Beziehungen der Bewohner von Inseln zu denen des nächsten Festlandes


Die auffallendste und für uns wichtigste Tatsache hinsichtlich der Inselbewohner ist ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des nächsten Festlandes, ohne mit denselben von gleichen Arten zu sein. Davon ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. Der Galapagos-Archipel liegt 500-600 engl. Meilen von der Küste Süd-Amerikas entfernt unter dem Aequator. Hier trägt fast jedes Land- wie Wasserprodukt ein unverkennbar kontinental-amerikanisches Gepräge. Darunter befinden sich 26 Arten Landvögel, von welchen 21 oder vielleicht 23 für besondere Arten gehalten und gemeiniglich als hier geschaffen angesehen werden; und doch ist die nahe Verwandtschaft der meisten dieser Vögel mit amerikanischen Arten in jedem ihrer Charaktere, in Lebensweise, Betragen und Ton der Stimme offenbar. So ist es auch mit anderen Tieren und, wie Dr. HOOKER in seinem ausgezeichneten Werke über die Flora dieser Inselgruppe gezeigt, mit einem großen Teile der Pflanzen. Der Naturforscher, welcher die Bewohner dieser vulcanischen Inseln des Stillen Meeres betrachtet, fühlt, dass er auf amerikanischem Boden steht, obwohl er noch einige hundert Meilen von dem Festlande entfernt ist. Wie mag dies kommen? Woher sollten die, angeblich nur im Galapagos-Archipel und sonst nirgends erschaffenen Arten diesen so deutlichen Stempel der Verwandtschaft mit den in Amerika geschaffenen haben? Es findet sich nichts in den Lebensbedingungen, nichts in der geologischen Beschaffenheit, nichts in der Höhe oder dem Klima dieser Inseln noch in den Zahlenverhältnissen der verschiedenen hier zusammenwohnenden Klassen, was den Lebensbedingungen auf den südamerikanischen Küsten sehr ähnlich wäre; ja es ist sogar ein großer Unterschied in allen diesen Beziehungen vorhanden. Andererseits aber besteht eine große Ähnlichkeit zwischen der vulcanischen Natur des Bodens, dem Klima und der Größe und Höhe der Inseln der Galapagos einer- und der Capverdischen Gruppe andererseits. Aber welche unbedingte und gänzliche Verschiedenheit in ihren Bewohnern! Die der Inseln des grünen Vorgebirges sind mit denen Afrikas verwandt, wie die der Galapagos mit denen Amerikas .Derartige Tatsachen haben von der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der Arten keine Erklärung zu erwarten, während nach der hier aufgestellten Ansicht es offenbar ist, dass die Galapagos entweder durch gelegentliche Transportmittel oder (wenn ich auch nicht an diese Annahme glaube) in Folge eines früheren unmittelbaren Zusammenhangs mit Amerika von diesem Weltteile, wie die Capverdischen Inseln von Afrika aus, bevölkert worden sind, und dass, obwohl diese Kolonisten Modifikationen ausgesetzt gewesen sein werden, doch das Erblichkeitsprinzip ihre erste Geburtsstätte verrät.

Es ließen sich noch viele analoge Fälle anführen; denn es ist in der Tat eine fast allgemeine Regel, dass die endemischen Erzeugnisse von Inseln mit denen der nächsten Festländer oder der nächsten großen Insel in verwandtschaftlicher Beziehung stehen. Ausnahmen sind selten und die meisten leicht erklärbar. So sind die Pflanzen von Kerguelenland, obwohl dieses näher bei Afrika als bei Amerika liegt, nach Dr. HOOKER's Bericht sehr eng mit denen der amerikanischen Flora verwandt; doch erklärt sich diese Abweichung durch die Annahme, dass die genannte Insel hauptsächlich durch strandende, den vorherrschenden Seeströmungen folgende Eisberge, bevölkert worden sei, welche Steine und Erde voll Samen mit sich geführt haben. Neu-Seeland ist hinsichtlich seiner endemischen Pflanzen mit Neuholland als dem nächsten Kontinente näher als mit irgend einer andern Gegend verwandt, wie es auch zu erwarten war; es hat aber auch offenbare Verwandtschaft mit Süd-Amerika, welches, wenn auch das zweitnächste Festland, so ungeheuer entfernt ist, dass die Tatsache als eine Anomalie erscheint. Doch auch diese Schwierigkeit verschwindet größtenteils unter der Voraussetzung, dass Neu-Seeland, Süd-Amerika und andere südliche Länder vor langen Zeiten teilweise von einem entfernt gelegenen Mittelpunkte, nämlich von den antarktischen Inseln aus, bevölkert worden sind, als diese während einer wärmeren Tertiärzeit vor dem Anfange der letzten Glacialperiode mit Pflanzenwuchs bekleidet waren. Die, wenn auch nur schwache, aber nach Dr. HOOKER doch tatsächliche Verwandtschaft zwischen den Floren der südwestlichen Spitzen Australiens und des Caps der guten Hoffnung ist ein noch viel merkwürdigerer Fall; doch ist dieselbe auf die Pflanzen beschränkt und wird auch ihrerseits sich gewiss eines Tages noch aufklären lassen.

