Langlebigkeit
Ich will dies Kapitel der Betrachtung mehrerer verschiedenartigen Einwendungen widmen, welche gegen meine Anschauungsweise erhoben worden sind, da einige der früheren Erörterungen hierdurch vielleicht klarer werden; es wäre aber nutzlos, alle Einwände zu erörtern, da viele von Schriftstellern ausgegangen sind, welche sich nicht die Mühe genommen haben, den Gegenstand eingehend zu erfassen. So hat ein distinguierter deutscher Naturforscher behauptet, die schwächste Seite meiner Theorie sei die, dass ich alle organischen Wesen für unvollkommen halte. Ich habe aber wirklich nur gesagt, dass sie alle im Verhältnis zu den Bedingungen, unter welchen sie leben, nicht so vollkommen sind, wie sie sein könnten; und dass dies der Fall ist, beweisen die vielen eingeborenen Formen, welche ihre Stellen im Naturhaushalte in vielen Teilen der Erde sich naturalisierenden Eindringlingen abgetreten haben. Auch können organische Wesen, selbst wenn sie zu irgend einer Zeit ihren Lebensbedingungen vollkommen angepasst waren, nicht so bleiben, wenn ihre Bedingungen sich ändern, sie müssen sich dann selbst gleichfalls ändern. Niemand wird aber bestreiten, dass die physikalischen Verhältnisse eines jeden Landes ebenso wie die Zahlen und Arten seiner Bewohner viele Veränderungen erfahren haben.
Ein Kritiker hat vor Kurzem mit einer gewissen Schaustellung mathematischer Genauigkeit behauptet, dass Langlebigkeit ein großer Vorteil für alle Spezies sei, so dass der, welcher an natürliche Zuchtwahl glaubt, »seinen genealogischen Stammbaum in einer solchen Weise arrangieren muss«, dass alle Abkömmlinge längeres Leben haben als ihre Vorfahren! Kann es unser Kritiker nicht begreifen, dass eine zweijährige Pflanze oder eines der niederen Tiere sich in ein kaltes Klima hinein erstrecken und dort jeden Winter umkommen kann; und dass diese Formen trotzdem, in Folge der durch die natürliche Zuchtwahl erlangten Vorteile, von Jahr zu Jahr mittelst ihrer Samen oder Eier fortleben können? E. RAY LANKESTER hat kürzlich diesen Gegenstand erörtert und gelangt, soweit dessen außerordentliche Komplexität ihm ein Urteil zu bilden gestattet, zu dem Schlusse, dass Langlebigkeit im Allgemeinen zu dem Standpunkt jeder Spezies auf der Stufenleiter der Organisation ebenso wie zu der Größe des Aufwandes, welchen die Fortpflanzung und die allgemeine Lebenstätigkeit erheischt, in Verhältnis stehe. Wahrscheinlich sind diese Beziehungen in großem Maße durch die natürliche Zuchtwahl bestimmt worden.