenen Zweige oder einem vertrockneten Blatte ähnlich war, und dass es unbedeutend nach vielen Richtungen hin variierte, dann werden alle die Abänderungen, welche das Insekt überhaupt nur solchen Gegenständen ähnlicher machten und dadurch sein Verbergen begünstigten, erhalten werden, während andere Änderungen vernachlässigt und schließlich verloren sein werden; oder sie werden, wenn sie das Insekt überhaupt nur dem nachgeahmten Gegenstande weniger ähnlich machen, beseitigt werden. Mr. MIVART's Einwand würde allerdings von Belang sein, wenn wir die angeführten Ähnlichkeiten unabhängig von natürlicher Zuchtwahl durch bloße fluktuierende Abänderung zu erklären versuchen wollten; wie aber die Sache wirklich steht, ist er von keinem Belang.

Ich kann auch nicht sehen, dass Mr. MIVART's Schwierigkeit in Bezug auf »die letzten Züge der Vollkommenheit bei der Mimikrie« Gewicht beizulegen wäre; wie z.B. in dem von Mr. WALLACE angeführten Fall eines »wandelnden Stabinsektes (Ceroxylus laceratus), welches einem mit kriechendem Moos oder Jungermannien überwachsenen Stabe« gleicht. Diese Ähnlichkeit war so groß, dass ein eingeborener Dyak behauptete, die blättrigen Auswüchse wären wirklich Moos. Insekten wird von Vögeln und anderen Feinden nachgestellt, deren Gesicht wahrscheinlich schärfer als unseres ist, und jede Abstufung der Ähnlichkeit, welche das Insekt darin unterstützt, der Betrachtung oder Entdeckung zu entgehen, wird seine Erhaltung zu fördern dienen, und je vollkommener die Ähnlichkeit ist, um so besser ist es für das Insekt. Betrachtet man die Natur der Verschiedenheiten zwischen den Spezies der Gruppe, welche den obigen Ceroxylus einschließt, so findet man nichts Unwahrscheinliches darin, dass dies Insekt in den Unregelmäßigkeiten an seiner Oberfläche abgeändert hat und dass diese mehr oder weniger grün gefärbt wurden; denn in einer jeden Gruppe sind diejenigen Charaktere, welche in den verschiedenen Spezies verschieden sind, am meisten zum Abändern geneigt, während die generischen Charaktere, oder diejenigen, welche sämtlichen Arten gemeinsam zukommen, die konstantesten sind.

Der Grönland-Wal ist eines der wunderbarsten Tiere auf der Welt, und die Barten oder das Fischbein stellen eine seiner größten Eigentümlichkeiten dar. Das Fischbein besteht auf jeder Seite des Oberkiefers aus einer Reihe von ungefähr dreihundert Platten oder Barten, welche quer zu der Längsachse des Mundes dicht hintereinander stehen. Innerhalb der Hauptreihe liegen einige sekundäre Reihen. Die unteren Enden und die inneren Ränder sämtlicher Barten sind in steife Borsten aufgelöst, welche den ganzen riesigen Gaumen bedecken und dazu dienen, das Wasser zu seihen oder zu filtrieren, um dadurch die kleinen Beutetierchen zu fangen, von denen das große Tier lebt. Die mittelste und längste Lamelle oder Barte ist beim Grönland-Wal zehn, zwölf oder selbst fünfzehn Fuß lang. Bei den verschiedenen Arten der Walfische finden sich indessen Abstufungen in der Länge; nach SCORESBY ist die mittlere Lamelle bei einer Spezies einen Fuß, bei einer andern drei Fuß, bei einer dritten achtzehn Zoll und bei der Balaenoptera rostrata nur ungefähr neun Zoll lang.

Auch ist die Beschaffenheit des Fischbeins bei den verschiedenen Spezies verschieden.

In Bezug auf das Fischbein bemerkt Mr. MIVART, »dass, wenn es einmal eine solche Größe und Entwicklung erreicht hätte, dass es überhaupt von Nutzen wäre, dann seine Erhaltung und Vergrößerung innerhalb der nützlichen Grenzen von der natürlichen Zuchtwahl befördert werden würde. Wie lässt sich aber der Anfang einer solchen nutzbaren Entwicklung erlangen?« In Antwort hierauf kann gefragt werden, warum könnten nicht die früheren Urerzeuger der Bartenwalfische einen Mund besessen haben, dessen Einrichtung in etwas der ähnlich gewesen wäre, wie sie der lamellentragende Schnabel einer Ente darbietet? Enten ernähren sich wie Walfische in der Art, dass sie das Wasser oder den Schlamm durchseihen, und die Familie der Enten ist hiernach zuweilen die der Criblatores oder Seiher genannt worden. Ich hoffe, dass man mir hier nicht fälschlich nachsagt, dass ich meinte, die Urerzeuger der Bartenwalfische hätten faktisch lamellierte Mundränder wie ein Entenschnabel besessen. Ich wünschte nur zu zeigen, dass dies nicht unglaublich ist, und dass die ungeheuren Fischbeinplatten beim Grönland-Wal sich aus solchen Lamellen durch ganz allmählich abgestufte Zustände, von denen jede seinem Besitzer von Nutzen war, entwickelt haben können.

Der Schnabel der Löffel-Ente (Spatula clypeata) ist ein noch wundervolleres und komplizierteres Gebilde, als der Mund eines Walfisches. Der Oberkiefer ist auf jeder Seite (in dem von mir untersuchten Exemplar) mit einer kammartigen Reihe von 188 dünnen, elastischen Lamellen versehen, welche schräg so abgestutzt sind, dass sie zugespitzt enden, und quer auf die Längsachse des Schnabels stehen. Sie entspringen vom Gaumen und sind durch biegsame Membranen an die Seite des Kiefers befestigt. Diejenigen, welche nach der Mitte zu stehen, sind die längsten, nämlich ungefähr ein Drittel Zoll lang und springen 0, 14 Zoll unter dem Rande vor. An ihrer Basis findet sich eine kurze Reservereihe schräg querstehender Lamellen. In diesen verschiedenen Beziehungen gleichen sie den Fischbeinplatten im Munde eines Walfisches. Aber nach dem Schnabelende hin werden sie bedeutend verschieden, indem sie hier nach innen vorspringen, anstatt gerade nach unten gerichtet zu sein. Der ganze Kopf der Löffel-Ente, obschon unvergleichlich weniger maßig, hat ungefähr ein Achtzehntel der Länge des Kopfes einer maßig großen Balaenoptera rostrata, bei welcher Spezies das Fischbein nur neun Zoll lang ist, so dass, wenn man den Kopf der Löffel-Ente so groß machen könnte wie der der Balaenoptera ist, die Lamellen sechs Zoll Länge erreichen würden, d.i. also zwei Drittel der Bartenlänge in dieser Walfischart. Die untere Kinnlade der Löffel-Ente ist mit Lamellen von gleicher Länge wie die oberen, aber feineren, versehen; und durch diesen Besitz von Platten weicht sie auffallend vom Unterkiefer eines Walfisches ab, welcher kein Fischbein besitzt. Andererseits sind aber die Enden dieser unteren Lamellen in feine borstige Spitzen ausgezogen, so dass sie den Fischbeinbarten merkwürdig ähnlich sind. In der Gattung Prion, einem Gliede der von den Enten verschiedenen Familie der Sturmvögel, ist der Oberkiefer allein mit Lamellen versehen, welche gut entwickelt sind und unter dem Rande vorspringen; in dieser Hinsicht gleicht also der Schnabel dieses Vogels dem Munde eines Walfisches.

