Ajax und Ulysses
Also beschloß der Erzeugte des Telamon; und dem Beschlusse
Folgt' ein Gemurmel des Volks: bis der edele Sohn des Laertes
Jetzt aufstand und die Augen, die kurz am Boden verweilet,
Gegen die Fürsten erhob und den Mund mit erwarteten Tönen
Öffnete. Nicht war entfernt der geordneten Rede die Anmut.
Wenn mein Wunsch mit dem euren geglückt uns wäre, Pelasger,
Oh, nicht schwankte die Wahl im erhabenen Streit um den Erben:
Du wärst eigener Waffen, wir selbst dein mächtig, Achilles!
Jetzo da mir und euch ein, ach! zu hartes Geschick ihn
Weigerte (und mit der Hand enttrocknet' er gleichsam dem Auge
Tränen); o wer wohl folgte mit Fug dem großen Achilles,
Als durch den Achilles dem Danaerheere gefolgt ist?
Fromme nur diesem es nicht, daß er stumpf, wie er ist, sich bekennet.
Und nicht schad' es mir selbst, daß euch beständig, Achäer,
Nütze des Geistes Betrieb; und wenn mir Fähigkeit beiwohnt,
Die für den Eigener jetzt, für euch so häufig geredet,
Sei sie vom Neide verschont; und niemand leugne sein Gutes.
Denn das Geschlecht und die Ahnen und was nicht selber wir schufen,
Nenn' ich das Unsrige kaum. Doch weil sich Ajax gerühmet,
Jupiters Enkel zu sein; auch unserem Blut ist der Ursprung
Jupiter; uns auch trennen nur drei der Stufen von jenem.
Denn mich hat Laertes erzeugt, Arcesius diesen,
Jupiter den; und keiner entfloh aus dem Lande verurteilt.
Auch der cyllenische Gott ward uns als anderer Adel
Zugesellt von der Mutter: ein Gott ist in beiden Erzeugern.
Doch nicht, weil mein Muttergeschlecht preiswürdiger anhub,
Noch weil rein sich erhielt von Bruderblute der Vater,
Sei'n mir die Waffen verliehn; nach Verdienst urteilet die Sache!
Wenn nur nicht, daß Bruder dem Telamon Peleus gewesen,
Dies zum Verdienst dem Ajax gereicht; nicht Folge der Sippschaft,
Nein, der Tugenden Glanz, bei dem Kriegsgeschmeide gesucht wird!
Oder so engeres Band hier gilt und der nähere Erbe:
Peleus ist ihm Erzeuger; ihm ist der Erzeugete Pyrrhus.
Ajax, wo der? Gen Phthia versendet es, oder gen Scyros,
Auch nicht weniger nah ist Teucer verwandt dem Achilles.
Fordert sie jener indes? und fordert' er, nähm' er die Waffen?
Also, dieweil um Taten allein stattfindet der Wettstreit,
Mehr zwar hab' ich geschafft, als was in Worten zu fassen
Mir so leicht sich ergibt: doch soll Zeitfolge mich leiten.
Ahnend den künftigen Tod verbarg die nereïsche Mutter
Unter Verkleidung den Sohn; und es täuschte die Suchenden alle,
Auch den Ajax zugleich, der Betrug des genommenen Anzugs.
Rüstungen mischt' ich nunmehr, das männliche Herz zu erregen,
Unter die weibliche War'; und noch entriß sich der Held nicht
Sein jungfräulich Gewand, als Schild und Lanz' er umfaßte:
Sohn der Göttin, begann ich, von dir erwartet sein Schicksal
Pergamus! was denn weilst du den Fall der erhabenen Troja?
Und ich ergriff und sandte zu tapferen Taten den Tapfern.
Drum, was jener getan, ist mein. Ich zwang mit der Lanze
Telephus, der uns bekämpft: den Besiegten und Flehenden heilt' ich.
Auch daß Thebe gesunken, ist mein; mir öffnete Lesbos,
Mir Apollos Städte, mit Tenedos, Chryse und Cylla,
Mir auch Scyros das Tor; mein war die erschütternde Rechte,
Die in Trümmer und Schutt hinwarf die lyrnesischen Mauern.
