Notwendigkeit - Moderne I


 

Nach HEGEL ist die Natur die Äußerlichkeit der Idee (s. d.), eine Durchgangsstufe in der dialektischen Selbstentwicklung des Geistes, die Vorstufe des (bewußten) Geistes. Sie ist »die Idee in der Form des Anderssein«, die »Äußerlichkeit«, das »Aus-sich-heraustreten der Idee; daher zeigt sie in ihrem Dasein keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit« (Encykl. § 247 f.). »Die Natur ist der Sohn Gottes, aber nicht als der Sohn, sondern als das Verharren im Anderssein, - die göttliche Idee als außerhalb der Liebe für einen Augenblick festgehalten. Die Natur ist der sich entfremdete Geist, der darin nur ausgelassen ist, ein bacchantischer Gott, der sich selbst nicht zügelt und faßt; in der Natur verbirgt sich die Einheit des Begriffs.« »Von der Idee entfremdet, ist die Natur nur der Leichnam des Verstandes« (Naturphilos. S. 24). In ihrem Dasein zeigt die Natur »keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit«. »Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich: aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht; sie ist vielmehr der unaufgelöste Widerspruch. Ihre Eigentümlichkeit ist das Gesetztsein, das Negative,« »der Abfall der Idee von sich selbst« (l.c. § 248, S. 28). »Die Natur ist als ein System von Stufen zu betrachten, deren eine aus der andern notwendig hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultiert; aber nicht so, daß die eine aus der andern natürlich erzeugt würde, sondern in der innern, den Grund der Natur ausmachenden Idee. Die Metamorphose kommt nur dem Begriff als solchem zu, da dessen Veränderung allein Entwicklung ist« (l.c. § 249, S. 32). »Die Zufälligkeit und Bestimmtheit von außen hat in der Sphäre der Natur ihr Recht.« »Es ist die Ohnmacht der Natur, die Begriffsbestimmungen nur abstract zu erhalten« (l.c. § 250, S. 36 f.). »Die Natur ist an sich ein lebendiges Ganzes: die Bewegung durch ihren Stufengang ist näher dies, daß die Idee sich als das setze, was sie an sich ist; oder, was dasselbe ist, daß sie aus ihrer Unmittelbarkeit und Äußerlichkeit, welche der Tod ist, in sich gehe, um zunächst als Lebendiges zu sein, aber ferner auch diese Bestimmtheit, in welcher sie nur Leben ist, aufhebe, und sich zur Existenz des Geistes hervorbringe, der die Wahrheit, der Endzweck der Natur und die wahre Wirklichkeit der Idee ist« (l.c. § 251, S. 38 f.). Die »Natur eines Gegenstandes« ist sein Begriff (Philos. d. Gesch. I, S. 41). »Was als wirkliche Natur ist, ist Bild der göttlichen Vernunft; die Formen der selbstbewußten Vernunft sind auch Formen der Natur« (Philos. d. Gesch. III, 684). Nach K. ROSENKRANZ ist die Natur das System, »worin sich das Denken als Sein setzt« (Syst. d. Wissensch. § 284, S 152). In der Wirklichkeit ist der Geist die »reale Kausalität«, das Prius der Natur (l.c. § 285, S. 153). - Nach SCHLEIERMACHER ist die Natur »das Ineinander alles dinglichen und geistigen Seins als Dingliches, d.h. Gewußtes« (Philos. Sittenl. § 47). W. ROSENKRANTZ erklärt »Natur« als »allgemeine Produktivität samt ihren Produkten« (Wissensch. d. Wiss. I, 423). A. DÖRING betrachtet die Natur als eine »durch mannigfache Stufen sich realisierende Einheit der realen und der idealen Potenz unter dem Übergewicht der realen Potenz« (Grundr. d. Religionsphilos. S. 41). Gott schafft die Natur aus in ihm vorhandenen Potenzen (l.c. S. 34 ff.). - Nach SCHOPENHAUER ist die Natur »der Wille, sofern er sich selbst außer sich erblickt« (Parerg. II, C. 6, § 71). Jedes Wesen in der Natur ist »zugleich Erscheinung und Ding an sich, oder auch natura naturata und natura naturans« (l.c. C. 4, § 64). FECHNER erblickt in der Natur »die äußere Seite oder äußere Erscheinung oder Äußerung Gottes selbst« (Zend-Av. I, 260). HERBART betrachtet die Natur als System von »Realen« (s. d.).

