Natur - Moderne I
Eine phänomenalistische Theorie der Natur begründet KANT. Die Natur ist ihm nichts als die durch das (der Anschauung bedürfende) Denken gesetzmäßig verknüpfte Ordnung von Erscheinungen (s. d.), Vorstellungen, denen allerdings ein »Ding an sich« (s. d.) zugrunde liegt. Die Natur als solche ist gleichsam ein geistiges Gewebe, ein durch die apriorischen Formen (s. d.) des Intellekts bestimmtes Ganzes. Natur im formalen Sinne ist »das erste innere Prinzip alles dessen, was zum Dasein eines Dinges gehört«, im materialen Sinne der »Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen, d. i. die Sinnenwelt, mit Ausschließung aller nicht sinnlichen Objekte, verstanden wird« (Met. Anf. d. Naturwiss., Vorr. III). Natur ist die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen (Grundleg. zur Met. d. Sitt., 2. Abschn.). »Natur ist das Dasein der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist« (Prolegom. § 14). Sie ist der »Inbegriff der Erscheinungen, d. i. der Vorstellungen in uns« (l.c. § 36). »Die Ordnung und Regelmäßigkeit... an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und wurden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts, ursprünglich hineingelegt.« Der Verstand ist selbst »die Gesetzgebung für die Natur, d. i. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, d. i. synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln, geben« (Krit. d. rein. Vern. S. 134 f.). »Natur, adiective (formaliter) genommen, bedeutet den Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges nach einem innern Prinzip der Kausalität. Dagegen versteht man unter Natur, substantive (materialiter), den Inbegriff der Erscheinungen, sofern diese, vermöge eines innern Prinzips der Kausalität, durchgängig zusammenhängen« (l.c. S. 348). - Natur ist »die Existenz der Dinge unter Gesetzen«. »Die sinnliche Natur vernünftiger Wesen überhaupt ist die Existenz derselben unter empirisch bedingten Gesetzen, mithin für die Vernunft Heteronomie. Die übersinnliche Natur ebenderselben Wesen ist dagegen ihre Existenz nach Gesetzen, die von aller empirischen Bedingung unabhängig sind, mithin zur Autonomie der reinen Vernunft gehören. Und da die Gesetze, nach welchen das Dasein der Dinge vom Erkenntnis abhängt, praktisch sind, so ist die Übersinnliche Natur, soweit wir uns einen Begriff von ihr machen können, nichts anderes als eine Natur unter der Autonomie der reinen praktischen Vernunft. Das Gesetz dieser Autonomie aber ist das moralische Gesetz, welches also das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer reinen Verstandeswelt ist, deren Gegenbild in der Sinnlichkeit, aber doch zugleich ohne Abbruch der Gesetze derselben, existieren soll. Man könnte jene die urbildliche (natura archetypa), die wir bloß in der Vernunft erkennen, diese aber, weil sie die mögliche Wirkung der Idee der erstern, als Bestimmungsgrundes des Willens, enthält, die nachgebildete (natura ectypa) nennen« (l.c. S. 52 f.). - Nach KRUG ist die Natur »ein Inbegriff von Erscheinungen oder von Gegenständen möglicher Erfahrung in gesetzlicher Verknüpfung« (Handb. d. Philos. I, 314 f.). Nach FRIES ist die Natur der Dinge des Ganze der Sinnenwelt (Syst. d. Met. 1824). Nach BOUTERWEK ist sie »das allgemeine Werden der Dinge und die Summe der Kräfte, durch deren Beziehung aufeinander eins aus dem andern entsteht und nach einer gewissen Dauer vergeht« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 145).
