Form (eidos, morphê forma) und Stoff (s. d.) sind Korrelata, Reflexionsbegriffe (s. d.). Die Form eines Objekts ist allgemein das »Wie« desselben im Unterschiede vom »Was«, vom Inhalte. »Form« heißt jede (äußere oder innere, materielle oder geistige) Ordnungseinheit in einer Mannigfaltigkeit von Bestandteilen einer Sache, eines Geschehens, eines Gedankens, eines Kunstwerkes. Die Art und Weise des Zusammenhanges, der Verknüpfung von Teilen in einem Ganzen bildet die Form eines Objekts. Die Form gilt jetzt als etwas Passives, als bloßes Produkt oder höchstens als Vorbild, früher (besonders im Mittelalter) hatte der Formbegriff einen höheren Wert, die Form war etwas Aktives, Gestaltendes, Innerliches, Substantielles, Dynamisches. DEMOKRIT nennt die Atome (s. d.) »Formen« ideai PLATO die Ideen (s. d.) als Musterbilder der Dinge. ARISTOTELES prägt den Formbegriff neu. Die Form eidos, morphê ist eines der Prinzipien (s. d.), d.h. ein Seinsfaktor, und zwar das Allgemeine, Typische, das Wesen to ti ên einai s. d.), der Begriff logos, De an. I, 1), die erste Wesenheit von allem (Met. VII 7, 1032 b). Die Form ist das, was dem Dinge seine Eigentümlichkeit verleiht, was den Stoff (s. d.) zum tode ti (konkreten Etwas), die dynamis (Potenz) zur energeia (Wirklichkeit) gestaltet (l.c. VII, 7). Sie ist das begriffliche Sein der Dinge hê kata ton logon ousia Met. VII 10, 1035 b 15), die Entelechie (s. d.), die aktuelle Verwirklichung (De an. II 1, 412a 10). Sie ist den Dingen immanent (Met. VII 8, 1033 b 6). Die Formen sind ewig, unvergänglich, nur synodos von Form und Stoff entsteht und vergeht (Met. VII 8,1033b 16 squ.). Der Stoff, in seiner Abstraktheit genommen, ist das Formlose, in Wirklichkeit gibt es nur Geformtes, und jedes Geformte ist Stoff im Verhältnis zu einer höheren Form; die höchste, reine (stofflose) Form ist Gott (s. d.). Die Seele (s. d.) ist eine Form, Denken und Wahrnehmen sind Formen (De an. III 7, 432 a 2). Beim Erkennen (s. d.) wird der Geist von den Objekten geformt, d.h. zur Produktion einer geistigen Form veranlaßt. Bei den Stoikern wird die »Form« zum »Tätigen« poioun das mit aller Materie zur Einheit verbunden ist (Diog. L. VII, 134). Als innere, gestaltende Kraft faßt die Form PLOTIN auf (Enn. II, 6). Von enyla eidê spricht JAMBLICH. BOËTHIUS bemerkt: »A formis, quae sunt sine materia, veniunt formae, quae sunt in materia« (De trin. l). Die Dinge bestehen »ex materia et forma« (Porph. Isag. p. 37).
Bei AUGUSTINUS kommt »forma« im Sinne von »species« (s. d.) vor (De trin. XI, 12, 4; so schon bei CICERO). JOH. SCOTUS ERIUGENA nennt die Ideen (s. d.) »species vel formae« (Div. nat. II, 2). »Forma substantialis« ist jene Form, »cuius participatione omnis individua species formatur et est una in omnibus et omnis in una« (l.c. III, 27). Bei den Scholastikern ist »forma« das Prinzip, das den Dingen ihre Eigentümlichkeit verleiht, das Wesenhafte, die Wirklichkeit, Aktualität, das Ziel der Dinge. Nach GILBERTUS PORRETANUS ist die Form »essentia simplex immutabilis«. »Forma prima« ist Gottes Wesenheit, »formae secundae« sind die Ideen (vgl. HAURÉAU I, p. 459 u. PRANTL, G. d. Log. II, 217). Nach AVERROËS ist die Form »actus et quidditas rei« (Ep. met. 2, p. 58). ALBERTUS MAGNUS unterscheidet drei Gattungen von Formen: »Unum (sc. genus) quidem ante rem existens, quod est causa formativa..., aliud autem est ipsam genus formarum, quae fluctuant in materia... Tertium autem est genus formarum, quod abstrahente intellectu separatur a rebus« (De nat. et orig. an. I, 2; vgl. Sum. th. I, qu. 60). »Formae