2. Objekt und Außenwelt

 

Auf Verbindung der innern mit der äußern Wahrnehmung, Ergänzung dieser durch jene, auf Introjektion (s. d.) der Ichheit, des Innenseins in den Wahrnehmungsinhalt der Sinne wird das Außenweltsbewußtsein mehrfach zurückgeführt. So von (SCHLEIERMACHER und) BENEKE. In jedem psychischen Akte ist schon ursprünglich »das Bewußtsein ein zwiefaches: ein Bewußtsein von dem subjektiven und ein Bewußtsein von dem Objektiven, welches darin enthalten ist. Bei der einfachsten sinnlichen Empfindung sind wir uns teils des Gegenständlichen bewußt, welches dieselbe veranlaßt hat, und teils des Zustandes, der Stimmung, die hierdurch für uns bedingt worden ist« (Neue Psychol. S. 71. vgl. Lehrb. d. Psych.3, § 59). »Unmittelbar ist uns nur eine Existenz oder ein Sein gegeben: unser eigenes, wie es sich im Selbstbewußtsein darstellt. alle unsere sinnlichen Wahrnehmungen sind uns zunächst nur als psychische Acte (subjektive Entwickelungen) von besonderer Beschaffenheit gegeben. Aber uns selbst fassen wir nicht nur unmittelbar, sondern auch sinnlich auf (in den Wahrnehmungen von unserm Leibe). zwischen beiderlei Auffassungen begründet sich, schon von der allerersten Lebenszeit an, eine Verbindung, die immer mehr an Stärke wächst, und diese Verbindung wird, schon wenn sie noch in bloßen sinnlichen Empfindungen gegeben ist, in allmählicher Abstufung auf alle übrigen sinnlichen Auffassungen (von anderen menschlichen Leibern, von tierischen Leibern etc.) übertragen, d.h. auch diesen ein Sein untergelegt... Es löst sich hierdurch das Rätsel, wie wir, obgleich rein auf unser Sein beschränkt und in uns selber bleibend, doch mit unserem Empfinden und Vorstellen zu einem Sein außer uns hinüberkommen können« (l. c. § 159. Psychol. Skizz. II, 278 ff.. Syst. d. Met. S. 76 ff.). Nach HERBART werden die Dinge ursprünglich als beseelt vorgestellt. »Denn auf den Anblick eines Körpers, der gestoßen oder geschlagen wird, überträgt sich die Erinnerung an eigenes Gefühl bei ähnlichen Leiden des eigenen Leibes«. Was innerlich empfunden war, wird auf das Äußere übertragen (Lehrb. zur Psychol. 3, S. 134 ff.). Nach ÜBERWEG gründet sich die Überzeugung von dem Dasein äußerer Objekte »auf die Voraussetzung von Kausalverhältnissen, welche nicht auf der sinnlichen Wahrnehmung allein beruht« (Syst. d. Log. § 39). Die Erkenntnis der Außenwelt beruht auf einer Verbindung der äußern mit der innern Wahrnehmung (l. c. S. 77). Es geht die »Setzung einer Mehrheit beseelter Subjekte« der Erfassung der Objekte als solcher voran (l. c. S. 78). Mittelst der Vorstellungsbilder nehmen wir die Objekte wahr (Anmerk. 16 zur Übers. von Berkeleys Principl.). Die Deutung dieser Bilder geschieht mittelst eines »hinzutretenden primitiven Denkens«, welches »teils nähere, teils entferntere Analoga unserer eigenen Existenz, von der wir durch innere Wahrnehmung wissen, auf Anlaß jener Empfindungskomplexe, und zwar als die äußeren Ursachen derselben, voraussetzt« (l. c. Anmerk. 28). Wir können zwar nicht aus unserem Bewußtsein »heraustreten«, aber »mittelst gewisser Vorstellungen und Begriffe, die in meinem Bewußtsein sind, gebe ich mir Rechenschaft über solches, was jenseits meines Bewußtseins liegt, indem ich die Überzeugung gewinne, daß sie anderes, von ihnen selbst Verschiedenes, repräsentieren« (Welt - u. Lebensansch. S. 233). »Die Assoziation zwischen innern Zuständen und leiblichen Äußerungen, welche sich zunächst in Bezug auf unser eigenes Sein in uns gebildet hat, weckt unwillkürlich bei den analogen sinnfälligen Erscheinungen das Bewußtsein der analogen innern Zustände, die wir nun dem Inhalte der sinnlichen Wahrnehmung ergänzend unterlegen. Wir setzen ein ähnliches psychisches Sein außer uns voraus, wie wir es mittelst der innern Wahrnehmung in uns gefunden haben« (l. c. S. 36). Und zwar erst instinktiv, psychologisch, später durch einen Analogieschluß. »Die Gewißheit dieses Schlusses stützt sich in negativer Beziehung auf das Bewußtsein, daß die Art und Folge der betreffenden äußern Erscheinungen in dem subjektiven Zusammenhange