Von der hoch entwickelten Struktureigentümlichkeit des Schnabels der Löffel-Ente können wir (wie ich durch Untersuchung von Exemplaren gelernt habe, die mir Mr. SALVIN gesandt hat), ohne eine große Unterbrechung der Reihe, soweit die zweckmäßige Einrichtung zum Durchseihen in Betracht kommt, zu dem Schnabel der Merganetta armata und in gewisser Beziehung zu dem der Aix sponsa und von dieser zu dem Schnabel der gemeinen Ente kommen. In dieser letztern Art sind die Lamellen viel größer als bei der Löffel-Ente und fest an die Seiten des Kiefers geheftet; es sind davon nur ungefähr 50 auf jeder Seite vorhanden und sie springen durchaus nicht unterhalb des Kieferrandes vor. Sie sind oben quer abgestutzt und mit durchscheinendem härtlichem Gewebe bedeckt, wie zum Zermalmen der Nahrung. Die Ränder der Unterkinnladen werden von zahlreichen feinen Leisten gekreuzt, welche sehr wenig vorspringen. Obgleich hiernach der Schnabel als Seihe-Apparat sehr dem der Löffel-Ente nachsteht, so gebraucht doch dieser Vogel, wie Jedermann weiß, den Schnabel beständig zu diesem Zwecke. Wie ich von Mr. SALVIN Erfahre, gibt es andere Spezies, bei denen die Lamellen beträchtlich weniger entwickelt sind, als bei der gemeinen Ente; ich weiß aber nicht, ob auch diese den Schnabel zum Seihen des Wassers benutzen.

Wenden wir uns zu einer andern Gruppe derselben Familie. Bei der ägyptischen Gans (Chenalopex) gleicht der Schnabel sehr nahe dem der gemeinen Ente; die Lamellen sind aber nicht so zahlreich und nicht so distinkt von einander, auch springen sie nicht so weit nach innen vor. Und doch benutzt diese Ente, wie mir Mr. BARTLETT mitgeteilt hat, »ihren Schnabel wie eine Ente, indem sie das Wasser durch die Ränder auswirft.« Ihre hauptsächlichste Nahrung ist indessen Gras, welches sie wie die gemeine Gans abpflückt. Bei diesem letztern Vogel sind die Lamellen des Oberkiefers viel gröber als bei der gemeinen Ente, beinahe zusammenfließend, ungefähr 27 an Zahl auf jeder Seite, und enden nach oben in zahnartigen Knöpfen. Auch der Gaumen ist mit harten, abgerundeten Vorsprüngen bedeckt. Die Ränder der Unterkinnlade sind mit viel vorspringenderen, gröberen und schärferen Zähnen als bei der Ente sägenartig besetzt. Die gemeine Gans seiht das Wasser nicht, sondern braucht ihren Schnabel ausschließlich dazu, Kräuter zu zerreissen oder zu schneiden, für welchen Gebrauch er so gut eingerichtet ist, dass sie kürzeres Gras als fast irgend ein anderes Tier pflücken kann. Wie ich von Mr. BARTLETT höre, gibt es auch Gänse, bei denen die Lamellen noch weniger entwickelt sind als bei der gemeinen Gans.

Wir sehen hieraus, dass ein zu der Entenfamilie gehöriger Vogel mit einem wie der der gemeinen Gans gebauten und nur für das Grasen eingerichteten Schnabel oder selbst ein Vogel mit einem Schnabel, der noch weniger entwickelte Lamellen hat, durch langsame Abänderungen in eine Art wie die ägyptische Gans, diese in eine wie die gemeine Ente, und endlich in eine wie die Löffel-Ente verwandelt werden könnte, welche mit einem beinahe ausschließlich zum Durchseihen des Wassers eingerichtetem Schnabel versehen ist; denn dieser Vogel kann kaum irgend einen Teil seines Schnabels, mit Ausnahme der hakigen Spitze, zum Ergreifen und Zerreissen fester Nahrung gebrauchen. Der Schnabel einer Gans könnte auch, wie ich noch hinzufügen will, durch kleine Abänderungen in einen mit vorspringenden, rückwärts gekrümmten Zähnen versehenen verwandelt werden, wie der des Merganser (einem Vogel derselben Familie), welcher dem weit von jenem verschiedenen Zwecke dient, lebendige Fische zu fangen.

Doch kehren wir zu den Walfischen zurück. Der Hyperoodon bidens hat keine echten Zähne in einem funktionsfähigen Zustande, aber sein Gaumen ist nach LACÉPÈDE durch den Besitz kleiner ungleicher harter Hornpunkte rauh geworden. Es liegt daher in der Annahme nichts unwahrscheinliches, dass irgend eine frühe Zetazeenform mit ähnlichen Hornpunkten am Gaumen versehen war, welche aber regelmäßiger gestellt waren und wie die Höcker am Schnabel der Gans dem Tiere halfen, seine Nahrung zu ergreifen und zu zerreissen. War dies der Fall, so wird man kaum leugnen können, dass die Punkte durch Abänderung und natürliche Zuchtwahl in ebenso wohl entwickelte Lamellen verwandelt werden konnten, wie die der ägyptischen Gans, in welchem Falle sie dann beiden Zwecken dienten, sowohl dem Ergreifen der Nahrung als dem Durchseihen des Wassers, dann in Lamellen wie die der gemeinen Ente, und so immer weiter, bis sie so gut gebildet waren, wie die der Löffel-Ente, in welchem Falle sie ausschließlich als Apparat zum Filtrieren des Wassers gedient haben werden. Von dieser Stufe, auf welcher die Lamellen im Verhältnis zur Kopflänge zwei Drittel der Länge der Fischbeinplatten von Balaenoptera rostrata hatten, führen uns dann Abstufungen, welche man in noch jetzt lebenden Zetazeen beobachten kann, zu den enormen Fischbeinplatten beim Grönland-Wale. Es liegt auch hier nicht der geringste Grund zu zweifeln vor, dass jeder Fortschritt in dieser Stufenreihe gewissen alten Zetazeen ebenso nutzbar gewesen sein könne, wo die Funktionen der Teile sich während des Fortschritts der Entwicklung langsam änderten, wie es die Abstufungen im Bau der Schnäbel bei den verschiedenen jetzt lebenden Vögeln aus der Familie der Enten sind. Wir müssen uns daran erinnern, dass jede Entenspezies einem harten Kampf ums Dasein ausgesetzt ist, und dass der Bau eines jeden Körperteils ihren Lebensbedingungen angepasst sein muss.

