Was sich am Ende der Zeit begab
Als man dem Wiener zeigte, dass die Uhr abgelaufen sei, nahm er sie in den Mund. Nachdem dieses geschehen war, erfolgte die feierliche Eröffnung eines Kaffeehauses, woselbst viel Glorie geboten ward und ein Programmzettel verteilt wurde, auf dem das Folgende stand:
»Warschauer Einzug 1915«. |
Patriotisches Marsch-Tongemälde von Willy Kleinberg |
Erläuterung und Text zum Trio: |
Unsere und die mit uns treu verbündeten Helden-Truppen des Deutschen Reiches erstürmen unter dem Donner der Geschütze, Hurrah rufend, Warschau und ziehen mit klingendem Spiel von verschiedenen Seiten ein.
Unter Führung ihrer siegreichen Feldherren singen sie beim Einmärsche folgendes selbst verfaßtes Marschlied:
Mit Gott ist es gelungen,
Warschau ist vom Feind befreit,
Die Russen sind bezwungen:
Polen frei für alle Zeit!
Des Deutschen Reiches Heere
Haben sich mit unsrer Macht vereint!
Die Bundestreu' zur Lehre
Diene warnend jedem Feind!
Die vom Russenjoche erlöste Bevölkerung jubelt den Einziehenden stürmisch entgegen, wobei verschiedene patriotische Weisen und die Volkshymnen der verbündeten Sieger erklingen.
»Krantz-Marsch«. |
Mit unterlegtem Text von |
Willy Kleinberg |
Zur Verfolgung des Textes nach der Musik wird der Beginn derselben durch Gesang von der Kapelle angegeben.
Hochgeehrte Fremde und auch Wiener hier herin!
Mit Herrn Krantz als Hausherrn wir Sie herzlichst begrüßen,
Hier im Cafe Krantz, der Zierde unsres schönen Wien,
Soll Gemütlichkeit die Gäste immer umschließen!
Diese Pracht zu schaffen haben eifrig sich bestrebt:
Herr Zelesny mit Herrn Matuschek und Herr Seifert,
Von Gemütlichkeit und Freude sei der Kranz gewebt,
Alle haben mit vereinter Kraft gewetteifert.
| Und auch die Baßgeig′ Begrüßet so minnig, Mit uns so innig, Alle die lieben Gast′! Doch auch die Pauke Pochet vom Herzen, Weg alle Schmerzen, So — recht — fest! | | Dann erst die Fiedel Ei wie die singet, Lieblich sie klinget, Spielend zum Tanz; Unter dem Kleinberg, Wenn auch symphonisch, Immer harmonisch, Klingt es »Hoch« im Krantz! |
Hochgeehrte Fremde und auch Wiener hier herin! Es war immer unser Privileg vor den andern Nationen, nicht zu wissen, was wir mit dem angebrochenen Abend anfangen sollen, und es dann doch zu wissen. Nun ist aber der Abend schon so sehr angebrochen, dass wir's vielleicht bald doch nicht wissen werden. Selbst der Wienerin, bei der es bekanntlich im Blute liegt und wallt drin jederzeit, wird bereits so zumute, dass man es nicht mehr »wurlet«, sondern geradezu »entrisch« nennen könnte. Fast fühlte man sich versucht, sie zu fragen, ob sie zu Nacht gebetet habe Desdemona. Mit dem Fremdenverkehr wird's ja doch nichts mehr. Wir sollten uns — wir Wiener hier herin, viel sind's ja auch nicht mehr — auf solche Experimente nicht einlassen. Wenn Hamlet meint, sie spaßten nur, mordeten nur im Spaße, so haben wir ja gewiß das Zeug, noch im Mord zu spaßen. Wie jener alte Artist bei Offenbach, der das Feuerfressen nicht aufgeben kann und der nachts in die Küche schleicht, so lugen wir auf Leichenfeldern manchmal nach einem Fremdenverkehr aus und können es uns nicht versagen, die endlich herankommenden Hyänen zu würzen. Aber wir sollten das Gebärdenspiel eines versunkenen Optimismus, diese animierten Totentänze endlich aufgeben. Weder die Baßgeig', die so minnig die lieben Gast' begrüßet, noch der Grüßer in persona werden — Hand auf die Herzen — imstande sein, alle Schmerzen so — recht — fest wegzupochen. Ich würde uns etwas von einer Tugend empfehlen, von der ich geglaubt hätte, dass wir sie uns für die schlechten Zeiten aufgespart haben, weil wir sie in den guten nie verausgabt hatten: Würde. Endlichen Verzicht auf die Lebensansicht, die durch einen unterseebootgefährdeten Ozean immer noch ein Narrenschiff des Männergesangvereins hindurchfretten möchte! Ich habe es gut gemeint. Ich achte das Streben Matuscheks. Kleinberg, ich weiß, wenn auch symphonisch, bleibt immer in Einklang mit den Idealen. Ich habe viele gekränkt. Ich verzeihe allen. Ich denke einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Jahre Qual war groß. Sorgt, dass solange der Radetzkys tönt, sie nicht durch einen Krantz-Marsch mich erwecken.
April, 1917.