unseres eigenen Leben nicht ihre volle Begründung finde, teils in positiver Beziehung auf die durchgängige Bestätigung, welche die Voraussetzung beseelter Wesen außer uns durch die Erfahrung erhält« (l. c. S. 37). In der Erkenntnis beseelter Wesen außer uns liegen also aposteriorische und apriorische Elemente (l. c. S. 40. vgl. S. 44). HORWICZ erklärt das Außenweltsbewußtsein durch den Hinweis auf die Introjektion, welche das Wahrgenommene, das Ding zu einem »Reflexbild unseres Ich«, einem »Quasi-Ich«, macht (Psychol. Anal. II 1, 145 ff.). L. NOIRÉ erklärt: »Das Objekt entsteht dadurch, daß wir dem außer uns Seienden ein Ich leihen. Nur so erhält dasselbe eine Dauer in der Zeit.« »Alles, was auf die gewollte Bewegung des Subjekts hemmend einwirkt... erscheint demselben als Äußeres, als objektive Kausalität, als Objekt.« »Daß wir alle Objekte der Welt... zugleich als empfindungsbegabte, wollende Subjekte auffassen, das allein ermöglicht eine vollständige Erklärung der Welt.« Durch »Mitempfinden, Sympathie« erkennen wir die Wesen außer uns (Einl. u. Begr. ein. mon. Erk. S. 31 f., 169, 176). PAULSEN bemerkt: »Jeder weiß von sich selbst, was er ist, außerdem, daß er anderen und auch sich selbst als organischer Körper erscheint: er weiß um sich als ein fühlendes, wollendes, empfindendes, denkendes Wesen. Und dies ist es, was er sein eigentliches Selbst nennt. Und von diesem Punkte aus deutet er nun die Welt außer sich. gleiche Erscheinungen deuten auf ein gleiches inneres Sein.« Nach A. BIESE besteht die Nötigung, das, was wir an und in uns erleben, »auf die in ihrem Grunde uns fremden und rätselhaften Dinge zu übertragen, in dem Äußern, das aus entgegentritt, ein Inneres voraussetzen«. Dieses »Metaphorische« ist ein Gesetz unserer seelischen Organisation (Philos. d. Metaphor. S. 218 f.). Nach NIETZSCHE entsteht der Objektbegriff durch Projicierung des eigenen Ich in die Wahrnehmung (WW. XV, 273. vgl. S. 265). Aber: »Es braucht kein Subjekt und kein Objekt zu geben, damit das Vorstellen möglich ist, wohl aber muß das Vorstellen an beide glauben.« Unser Intellekt glaubt an Dinge, fingiert solche, weil er den Fluß des Geschehens befestigen muß (WW. XII 1, 7 ff.. XI 6, 239). Vielleicht ist das Objekt nur ein Modus des Subjekts (WW. XV, 275). Die Realität fremder Wesen bemessen wir nach dem Grade unseres Lebens- und Machtgefühls (WW, XV, 277 f.). Nicht Subjekte und Objekte als feste Dinge sind anzunehmen, sondern Komplexe des Geschehens. die in Hinsicht auf andere Komplexe scheinbar dauernd sind (WW. XV, 280). »Für einen einzigen Menschen wäre die Realität der Welt ohne Wahrscheinlichkeit, aber für zwei Menschen wird sie wahrscheinlich. Der andere Mensch ist nämlich eine Einbildung von uns, ganz unser ›Wille‹, unsere › Vorstellung‹: und wir sind wieder dasselbe in ihm. Aber weil wir wissen, daß er sich über uns täuschen muß, und daß wir eine Realität sind trotz dem Phantome, das er von uns im Kopfe trägt, schließen wir, daß auch er eine Realität ist trotz unserer Einbildung über ihn: kurz, daß es Realitäten außer uns gibt« (WW. XI, 275 f.). - W. JERUSALEM verlegt die Objektivierung in das Urteil (s. d.). Implicite aber ist sie schon in der Wahrnehmung enthalten (Urteilsfunct. S. 83). Das primitive Bewußtsein verlegt seine eigenen Willensimpulse in das Objekt und stellt sich so dieses als selbständiges Wesen gegenüber (l. c. S. 94 f.). Das Kind kann den Widerstand, den es wiederholt erfährt, nur als Wirkung eines fremden Willens deuten. »Mit dieser Deutung erst ist die Wahrnehmung vollzogen. Der Komplex von Tast- und Bewegungs- , speziell Widerstandsempfindungen wird als wollendes, dem Kinde entgegenwirkendes Wesen gefaßt und ist damit herausgestellt und Objektiviert. Die Wahrnehmung ist demnach das einfachste, primitivste Urteil. Sie formt und objektiviert den ungeordneten, verwirrenden Empfindungsinhalt. Die Apperzeption vollzieht sich jedoch unbewußt« (l. c. S. 220. vgl. S. 251 f. u. Lehrb. d. Psychol.3). Die Introjektion betont auch G. H. LUQUET (Art. »Réalisme« in der »Grande Encyclopédie«).