Die Pleuronektiden oder Plattfische sind merkwürdig wegen ihrer unsymmetrischen Körper. Sie liegen in der Ruhe auf einer Seite, — die größere Zahl der Spezies auf der linken, einige dagegen auf der rechten; und gelegentlich kommen erwachsene Exemplare mit einer umgekehrten Asymmetrie vor. Die untere Fläche, auf der der Fisch liegt, gleicht auf den ersten Blick der Bauchfläche eines gewöhnlichen Fisches; sie ist von weißer Farbe, in vielen Beziehungen weniger entwickelt als die obere Seite, die seitlichen Flossen sind häufig von geringerer Größe. Aber die Augen bieten die merkwürdigste Eigentümlichkeit dar; denn beide befinden sich auf der obern Seite des Kopfes. Während der frühen Jugend indessen stehen sie einander gegenüber und der ganze Körper ist in dieser Zeit noch symmetrisch, auch sind beide Seiten gleich gefärbt. Bald aber beginnt das der untern Seite angehörende Auge langsam um den Kopf herum auf die obere Seite zu gleiten, tritt indessen dabei nicht direkt quer durch den Schädel, wie man früher glaubte, dass es der Fall wäre. Es ist nun ganz offenbar, dass, wenn das untere Auge nicht in dieser Art herumwanderte, es von dem in seiner gewöhnlichen Stellung auf der einen Seite liegenden Fische gar nicht benutzt werden könnte. Auch würde das untere Auge sehr leicht von dem sandigen Boden durch Reiben verletzt werden. Dass die Pleuronektiden durch ihren abgeplatteten und unsymmetrischen Körperbau ihrer Lebensweise wunderbar gut angepasst sind, zeigt sich offenbar dadurch, dass mehrere Spezies, wie die Solen, Seezungen, Flundern u.s.w. äußerst gemein sind. Die hauptsächlichsten hierdurch erlangten Vortheile scheinen einmal der Schutz vor ihren Feinden und dann die Leichtigkeit der Ernährung auf dem Meeresgrunde zu sein. Die verschiedenen Glieder der Familie bieten indessen, wie SCHIÖDTE bemerkt, »eine lange Reihe von Formen dar mit einem allmählichen Übergänge von Hippoglossus pinguis, welcher in keinem irgendwie beträchtlichen Grade die Gestalt ändert, in welcher er die Eihüllen vertagst, zu den Seezungen, welche vollkommen auf eine Seite umgeworfen sind.« Mr. MIVART hat diesen Fall aufgenommen und bemerkt, dass eine plötzliche spontane Umwandlung in der Stellung der Augen kaum denkbar ist, worin ich vollständig mit ihm übereinstimme. Er fügt dann hinzu: »wenn das Hinüberwandern stufenweise erfolgte, dann ist es durchaus nicht klar, wie ein solches Wandern des einen Auges um einen äußerst geringen Bruchteil der ganzen Entfernung bis zur andern Seite des Kopfes für das Individuum wohltätig sein konnte. Es scheint selbst, als müsse eine derartige beginnende Umwandlung eher schädlich gewesen sein.« Er hätte aber eine Antwort auf diesen Einwand in den ausgezeichneten, im Jahre 1867 veröffentlichten Beobachtungen von MALM finden können. Die Pleuronektiden oder Schollen können, solange sie sehr jung und noch symmetrisch sind, wo ihre Augen noch auf den gegenüberliegenden Seiten des Kopfes stehen, eine senkrechte Stellung nicht lange beibehalten, und zwar in Folge der exzessiven Höhe ihres Körpers, der geringen Größe ihrer paarigen Flossen und wegen des Umstandes, dass ihnen eine Schwimmblase fehlt. Sie werden daher sehr bald müde und fallen auf die eine Seite zu Boden. Während sie so ruhig daliegen, drehen sie häufig, wie MALM beobachtete, das untere Auge aufwärts, um über sich zu sehen, und sie tun dies so kräftig, dass das Auge scharf gegen den obern Augenhöhlenrand gedrückt wird. Die Stirn zwischen den Augen wird in Folge dessen, wie deutlich gesehen werden konnte, zeitweise der Breite nach zusammengezogen. Bei einer Gelegenheit sah MALM Einen jungen Fisch das untere Auge durch einen Winkelabstand von ungefähr siebzig Grad heben und senken.

Wir müssen uns daran erinnern, dass der Schädel in diesem frühen Alter knorplig und biegsam ist, so dass er der Muskelanstrengung leicht nachgibt. Es ist auch von höheren Tieren bekannt, dass der Schädel selbst nach der Zeit der frühesten Jugend nachgibt und in seiner Form geändert wird, wenn die Haut oder die Muskeln durch Krankheit oder irgend einen Zufall permanent zusammengezogen werden. Bei langohrigen Kaninchen zieht, wenn das eine Ohr nach vorn und unten herabhängt, das Gewicht desselben alle Knochen des Schädels auf dieselbe Seite, wovon ich eine Abbildung gegeben habe. MALM führt an, dass die eben ausgeschlüpften Jungen von Barschen, Lachsen und anderen symmetrischen Fischen die Gewohnheit haben, gelegentlich am Boden auf der einen Seite auszuruhen; auch hat er beobachtet, dass sie dann häufig ihre unteren Augen anstrengen, um nach oben zu sehen, und hierdurch werden ihre Schädel leicht gekrümmt. Diese Fische sind indessen bald im Stande, sich in einer senkrechten Stellung zu erhalten; es wird daher keine dauernde Wirkung hervorgebracht. Die Pleuronektiden dagegen liegen, je älter sie werden, in Folge der zunehmenden Plattheit ihrer Körper, desto gewöhnlicher auf der einen Seite, und dadurch wird eine dauernde Wirkung auf die Form des Kopfes und auf die Stellung der Augen hervorgebracht. Nach Analogie zu schließen wird ohne Zweifel die Neigung zur Verdrehung durch das Prinzip der Vererbung vergrößert werden. SCHIÖDTE Glaubt, im Gegensatz zu einigen Forschern, dass die Pleuronektiden selbst im Embryonalzustande nicht vollkommen symmetrisch sind; und wenn dies der Fall ist, so können wir einsehen, woher es kommt, dass gewisse Spezies, während sie jung sind, beständig auf die linke Seite herum fallen und auf dieser ruhen, andere Arten auf die rechte Seite. MALM fügt als Bestätigung der obenangeführten Ansicht hinzu, dass der erwachsene Trachypterus ardicus, welcher nicht zu der Familie der Pleuronektiden gehört, am Boden auf seiner linken Seite ruht und diagonal durchs Wasser schwimmt, und bei diesem Fische sind, wie angegeben wird, die beiden Seiten des Kopfes etwas unähnlich. Unsere große Autorität in Fischen, Dr. GÜNTHER, schließt seinen Auszug aus MALM's Aufsatz mit der Bemerkung, dass »der Verfasser eine sehr einfache Erklärung des abnormen Zustandes der Pleuronektiden gibt«.

Wir sehen hieraus, dass die ersten Stufen des Hinüberwanderns des Auges von der einen Seite des Kopfes zur andern, von denen Mr. MIVART meint, dass sie schädlich sein dürften, der ohne Zweifel für das Individuum wie für die Spezies wohltätigen Angewöhnung zugeschrieben werden können, zu versuchen, mit beiden Augen nach oben zu sehen, während der Fisch mit der einen Seite am Boden liegt. Wir können auch den vererbten Wirkungen des Gebrauchs die Tatsache zuschreiben, dass bei mehreren Arten von Plattfischen der Mund nach der untern Fläche gebogen ist, wobei die Kieferknochen auf dieser, der augenlosen Seite des Kopfes stärker und wirkungskräftiger sind, als auf der andern, damit, wie Dr. TRAQUAIR vemutet, der Fisch mit Leichtigkeit am Boden Nahrung aufnehmen könne. Auf der andern Seite wird Nichtgebrauch den geringer entwickelten Zustand der ganzen untern Hälfte des Körpers, mit Einschluss der paarigen Flossen, erklären; doch glaubt YARRELL, dass die reduzierte Größe dieser Flossen für den Fisch vorteilhaft sei, da »so viel weniger Platz für ihre Tätigkeit vorhanden ist, als für die größeren oberen Flossen«. Vielleicht kann die geringere Zahl von Zähnen in der nach oben liegenden Hälfte der beiden Kieferknochen, nämlich vier bis sieben gegen fünfundzwanzig bis dreissig in der untern, bei der Scholle gleichfalls durch Nichtgebrauch erklärt werden. Aus dem farblosen Zustande der Bauchfläche der meisten Fische und vieler anderen Tiere können wir wohl richtig schließen, dass das Fehlen der Farbe an derjenigen Seite, mag dies die rechte oder die linke sein, welche nach unten liegt, Folge des Ausschlusses des Lichtes ist. Man kann aber nicht annehmen, dass das eigentümlich gefleckte Ansehen der obern Seite der Seezunge, welches dem sandigen Grunde des Meeres so sehr ähnlich ist, oder das einigen Spezies eigene Vermögen, ihre Farbe, wie neuerdings POUCHET gezeigt hat, in Übereinstimmung mit der umgebenden Fläche zu verändern, oder die Anwesenheit von knöchernen Höckern an der obern Seite des Steinbutts Folge der Einwirkung des Lichtes sind. Hier ist wahrscheinlich natürliche Zuchtwahl ins Spiel gekommen, ebenso wie beim Anpassen der allgemeinen Körpergestalt und vieler anderer Eigentümlichkeiten dieser Fische an ihre Lebensweise. Wir müssen, wie ich schon vorhin betont habe, im Auge behalten, dass die vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs der Teile und vielleicht auch ihres Nichtgebrauchs durch die natürliche Zuchtwahl verstärkt werden. Denn alle spontanen Abänderungen in der passenden Richtung werden hierdurch erhalten werden, wie es auch diejenigen Individuen werden, welche im höchsten Grade die Wirkungen des vermehrten und wohltätigen Gebrauchs irgend eines Teiles erben. Zu entscheiden, wie viel in jedem einzelnen besondern Falle den Wirkungen des Gebrauchs und wie viel der natürlichen Zuchtwahl zugeschrieben werden muss, scheint unmöglich zu sein.

