»Charakteristik der vornehmsten europäischen Nationen«
Aus dem Englischen.
Leipzig 8°.
Erster Teil 16 Bogen. Zweiter Teil 14 Bogen
Das Werk ist aus dem »Britischen Museum«. Nun für ein Museum war das kein Stück! ins Hinterstübchen mit; in die Küche, da ist sein Platz, je mehr berauchert, desto besser! Charakter polierter Nationen! Werft die Münze in den Tiegel, wenn ihr ihren Gehalt wissen wollt; unter dem Gepräge findet ihr ihn in Ewigkeit nicht.
Sobald eine Nation poliert ist, sobald hat sie konventionelle Wege, zu denken, zu handlen, zu empfinden, sobald hört sie auf, Charakter zu haben. Die Masse individueller Empfindungen, ihre Gewalt, die Art der Vorstellung, die Wirksamkeit, die sich alle auf diese eigene Empfindungen beziehen, das sind die Züge der Charakteristik lebender Wesen. Und wieviel von alledem ist uns polierten Nationen noch eigen? Die Verhältnisse der Religion, die mit ihnen auf das engste verbundenen bürgerlichen Beziehungen, der Druck der Gesetze, der noch größere Druck gesellschaftlicher Verbindungen und tausend andere Dinge lassen den polierten Menschen und die polierte Nation nie ein eigenes Geschöpf sein, betäuben den Wink der Natur und verwischen jeden Zug, aus dem ein charakteristisches Bild gemacht werden könnte.
Was heißt also nun Charakter einer polierten Nation? Was kann's anders heißen als Gemälde von Religion und burgerlicher Verfassung, in die eine Nation gestellt worden ist, Draperie, wovon man höchstens sagen kann, wie sie der Nation ansteht. Und hätte uns der Verfasser dieses Werkchens nur soviel gesagt, nur gezeigt, wie die polierte Nation denn unter allen diesen Lasten und Feßlen lebt; ob sie sie gedultig erträgt, wie Isaschar, oder ob sie dagegen anstrebt, sie bisweilen abwirft, bisweilen ihnen ausweicht oder gar andere Auswege sucht, wo sie noch freiere Schritte tun kann; ob noch hier und da unter der Politur der Naturstoff hervorblickt, ob der Stoff immer so biegsam war, daß er die Politur annehmen konnte, ob die Nation wenigstens eigene, ihrem Stoff gemäße Politur hat oder nicht und dergleichen. Vielleicht würde ein philosophischer Beobachter noch auf diese Art eine erträgliche Charakteristik zustande bringen. Aber der Verfasser reiste gemächlich seine große Tour durch England, Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland und die Niederlande, blickte in seinen Pufendorf, konversierte mit schönen Herrn und Damen und nahm sein Buch und schrieb. Zum Unglück ist in der ganzen Welt nichts schiefer als die schönen Herrn und Damen, und so wurden seine Gemälde gerade ebenso schief; den Engländer verteidigt er immer gegen die Franzosen, den Franzosen setzt er dem Engländer immer entgegen. Jener ist nur stark, dieser nur tändlend; der Italiener prächtig und feierlich, der Deutsche sauft und zählt Ahnen. Alles vom Hörensagen, Oberfläche, aus guten Gesellschaften abstrahiert – und das ist ihm Charakteristik! Wie so gar anders würden oft seine Urteile ausgefallen sein, wenn er sich heruntergelassen hätte, den Mann in seine Familie, den Bauern auf seinem Hof, die Mutter unter ihren Kindern, den Handwerksmann in seiner Werkstatt, den ehrlichen Burger bei seiner Kanne Wein und den Gelehrten und Kaufmann in seinem Kränzchen oder seinem Kaffeehaus zu sehen. Aber das fiel ihm nicht einmal ein, daß da Menschen wären, oder wenn's ihm einfiel, wie sollte er die Geduld, die Zeit, die Herablassung haben? Ihm war ganz Europa feines französisches Drama oder, was ziemlich auf eins hinauskommt, Marionettenspiel! Er guckte hinein und wieder heraus, und das war alles!