Lokalisation, physiologische

Lokalisation, physiologische, (Gehirnlokalisation) heißt die Verteilung von Gehirnfunktionen (nebst deren psychischer Innenseite) an verschiedene Gehirnpartien oder, besser, an bestimmte Koordinationen von Gehirnstellen. Über die Berechtigung der Annahme einer Gehirnlocalisation bezw. des Umfanges und der Art derselben besteht noch Streit.

GALL begründet durch seine Phrenologie (s. d.) die Lehre von der Gehirnlokalisation, er spricht schon von einem Sprachzentrum (s. d.), wie später BROCA (1861). FLOURENS dagegen meint, alle Hirnpartien seien gleichwertig, das ganze Gehirn sei an jeder Seelensfunktion beteiligt. FRITSCH und HITZIG zeigen (1870), daß die Reizung bestimmter Punkte an der Oberfläche des Großhirns bestimmte Bewegungen nach sich ziehe. Nach H. MUNK ist jedes Sinnesorgan in einem Teile der Hinrinde vertreten (Seh- und Hörsphäre etc.); die Intelligenz aber hat »überall in der Großhirnrinde ihren Sitz« (Üb. d. Funktionen der Großhirnrinde 1881, S. 73). Dagegen GOLTZ (Pflügers Arch. f. Physiol. XX, XXVI, XLII), auch WUNDT: »Berechtigt ist man nur zu schließen, daß die Lokalisation keine absolut unveränderliche sei, sondern daß im Laufe der Zeit andere Teile des Gehirns die Fähigkeit gewinnen können, für die Leistungen der hinweggefallenen einzutreten« (»Gesetz der Stellvertretung«). Dies beweist, »daß nicht zusammengesetzte Fähigkeiten, wie das, 'Sprachvermögen', als solche lokalisiert sein werden, sondern daß derartige Tätigkeiten immer aus einem verwickelten Zusammenwirken einfacher Vorgänge entspringen, die nun erst an bestimmte zentrale Elemente gebunden werden« (Essays 4, S. 109; Philos. Stud. VI; Grdz. d. physiol. Psychol. I, C. 5; Vorles.3, 30. Vorl.; Gr. d. Psychol.5, S. 244 ff.). HÖFFDING glaubt nur an die Lokalisation von elementaren Prozessen (Psychol.2, S. 55). Einen vermittelnden Standpunkt nimmt auch HELLPACH ein (Grenzwissensch. d. Psychol. S. 70 ff.). FLECHSIG hingegen nimmt viele Gehirnprovinzen und drei Assoziationszentren (s. d.) an (Gehirn u. Seele2, 1896). Vgl. LEIDEN und JASTROWITZ, Beiträge zur Lehre von d. Localisat. im Gehirn 1888; B. HOLLÄNDER, Die Lokalisation d. psych. Tätigkeiten im Gehirn 1900; J. SOURY, Les fonctions du cerveau 1890.


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