Nach BENEKE ist sie ihrem An-sich-sein, dem Geistigen (s. d.), analog. - Nach H. SPENCER ist die Natur eine Manifestation des unbekannten Absoluten (First Princ.).

Nach RAVAISSON ist die Natur gleichsam eine Refraction des Geistes, eine Abschwächung des göttlichen Denkens. Gott ließ aus dem, was er von der unendlichen Fülle seines Wesens gewissermaßen vernichtete, durch eine Art Wiedererweckung alles Sein hervorgehen (Die französ. Philos. S. 275). E. V. HARTMANN bestimmt die Natur als »objektiv-reale raumzeitliche Erscheinung«, als eine »von jeder bewußten Perzeption unabhängige Manifestation des Weltwesens«, des Unbewußten (s. d.). Sie ist die »teleologische Vorstufe und der Sockel des Geistes« (Philos. Frag. d. Gegenw. S. 29). Das bewußt Psychische gehört nicht zur Natur (Mod. Psychol. S. 441). Nach TEICHMÜLLER (Neue Grundleg. S. 65) ist die Natur die Erscheinung von nicht-sinnlichen Wesen in deren Wirkung auf unsere Sinnlichkeit. - Nach R. EUCKEN sind Natur und Geist »die Hauptstufen einer großen Bewegung des Alls«. Der Naturprozess »zeigt die Wirklichkeit vereinzelt, zersplittert, auseinandergelegt, in einem Stande gegenseitiger Entfremdung der Dinge; er zeigt sie zugleich in einem Stande der Veräußerlichung« (Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 28). Nach PLANCK ist die Natur »zunächst nur das sinnlich Äußerliche und dem Geiste Entgegengesetzte« (Testam. ein. Deutsch. S. 55). Sie entstammt aber einem innerlich universellen, lichten, zum Geiste hinführenden Grunde (l.c. S. 73). Nach G. SPICKER ist die Natur nicht Gott, aber göttlich, sie hat etwas von seinem Wesen (Vers. ein. neuen Gottesbegr. S. 155 ff.). Nach STEINTHAL sind Natur und Geist doppelte Erscheinungsweisen und Namen einer Wesenheit, des Realen (Zeitschr. für Völkerpsychol. IX, 1876). GLOGAU nennt das Wesen des Geistes die natura naturans oder das An-sich-seiende (Abr. d. philos. Grundwiss. II, 26). - DU PREL betrachtet Natur und Geist als Ausstrahlungen eines Wesens (Monist. Seelenl. S. 77). - Nach WUNDT ist die Natur »Vorstufe des Geistes, also in ihrem eigenen Sein Selbstentwicklung des Geistes«, Objektivation des Geistes (Syst. d. Philos.2, S. 568 ff., 619 f.). Natur als solche ist »die Gesamtheit der in der Anschauung gegebenen Erscheinungen« (Log. II2, 1, 279), der »Inbegriff reiner Objekte und ihrer äußeren Relationen« (Philos. Stud. XIII, 406). - Als Gesetzgeber der Natur betrachtet die Gottheit F. BETTEX (Nat. u. Gesetz 1897). - Der Spiritualismus (s. d.) betrachtet die Natur als Erscheinung von geistigen Substanzen oder Kräften. Nach ULRICI ist die Natur »eine Mannigfaltigkeit körperlicher, unterschiedlich bestimmter Dinge, die im Zusammenwirken mit unserem Denken die unmittelbar notwendigen Gedanken ihrer selbst und damit die Gewißheit ihrer Realität in uns hervorrufen« (Log. S. 56). J. ST. MILL versteht unter der Natur eines Dinges den »Inbegriff seiner Fähigkeiten, Erscheinungen hervorzubringen« (Natur S. 4). Natur ist ferner »die Summe aller Erscheinungen zusammen mit den Ursachen, welche sie hervorbringen« (l.c. S. 5), ferner »das, was ohne die Mitwirkung, oder ohne die freiwillige und absichtliche Mitwirkung des Menschen geschieht« (l.c. S. 7). - Nach LEWES ist die Natur »the sum of things« (Probl. II, 