Objektiv: zum Objekt (s. d.) gehörig, auf das Objekt bezüglich, im gesetzmäßigen, von unserem Wollen und Fühlen unabhängigen Zusammenhang der Erfahrungen und Begriffe enthalten. Das Objektive ist a. das vom Individuum (von dessen Vorstellen, Meinen, Werten) Unabhängige, aber doch eine Beziehung auf das Subjekt überhaupt Einschließende. b. das vom Subjekt überhaupt Unabhängige, nicht durch es Gesetzte, das an sich Seiende. Objektiv gültig ist, was für das denkende Subjekt überhaupt, für jedes Denken Geltung hat (s. Gültigkeit). Objektivität: objektiver Charakter (des Denkens, Beurteilens, von Eigenschaften u. dgl.). Objektivität schließt das Subjekt nicht aus, sondern bedingt nur ein Denken und Werten, wie es das Postulat der sachgemäßen Behandlung des Gegebenen fordert (s. Wahrheit).
Der Gegensatz von objektiv-subjektiv wird von den Stoikern durch kath' hypostasin - kat' epinoian ausgedrückt (Sext. Empir. adv. Math. VII, 426). Bei SCOTUS ERIUGENA durch »in rebus naturalibus - sola ratione«, »in ipsa rerum natura - in nostra contemplatione« (De div. nat. p. 493d, 528a). - Bei den Scholastikern und auch noch später bedeutet das »esse objektive« im Gegensatze zur modernen Auffassung das bloß Vorstellungsmäßige, vom Erkennen Gemeinte, das »intentionale« (s. d.) Sein, das, »was im bloßen obicere, d.h. im Vorstelligmachen, liegt und hiermit auf Rechnung des Vorstellenden fällt« (PRANTL, G. d. L. III, 208). So bemerkt FRANC. MAYRONIS: »Dicidur esse obiective in intellectu, quod ab intellectu percipitur« (l. c. III, 288). »Obiectivaliter« wird dem »formaliter« (dem Wirklichen) gegenübergestellt (ib.), WALTER BURLEIGH erklärt: »Quae neque existunt in anima neque extra animam et intelliguntur ab anima, dicuntur habere esse obiectivum in anima, et nullum aliud esse« (l. c. III, 302). Und JOH. GERSON: »Ens quodlibet dici potest habere duplex esse sumendo esse valde transzendenter. Uno modo sumitur pro natura rei in se ipsa, alio modo, prout habet esse obiectale seu repraesentativum in ordine ad intellectum creatum vel increatum.« »Ratio obiectalis non consistit in solo intellectu aut conceptibus, sed tendit in rem extra..., habet duas facies vel respectus, ad intra sc. et ad extra.« »Obiectum est quasi materiale, ratio autem obiectalis quasi formale« (PRANTL, G. d. L. IV, 145, RITTER VIII, 644 f.). SUAREZ unterscheidet von der »formalen« die »objektive« Vorstellung, d.h. vom Vorstellungsact den Vorstellungsinhalt, das von der Vorstellung Repräsentierte, Gemeinte, das nicht real sein muß (Met. disp. II, sct. 1, 1).
GOCLEN bemerkt: »Esse obiectivum, id est, quod obiicitur intellectui« (Lex. philos. p. 524). »Ens rationis in nulla re est subiective, id est, ut in subiecto, sed tantum obiective est in intellectu, id est, obiectum est intellectus« (l. c. p. 270). Nach MICRAELIUS ist »obiectivum« die »obiectiva essentia, quam res habet non in actu existentiae, sed vel in idea mentis architectricis, tanquam in exemplari, vel in typo per repraesentationem«. »Obiectivus conceptus est res, quae intelligitur« (Lex. philos. p. 730).
DESCARTES stellt »obiective« im Sinne von »repraesentative« (»per repraesentationem«) dem »subiective«, »formaliter« gegenüber (Medit. III. Resp. ad II. obiect. 59). Von dem »in rebus ipsis«, »extra nostram mentem«, »extra nos«, »in obiectis« wird unterschieden das »in nostra cogitatione«, »in sola mente«, »in perceptione nostra«, »in sensu« (Princ. philos. I, 57, 67, 70, 199). SPINOZA erklärt: »Quaecumque percipimus tanquam in idearum obiectis, ea sunt in ipsis ideis obiective« (Ren. Cart. princ. philos. I, def. III). »Idea vera debet convenire cum ideato, hoc est id, quod in intellectu obiective continetur, debet necessario in natura dari« (Eth. I, prop. XXX, dem.). »Earum (rerum) esse obiectivum sive ideae« (Eth. II, prop. VIII, coroll.). Bei BAYLE findet sich: »Objektivement dans notre esprit - réellement hors de notre esprit« (Oeuvr. div. III, p. 334a). BAUMGARTEN bemerkt: »Unum, quod percipitur, est obiectum conceptus et conceptus obiectivus. perceptio ipsa conceptus formalis est« (Acroas. log. § 50). »Fides sacra obiective« (Glaubensinhalt) und »fides sacra subiective« (Glaubensact) werden unterschieden (Met. § 758).