primae separatae (Ideen) verae formae sunt formantes alias, sicut dicit Boëthius, et foris manentes, ut dicit Plato, et sunt formae, quae sunt ante rem: formae autem impressae in materiam non verae formae sunt, sed imagines formarum« (Sum. th. I, qu. 6). Die »forma substantialis« ist die »essentia, cuius actus est esse«, die Wesenheit (l.c. I, qu. 15, 2). Die Formen sind nicht »actu«, sondern »potentia« im Stoffe (l.c. II, 4, 2). Die Form hat dreifache Wirksamkeit: 1) »Totam extensionem potentiae terminat ad actum«, 2) »discernit rem«, 3) »finis est et inclinat in propriam et connaturalem finem« (l.c. I, qu. 62). Nach THOMAS ist die Form »actus, per quam res actu existunt« (Cont. gent. II, 30; Sum. th. I, 105,1 c), »actus primus« (2 cael. 4c), »principium agendi in unoquoque« (Sum. th. III, 13, l c; Cont. gent. II, 47), »finis materiae« (1 phys. 15e). »Forma dat materiae esse simpliciter« (De an. qu. 1, 9). Die »forma substantialis« eidos ousiôdês ist der Wesensgrund, die »forma accidentalis« bestimmt das »quale rel quantum«. »Formae separatae« sind die reinen Intelligenzen, »formae adhaerentes« die mit einem Stoffe verbundenen Formen. Die Seele (s. d.) ist »forma corporeïtatis« als Lebensprincip. PETRUS AUREOLUS versteht unter »forma specularis« die »species intelligibilis« (s. d.) (in l. sent. 2, 12, qu. 1, 2). »Formae intentionales« kommt bei JOH. GERSON vor (vgl. PRANTL, G. d. Log. IV, 145). SUAREZ unterscheidet von der »forma physica« die »forma metaphysica«, welche ist »tota rei substantialis essentia« (Met. disp. 15). »Formae substantiales« sind die die Dinge konstituierenden Kräfte und »qualitates occultae« (l.c. 15, sct. 1, 6). Der Satz »Forma dat esse rei« auch bei NICOLAUS CUSANUS (De dat. patr. lum. 2). GOCLEN erklärt: »Forma proprie dicitur, quod formet et poliat ruditatem et informitatem materiae« (Lex. phil. p. 5S8). Es gibt: »formae reales (assistentes, secretue seu separatue - informantes, substantiales), mentales (mathemathicae, abstractae, logicae), immersae materiae, per se subsistentes« (l.c. p. 589). Nach MICRAELIUS ist »forma« »internum principium constitutionis activum« (Lex. phil. p. 442).
Nach G. BRUNO wechseln nur die äußeren Formen der Dinge, die inneren Formen oder Kräfte beharren (De la causa II). Die »forma prima« gestaltet in räumlicher Ausdehnung, die Seelenform breitet sich nicht in der Materie aus, der Intellekt ist eine vom Stoffe unabhängige Form. Wo Form, da Leben, Seele, Geist (ib.). Durch »Eduction«, d.h. Formenentlassung, entfaltet sich die Materie zu konkreten Gebilden (l.c. Dial. IV). Bei F. BACON nähert sich der Formbegriff schon der modernen Auffassung, ohne den scholastischen Charakter ganz zu verlieren. »Qui formas novit, is naturae unitatem in materiis dissimillimis complectitur« (Nov. Organ. II, 3). »Forma naturae alicuius talis est, ut ea posita natura data infallibiliter sequatur« (l.c. II, 4). Die Form ist die gesetzliche Anordnung in einem Dinge. »Nos enim, quum de formis loguimur, nil aliud intelligimus, quam leges illas et determinationes actus puri, quae naturam aliquam simplicem ordinant et constituunt« (l.c. II, 17). HOBBES versteht unter Form die Wesenheit eines Körpers, nach der er seinen Namen hat (De corp. 8, 23). Die »substantialen Formen« kommen bei den englischen Platonikern (CUDWORTH, H. MORE), auch bei LEIBNIZ (s. Monaden) wieder zu Ehren, während HUME sie für philosophische Wahngebilde erklärt (Treat. IV, sct. 3). CHR. WOLF versteht unter »formae« die »determinationes essentiales« (Ontol. § 944). Die Unterscheidung von Form und Stoff