Mengs
Aber Winckelmann hätte lange Zeit in den weiten Kreisen altertümlicher Überbleibsel nach den wertesten, seiner Betrachtung würdigsten Gegenständen umhergetastet, hätte das Glück ihn nicht sogleich mit Mengs zusammengebracht. Dieser, dessen eigenes großes Talent auf die alten und besonders die schönen Kunstwerke gerichtet war, machte seinen Freund sogleich mit dem Vorzüglichsten bekannt, was unserer Aufmerksamkeit wert ist. Hier lernte dieser die Schönheit der Formen und ihrer Behandlung kennen und sah sich sogleich aufgeregt, eine Schrift »Vom Geschmack der griechischen Künstler« zu unternehmen.
Wie man aber nicht lange mit Kunstwerken aufmerksam umgehen kann, ohne zu finden, daß sie nicht allein von verschiedenen Künstlern, sondern auch aus verschiedenen Zeiten herrühren und daß sämtliche Betrachtungen des Ortes, des Zeitalters, des individuellen Verdienstes zugleich angestellt werden müssen, also fand auch Winckelmann mit seinem Geradsinne, daß hier die Achse der ganzen Kunstkenntnis befestigt sei. Er hielt sich zuerst an das Höchste, das er in einer Abhandlung »Von dem Stile der Bildhauerei in den Zeiten des Phidias« darzustellen gedachte. Doch bald erhob er sich über die Einzelheiten zu der Idee einer Geschichte der Kunst und entdeckte, als ein neuer Kolumbus, ein lange geahndetes, gedeutetes und besprochenes, ja man kann sagen, ein früher schon gekanntes und wieder verlornes Land.
Traurig ist immer die Betrachtung, wie erst durch die Römer, nachher durch das Eindrängen nordischer Völker und durch die daraus entstandene Verwirrung das Menschengeschlecht in eine solche Lage gekommen, daß alle wahre, reine Bildung in ihren Fortschritten für lange Zeit gehindert, ja beinahe für alle Zukunft unmöglich gemacht worden.
Man mag in eine Kunst oder Wissenschaft hineinblicken, in welche man will, so hatte der gerade, richtige Sinn dem alten Beobachter schon manches entdeckt, was durch die folgende Barbarei und durch die barbarische Art, sich aus der Barbarei zu retten, ein Geheimnis ward, blieb und für die Menge noch lange ein Geheimnis bleiben wird, da die höhere Kultur der neuern Zeit nur langsam ins Allgemeine wirken kann.
Vom Technischen ist hier die Rede nicht, dessen sich glücklicherweise das Menschengeschlecht bedient, ohne zu fragen, woher es komme und wohin es führe.
Zu diesen Betrachtungen werden wir durch einige Stellen alter Autoren veranlaßt, wo sich schon Ahndungen, ja sogar Andeutungen einer möglichen und notwendigen Kunstgeschichte finden.
Vellejus Paterculus bemerkt mit großem Anteil das ähnliche Steigen und Fallen aller Künste. Ihn als Weltmann beschäftigte besonders die Betrachtung, daß sie sich nur kurze Zeit auf dem höchsten Punkte, den sie erreichen können, zu erhalten wissen. Auf seinem Standorte war es ihm nicht gegeben, die ganze Kunst als ein Lebendiges (Zoon) anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme, wie jedes andre organische Wesen, nur in mehreren Individuen notwendig darstellen muß. Er gibt daher nur sittliche Ursachen an, die freilich als mitwirkend nicht ausgeschlossen werden können, seinem großen Scharfsinn aber nicht genugtun, weil er wohl fühlt, daß eine Notwendigkeit hier im Spiel ist, die sich aus freien Elementen nicht zusammensetzen läßt.
»Daß wie den Rednern es auch den Grammatikern, Malern und Bildhauern gegangen, wird jeder finden, der die Zeugnisse der Zeiten verfolgt; durchaus wird die Vortrefflichkeit der Kunst von dem engsten Zeitraume umschlossen. Warum nun mehrere, ähnliche, fähige Menschen sich in einem gewissen Jahreskreis zusammenziehen und sich zu gleicher Kunst und deren Beförderung versammeln, bedenke ich immer, ohne die Ursachen zu entdecken, die ich als wahr angeben möchte. Unter den wahrscheinlichen sind mir folgende die wichtigsten. Nacheiferung nährt die Talente, bald reizt der Neid, bald die Bewunderung zur Nachahmung, und schnell erhebt sich das mit so großem Fleiß Geförderte auf die höchste Stelle. Schwer verweilt sich's im Vollkommenen, und was nicht vorwärts gehen kann, schreitet zurück. Und so sind wir anfangs unsern Vordermännern nachzukommen bemüht dann aber, wenn wir sie zu übertreffen oder zu erreichen verzweifeln, veraltet der Fleiß mit der Hoffnung, und was man nicht erlangen kann, verfolgt man nicht mehr, man strebt nicht mehr nach dem Besitz, den andre schon ergriffen, man späht nach etwas Neuem, und so lassen wir das, worin wir nicht glänzen könnten, fahren und suchen für unser Streben ein ander Ziel. Aus dieser Unbeständigkeit, wie mich dünkt, entsteht das größte Hindernis, vollkommene Werke hervorzubringen.«
Auch eine Stelle Quintilians, die einen bündigen Entwurf der alten Kunstgeschichte enthält, verdient als ein wichtiges Denkmal in diesem Fache ausgezeichnet zu werden.
