b) Konsonanten: Lautverschiebung, Assimilation


Die wichtigsten Veränderungen der Konsonanten sind die Lautverschiebung und die Assimilation oder Angleichung. Mit dem Namen Lautverschiebung bezeichnete J. Grimm eine bestimmte gesetzmäßige Veränderung, welche die Verschluß- oder Explosivlaute (das sind die Laute b, d, g, p, t, k) in den germanischen Sprachen im Laufe der Zeit erfahren haben. Im Germanischen hat sich diese Lautverschiebung zweimal vollzogen. An der ersten Lautverschiebung nahmen alle germanischen Sprachen und Dialekte (z. B. das Gotische, Nordische, Friesische, Angelsächsische, Sächsische, Niederfränkische) teil, die zweite betraf nur das Hochdeutsche. Es sind also drei Stufen der Lautverschiebung zu unterscheiden:

1. der ursprüngliche Lautstand, den mit Ausnahme des Germanischen alle indogermanischen Sprachen zeigen und den wir namentlich am Griechischen und Lateinischen beobachten können;

2. die erste Verschiebung, an der alle germanischen Sprachen teilgenommen haben und die wir bequem am Gotischen, Niederdeutschen und Englischen sehen können;

3. die zweite Verschiebung, die sich nur im Hochdeutschen vollzogen hat.

Die Verschiebung ging in folgender Weise vor sich: 1. Indogermanische (griechisch-lateinische) Media (b, d, g) geht im Gotischen (Nordischen, Niederdeutschen, Englischen) in die Tenuis (p, t, k), im Hochdeutschen in die Spirans (d. i. in den Reibelaut ff, f, ss, s, ch) oder in die Affricata (d. i. Explosiva + Spirans, z. B. pf, z) über. 2. Indogermanische Tenuis (p, t, k) geht im Gotischen in den Reibelaut über (f, th, h), der dann nicht weiter verschoben werden kann und also auch im Hochdeutschen bleibt. Der Übergang von th zu d (z. B. got. brôthar, althochd. bruodar), der häufig fälschlicherweise der hochdeutschen Lautverschiebung zugerechnet wird hat erst lange nach dieser zweiten Lautverschiebung stattgefunden, und zwar nicht nur im Hochdeutschen, sondern auch im Niederdeutschen; er gehört daher dem hoch- und niederdeutschen Gesamtgebiet an und hat mit der hochdeutschen Lautverschiebung nichts zu tun. 3. Indogermanische Aspirata (d. i. Verschlußlaut, an den ein Hauchlaut antritt: bh, dh, gh, lat. erscheinen diese Laute als f, f, h, griechisch als ph, th, ch) wird im Gotischen zur Media b, d, g, von denen im Hochdeutschen b und g gewöhnlich bleiben, während d meist zu t übergeht (z. B. got. dags, neuhochd. Tag).

Beispiele:


1.Media.Tenuis.Fricativa (auch Spirant gen.) oder Affricata.
 griech.lat.got.ahd.nhd.
 duoduotvai (engl. two)zwênê, zwô,zwei, zwei
  labiumschwed. läppfsLefze
 gonygenukniuchniuKnie
2.Tenuis.Fricativa.Fricativa.
 treistresthreis (engl. three)erst später ddrei
 patêrpaterfaderfatarVater
 kyôncanis (?)hundshuntHund
3.Aspirata.Media.Tenuis.
 thygatêrdauhtar (engl. daughter)tohterTochter

Wenn altniederdeutsches opan, wapen, scâp, timbar, holt, watar, that, wat, saka, ik im Hochdeutschen als offen, Waffe, Schaf, Zimmer, Holz, Wasser, das, was, Sache, ich usw. erscheinen, so kann man aus solchen Beispielen bequem den Unterschied des niederdeutschen und hochdeutschen Lautstandes erkennen, wie er durch die hochdeutsche Lautverschiebung herbeigeführt worden ist. Nach dem Vernerschen Gesetz konnten indogermanisches p, t, k nach unbetonter Silbe in b, d, g und s zu z (später r) übergehen. Darauf beruht z. B. der grammatische Wechsel von d und t in den Präteritalformen der Verben: leiden (litt, gelitten), schneiden (schnitt, geschnitten), sieden (sott, gesotten); von s und r, z. B. kiese (kor, gekoren), mhd. vriuse, ich friere, vrôs, vrurn, gevrorn, sowie: verliuse, ich verliere, verlôs, verlurn, verlorn; ferner: wësen, sein, wâren, gewësen, jetzt noch: frieren, Frost; verlieren, Verlust; von h und g, z. B. ziehe, zog, gezogen, Adjektiv: gediegen zu gedeihen. Auch außerhalb des Grimmschen Gesetzes finden sich Fälle von Lautverschiebung, z. B. der Wechsel von r und l, z.B. Pilger, Pilgrim (aus lat. peregrinus); die Schwächung des m zu n im Auslaut der Endungen, z. B. Faden (mhd. vadem), Besen (mhd. bëseme), Boden (mhd. bodem), Busen (mhd. buosem), den Worten (ahd. wortum) usw.; sowie in der Stammsilbe in den Wörtern: Kunft, z. B. Ankunft, Zukunft, von kommen, Zunft, von ziemen, Vernunft, von vernehmen, Brunft (der Hirsche) von brummen u. a.; der Übergang von s in sch: anlautendes sp, sw, st, sl, sm, sn ging schon im Mittelhochdeutschen allmählich in schp, schw, scht, schl, schm, schn über, im 14. Jahrh. ist dieser Übergang, in der Aussprache wenigstens, schon vollzogen u. a. Auslautverschiebung zeigen auch die Wörter: Knabe, Knappe; Rabe, Rappe; schneiden, schnitzen; neigen, nicken; biegen, bücken; ziehen, zucken, zücken u. a.

Die Assimilation oder Angleichung besteht darin, daß einer von zwei Konsonanten, die sich unmittelbar folgen, dem andern entweder völlig gleich oder wenigstens ähnlich gemacht wird, z. B. nennen (aus namnjan, nemnen), Hoffart (aus hôchvart), Zimmer (mhd. zimber); Amboß (aus anebôz, anbôz), empor (mhd. enbor), empfinden (aus enpfinden, ahd. intfindan) u. a.


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