L. BUSSE. erklärt: »Die Tatsache meines Seins und Soseins fordert als denknotwendige Ergänzung die Existenz des Nicht-Ich.« »Non-Ego a me cogitatur, ergo est« (Philos. Erk. I, 224, 229 f.). Die Voraussetzung der Außenwelt ist eine denknotwendige, auf logischer Einsicht beruhende Wahrheit (l. c. S. 237). Der Gedanke der Außenwelt ist psychologisch angeboren. Es gibt kein Wesen ohne »Abhängigkeits- oder Endlichkeitsgefühl, d.h. ohne ein dumpfes Bewußtsein des Daseins eines Nicht-Ich« (l. c. S. 239). Merkmale des Nicht-Ich sind das außerhalb des Leibes Sein und die Unabhängigkeit von unserem Willen. Das naive Bewußtsein ist nicht »naiver Realismus«, sondern meint das Objekt als Grund der subjektiven Eindrücke (l. c. S. 241 ff.). Der Gedanke der Außenwelt involviert logisch die Realität derselben, und zwar indirekt. »Daß keine Außenwelt, kein Nicht-Ich ist, bedeutet..., daß nur ein Wesen, nur ein Ich vorhanden ist. So gilt von der Welt als Totalität des Wirklichen, daß ihr nicht noch eine ›Außenwelt‹ gegenübersteht, weil die Einzigkeit der Welt ebenso die Nicht-Existenz der Außenwelt fordert, als ihr Nichtvorhandensein die Einzigkeit der Welt bedingt. Gibt es also keine Außenwelt, so ist das eine Wesen, das wir statuierten, die Welt, der Inbegriff aller Realität, die Totalität des Wirklichen. Mit diesem so bestimmten Wesen, behaupte ich, ist nicht nur das Vorhandensein, sondern auch der Gedanke der Außenwelt unverträglich, weil er dem Begriff desselben widerspricht, und deshalb folgt aus dem Vorhandensein des Gedankens der Außenwelt notwendig, daß ich nicht dieses einzige und unendliche Wesen bin, d. i., daß die Außenwelt, das Nicht-Ich existiert« (l. c. S. 231). - A. MEINONG unterscheidet Objekt und Inhalt (s. d.) der Vorstellung. »Gegenstände höherer Ordnung« sind Gegenstände, die sich gleichsam auf anderen Gegenständen als unerläßlichen Voraussetzungen aufbauen, Gegenstände von innerer Unselbständigkeit (Relationen und Komplexionen) (Zeitsch. f. Psychol. S. 190, 192. Üb. Annahm. S. 93 f.). - Vgl. BERGSON, Matière et Mémoire 1896. G. DAWES HICK, The Belief in External Realities, Proc. of Arist. Soc. N. S. I, 1901, p. 200 ff. - - Vgl. Objektiv, Ding, Sein, Realität, Wahrnehmung, Realismus, Idealismus, Qualität, Introjektion, Phänomenalismus, Subjekt, Subjektiv, Relativismus, Materie, Körper, Substanz.

 


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