A. F. MÜLLER übersetzt schon »obiective« mit »an sich und außer dem Verstande« (Einl. in d. phil. Wissensch. 1733, II, 63). Unter »objektiven« Begriffen versteht LAMBERT solche, die »wirklich durch äußerliche Gegenstände erweckt werden« (Neues Organ. Phaen. I, § 66). - Nach TETENS ist in der Bebauptung des Objektiven der Gedanke verborgen, »daß die Sache auf die Art, wie wir uns sie vorstellen, von jedem andern würde und müßte empfunden werden, der einen solchen Sinn für es hat, wie wir« (Phil. Vers. I, 535). Das kommt schon der Bedeutung von »obiectiv« bei KANT nahe. »Objektiv« ist nach ihm nicht das »An sich« (s. d.), auch nicht das Individuell- Subjektive, sondern das durch den Intellekt gesetzmäßig Verknüpfte, allgemeingültig Gesetzte und Anerkannte, der Inhalt des allgemeinen, rein erkennenden Bewußtseins. »Objektive, von der Natur und dem Interesse des Subjekts unabhängige Gründe« (Log. S. 106). Objektiv, d. h »aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind« (WW. IV, 261). Urteile sind objektiv, »wenn sie in einem Bewußtsein überhaupt, d. i. darin notwendig vereinigt werden« (Prolegom. § 22. vgl. §18 f.). Empfindung ist gegenüber dem Gefühle objektiv (Krit. d. Urt. I, § 3. s. Gültigkeit). Nach KIESEWETTER bedeutet objektiv »allgemeingültig und notwendig« (Gr. d. Log. S. 73). TENNEMANN erklärt: »Was mit dem Wirklichen in unserem Bewußtsein als Grund zusammenhängt, das müssen wir als vernünftige Wesen für objektiv und wahr halten« (Gr. d. Gesch. der Philos. S. 28).
Nach HEGEL ist Objektivität »Gesetztsein« durch das Denken, »An-und-für-sich-sein« des Gegenstandes im Begriffe, die »Unmittelbarkeit, zu der sich der Begriff durch Aufhebung seiner Abstraktion und Vermittlung bestimmt« (Log. III, 177). »Der Begriff durch eigene Tätigkeit setzt sich als die Objektivität.« Diese ist »die Realität des Begriffs« (Ästhet. I, 142). Nach HILLEBRAND existiert nichts im Objekte, was nicht im Denken bestimmbar ist, und umgekehrt, nichts kann als wahr gedacht werden, was nicht objektive Existenz hat (Philos. d. Geist. II, 235). TRENDELENBURG betont: »Subjektives und Objektives bezeichnen in der Erkenntnis Beziehungen, die sich einander nicht ausschließlich, sondern unter Bedingungen einander fordern können. Die letzte Notwendigkeit wird ebenso für den Geist als für die Dinge Notwendigkeit sein, subjektive und objektive« (Gesch. d. Kategor. S. 289).
Nach SCHOPENHAUER ist »objektiv« das Sein der Dinge für ein Subjekt (s. Objekt). Rein objektiv im Sinne der Sachhaftigkeit wird die Welt nur ästhetisch (s. d.) erfaßt, im Zustande der Vergessenheit des Subjekts, wo man »nicht mehr weiß, daß man dazu, gehört« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 30). »Objektivtät - d.h. objektive Richtung des Geistes, entgegengesetzt der Subjektiven, auf dir eigene Person, d. i. den Willen, gebunden« (l. c. I. Bd., § 36). Sie kommt vorzugsweise dem Genie (s. d.) zu. - Nach SABATIER besteht die Objektivität der Wissenschaft »in der notwendigen Verbindung, welche das wissenschaftliche Denken unter den Erscheinungen feststellt«. Sie ist ein Ideales, zu jeder Erscheinung Hinzugefügtes (Religionsphilos. S. 296). Nach H. COHEN liegt die Objektivität der Anschauungsformen in deren Apriorität (Kants Theor. d. Erfahr.2, S. 170). Objektivität beruht auf der Tätigkeit des Intellekts. So auch P. NATORP: »Von ›Objektivierung‹ ist zu sprechen in dem Sinne, daß Wirklichkeit kein unmittelbares Datum (der Empfindung oder Vorstellung) ist, sondern erst auf der eigenen Leistung der Erkenntnis beruht, in Denkbeziehungen (am Gegebenen) sich dem Erkennenden erst aufbaut« (Arch. f. system. Philos. III, 210 f.). E. KÖNIG erklärt: »Objektiv nennen wir alles das, was nicht in willkürlicher Weise apperzipiert werden kann, oder allgemeiner, was nicht in die Reihe fällt, die wir als die innere oder psychologische betrachten« (Entwickl. d. Kausalprobl. II, 383).F RIEHL bemerkt: »Objektiv sein heißt für jedes erkennende Wesen gültig sein« (Philos. Kritizism. II 2, 164). - Nach SCHUPPE besteht die Objektivität der Erkenntnis nur »in der absoluten Notwendigkeit, mit welcher ein bestimmtes Denken an das Bewußtsein als solches oder an das Bewußtsein überhaupt geknüpft ist« (Grdz. d. Eth. S. 21. vgl. Objekt). - Vgl. MEINONG, Üb. Annahmen, S. 151 ff.
DILTHEY erklärt: »Die ganze Richtung der Wissenschaft geht dahin, an Stelle der Augenblicksbilder, in welchen Mannigfaches aneinander geraten ist, vermittelst der vom Denken verfolgten Relationen, in denen diese Bilder im Bewußtsein sich befanden, objektive Realität und objektiven Zusammenhang zu setzen« (Einl. in d. Geisteswiss. I, 500). Nach WUNDT kann das Denken nicht aus Elementen, die Objektivität noch nicht enthalten, Objektivität schaffen. es kann sie nur bewahren oder in Frage stellen, wo logische Motive dazu bestehen (Syst. d. Philos. S. 97 ff.. Log. I2, 426. Philos. Stud. XII, 331). Als objektiv gewiß gelten schließlich »diejenigen Tatsachen, die auf dem Wege fortschreitender Berichtigung der Wahrnehmung nicht mehr beseitigt werden können« (Log. I2, 425 ff., 456. Syst. d. Philos.2, S. 98). Vgl. SIGWART, Log. I2, 6, 15, 255. - Vgl. Subjektiv, Gültigkeit, Objekt, Qualitäten, Realität.