Verschiedene Schnelligkeit ihrer Veränderung


Diese verschiedenen Tatsachen vertragen sich wohl mit meiner Theorie. Dieselbe nimmt kein festes Entwicklungsgesetz an, welches alle Bewohner einer Gegend veranlasste, sich plötzlich oder gleichzeitig oder gleichmäßig zu ändern. Der Abänderungsprozess muss ein langsamer sein und wird im Allgemeinen nur wenig Spezies zu einer und derselben Zeit ergreifen; denn die Veränderlichkeit jeder Art ist ganz unabhängig von der aller anderen Arten. Ob sich die natürliche Zuchtwahl solche Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten zu Nutzen macht, und ob die in größerem oder geringerem Maße gehäuften Abänderungen stärkere oder schwächere bleibende Modifikationen in den sich ändernden Arten veranlassen, dies hängt von vielen verwickelten Bedingungen ab: von der Nützlichkeit der Veränderungen, von der Möglichkeit der Kreuzung, vom langsamen Wechsel in der natürlichen Beschaffenheit der Gegend, von dem Einwandern neuer Kolonisten, und zumal von der Beschaffenheit der übrigen Organismen, welche mit den sich ändernden Arten in Konkurrenz kommen. Es ist daher keineswegs überraschend, wenn eine Art ihre Form viel länger unverändert bewahrt als andere, oder wenn sie, falls sie abändert, dies in geringerem Grade tut als diese. Wir finden ähnliche Beziehungen zwischen den Bewohnern verschiedener Länder, z.B. auf Madeira, wo die Landschnecken und Käfer in beträchtlichem Maße von ihren nächsten Verwandten in Europa verschieden geworden, während Vögel und Seemollusken die nämlichen geblieben sind. Man kann vielleicht die anscheinend raschere Veränderung in den Landbewohnern und den höher organisierten Formen gegenüber derjenigen der marinen und der tieferstehenden Arten aus den zusammengesetzteren Beziehungen der vollkommeneren Wesen zu ihren organischen und unorganischen Lebensbedingungen, wie sie in einem früheren Abschnitte auseinandergesetzt worden sind, herleiten. Wenn viele von den Bewohnern einer Gegend abgeändert und vervollkommnet worden sind, so begreift man aus dem Prinzip der Konkurrenz und aus den vielen so höchst wichtigen Beziehungen von Organismus zu Organismus in dem Kampfe ums Leben, dass eine jede Form, welche gar keine Änderung und Vervollkommnung erfährt, der Austilgung preisgegeben ist. Daraus ersehen wir denn, warum alle Arten einer Gegend zuletzt, wenn wir nämlich hinreichend lange Zeiträume betrachten, modifiziert werden; denn, wenn nicht, müssen sie zu Grunde gehen.

Bei Gliedern einer und derselben Klasse mag vielleicht der mittlere Betrag der Änderung während langer und gleicher Zeiträume nahezu gleich sein. Da jedoch die Anhäufung lange dauernder an Fossilresten reicher Formationen dadurch bedingt ist, dass große Sedimentmaßen während einer Senkungsperiode abgesetzt werden, so müssen sich unsere Formationen notwendig meist mit langen und unregelmäßigen Zwischenpausen gebildet haben; daher denn auch der Grad organischer Veränderung, welchen die in aufeinanderfolgenden Formationen abgelagerten organischen Reste darbieten, nicht gleich ist. Jede Formation bezeichnet nach dieser Anschauungsweise nicht einen neuen Akt der Schöpfung, sondern nur eine gelegentliche, beinahe aus Zufall herausgerissene Szene aus einem langsam vor sich gehenden Drama.


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