Rom
Winckelmann war nun in Rom, und wer konnte würdiger sein, die Wirkung zu fühlen, die jener große Zustand auf eine wahrhaft empfängliche Natur hervorzubringen imstande ist. Er sieht seine Wünsche erfüllt, sein Glück begründet, seine Hoffnungen überbefriedigt. Verkörpert stehn seine Ideen um ihn her, mit Staunen wandert er durch die Reste eines Riesenzeitalters, das Herrlichste, was die Kunst hervorgebracht hat, steht unter freiem Himmel; ohnentgeltlich, wie zu den Sternen des Firmaments, wendet er seine Augen zu solchen Wunderwerken empor, und jeder verschlossene Schatz öffnet sich für eine kleine Gabe. Der Ankömmling schleicht wie ein Pilgrim unbemerkt umher, dem Herrlichsten und Heiligsten naht er sich in unscheinbarem Gewand; noch läßt er nichts Einzelnes auf sich eindringen, das Ganze wirkt auf ihn unendlich mannigfaltig, und schon fühlt er die Harmonie voraus die aus diesen vielen, oft feindselig scheinenden Elementen zuletzt für ihn entstehen muß. Er beschaut, er betrachtet alles und wird, auf daß ja sein Behagen vollkommener werde, für einen Künstler gehalten, für den man denn doch am Ende so gerne gelten mag.
Wie uns ein Freund die mächtige Wirkung, welche jener Zustand ausübt, geistvoll entwickelte, teilen wir unsern Lesern statt aller weitern Betrachtungen mit.
»Rom ist der Ort, in dem sich für unsere Ansicht das ganze Altertum in eins zusammenzieht, und was wir also bei den alten Dichtern, bei den alten Staatsverfassungen empfinden, glauben wir in Rom mehr noch als zu empfinden, selbst anzuschauen. Wie Homer sich nicht mit andern Dichtern, so läßt sich Rom mit keiner andern Stadt, römische Gegend mit keiner andern vergleichen. Es gehört allerdings das meiste von diesem Eindruck uns und nicht dem Gegenstande; aber es ist nicht bloß der empfindelnde Gedanke, zu stehen, wo dieser oder jener große Mann stand, es ist ein gewaltsames Hinreißen in eine von uns nun einmal, sei es auch durch eine notwendige Täuschung, als edler und erhabener angesehene Vergangenheit; eine Gewalt, der selbst, wer wollte, nicht widerstehen kann, weil die Öde, in der die jetzigen Bewohner das Land lassen, und die unglaubliche Masse von Trümmern selbst das Auge dahin führen. Und da nun diese Vergangenheit dem innern Sinne in einer Größe erscheint, die allen Neid ausschließt, an der man sich überglücklich fühlt, nur mit der Phantasie teilzunehmen, ja an der keine andre Teilnahme nur denkbar ist, und dann den äußern Sinn zugleich die Lieblichkeit der Formen, die Größe und Einfachheit der Gestalten, der Reichtum der Vegetation, die doch wieder nicht üppig ist wie in noch südlichern Gegenden, die Bestimmtheit der Umrisse in dem klaren Medium und die Schönheit der Farben in durchgängige Klarheit versetzt, so ist hier der Naturgenuß reiner, von aller Bedürftigkeit entfernter Kunstgenuß. Überall sonst reihen sich Ideen des Kontrastes daran, und er wird elegisch oder satirisch. Freilich indes ist es auch nur für uns so. Horaz empfand Tibur moderner als wir Tivoli. Das beweist sein ›Beatus ille, qui procul negotiis‹. Aber es ist auch nur eine Täuschung, wenn wir selbst Bewohner Athens und Roms zu sein wünschten. Nur aus der Ferne, nur von allem Gemeinen getrennt, nur als vergangen muß das Altertum uns erscheinen. Es geht damit, wie wenigstens mir und einem Freunde mit den Ruinen. Wir haben immer einen Ärger, wenn man eine halb versunkene ausgräbt; es kann höchstens ein Gewinn für die Gelehrsamkeit auf Kosten der Phantasie sein. Ich kenne für mich nur noch zwei gleich schreckliche Dinge: wenn man die Campagna di Roma anbauen und Rom zu einer polizierten Stadt machen wollte, in der kein Mensch mehr Messer trüge. Kommt je ein so ordentlicher Papst, was denn die 72 Kardinäle verhüten mögen, so ziehe ich aus. Nur wenn in Rom eine so göttliche Anarchie und um Rom eine so himmlische Wüstenei ist, bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr wert ist als dies ganze Geschlecht.«