Ich will noch ein anderes Beispiel einer Struktureinrichtung anführen, welche ihren Ursprung allem Anschein nach ausschließlich dem Gebrauch oder der Gewohnheit verdankt. Das Ende des Schwanzes ist bei einigen amerikanischen Affen in ein wunderbar vollkommenes Greiforgan verwandelt worden und dient als eine fünfte Hand. Ein Kritiker, welcher mit Mr. MIVART in jeder Einzelnheit übereinstimmt, bemerkt über dies Gebilde: »Es ist unmöglich, zu glauben, dass in irgend einer noch so großen Anzahl von Jahren die erste unbedeutend auftretende Neigung zum Erfassen das Leben der damit versehenen Individuen erhalten oder die Wahrscheinlichkeit, dass diese nun Nachkommen erzeugen und aufziehen, vergrößeren könne.« Für einen solchen Glauben ist aber keine Notwendigkeit vorhanden. Gewohnheit (und diese setzt fast voraus, dass irgend eine Wohltat, groß oder klein, aus ihr hergeleitet wird) genügt aller Wahrscheinlichkeit nach für die Aufgabe. BREHM Sah die Jungen eines afrikanischen Affen (Cercopithecus) sich an der untern Körperfläche ihrer Mutter mit den Händen festhalten; gleichzeitig schlangen sie aber ihre kleinen Schwänze um den ihrer Mutter. Professor HENSLOW hielt einige Saatmäuse (Mus messorius) in Gefangenschaft, welche keinen, seinem Bau nach prehensilen Schwanz besitzen; aber er beobachtete häufig, dass sie ihre Schwänze um die Zweige eines Busches schlangen, den man in ihren Käfig gestellt hatte, und sich damit beim Klettern halfen. Einen analogen Bericht habe ich auch von Dr. GÜNTHER Erhalten, welcher gesehen hat, wie sich eine Maus an dem Schwanze aufhing. Wäre die Saatmaus in strengerem Sinne baumlebend, so würde vielleicht ihr Schwanz seinem Baue nach prehensil gemacht worden sein, wie es bei einigen zu derselben Ordnung gehörigen Tieren der Fall ist. Warum der Cercopithecus nicht mit dieser Einrichtung versehen worden ist, da er doch im jugendlichen Alter die obige Gewohnheit zeigt, dürfte schwer zu sagen sein. Es ist indessen möglich, dass der lange Schwanz dieses Affen ihm bei Ausführung seiner ungeheuren Sprünge von größerem Nutzen als Balancierorgan denn als Greiforgan ist.

Die Milchdrüsen sind der ganzen Klasse der Säugetiere eigen und für ihre Existenz unentbehrlich; sie müssen sich daher zu einer äußerst frühen Zeit entwickelt haben, und über die Art und Weise ihrer Entwicklung können wir nichts Positives wissen. Mr. MIVART fragt: »Ist es wohl zu begreifen, dass das Junge irgend eines Tieres vor Zerstörung geschützt wurde, dadurch, dass es zufällig einen Tropfen einer wohl kaum nahrhaften Flüssigkeit aus einer zufällig hypertrophierten Hautdrüse seiner Mutter sog? Und selbst wenn dies einmal der Fall gewesen ist, welche Wahrscheinlichkeit lag da vor für die dauernde Erhaltung einer derartigen Abänderung?« Der Fall ist aber hier nicht richtig dargestellt. Die meisten Anhänger der Evolutionslehre geben zu, dass die Säugetiere von einer Beuteltierform abstammen; und ist dies der Fall, dann werden die Milchdrüsen zuerst innerhalb des marsupialen Beutels entwickelt worden sein. Bei Fischen kommt der Fall vor (Hippocampus), dass die Eier in einer Tasche dieser Art ausgebrütet und die Jungen eine Zeit lang darin aufgezogen werden; auch glaubt ein amerikanischer Naturforscher, Mr. LOCKWOOD, nach dem, was er von der Entwicklung der Jungen gesehen hat, dass dieselben mit einer Absonderung der Hautdrüsen der Tasche ernährt werden. Ist es nun wohl in Bezug auf die frühen Urerzeuger der Säugetiere, fast noch vor der Zeit, wo sie als solche bezeichnet zu werden verdienten, nicht wenigstens möglich, dass die Jungen auf eine ähnliche Weise ernährt wurden? Und in diesem Falle werden diejenigen Individuen, welche die in einem gewissen Grade oder in irgend einer Art und Weise nahrhafteste Flüssigkeit, so dass sie die Beschaffenheit der Milch nahebei erhielt, absonderten, in der Länge der Zeit eine größere Zahl gut ernährter Nachkommen aufgezogen haben, als diejenigen Individuen, welche eine ärmere Flüssigkeit absonderten; und hierdurch werden die Hautdrüsen, welche die Homologa der Milchdrüsen sind, weiter entwickelt und funktionsfähiger gemacht worden sein. Es stimmt mit dem weit verbreiteten Prinzip der Specialisation überein, dass die Drüsen auf einem bestimmten Stück der innern Oberfläche der Tasche höher entwickelt werden würden, als die übrigen, und dann würden sie eine Brustdrüse, vorläufig aber noch ohne Zitze dargestellt haben, wie wir es jetzt noch beim Ornithoritynchus, dem untersten Gliede der Säugetierreihe, sehen. In Folge welcher Kraft die Drüsen auf einem bestimmten Oberflächentheile höher spezialisiert wurden als die übrigen, will ich mir nicht zu entscheiden anmaßen, ob zum Teil durch Kompensation des Wachstums, oder durch die Wirkungen des Gebrauchs oder durch natürliche Zuchtwahl.