124). »Nature is only that is felt« (ib.). Nach HARMS hat die Natur keinen Willen. »Sie begreift in sich alles Geschehen, sofern es allein durch bewegende Kräfte bedingt und begrifflich ist« (Psychol. S. 78). Unter »Natur« wird nichts weiter gedacht als »die Erhaltung dessen, was durch stets in gleicher Weise wirkende Kräfte entsteht«, während Geschichte »ein stets fortschreitendes, neue Gestaltungen der Wirklichkeit erzeugendes Geschehen« ist (l.c. S. 81). Nach JANET ist Natur »l'ensemble des (tres finis qui tombent sous l'experience« (Princ. de mét. II, 321). Nach HAGEMANN ist die Natur eines Dinges die Wesenheit als inneres Principaller Tätigkeit des Dinges (Met.2. S. 37; vgl. Psychol.2, S. 13 f., 15). - UPHUES versteht unter Natur »das Transzendente (d.h. das, was nicht Bewußtseinsvorgang ist), das uns ursprünglich in Empfindungen zum Bewußtsein kommt und von uns in Vorstellungen und Gedanken, die auf Grund der Empfindungen gebildet werden, vorgestellt und gedacht wird« (Psychol. d. Erk. I, 56). Der Naturalismus (s. d.) und der Materialismus (s. d.) sowie der Atheismus (s. d.) sehen in der Natur die absolute Wirklichkeit der Dinge, die blind -mechanisch in allem wirkt. Nach L. FEUERBACH ist die Natur »der Inbegriff der Wirklichkeit«, die »Basis des Geistes« (WW. II, 231, 236). Gott ist ursprünglich nichts anderes als die Natur (WW. I; s. Religion). Ähnlich D. FR. STRAUSS (Der alte u. d. neue Glaube). Nach E. DÜHRING ist die Natur »der universelle Zusammenhang des Materiellen« (Curs. d. Philos. S. 62). Ähnlich MOLESCHOTT, C. VOGT, L. BÜCHNER u. a. Der Kritizismus (s. d.) sieht in der Natur eine (durch das Denken) gesetzmäßig verknüpfte Ordnung von Erscheinungen oder von Vorstellungen (Begriffen). Nach O. LIEBMANN ist die Natur die »Einheit in der Vielheit, allwaltende Gesetzlichkeit in der verwirrenden Überfülle der Einzelfälle, ordo ordinans, objektive Weltlogik« (Anal. d. Wirkl.2, S. 267), »Triebkraft, unerschöpfliche, ununterbrochene Produktivität« (l.c. S. 268), »Fortschritt« (l.c. S. 269). Nach K. LASSWITZ ist Natur »dasjenige, uns durch systematisches Denken als räumlich-zeitliche Erscheinung objektiviert, d.h. begrifflich fixiert und dadurch gesetzlich garantiert ist« (Gesch. d. Atomist. I, 80). RICKERT bestimmt Natur als »die Wirklichkeit mit Rücksicht auf ihren gesetzmäßigen Zusammenhang« (Grenz. d. naturwiss. Begriffsbild. S. 212). Nach FR. SCHULTZE ist die Natur »durch und durch ein Produkt unseres Subjekts; sie ist Empfindungsmaterial, welches durch unsere spontane, apriorische Geistestätigkeit ihre eigentliche Form als räumliche, zeitliche und kausale Objekte erst erhält«. Sie ist durch unsere Kausalsynthese produziert (Philos. d. Naturwiss. II, 269). Nach H. COHEN ist die Natur nichts Fertiges, sondern ein Produkt des wissenschaftlichen Denkens, welches das Chaos der Empfindungen erst ordnet, gestaltet (Princ. d. Infinitesimalmeth.; vgl. Syst. d. Philos. I). - Nach E. MACH u. a. ist die Natur nichts als ein Inbegriff von gesetzmäßig verknüpften »Elementen« oder»Empfindungen« (s. d.). Nach der Immanenzphilosophie (s. d.) ist sie die Totalität von Bewußt- Seiendem. Vgl. Physis. - Vgl. Naturalismus, Materie, Welt, Wirklichkeit, Geist, Vernunft.


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