Und daß ich andere schweig'; ich gab ihn, welcher den grausen
Hektor schlug; es erlag durch mich der gefeierte Hektor.
Für die Wehr, die entdeckt den Achilles, fordr' ich die Wehr nun;
Was ich dem Lebenden gab, verlang' ich wieder vom Toten.
Als des einzelnen Schmerz die Danaer alle durchdrungen,
Und die euböische Aulis von tausend Schiffen erfüllt war,
Blieb, wie lang auch erwartet, der Wind still, oder entgegen
Unserer Flott'; und es hießen die schrecklichen Los' Agamemnon
Schlachten der grausen Diana die ganz unschuldige Tochter.
Väterlich weigert er das, und zürnt den Unsterblichen selber;
Denn noch war der Vater im Könige: aber dem Vater
Wandt' ich durch Worte das Herz zum gemeinsamen Heile des Volkes.
Dort (ich will es gestehn, und Verzeihung gewähr' Agamemnon)
Trug ich die schwierigste Sache vor einem unbefangenen Richter.
Dennoch bewegt' auch diesen das Beste des Volks, und der Bruder,
Und der verliehene Zepter, sich Lob zu erkaufen mit Blute.
Jetzo ging ich zur Mutter gesandt, wo nicht die Ermahnung,
Sondern die Täuschung nur half. Gebt Telamons Sohne den Auftrag,
Und euch harren noch jetzt auf günstige Winde die Segel.
Auch die ilischen Höhen besucht' ich kühner Gesandter;
Und ich sah und betrat den Kreis totschlagender Troer.
Voll noch war er von Helden gedrängt. Unerschrocken erklär' ich,
Was mir vertraut zu bestellen die Macht der gesamten Achäer:
Paris zeih' ich der Schuld, und den Raub samt Helena fordr' ich.
Priamus hört mich bewegt und Priamus' Freund Antenor.
Paris indes und die Brüder und die mit jenem geraubet,
Hemmeten kaum die Arme (du weißt, Menelaus!) vom Frevel.
Jener Tag war der erste Vereiniger unsrer Gefahren.
Säumnis wär's, zu erzählen, was ich zur gemeinsamen Wohlfahrt
Schaffte mit Rat und mit Hand, in der Zeit des dauernden Krieges.
Nach den ersten Gefechten verschlossen sich lange die Feinde
Inner den Mauern der Stadt, und offenen Kampfes Entscheidung
Bot sich nie; in dem zehnten der Jahr' erst schlugen wir Feldschlacht.
Was begannst du indes, der du nichts als Treffen verstehest?
Was kam Gutes von dir? Denn wofern mein Tun du erforschest:
Listen bereit' ich dem Feind, mit Verschanzungen gürt' ich die Graben;
Trost und Ermunterung red' ich den Unsrigen, daß sie geduldig
Tragen den lästigen Krieg; ich lehre sie, wie zu ernähren,
Wie zu bewaffnen wir sein; wo es Not ist, geh' ich gesendet.
Sieh, nach Jupiters Rate getäuscht von dem Bilde des Traumes,
Heißt der Atrid' abwerfen die Last des begonnenen Krieges.
Jener kann das Geheiß verteidigen durch den Ermahner.
Dulde das Ajax doch nicht! die Zertrümmerung Ilions heisch' er!
Und was er kann, er kämpfe! Warum nicht hemmt er die Abfahrt?
Schleunig die Waffen gefaßt! Ein Beispiel gibt er dem Schwarme!
Nicht war's jenem zu viel, der stets nur Großes uns vorsagt!
Was? auch du selber entfliehst? Ich sah, und mir glühte das Antlitz,
Als du, den Rücken gewandt, unrühmliche Segel beschicktest!
Ohne Verzug: Was macht ihr? wie blendet euch, rief ich, der Wahnsinn,
Daß ihr, Genossen, verlaßt die bereits hinfallende Troja?
Was nun bringt ihr zu Haus im zehnten Jahre, denn Schande?