Die Entwicklung der Milchdrüsen würde von keinem Nutzen gewesen sein und hätte nicht durch natürliche Zuchtwahl bewirkt werden können, wenn nicht in derselben Zeit die Jungen fähig geworden wären, die Absonderung aufzunehmen. Einzusehen, wie junge Säugetiere instinktiv gelernt haben, an der Brust zu saugen, bietet keine größere Schwierigkeit dar, als einzusehen, woher die noch nicht ausgekrochenen Küchel es gelernt haben, die Eischalen durch das Klopfen mit ihrem speziell dazu angepassten Schnabel zu durchbrechen, oder woher sie gelernt haben, wenig Stunden nach dem Verlassen der Eischale Körner zur Nahrung aufzupicken. In solchen Fällen scheint die wahrscheinlichste Lösung die zu sein, dass die Gewohnheit zuerst durch Übung auf einer spätern Altersstufe erlangt und später in einem frühern Alter auf die Nachkommen vererbt worden ist. Man sagt aber, das junge Känguruh sauge nicht, sondern hänge an der Zitze seiner Mutter, welche das Vermögen habe, Milch in den Mund ihrer hülflosen, halbausgebildeten Nachkommen einzuspritzen. Über diesen Punkt bemerkt Mr. MIVART: »Wenn keine besondere Vorrichtung bestände, so müsste das Junge unfehlbar durch das Einströmen von Milch in die Luftröhre ersticken. Aber eine solche spezielle Vorrichtung besteht. Der Kehlkopf ist so verlängert, dass er bis in das hintere Ende des Nasengangs hinaufreicht; hierdurch wird er in den Stand gesetzt, die Luft frei in die Lungen eintreten zu lassen, während die Milch, ohne zu schaden, auf beiden Seiten dieses verlängerten Kehlkopfs hinabläuft und so wohlbehalten den dahinter gelegenen Schlund erreicht.« Mr. MIVART fragt dann, auf welche Weise die natürliche Zuchtwahl im erwachsenen Känguruh (und in den meisten anderen Säugetieren, nach der Annahme nämlich, dass sie von einer marsupialen Form abgestammt sind) »diese zum mindesten vollkommen unschuldige und unschädliche Struktureigentümlichkeit« beseitige. Man kann wohl in Beantwortung hierauf vermuten, dass die Stimme, welche sicherlich für viele Tiere von großer Bedeutung ist, kaum mit voller Kraft hätte benutzt werden können, solange der Kehlkopf in den Nasengang eintrat; auch hat Professor FLOWER gegen mich die Vermutung geäußert, dass dieser Bau das Tier bedeutend daran gehindert haben würde, feste Nahrung zu verschlingen.

Wir wollen uns nun für eine kurze Zeit zu den niederen Abteilungen des Tierreichs wenden. Die Echinodermen (Seesterne, Seeigel u.s.w.) sind mit merkwürdigen Organen versehen, den sogenannten Pedicellarien, welche, wenn sie ordentlich entwickelt sind, aus einer dreiarmigen Zange bestehen, d.h. aus einer solchen, welche drei am Rande sägezahnartig eingeschnittene Teile hat, welche genau ineinander passen und auf der Spitze eines beweglichen, durch Muskeln bewegten Stiels stehen. Diese Zangen können beliebige Gegenstände mit festem Halte ergreifen; und ALEXANDER AGASSIZ hat einen Echinus oder Seeigel beobachtet, wie er sehr schnell Exkrementteilchen von Zange zu Zange gewissen Linien seines Körpers entlang hinabschaffte, um seine Schale nicht durch faulende Stoffe zu schädigen. Ohne Zweifel dienen aber diese Pedicellarien außer der Entfernung des Schmutzes noch anderen Funktionen; und eine derselben ist allem Anscheine nach Verteidigung.

Wie bei so vielen früheren Gelegenheiten fragt in Bezug auf diese Organe Mr. MIVART: »was würde wohl der Nutzen der ersten rudimentären Anfänge solcher Gebilde sein, und wie könnten wohl derartige beginnende, knospenartige Anlagen jemals das Leben auch nur eines einzigen Echinus erhalten haben? Er fügt hinzu: nicht einmal die plötzliche Entwicklung der schnappenden Tätigkeit könnte ohne den frei beweglichen Stiel wohltätig gewesen sein, wie auch der letztere keine Wirkung hätte äußeren können ohne die kinnladenartig zuschnappendenzangen; und doch hätten keine minutiösen bloß unbestimmten Abänderungen gleichzeitig diese komplizierten, einander koordinierten Struktureigentümlichkeiten entwickeln lassen können; dies zu leugnen scheint nichts Geringeres zu sein, als ein verwirrendes Paradoxon zu behaupten.« So paradox es auch Mr. MIVART Erscheinen mag: dreiarmige Zangen, welche am Grunde unbeweglich angeheftet, aber doch im Stande sind, zuzugreifen, existieren mit Gewissheit bei manchen Seesternen; und dies ist verständlich, wenn sie wenigstens zum Teile als ein Verteidigungsmittel dienen. Mr. AGASSIZ, dessen Freundlichkeit ich sehr viel Information über diesen Gegenstand verdanke, teilt mir mit, dass es andere Seesterne gibt, bei denen der eine der drei Zangenarme zu einer Stütze für die beiden anderen reduziert ist, und ferner, dass es noch andere Gattungen gibt, bei denen dieser dritte Arm vollständig verloren gegangen ist. Bei Echinoneus trägt die Schale nach der Beschreibung PERRIER's zwei Arten von Pedicellarien, die eine gleicht denen von Echinus, die andere denen von Spatangus; und solche Fälle sind immer interessant, da sie die Mittel zur Erklärung von scheinbar plötzlichen Übergängen durch Abortion eines oder zweier Zustände eines Organs darbieten.

Was die einzelnen Stufen betrifft, durch welche diese merkwürdigen Organe entwickelt worden sind, so schließt Mr. AGASSIZ aus seinen Untersuchungen und denen JOH. MÜLLER's, dass sowohl bei den Seesternen als bei den Seeigeln die Pedicellarien unzweifelhaft als modifizierte Stacheln angesehen werden müssen. Dies kann aus der Art der Entwicklung bei dem Individuum ebenso wohl wie aus einer langen und vollkommenen Reihe von Abstufungen bei verschiedenen Arten und Gattungen, von einfachen Granulationen zu gewöhnlichen Stacheln und zu vollkommenen dreiarmigen Pedicellarien geschlossen werden. Die Abstufung erstreckt sich sogar bis auf die Art und Weise, in welcher gewöhnliche Stacheln und die Pedicellarien mit ihren sie stützenden kalkigen Stäbchen an der Schale artikulieren. Bei gewissen Gattungen von Seesternen sind »selbst die Kombinationen zu finden, welche zu dem Nachweise erforderlich sind, dass die Pedicellarien nur modifizierte, verästelte Stacheln sind.« So findet man feste Stacheln mit drei in gleicher Entfernung von einander stehenden, gezähnten, beweglichen Asten nahe ihrer Basis eingelenkt, und weiter nach oben an demselben Stachel drei fernere bewegliche Aste. Wenn nun die letzteren von der Spitze eines Stachels entspringen, so bilden sie in der Tat eine rohe dreiarmige Pedicellarie und solche kann man an einem und demselben Stachel zusammen mit den drei unteren Asten sehen. In diesem Falle ist die wesentliche Identität zwischen den Armen einer Pedicellarie und den beweglichen Asten eines Stachels unverkennbar. Man nimmt allgemein an, dass die gewöhnlichen Stacheln als Schutzmittel dienen; und wenn dies richtigist, so hat man keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die mit gesägten und beweglichen Armen versehenen gleicherweise demselben Zwecke dienen, und sie würden diesen Dienst noch wirksamer verrichten, sobald sie bei ihrem Zusammentreffen als prehensiler oder schnappender Apparat wirken. Es wird daher hiernach eine jede Abstufung von einem gewöhnlichen festen Stachel zu einer fest angehefteten Pedicellarie dem Tiere von Nutzen sein.