Dasselbe Gesetz, welches die Verwandtschaft zwischen den Bewohnern von Inseln und dem nächsten Festlande bestimmt hat, wiederholt sich zuweilen in kleinerem Maßstabe aber in sehr interessanter Weise innerhalb einer und der nämlichen Inselgruppe. So wird ganz wunderbarer Weise jede einzelne Insel des nur kleinen Galapagos-Archipels von vielen verschiedenen Arten bewohnt; aber diese Arten stehen in näherer Verwandtschaft zu einander, als zu den Bewohnern des amerikanischen Kontinents oder irgend eines andern Teiles der Welt. Und dies ist zu erwarten gewesen, da die Inseln so nahe beisammen liegen, dass alle zuverlässig ihre Einwanderer entweder aus gleicher Urquelle oder eine von der andern erhalten haben müssen. Aber wie kommt es, dass auf diesen verschiedenen Inseln, welche einander in Sicht liegen und die nämliche geologische Beschaffenheit, dieselbe Höhe und das gleiche Klima u.s.w. besitzen, so viele Einwanderer auf jeder in einer andern und doch nur wenig verschiedenen Weise modifiziert worden sind? Dies ist auch mir lange Zeit als eine große Schwierigkeit erschienen, was aber hauptsächlich von dem tief eingewurzelten Irrtum herrührt, die physikalischen Bedingungen einer Gegend als das Wichtigste für deren Bewohner zu betrachten, während doch nicht in Abrede gestellt werden kann, dass die Natur der übrigen Organismen, mit welchen ein jeder zu konkurrieren hat, wenigstens eben so hoch anzuschlagen und gewöhnlich eine noch wichtigere Bedingung ihres Gedeihens ist. Wenn wir nun diejenigen Bewohner der Galapagos betrachten, welche als nämliche Spezies auch in anderen Gegenden der Erde noch vorkommen, so finden wir, dass dieselben auf den einzelnen Inseln beträchtlich differieren. Diese Verschiedenheit hätte sich nun allerdings wohl erwarten lassen, wenn die Inseln durch gelegentliche Transportmittel bestockt worden wären, so dass z.B. der Same einer Pflanzenart zu einer und der einer andern zu einer andern Insel gelangt wäre, wenn auch alle von derselben allgemeinen Quelle ausgingen. Wenn daher in früherer Zeit ein Einwanderer sich zuerst auf einer der Inseln angesiedelt oder sich später von einer zu der andern verbreitet hat, so dürfte er zweifelsohne auf den verschiedenen Inseln verschiedenen Lebensbedingungen ausgesetzt gewesen sein; denn er hätte auf jeder Insel mit einem andern Kreise von Organismen zu konkurrieren gehabt. Eine Pflanze z.B. hätte den für sie am meisten geeigneten Boden auf der einen Insel schon vollständiger von anderen Pflanzen eingenommen gefunden als auf der andern und wäre den Angriffen etwas verschiedener Feinde ausgesetzt gewesen. Wenn sie nun abänderte, so wird die natürliche Zuchtwahl wahrscheinlich auf verschiedenen Inseln verschiedene Varietäten begünstigt haben. Einzelne Arten werden sich indes über die ganze Gruppe verbreitet und überall den nämlichen Charakter beibehalten haben, gerade so wie wir auch auf Festländern manche weit verbreitete Spezies überall unverändert bleiben sehen.