So und mit ähnlichen Worten, die selber der Schmerz mir in Fülle
Eingab, zog ich den Schwarm von der Flotte zurück und dem Heimweh.
Jetzo beruft der Atride den Rat der erschrockenen Freunde.
Was nun Telamons Sohn? Nicht einmal die Lippe zu öffnen
Waget er. Aber es wagte der Könige Namen zu lästern,
Nicht unbelohnet von mir, der unehrbare Thersites.
Ich steh' auf und ermahne die zitternden Landesgenossen
Gegen den Feind und belebe die scheidende Tugend durch Aufruf
Seit dem Tage, wieviel er getan zu haben des Tapfern
Scheinen auch kann, ist mein: ich zwang zum Stehen den Flüchtling.
Endlich im Danaervolk wer lobt dich, oder wer sucht dich?
Aber mit mir teilt gerne des Tydeus Sohn, was er vornimmt;
Mich fand jener bewährt, und vertraut dem Genossen Ulysses.
Etwas ist es, zu sein von der Danaer Tausenden einer,
Den Diomedes erkor. Auch gebot kein Los mir, zu gehen.
Also nun, die Gefahren der Nacht und des Feindes verachtend,
Hab' ich ihn, der ein Gleiches gewagt, den Phrygier Dolon,
Niedergehaun; nicht eher indes, bis alles er angab,
Und ich völlig vernahm den Entwurf der tückischen Troja.
Ganz durchschaut' ich ihn jetzo; und nichts zu erkunden war übrig;
Heimgehn konnt' ich bereits mit vorausgesendetem Ruhme.
Unvergnügt mit solchem, besuch' ich die Zelte des Rhesus;
Selbst im eigenen Lager ermord' ich ihn, samt den Begleitern.
Siegreich dann und der Wünsche gewährt, auf erobertem Wagen,
Halt' ich den Festeinzug, wie in fröhlicher Pracht des Triumphes,
Dessen Gespann zum Lohne der Feind für die Nacht sich gefordert,
Schlagt des Waffen mir ab; und es sei der Verdientere Ajax!
Was noch meld' ich die Scharen des Lycierfürsten Sarpedon,
Die mein Eisen zerschlug? da in strömendes Blut ich dahinwarf
Köranos, Iphitos' Sohn, und Chromios, samt dem Alastor,
Halios auch und Alkandros und Prytanis; auch den Noëmon;
Da ich den dunkelen Tod dem Chersidamas bracht' und dem Thoon,
Euch Unglücklichen auch, dir, Ennomos, dir auch, o Charops;
Und wer minder genannt in den Staub vor Ilions Mauern
Unter der Hand mir sank. Auch rühmliche Wunden, o Bürger,
Hab' ich an rühmlichem Ort; und glaubt nicht eitelen Worten;
Schauet sie selbst! - Und er zieht das Gewand herunter, und: Hier ist,
Ruft er, die Brust, die immer für euer Wohl sich beschäftigt!
Nichts von dem eigenen Blute, durch so viel Jahre, verwandte
Telamons Sohn für die Freund'; er trägt unverwundete Glieder.
Aber was macht's, wenn er Waffen zum Schutz der pelasgischen Flotte
Gegen die Troer und Zeus geführt zu haben behauptet,
Und, ich bekenn' es, geführt? Denn nicht das Gute mit Scheelsucht
Abzuleugnen ist mein. Nur nehm' er gemeinsames Gut nicht
Ganz allein; auch gönn' er zum wenigsten Teil an der Ehre!
Aktors Enkel vertrieb, durch den Schein des Achilles gesichert,
Trojas Macht von den Schiffen, die samt dem Verteidiger brannten.
Auch daß allein er gewagt, mit Hektors Kraft sich zu messen,
Wähnt er und denkt des Königes nicht, noch der Fürsten und meiner;
Er selbneunt' im Erbot, nur mehr vom Lose begünstigt!
Aber indes der Erfolg, o Tapferster, eueres Kampfes,
Welcher war's? Weg ging er, der unbeschädigte Hektor.