J. G. FICHTE betrachtet die Natur (das »Nicht-Ich«) als ein durch das Ich (s. d.) Gesetztes, Unselbständiges, Unreales, Minderwertiges. SCHELLING huldigt erst einer ähnlichen Ansicht, später wird ihm aber die Natur zu einer Seinsweise des Realen, Absoluten selbst. Natur ist der »Inbegriff alles Objektiven in unserem Wissen« (Syst. d. tr. Ideal.). Die »tote« Natur ist eine »unreife Intelligenz« (l.c. S. 4). Sie ist der »sichtbare Geist« (Naturphilos. S. 64). Natur und Geist, die beiden »Pole« des Absoluten, Identischen sind, in verschiedenen »Potenzen« (s. d.), in allem (l.c. S. 78). Natura naturans ist das Absolute als solches (»natura naturans absoluta«). Sie spaltet sich in die ideale Natur (System der Ideen) und in die reale Natur (Allorganismus). Die »natura naturata idealis« ist die geistige Monadenwelt, die »natura naturata realis« ist die materielle Welt (vgl. V. HARTMANN, Gesch. d. Met. II, 118). »Die Natur an sich oder die ewige Natur ist... der in das Objektive geborene Geist, das in die Form eingeführte Wesen Gottes, nur daß in ihm diese Einführung unmittelbar die andere Einheit begreift. Die erscheinende Natur dagegen ist die als solche oder in der Besonderheit erscheinende Einbildung des Wesens in die Form, also die ewige Natur, sofern sie sieh selbst zum Leib nimmt und so sich selbst durch sich selbst als besondere Form darstellt. Die Natur, sofern sie als Natur, das heißt als diese besondere Einheit, erscheint, ist demnach als solche schon außer dem Absoluten, nicht die Natur als der absolute Erkenntnisact selbst (›natura naturans‹), sondern die Natur als der bloße Leib oder das Symbol desselben (›natura naturata‹). Im Absoluten ist sie mit der entgegengesetzten Einheit, welche die der ideellen Welt ist, als eine Einheit, aber eben deswegen ist in Jenem weder die Natur als Natur, noch die ideelle Welt als ideelle Welt, sondern beide sind als eine Welt« (Naturphilos. S. 79). »Die Gesamtheit der Dinge, inwiefern sie bloß in Gott sind, kein Sein an sich haben und in ihrem Nichtsein nur Widerschein des Alls sind, ist die reflektierte oder abgebildete Welt (natura naturata), das All aber, als die unendliche Affirmation Gottes, oder als das, in dem alles ist, was ist, ist absolutes All oder die schaffende Natur (natura naturans)« (WW. I 6, 199). »Wer die Natur als das schlechthin Ungeistige zum voraus wegwirft, beraubt sich dadurch selbst des Stoffes, in und aus welchem er das Geistige entwickeln könnte« (WW. I 10, 177). Die Natur ist die unbewußte Form der Vernunft, werdende Intelligenz; das Leben einer Urkraft (s. Weltseele). Nach NOVALIS ist die Natur ein »encyklopädischer, systematischer Inbegriff oder Plan unseres Geistes«, eine »versteinerte Zauberstadt«, die der Mensch erst erlösen muß. Nach L. OKEN ist die Natur der materiell gesetzte Gott (Naturphilos.). Nach J. E. VON BERGER ist sie die Erscheinungssphäre der Geister, eine Entfremdung des Geistes von sich (Philos. sich (Philos. Darstell. d. Harmonie d. Weltalls 1808; Allgem. Grundz. zur Wissensch. 1817/27, I: die Natur ist eine Schöpfung des Geistes). Nach J. J. WAGNER ist die Natur die extensiv schaffende Welt (Syst. d. Idealphilos. S. XLIX). Nach H. STEFFENS ist sie »der ewige Leib oder das körperliche Universum«, »insofern das Wesen der Form auf ewige Weise eingepflanzt ist« (Grdz. d. philos. Naturwissensch. S. 10), sie ist »das Unendlich-Endliche« (l.c. S. 13). »Die wahre Natur ist im Einzelnen wie im Ganzen absolut organisiert« (l.c. S. 27). Nach ESCHENMAYER ist die Natur ein »Abbild eines in uns liegenden Urbildes« (psychol S. 12). Die Natur entspringt dem göttlichen Ursein. Sie ist bestimmt durch das Gesetz der Notwendigkeit (l.c. S. 2 f.). OERSTEDT betrachtet die Natur als ein »unaufhörliches Werk«, als Kräfteprodukt; Vernunftgesetze walten in ihr (Der Geist in d. Natur). Nach C. G. CARUS ist Natur »das Bildende, das aus sich hervor Wachsende, das sich ewig Umgestaltende oder Umbildende« (Vorles. üb. Psychol. S. 10). Nach F. BAADER ist die »Natur in Gott« die schaffende göttliche Kraft (WW. XIII, 78). Nach CHR. KRAUSE stellen Natur und Vernunft dasselbe Wesen der Gottheit dar (Urb. d. Menschheit3, S. 15). »Die Natur ist die Einheit des Unendlichen und Endlichen im vollendet Endlichen« (Vorles. üb. d. Syst. S. 401, 409, 438 ff.). HILLEBRAND erklärt als das Wesen der Natur das Sein in seiner reinen Objektivität und Unmittelbarkeit, »das Sein mit der Bestimmung, bloß Objekt zu sein« (Philos. d. Geist. I, 41). Sie ist das »stumme Zeugnis« des Göttlichen und des Geistes (l.c. S. 42 ff.).