Doch die wahrhaft überraschende Tatsache auf den Galapagos, wie in minderem Grade in einigen anderen Fällen, besteht darin, dass sich die neugebildeten Arten nicht schnell über die ganze Inselgruppe ausgebreitet haben. Aber die einzelnen Inseln, wenn auch in Sicht von einander gelegen, sind durch tiefe Meeresarme, meistens breiter als der britische Canal, von einander geschieden, und es liegt kein Grund zur Annahme vor, dass sie früher unmittelbar miteinander vereinigt gewesen wären. Die Seeströmungen sind heftig und gehen quer durch den Archipel hindurch, und heftige Windstösse sind außerordentlich selten, so dass die Inseln tatsächlich viel wirksamer von einander geschieden sind, als dies auf der Karte erscheinen mag. Demungeachtet sind doch einige der Arten, sowohl anderwärts vorkommende wie dem Archipel eigentümlich angehörende, mehreren Inseln gemeinsam, und die gegenwärtige Art ihrer Verbreitung führt zur Vermutung, dass diese sich wahrscheinlich von einer der Inseln aus zu den andern verbreitet haben. Aber wir bilden uns, wie ich glaube, oft eine irrige Meinung über die Wahrscheinlichkeit, dass von nahe verwandten Arten bei freiem Verkehre die eine ins Gebiet der andern vordringen werde. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass, wenn eine Art irgend einen Vorteil über eine andere hat, sie dieselbe in kurzer Zeit mehr oder weniger verdrängen wird; wenn aber beide gleich gut für ihre Stellen in der Natur angepasst sind, so werden sie wahrscheinlich beide ihre eigenen Plätze behaupten und für alle Zeiten behalten. Da es eine uns geläufige Tatsache ist, dass viele von Menschen naturalisierte Arten sich mit erstaunlicher Schnelligkeit über weite Gebiete verbreitet haben, so sind wir zu glauben geneigt, dass die meisten Arten es ebenso machen würden; aber wir müssen bedenken, dass die in neuen Gegenden naturalisierten Formen gewöhnlich keine nahen Verwandten der Ureinwohner, sondern sehr verschiedene Formen sind, welche nach ALPH. DE CANDOLLE verhältnismäßig sehr oft auch besonderen Gattungen angehören. Auf dem Galapagos-Archipel sind sogar viele Vögel, welche ganz wohl im Stande wären von Insel zu Insel zu fliegen, von einander verschieden, wie z.B. drei einander nahe stehende Arten von Spottdrosseln jede auf eine besondere Insel beschränkt sind. Nehmen wir nun an, die Spottdrossel von Chatham-Island werde durch einen Sturm nach Charles-Island verschlagen, das schon seine eigene Spottdrossel hat, wie sollte sie dazu gelangen sich hier festzusetzen? Wir dürfen mit Gewissheit annehmen, dass Charles-Island mit ihrer eigenen Art wohl besetzt ist, denn jährlich werden mehr Eier dort gelegt und junge Vögel ausgebrütet, als fortkommen können; und wir dürfen ferner annehmen, dass die Art von Charles-Island für diese ihre Heimat wenigstens ebenso gut geeignet ist wie die der Chatham-Inseln eigentümliche Art. Sir CH. LYELL und WOLLASTON haben mir eine merkwürdige zur Erläuterung dieser Verhältnisse dienende Tatsache mitgeteilt, dass nämlich Madeira und das dicht dabei gelegene Porto-Santo viele besondere, aber einander vertretende Landschnecken besitzen, von welchen einige in Felsspalten leben; und obwohl große Steinmaßen jährlich von Porto-Santo nach Madeira gebracht werden, so ist doch diese letzte Insel noch nicht mit den Arten von Porto-Santo bevölkert worden; trotzdem haben sich auf beiden Inseln europäische Arten angesiedelt, weil sie zweifelsohne irgend einen Vorteil vor den eingeborenen voraus hatten. Nach diesen Betrachtungen werden wir uns nicht mehr sehr darüber wundern dürfen, dass die endemischen und die stellvertretenden Arten, welche die verschiedenen Inseln des Galapagos-Archipels bewohnen, sich noch nicht allgemein von Insel zu Insel verbreitet haben. In den verschiedenen Bezirken eines Kontinentes hat wahrscheinlich die frühere Besitzergreifung durch eine Art wesentlich dazu beigetragen, die Vermischung von Arten, welche Bezirke mit nahezu gleichen Lebensbedingungen bewohnen, zu hindern. So haben die süd-östliche und südwestliche Ecke Australiens eine nahezu gleiche physikalische Beschaffenheit und sind durch zusammenhängendes Land mit einander verbunden, werden aber gleichwohl von einer ungeheuren Anzahl verschiedener Säugetier-, Vögel- und Pflanzenarten bewohnt; ebenso verhält es sich nach BATES mit den Schmetterlingen und anderen Tieren, welche das große offene und zusammenhängende Tal des Amazonenstromes bewohnen.


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