Bei gewissen Gattungen von Seesternen sind diese Organe, anstatt an einem unbeweglichen Träger geheftet oder von einem solchen getragen zu sein, an die Spitze eines biegsamen und muskulösen, wenn auch kurzen Stiels gestellt; und in diesem Falle dienen sie wahrscheinlich noch irgend einer andern Funktion außer der der Verteidigung. Bei den Seeigeln lassen sich die Schritte verfolgen, durch welche ein festsitzender Stachel der Schale eingelenkt und dadurch beweglich wird. Ich wünschte wohl, ich hätte hier mehr Raum, um einen ausführlicheren Auszug aus Mr. AGASSIZ' interessanten Beobachtungen über die Entwicklung der Pedicellarien zu geben. Wie er noch hinzufügt, lassen sich gleichfalls alle möglichen Abstufungen zwischen den Pedicellarien der Seesterne und den Häkchen der Ophiuren, einer andern Gruppe der Echinodermen, auffinden, ebenso zwischen den Pedicellarien der Seeigel und den Ankerorganen der Holothurien oder Seewalzen, welche auch zu derselben großen Klasse gehören.

Gewisse zusammengesetzte Tiere, oder Zoophyten, wie sie genannt worden sind, nämlich die Bryozoen, sind mit merkwürdigen, Avicularien genannten Organen versehen. Diese weichen in ihrem Bau bei den verschiedenen Spezies bedeutend von einander ab. In ihrem vollkommensten Zustande sind sie in merkwürdiger Weise dem Kopfe und Schnabel eines Geiers ähnlich, der auf einem Halse sitzt und bewegungsfällig ist, wie es in gleicher Weise auch die untere Kinnlade ist. Bei einer von mir beobachteten Spezies bewegten sich alle Avicularien an einem und demselben Aste oft gleichzeitig, die Unterkinnlade weit geöffnet, im Laufe weniger Sekunden durch einen Winkel von ungefähr 90°; und ihre Bewegung verursachte ein Erzittern des ganzen Bryozoenstocks. Wenn die Kiefer mit einer Nadel berührt werden, wird dieselbe so fest ergriffen, dass man den ganzen Zweig daran schütteln kann.

Mr. MIVART führt diesen Fall an hauptsächlich wegen der vermeintlichen Schwierigkeit, dass Organe wie die Avicularien der Bryozoen und die Pedicellarien der Echinodermen, welche er als »wesentlich ähnlich« betrachtet, durch natürliche Zuchtwahl in weit von einander stehenden Abteilungen des Tierreichs entwickelt worden seien. Was aber die Struktur betrifft, so kann ich keine Ähnlichkeit zwischen einer dreiarmigen Pedicellarie und einem Avicularium oder vogelkopfähnlichen Organ finden. Die letzteren sind im Ganzen den Scheeren oder Kneipern der Krustazeen ähnlicher; und Mr. MIVART hätte mit gleicher Berechtigung diese Ähnlichkeit als spezielle Schwierigkeit anziehen können, oder selbst ihre Ähnlichkeit mit dem Kopfe und Schnabel eines Vogels. Mr. BUSK, Dr. SMITH und Dr. NITSCHE, — Forscher, welche die Gruppe sorgfältig untersucht haben, — glauben, dass die Avicularien mit den Einzelntieren und deren den Stock zusammensetzenden Zellen homolog sind, wobei die bewegliche Lippe, oder der Deckel der Zelle, der untern und beweglichen Kinnlade des Avicularium entspricht. Mr. BUSK kennt aber keine jetzt existierende Abstufung zwischen einem Einzelntier und einem Avicularium. Es ist daher unmöglich zu vermuten, durch welche nützliche Abstufungen das eine in das andere umgewandelt werden konnte; es folgt aber hieraus durchaus nicht, dass derartige Abstufungen nicht existiert haben. Da die Scheeren der Krustazeen in einem gewissen Grade den Avicularien der Bryozoen ähnlich sind, beide dienen als Zangen, so dürfte es wohl der Mühe wert sein, zu zeigen, dass von den ersteren eine lange Reihe von nützlichen Abstufungen noch existiert. Auf der ersten und einfachsten Stufe schlägt sich das Endsegment einer Gliedmasse herunter entweder auf das querabgestutzte Ende des breiten vorletzten Abschnitts oder gegen eine ganze Seite desselben, und wird hierdurch in den Stand gesetzt, einen Gegenstand fest zu halten; die Gliedmasse dient dabei aber noch immer als Lokomotionsorgan. Dann finden wir zunächst die eine Ecke des breiten vorletzten Abschnitts unbedeutend vorragen, zuweilen mit unregelmäßigen Zähnen versehen, und gegen diese schlägt sich nun das Endglied herab. Durch eine Größenzunahme dieses Vorsprungs und einer unbedeutenden Modifizierung und Verbesserung seiner Form ebenso wie der des endständigen Gliedes werden die Zangen immer mehr und mehr vervollkommnet, bis wir zuletzt ein so wirksames Instrument erhalten wie die Scheere eines Hummers; und alle diese Abstufungen lassen sich jetzt faktisch nachweisen.

Ausser den Avicularien besitzen die Bryozoen noch merkwürdige Organe in den sogenannten Vibracula. Es bestehen dieselben allgemein aus langen, der Bewegung fähigen und leicht zu reizenden Borsten. Bei einer von mir untersuchten Spezies waren die Vibracula unbedeutend gekrümmt und dem äußeren Rand entlang gesägt; und häufig bewegten sie sich sämtlich an einem und demselben Bryozoenstocke gleichzeitig, so dass sie, wie lange Ruder wirkend, einen Zweig schnell quer über den Objektträger eines Mikroskops hinüberschwangen. Wurde ein Zweig auf seine vordere Fläche gelegt, so verwickelten sich die Vibracula und machten nun heftige Anstrengungen sich zu befreien. Man vermutet, dass sie als Verteidigungsorgane dienen, und man kann sehen, wie Mr. BUSK bemerkt, »wie sie langsam und sorgfältig über die Oberfläche des Bryozoenstockes hinschwingen und das entfernen, was den zarten Bewohnern der Zellen, wenn deren Tentakeln ausgestreckt sind, schädlich sein könnte.« Die Avicularien dienen wahrscheinlich wie diese Vibracula zur Verteidigung, sie fangen und töten aber auch kleine Tiere, welche, wie man annimmt, später dann durch Strömung innerhalb der Erreichbarkeit der Tentakeln der Einzelntiere gelangen. Einige Spezies sind mit Avicularien und Vibrakeln versehen, manche nur mit Avicularien und einige wenige nur mit Vibrakeln. Es ist nicht leicht, sich zwei in ihrer Erscheinung weiter von einander verschiedene Gegenstände vorzustellen, als ein einer Borste ähnliches Vibraculum und ein wie ein Vogelkopf gebildetes Avicularium; und doch sind beide fast sicher einander homolog und sind von derselben Grundlage aus entwickelt worden, nämlich einem Einzelntier mit seiner Zelle. Wir können daher einsehen, woher es kommt, dass diese Organe in manchen Fällen, wie mir Mr. BUSK mitgeteilt hat, stufenweise ineinander übergehen. So ist bei den Avicularien mehrerer Spezies von Lepralia die bewegliche Unterkinnlade so sehr vorgezogen und so einer Borste gleich, dass allein das Vorhandensein des obern oder fest stehenden Schnabels ihre Bestimmung als ein Avicularium sichert. Die Vibracula können direkt, ohne den Avicularienzustand durchlaufen zu haben, aus den Deckeln der Zelle entwickelt worden sein; es erscheint aber wahrscheinlich, dass sie durch jenen Zustand hindurchgegangen sind, da während der früheren Stadien der Umwandlung die anderen Teile der Zelle mit dem eingeschlossenen Einzelntier kaum auf einmal verschwunden sein können. In vielen Fällen haben die Vibracula eine mit einer Grube versehene Stütze, welche den unbeweglichen Oberschnabel darzustellen scheint; doch ist diese Stütze in manchen Spezies gar nicht vorhanden. Diese Ansicht von der Entwicklung der Vibracula ist, wenn sie zuverlässig ist, interessant; denn wenn wir annehmen, dass alle mit Avicularien versehenen Spezies ausgestorben wären, so würde Niemand selbst mit der lebhaftesten Einbildungskraft auf den Gedanken gekommen sein, dass die Vibracula ursprünglich als Teile eines Organes existiert hätten, welche einem Vogelkopf oder einer unregelmäßigen Büchse oder Kappe glichen. Es ist interessant, zu sehen, wie zwei so sehr von einander verschiedene Organe von einem gemeinsamen Ausgangspunkte aus sich entwickelt haben; und da der bewegliche Deckel der Zelle dem Einzelntier als Schutz dient, so liegt in der Annahme keine Schwierigkeit, dass alle Abstufungen, durch welche der Deckel zuerst in die Unterkinnlade eines vogelkopfförmigen Organes und dann in eine verlängerte Borste umgewandelt wurde, gleichfalls als Mitte zum Schutze auf verschiedene Weisen und unter verschiedenen Umständen gedient haben.

