»Gedichte von einem polnischen Juden«
Mitau und Leipzig 1772. 8°. 96 S.
Zuvörderst müssen wir versichern, daß die Aufschrift dieser Bogen einen sehr vorteilhaften Eindruck auf uns gemacht hat. Da tritt, dachten wir, ein feuriger Geist, ein fühlbares Herz, bis zum selbständigen Alter unter einem fremden rauhen Himmel aufgewachsen, auf einmal in unsre Welt. Was für Empfindungen werden sich in ihm regen, was für Bemerkungen wird er machen, er, dem alles neu ist?
Auch nur das flache, bürgerliche, gesellige und gesellschaftliche Leben genommen, wieviel Dinge werden ihm auffallen, die durch Gewohnheit auf euch ihre Wirkung verloren haben? Da, wo ihr an Langerweile schmachtet, wird er Quellen von Vergnügen entdecken; er wird euch aus eurer wohlhergebrachten Gleichgültigkeit reißen, euch mit euern eignen Reichtümern bekannt machen, euch ihren Gebrauch lehren. Dagegen werden ihm hundert Sachen, die ihr so gut sein laßt, unerträglich sein. Genug, er wird finden, was er nicht sucht, und suchen, was er nicht findet. Denn, seine Gefühle, seine Gedanken in freien Liedern der Gesellschaft, Freunden, Mädchen mitteilen, wenn er nichts Neues sagt, wird alles eine neue Seite haben. Das hofften wir und griffen – in Wind.
In denen fast zu langen und zu eitlen Vorberichtsbriefen erscheint er in Selbstgefälligkeit, der seine Gedichte nicht entsprechen.
Es ist recht löblich, ein polnischer Jude sein, der Handelschaft entsagen, sich den Musen weihen, Deutsch lernen, Liederchen ründen; wenn man aber in allem zusammen nicht mehr leistet als ein christlicher etudiant en belles lettres auch, so ist es, deucht uns, übel getan, mit seiner Judenschaft ein Aufsehn zu machen.
Abstrahiert von allem, produziert sich hier wieder ein hübscher junger Mensch, gepudert und mit glattem Kinn und grünem goldbesetzten Rock (siehe S. 11, 12), der die schönen Wissenschaften eine Zeitlang getrieben hat und unterm Treiben fand, wie artig und leicht das sei, Melodiechen nachzutrillern. Seine Mädchen sind die allgemeinsten Gestalten, wie man sie in Sozietät und auf der Promenade kennenlernt, sein Lebenslauf unter ihnen der Gang von tausenden; er ist an den lieben Geschöpfen so hingestrichen, hat sie einmal amüsiert, einmal ennuyiert, geküßt, wo er ein Mäulchen erwischen konnte. Über diese wichtige Erfahrungen am weiblichen Geschlecht ist er denn zum petit volage geworden, und nun, wenn er mehr Zurückhaltung bei einem Mädchen antrifft, beklagt er sich bitterlich, daß er nur den Handschuh ehrerbietig kosten, sie nicht beim Kopf nehmen und weidlich anschmatzen darf, und das alles so ohne Gefühl von weiblichem Wert, so ohne zu wissen, was er will.
Laß, o Genius unsers Vaterlands, bald einen Jüngling aufblühen, der, voller Jugendkraft und Munterkeit, zuerst für seinen Kreis der beste Gesellschafter wäre, das artigste Spiel angäbe, das freudigste Liedchen sänge, im Rundgesange den Chor belebte, dem die beste Tänzerin freudig die Hand reichte, den neusten mannigfaltigsten Reihen vorzutanzen, den zu fangen die Schöne, die Witzige, die Muntre alle ihre Reize ausstellten, dessen empfindendes Herz sich auch wohl fangen ließe, sich aber stolz im Augenblicke wieder losriß, wenn er aus dem dichtenden Traum erwachend fände, daß seine Göttin nur schön, nur witzig, nur munter sei; dessen Eitelkeit, durch den Gleichmut einer Zurückhaltenden beleidigt, sich der aufdrängte, sie durch erzwungne und erlogne Seufzer und Tränen und Sympathien, hunderterlei Aufmerksamkeiten des Tags, schmelzende Lieder und Musiken des Nachts, endlich auch eroberte und – auch wieder verließ, weil sie nur zurückhaltend war; der uns dann all seine Freuden und Siege und Niederlagen, all seine Torheiten und Resipiszenzen mit dem Mut eines unbezwungenen Herzens vorjauchzte, vorspottete; des Flatterhaften würden wir uns freuen, dem gemeine, einzelne weibliche Vorzüge nicht genugtun.
Aber dann, o Genius! daß offenbar werde, nicht Fläche, Weichheit des Herzens sei an seiner Unbestimmtheit schuld; laß ihn ein Mädchen finden, seiner wert!
Wenn ihn heiligere Gefühle aus dem Geschwirre der Gesellschaft in die Einsamkeit leiten, laß ihn auf seiner Wallfahrt ein Mädchen entdecken, deren Seele, ganz Güte, zugleich mit einer Gestalt ganz Anmut, sich in stillem Familienkreis häuslicher tätiger Liebe glücklich entfaltet hat; die Liebling, Freundin, Beistand ihrer Mutter, die zweite Mutter ihres Hauses ist, deren stets liebwürkende Seele jedes Herz unwiderstehlich an sich reißt, zu der Dichter und Weise willig in die Schule gingen, mit Entzücken schauten eingeborne Tugend, mitgebornen Wohlstand und Grazie. – Ja, wenn sie in Stunden einsamer Ruhe fühlt, daß ihr bei all dem Liebeverbreiten noch etwas fehlt, ein Herz, das, jung und warm wie sie, mit ihr nach fernern, verhülltern Seligkeiten dieser Welt ahndete, in dessen belebender Gesellschaft sie nach all den goldnen Aussichten von ewigem Beisammensein, daurender Vereinigung, unsterblich webender Liebe fest angeschlossen hinstrebte.
Laß die beiden sich finden; beim ersten Nahen werden sie dunkel und mächtig ahnden, was jedes für einen Inbegriff von Glückseligkeit in dem andern ergreift, werden nimmer voneinander lassen. Und dann lall er ahndend und hoffend und genießend:
»Was doch keiner mit Worten ausspricht, keiner mit Tränen, und keiner mit dem verweilenden vollen Blick, und der Seele drin.«
Wahrheit wird in seinen Liedern sein, und lebendige Schönheit, nicht bunte Seifenblasenideale, wie sie in hundert deutschen Gesängen herumwallen.
Doch ob's solche Mädchen gibt? ob's solche Jünglinge geben kann? Es ist hier vom polnischen Juden die Rede, den wir fast verloren hätten, auch haben wir nichts von seinen Oden gesagt. Was ist da viel zu sagen! durchgehends die Göttern und Menschen verhaßte Mittelmäßigkeit. Wir wünschen, daß er uns auf denen Wegen, wo wir unser Ideal suchen, einmal wieder und geistiger begegnen möge.