O mein Herz! mit wie tiefer Bekümmernis muß ich gedenken
Jenes traurigen Tags, da der Danaer Mauer Achilles
Hinsank! Aber nicht Tränen, nicht Gram, nicht betäubender Schrecken
Hinderten, daß ich den Leib von der Erd' aufhebend hinwegtrug!
Seht die Schultern, o seht! sie trugen den Leib des Achilles,
Trugen die Waffen zugleich, die ich nun zu tragen mich sehne!
Ja, mir sind hinreichend für solcherlei Lasten die Kräfte;
Ja, mir schläget ein Herz, nicht fühllos euerer Ehren!
Darum hätte fürwahr um den Sohn die bläuliche Mutter
Gang und Bitte verwandt, daß die himmlischen Gaben, das edle
Kunstgebild, ein roher und unempfindlicher Krieger
Führete! Denn nicht einmal des Schilds Abbildungen kennt er:
Land' und Ozeanus rings, und hochgestirneten Himmel,
Dort Plejad' und Hyad', und niemals badende Bärin,
Vielfach laufende Kreis', und das blinkende Schwert des Orion,
Hinzunehmen verlangt er ihm selbst unerklärbare Rüstung!
Was nun? er schuldiget mich, daß, greuliche Kriegsgeschäfte
Meidend, zu spät ich gekommen zur angefangenen Arbeit?
Fühlet er nicht, wie er schmähe den hochgesinnten Achilles?
Wenn Verstellung ein Frevel ihm heißt; wie verstellten uns beide.
Wenn er Verzug Schuld nennet; ich kam noch früher denn jener.
Mich verspätete Liebe des Weibs, ihn Liebe der Mutter.
Jenen war der Beginn nur geheiliget, alle die Folg' euch!
Furchtlos bleib' ich, und kann ich auch nicht abwälzen den Vorwurf,
Der mit solchem Manne mich trifft. Doch entdeckt von Ulysses'
Sinnendem Geist ward jener; und nicht von des Ajax Ulysses.
Daß er mich mit Geschwätz der törichten Zunge besudelt,
Keinen verwundere das: da er euch schamwürdige Handlung
Vorwirft. War denn vielleicht, Palamedes falsch zu verklagen,
Schändlich an mir, und an euch, ihn falsch zu verdammen, so rühmlich?
Doch nicht Nauplius' Sohn rechtfertigte glücklich sein großes,
Und so klares Vergehn; noch, wes er beschuldiget auftrat,
Hörtet ihr, sondern ihr saht: die Belohnungen zeigten den Vorwurf
Nicht, daß den Pöantiden verweilt die vulkanische Lemnos,
Brauch' ich Rede zu stehn; rechtfertiget eure Verfügung,
Denn ihr beschloßt einmütig. Den Rat zwar leugn' ich mitnichten,
Daß sich jener entzöge des Kriegs und des Weges Beschwerden,
Und dem zerreißenden Schmerze durch Ausruhn Linderung suchte.
Mir gehorcht' er, und lebt. Es erschien nicht allein in dem Vorschlag
Freundschaft, sondern auch Glück; da genug war redliche Freundschaft.
Weil ihn anjetzt Wahrsager zu Trojas Eroberung fordern;
Spart mir lieber den Gang; gebt Telamons Sohne den Auftrag,
Daß er mit Worten den Mann, den Zorn erbittert und Krankheit,
Sänftige, oder mit Kunst ihn daherzulocken ersinne.
Eher wird rückwärts fluten der Simois, eher der Ida
Laublos stehn, und Hilfe der Danaer leisten dem Troer;
Ehe, sobald ich raste für euch zu denken auf Wohlfahrt,
Je des törichten Ajax Betriebsamkeit fromme den Grajern!
Sei, wie du willst, den Genossen, dem Könige feind, und mir selber,
Grausamer Pöantide; verfluche du auch, und verwünsche
Stets und immer mein Haupt; ja sehne dich, daß mich der Zufall
Dir dem Ereiferten geb', und das Blut aus dem Herzen du schöpfest;
Möge, wie du in meiner, so ich in deiner Gewalt sein:
Dennoch sollst du daran!