Aus dem Pflanzenreiche führt Mr. MIVART nur zwei Fälle an, nämlich die Struktur der Blüte bei Orchideen und die Bewegungen der kletternden Pflanzen. In Bezug auf die ersteren sagt er, »die Erklärung ihres Ursprungs ist für durchaus unbefriedigt zu halten, gänzlich unvermögend, die beginnenden infinitesimalen Anfänge von Bildungen zu erklären, welche nur von Nutzen sind, wenn sie beträchtlich entwickelt sind.« Da ich diesen Gegenstand ausführlich in einem andern Werk behandelt habe, werde ich hier nur einige wenige Einzelnheiten über eine einzige der auffallendsten Eigentümlichkeiten der Orchideenblüten anführen, nämlich über ihre Pollinien. Ein Pollinium besteht, wenn es hoch entwickelt ist, aus einer Maße von Pollenkörnern, welche einem elastischen Gestell oder Schwänzchen und dieses wieder einer kleinen Maße von äußerst klebriger Substanz angeheftet ist. Die Pollinien werden mittelst dieser Einrichtungen durch Insekten von einer Blüte auf das Stigma einer andern übertragen. Bei manchen Orchideen findet sich kein Schwänzchen an den Pollenmassen, sondern die Körner sind bloß durch feine Fäden aneinandergeheftet; da solche indessen nicht auf die Orchideen beschränkt sind, brauchen sie hier nicht betrachtet zu werden; doch will ich erwähnen, dass wir am Grunde der ganzen Orchideenreihe, bei Cypripedium, sehen können, wie die Fäden wahrscheinlich zuerst entwickelt worden sind. Bei anderen Orchideen hängen die Fäden an dem einen Ende der Pollenmasse zusammen, und dies bildet die erste Spur oder Anlage eines Schwänzchens. Dass dies der Ursprung des Schwänzchens ist, selbst wenn dasselbe zu einer beträchtlichen Länge und Höhe entwickelt ist, dafür haben wir gute Belege in den abortierten Pollenkörnern, welche sich zuweilen innerhalb der zentralen und soliden Teile eingebettet nachweisen lassen.

Was die zweite hauptsächliche Eigentümlichkeit betrifft, nämlich die geringe Menge klebriger Maße, welche an das Ende des Schwänzchens geheftet ist, so kann eine lange Reihe von Abstufungen aufgezählt werden, von denen eine jede von offenbarem Nutzen für die Pflanze ist. In den meisten Blüten von Pflanzen, welche zu anderen Ordnungen gehören, sondert die Narbe ein wenig klebriger Substanz ab. Nun wird bei gewissen Orchideen ähnliche klebrige Substanz abgesondert, aber in viel größeren Mengen und nur von einem der drei Stigmen, und dies Stigma wird, vielleicht in Folge dieser maßigen Absonderung, unfruchtbar. Wenn ein Insekt eine Blüte solcher Art besucht, so reibt es etwas von der klebrigen Substanz ab und nimmt dabei gleichzeitig einige der Pollenkörner mit fort. Von diesem einfachen Zustande, welcher nur wenig von dem bei einer Menge gewöhnlicher Blumen sich findenden abweicht, führen endlose Abstufungen zu Arten, bei denen die Pollenmasse in ein sehr kurzes freies Schwänzchen ausgeht, dann zu anderen, bei denen das Schwänzchen fest an die klebrige Maße angeheftet wird, während das unfruchtbare Stigma selbst bedeutend modifiziert wird. In diesem letzten Falle haben wir dann ein Pollinium in seiner höchsten Entwicklung und seinem vollkommenen Zustande. Wer nur sorgfältig die Blüten von Orchideen selbst untersuchen will, wird nicht leugnen, dass die oben angeführte Reihe von Abstufungen wirklich existiert: von Blüten mit einer Maße von Pollenkörnern, welche nur durch Fäden miteinander verbunden sind, während das Stigma nur wenig von dem einer gewöhnlichen Blüte abweicht, bis zu solchen mit einem äußerst komplizierten Pollinium, welches für den Transport durch Insekten wunderbar wohl angepasst ist; auch wird er nicht leugnen können, dass alle diese Abstufungen bei den verschiedenen Spezies in Beziehung auf den allgemeinen Bau einer jeden Blüte wunderbar gut für die Befruchtung durch verschiedene Insekten angepasst sind. In diesem, — und in der Tat beinahe jedem andern — Falle kann die Untersuchung noch weiter zurück verfolgt werden; man kann fragen, wie kam es, dass das Stigma einer gewöhnlichen Blume klebrig wurde. Da wir indessen nicht die vollständige Geschichte einer einzigen Gruppe organischer Wesen kennen, so ist es eben so nutzlos zu fragen, wie der Versuch derartige Fragen zu beantworten hoffnungslos ist.

Wir wollen uns nun zu den kletternden Pflanzen wenden. Diese können in eine lange Reihe angeordnet werden, von denen, welche sich einfach um eine Stütze winden, zu denjenigen, welche ich Blattkletterer genannt habe, und zu den mit Ranken versehenen. In diesen letzten zwei Klassen haben die Stämme allgemein, aber nicht immer, das Vermögen des Windens verloren, trotzdem aber das Vermögen des Aufrollens, welches gleicherweise die Ranken besitzen, beibehalten. Die Abstufungen von Blattkletterern zu Rankenträgern sind wunderbar eng und gewisse Pflanzen lassen sich ganz unterscheidungslos in beide Klassen einordnen. Verfolgt man indessen die Reihe aufwärts, von einfachen Windeformen zu Blattkletterern, so tritt eine bedeutungsvolle Eigenschaft hinzu, nämlich die Empfindlichkeit für eine Berührung, durch welches Mittel die Stengel der Blätter oder der Blüten oder die in Ranken modifizierten und umgewandelten Stengel gereizt werden, sich um den berührenden Gegenstand herumzubiegen und ihn zu ergreifen. Wer meine Abhandlung über diesen Gegenstand lesen will, wird denke ich, zugeben, dass alle die vielerlei Abstufungen in Struktur und Funktion zwischen einfachen Windeformen und Rankenträgern in jedem einzelnen Falle in hohem Grade für die Spezies wohltätig sind. So ist es z.B. offenbar ein großer Vorteil für eine kletternde Pflanze, ein Blattkletterer zu werden; und es ist wahrscheinlich, dass jede windende Form, welche Blätter mit langen Stengeln besass, in einen Blattkletterer entwickelt worden sein würde, wenn die Stengel in irgend einem unbedeutenden Grade die erforderliche Empfindlichkeit für Berührung besessen hätten.