der Erkenntnis beginnt bei TETENS: »Empfindungsvorstellungen sind... der letzte Stoff aller Gedanken«. »Die Form der Gedanken und der Kenntnisse ist ein Werk der denkenden Kraft« (phil Vers. I, 336). LAMBERT unterscheidet Form und Inhalt der Erkenntnis (N. Organ.). In neuer Weise auch KANT. Form der Erkenntnis ist ihm alles, was nicht durch Empfindung gegeben ist, was nicht aus der Einwirkung der Dinge auf uns, sondern aus der Tätigkeit des Subjekts selbst stammt: die Gesetzmäßigkeit, das Allgemeine, Einheit- und Ordnung-Setzende in der Erkenntnis. Die Form ist ein geistiges Gestaltungsprincip, zugleich ein Formendes, durch das der Stoff (s. d.) der Erfahrung erst zu Erkenntnissen, zu wirklicher Erfahrung (s. d.) verarbeitet wird. Die Anschauungsformen (s. d.) und Denkformen (Kategorien, s. d.) sind a priori (s. d.) und Subjektiv, gelten nicht für die Dinge an sich (s. d.). Die Formen unseres Wollens bestimmt das Sittliche (s. d.). »Form der Erscheinung« ist »dasjenige, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet angeschauet wird« (Kritik d. r. Vern. S. 49). Diese Form liegt im Bewußtsein a priori, muß daher »abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden« (ib.). Der Raum (s. d.) ist die Form des äußeren, die Zeit (s. d.) die Form des inneren Sinnes (s. d.). Die »reine Form der Sinnlichkeit« ist »reine Anschauung« (l.c. S. 49). Die »Form der Sinnlichkeit« geht »allen wirklichen Eindrücken« vorher (Prolegom. § 9). Sie ist es, wodurch wir a priori Dinge anschauen können, und was das Dasein von synthetischen Urteilen (s. d.) a priori möglich macht (l.c. 10). Raum und Zeit sind »formale Bedingungen unserer Sinnlichkeit« (l.c. § 11). Die Formen unseres Bewußtseins sind Arten und Weisen, wie wir anschauen und denken müssen, um Erfahrung gewinnen zu können. KRUG betont, die Erkenntnisformen seien kein »leeres Fachwerk im Gemüte«. »Da die Art und Weise, wie das Ich durch sein Vermögen tätig ist, eigentlich durch die Gesetze dieses Vermögens bestimmt ist, so bedeutet die Handlungsweise oder Form des Ichs eigentlich die Gesetzmäßigkeit desselben in Ansehung seiner Tätigkeit« (Fundam. S. 151). Nach BOUTERWEK ist Form eines Dinges »die Summe der Verhältnisse, die das bestimmte Vorhandensein eines Dinges in sich schließt« (Asth. I, 88). FRIES erklärt: »Form und formell nennen wir immer, was zur Einheit gehört, Gehalt oder materiell, was zum Mannigfaltigen gehört« (Syst. d. Log. S. 99 f.). Nach S. MAIMON haben die sinnlichen Formen ihren Grund in den allgemeinen Formen unseres Denkens (Vers. üb. d. Transcend. S. 16). J. G. FICHTE leitet Form und Stoff der Erkenntnis aus den Funktionen des Ich (s. d.) ab. Nach HEGEL ist die Form das »Setzende und Bestimmende«, das »Tätige gegenüber der Materie« (Log. II, 80). Innere und äußere Form ist zu unterscheiden. »Das Außereinander der Welt der Erscheinung ist Totalität und ist ganz in ihrer Beziehung-auf-sich enthalten. Die Beziehung der Erscheinung auf sich ist so vollständig bestimmt, hat die Form in ihr selbst und, weil in dieser Identität, als wesentliches Bestehen. So ist die Form Inhalt, und nach ihrer entwickelten Bestimmtheit das Gesetz der Erscheinung. In die Form als in-sich-nicht-reflectiert fällt das Negative der Erscheinung, das Unselbständige und Veränderliche, - sie ist die gleichgültige, äußerliche Form« (Encykl. § 133). K. ROSENKRANZ: »In seiner Erscheinung setzt sich das Wesen als ein durch den Unterschied der Erscheinung von der Erscheinung beschränktes. Diese Beschränkung ist seine Form« (Syst. d. Wiss. S. 66). Die Form wird selbst