Quintilian mag gleichfalls, bei Unterhaltung mit römischen Kunstliebhabern, eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem Charakter der griechischen bildenden Künstler mit dem der römischen Redner gefunden und sich bei Kennern und Kunstfreunden deshalb näher unterrichtet haben, so daß er bei seiner gleichnisweisen Aufstellung, da jedesmal der Kunstcharakter mit dem Zeitcharakter zusammenfällt, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Kunstgeschichte selbst darzustellen genötigt ist.
»Man sagt, die ersten berühmten Maler, deren Werke man nicht bloß des Altertums wegen besucht, seien Polygnot und Aglaophon. Ihr einfaches Kolorit findet noch eifrige Liebhaber, welche dergleichen rohe Arbeiten und Anfänge einer sich entwickelnden Kunst den größten Meistern der folgenden Zeit vorziehen, wie mich dünkt, nach einer eigenen Sinnesweise.
Nachher haben Zeuxis und Parrhasius, die nicht weit auseinander lebten, beide ungefähr um die Zeit des Peloponnesischen Kriegs, die Kunst sehr befördert. Der erste soll die Gesetze des Lichtes und Schattens erfunden, der andre aber sich auf genaue Untersuchung der Linien eingelassen haben. Ferner gab Zeuxis den Gliedern mehr Inhalt und machte sie völliger und ansehnlicher. Er folgte hierin, wie man glaubt, dem Homer, welchem die gewaltigste Form auch an den Weibern gefällt. Parrhasius aber bestimmte alles dergestalt, daß sie ihn den Gesetzgeber nennen, weil die Vorbilder von Göttern und Helden, wie er sie überliefert hat, von andern als nötigend befolgt und beibehalten werden.
So blühte die Malerei um die Zeit des Philippus bis zu den Nachfolgern Alexanders, aber in verschiedenen Talenten. Denn an Sorgfalt ist Protogenes, an Überlegung Pamphilus und Melanthius, an Leichtigkeit Antiphilus, an Erfindung seltsamer Erscheinungen, die man Phantasien nennt, Theon der Samier, an Geist und Anmut Apelles von niemanden übertroffen worden. Euphranorn bewundert man, daß er in Rücksicht der Kunsterfordernisse überhaupt unter die Besten gerechnet werden muß und zugleich in der Maler- und Bildhauerkunst vortrefflich war.
Denselben Unterschied findet man auch bei der Plastik. Denn Kalon und Hegesias haben härter und den Toskanern ähnlich gearbeitet, Kalamis weniger streng, noch weicher Myron.
Fleiß und Zierlichkeit besitzt Polyklet vor allen. Ihm wird von vielen der Preis zuerkannt; doch damit ihm etwas abgehe, meint man, ihm fehle das Gewicht. Denn wie er die menschliche Form zierlicher gemacht, als die Natur sie zeigt, so scheint er die Würde der Götter nicht völlig auszufüllen, ja er soll sogar das ernstere Alter vermieden und sich über glatte Wangen nicht hinausgewagt haben.
Was aber dem Polyklet abgeht, wird dem Phidias und Alkamenes zugestanden. Phidias soll Götter und Menschen am vollkommensten gebildet, besonders in Elfenbein seinen Nebenbuhler weit übertroffen haben. Also würde man urteilen, wenn er auch nichts als die Minerva zu Athen oder den Olympischen Jupiter in Elis gemacht hätte, dessen Schönheit der angenommenen Religion, wie man sagt, zustatten kam, so sehr hat die Majestät des Werks dem Gotte sich gleichgestellt.
Lysippus und Praxiteles sollen nach der allgemeinen Meinung sich der Wahrheit am besten genähert haben; Demetrius aber wird getadelt, daß er hierin zuviel getan; er hat die Ähnlichkeit der Schönheit vorgezogen.«