Da das Winden das einfachste Mittel ist, an einer Stütze emporzusteigen, und es die Grundlage unserer Reihe bildet, so kann natürlich gefragt werden, wie Pflanzen dies Vermögen in einem beginnenden Grade erlangten, um es später durch natürliche Zuchtwahl verbessert und verstärkt zu erhalten. Das Vermögen zu winden, hängt erstens davon ab, dass die Stämme, solange sie sehr jung sind, äußerst biegsam sind (dies ist aber ein vielen Pflanzen, welche nicht klettern, zukommender Charakter) und zweitens davon, dass sie sich beständig nach allen Gegenden der Windrose hinbiegen, und zwar nacheinander von einer zur anderen in einer und derselben Ordnung. Durch diese Bewegung werden die Stämme nach allen Seiten geneigt und veranlasst, sich rundum zu drehen. Sobald der untere Teil eines Stammes gegen irgend einen Gegenstand anstösst und in der Bewegung aufgehalten wird, fährt der obere Teil noch immer fort, sich zu biegen und umzudrehen und windet sich in Folge dessen rund um die Stütze und an ihr in die Höhe. Die aufrollende Bewegung hört nach dem ersten Wachstum jedes Triebes auf. Wie in vielen weit von einander getrennten Familien von Pflanzen einzelne Spezies und einzelne Genera das Vermögen des Aufrollens besitzen und daher Winder geworden sind, so müssen sie dasselbe auch unabhängig erhalten und können es nicht von einem gemeinsamen Urerzeuger ererbt haben. Ich wurde daher darauf geführt, vorherzusagen, dass eine unbedeutende Neigung zu einer Bewegung dieser Art sich als durchaus nicht selten bei Pflanzen herausstellen würde, welche keine Kletterer sind, und dass dieselbe die Grundlage abgegeben habe, von welcher aus die natürliche Zuchtwahl ihre verbessernde Arbeit begonnen habe. Als ich diese Vorhersage machte, kannte ich nur einen unvollkommenen Fall, nämlich die jungen Blütenstengel einer Maurandia, welche wie die Stämme windender Pflanzen unbedeutend und unregelmäßig sich aufrollten, ohne indes irgend einen Nutzen aus dieser Gewohnheit zu ziehen. Kurze Zeit nachher entdeckte FRITZ MÜLLEK, dass die jungen Stämme eines Alisma und eines Linum, also zweier Pflanzen, welche nicht klettern und im natürlichen System weit von einander entfernt stehen, sich deutlich, wenn auch unregelmäßig aufrollten: und er gibt an, er habe zu vermuten Ursache, dass dies bei einigen anderen Pflanzen vorkommt. Diese unbedeutenden Bewegungen scheinen für die in Rede stehenden Pflanzen von keinem Nutzen zu sein; auf alle Fälle sind sie nicht von dem geringsten Nutzen in Bezug auf das Klettern, welches der uns hier berührende Punkt ist. Nichtsdestoweniger können wir aber doch einsehen, dass, wenn die Stämme dieser Pflanzen biegsam gewesen wären und wenn es unter den Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind, für sie ein Vorteil gewesen wäre, in die Höhe hinaufzusteigen, dann die Gewohnheit sich unbedeutend und unregelmäßig aufzurollen, durch natürliche Zuchtwahl verstärkt und zum Nutzen hätte verwendet werden können, bis sie in wohlentwickelte kletternde Spezies umgewandelt worden wären.

In Bezug auf die sensitive Beschaffenheit der Blatt- und Blütenstengel und der Ranken finden nahezu dieselben Bemerkungen Anwendung, wie in dem Falle der vollendeten Bewegungen kletternder Pflanzen. Da eine ungeheure Anzahl von Pflanzen, welche zu weit von einander entfernt stehenden Gruppen gehören, mit dieser Art der Empfindlichkeit ausgerüstet sind, so sollte man sie in einem eben beginnenden Zustande bei vielen Pflanzen finden, welche nicht Kletterer geworden sind. Dies ist der Fall: ich beobachtete, dass die jungen Blütenstiele der oben erwähnten Maurandia sich ein wenig nach der Seite hin bogen, welche berührt wurde. MORREN fand bei verschiedenen Spezies von Oxalis, dass sich die Blätter und ihre Stiele, besonders wenn sie einer heissen Sonne ausgesetzt gewesen waren, bewegten, sobald sie leise und wiederholt berührt wurden oder wenn die Pflanze erschüttert wurde. Ich wiederholte diese Beobachtungen an einigen anderen Spezies von Oxalis mit demselben Resultat; bei einigen von ihnen war die Bewegung deutlich, war aber am besten an den jungen Blättern zu sehen; bei anderen war sie äußerst unbedeutend. Es ist eine noch bedeutungsvollere Tatsache, dass nach der hohen Autorität HOFMEISTER's die jungen Schösslinge und Blätter aller Pflanzen sich bewegen, wenn sie geschüttelt worden sind; und bei kletternden Pflanzen sind, wie man weiß, nur während der frühen Wachstumsstadien die Stengel und Ranken sensitiv.

Es ist kaum möglich, dass die oben erwähnten unbedeutenden, in Folge einer Berührung oder Erschütterung an den jungen und wachsenden Organen von Pflanzen auftretenden Bewegungen für sie von irgend einer funktionellen Bedeutung sein können. Pflanzen zeigen aber Bewegungsvermögen, in Abhängigkeit von verschiedenen Reizen, welche von offenbarer Bedeutung für sie sind, z.B. nach dem Lichte hin und seltener vom Lichte weg, gegen die Anziehung der Schwerkraft oder seltener in der Richtung derselben. Wenn die Nerven und Muskeln eines Tieres durch Galvanismus oder durch Absorption von Strychnin gereizt werden, so kann man die darauf folgenden Bewegungen zufällige nennen; denn die Nerven und Muskeln sind nicht speziell empfindlich für diese Reize gemacht worden. So scheint es auch bei Pflanzen zu sein; da sie das Vermögen der Bewegung als Antwort auf gewisse Reize haben, so werden sie durch eine Berührung oder Erschütterung in einer zufälligen Art gereizt. Es liegt daher keine große Schwierigkeit in der Annahme, dass es bei Blattkletterern und Rankenträgern diese Neigung ist, welche von der natürlichen Zuchtwahl zum Vorteil der Pflanze benützt und verstärkt worden ist. Es ist indessen aus Gründen, welche ich in meiner Abhandlung entwickelt habe, wahrscheinlich, dass dies nur bei Pflanzen eingetreten sein wird, welche bereits das Vermögen des Aufrollens erlangt hatten und dadurch Windeformen geworden waren.

Ich habe bereits zu erklären versucht, wie Pflanzen die Eigenschaft des Windens erlangt haben, nämlich durch eine Verstärkung einer Neigung zu unbedeutenden und unregelmäßigen aufrollenden Bewegungen, welche anfangs für sie von keinem Nutzen waren; diese Bewegung, ebenso die, welche als Folge einer Berührung oder Erschütterung auftritt, war das zufällige Resultat des Bewegungsvermögens, welches zu anderen und wohltätigen Zwecken erlangt worden war. Ob während der stufenweisen Entwicklung der kletternden Pflanzen die natürliche Zuchtwahl durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs unterstützt worden ist, will ich nicht zu entscheiden wagen; wir wissen aber, dass gewisse periodische Bewegungen, z.B. der sogenannte Schlaf der Pflanzen, durch Gewohnheit bestimmt werden.


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