der Inhalt, insofern ohne sie das Wesen sich nicht als Existenz setzen kann (l.c. S. 69). Inhalt und Form sind an und für sich untrennbar voneinander, gehen ineinander über (ib.). Nach HILLEBRAND ist die Form das continuierliche Übergehen der Quantität in die Qualität (Phil. d. Geist. II, 49). Nach HEINROTH ist die Form »eine bleibende, unveränderliche Begrenzung« (-Psychol. S. 165 f.). TRENDELENBURG bemerkt: »Das Verfahren oder die Handlungsweise der Erzeugung ergibt das, was im weitesten Sinne die Kategorie der Form heißt« (Gesch. d. Kategor. S. 366). Nach HERBART werden uns die Empfindungen schon mit und in ihren Formen (Ordnungen, Reihen) gegeben (Met. II, S. 411). In der Ästhetik (s. d.) und Ethik (s. d.) ist die Form die Hauptsache. WAITZ betont: »Die Form muß... in und mit dem Stoffe selbst gegeben werden« (Lehrb. d. Psychol. S. 161). DROBISCH definiert: »Das Viele und Mannigfaltige, welches das Denken in eine Einheit zusammenfaßt, heißt die Materie des Denkens, die Art und Weise der Zusammenfassung seine Form« (N. Darst. d. Log.5, S. 6). Nach CARRIERE ist Form »das durch das Innere bestimmte Äußere der Dinge« (Ästh. I, 100). Nach VISCHER ist die ästhetische Form die »Anordnung des Stoffes zur Einheit in der Vielheit, also Harmonie« (Das Schöne u. d. Kunst2, S. 48). Sie ist »Gesamtwirkung aller Teile des Stoffes«, »Schein« (l.c. S. 52). »Im Schönen müssen wir immer von der Form ausgehen, doch wir empfinden an ihr ein Inneres« (l.c. S. 77). Nach KIRCHMANN ist die Form von Wissen und Sein verschieden, der Inhalt der gleiche (Kat. d. Philos.3, S. 53). COHEN betont, die »Formen« der Anschauung seien nicht »ein paar unendliche leere Gefäße«, sondern bereit liegende Potenzen, die sich erst mit der Erfahrung, wenn auch nicht durch sie, verwirklichen (Kants Theor. d. Erf. S. 39 ff.). G. SPICKER bestreitet die Möglichkeit, daß die Erfahrungsobjekte ohne Formen an sich existieren (Kant, H. u. B. S. 24). O. LIEBMANN faßt die Form naturphilosophisch im Aristotelischen Sinne auf als Entelechie, Bildungsgesetz (Anal. d. Wirkl.2, S. 328 ff.). Nach HÖFFDING gibt es im Bewußtsein keinen Stoff ohne Form; der Unterschied beider ist nur graduell (Psychol. S. 149 D., 383 ff.). Ähnlich SULLY (The hum. Mind I, 175), JAMES (Princ. of Psychol. I, 224 ff., 449 ff., 483 ff., LADD (Psychol. p. 659): »discrimination« (Analyse) und »conception« (Synthese) gehören zusammen. So auch WUNDT. Raum und Zeit sind nicht ursprünglich gesonderte Formen, sondern stehen in Beziehung zu den Empfindungen (Einl. in d. Philos. S. 345). Erst die Abstraktion scheidet die Form des Bewußtseins von dessen Inhalte: Form und Inhalt sind Reflexionsbegriffe (Syst. d. Phil.2, S. 106, 111 ff., 208 ff.; Phil. Stud. VII, 14 ff., XII, 355), sind »abstrakte Korrelatbegriffe« (Phil. Stud. II, 161 ff., VII, 27 ff.). Die »reinen Formbegriffe« (Einheit, Mannigfaltigkeit; Qualität, Quantität; Einfaches, Zusammengesetztes; Einzelnes, Vielheit; Zahl, Funktion) gehören zu den »reinen Verstandesbegriffen« (Syst. d. Philos.2, S. 236 f., 238, 241 ff.; Log. I2, S. 521 ff.). RIEHL versteht unter Form das »Geordnetsein« der Wahrnehmungselemente, dasjenige, »wodurch der bloße Stoff zur Vorstellung wird« (Phil. Kritik II 1, 104 f., 235, 238). M. KAUFFMANN bestimmt die Form als »die anschauliche Einheit des Mannigfaltigen« (Fundam. d. Erk. S. 13). Das Subjekt ist die »höchste Form, die anschauliche Einheit der räumlichen und zeitlichen Welt« (l.c. S. 14). Der Atomismus (s. d.) versteht unter Form nur die Anordnung von Körperelementen. Vgl. Parallelismus (logischer).