2. Objekt und Außenwelt

 

Gegen die Lehre, daß wir eigentlich nur unsere Vorstellungen wahrnehmen, wendet sich die schottische Schule, welche den festen Glauben an die selbständige Außenwelt teils auf den »Gemeinsinn« (s. d.), teils auf Wahrnehmung von Widerstand und Assoziation gründet. Nach REID gehört die Erkenntnis einer Außenwelt zu den durch den »common sense« verbürgten Wahrheiten (Ess. on the powers I, 6). Nicht Ideen, sondern Dinge nehmen wir wahr (l. c. I, p. 211). Die Wahrnehmung schließt die Überzeugung von der Existenz des Wahrgenommenen ein (Inquir. II, 3). Niemand kann »perceive an objekt of sense, without believing that it exists« (Ess. I, p. 291). »Perzeptions (s. d.) have always an external objekt... I am led, by my nature, to conclude some quality to be in the rose, which is the cause of this sensation. This quality in the rose is the objekt perceived. and that act of my mind, by which I have the conviction and belief of this quality, is, what in this case I call perception« (On the int. pow. II, 16). Wir haben die »immediate conviction«, welche »self-evident« ist, daß ein wirklicher Gegenstand außer uns existiert. Dieser Glaube (belief) ist ein der Wahrnehmung eigenes Anerkennen, Urteilen (Inquir. II, 5, 10). er ist irrationell, nicht ein Produkt des Schließens, sondern eines Instinktes (l. c. VI, 20). In der Wahrnehmung offenbart sich uns, in unserer Sprache, die Natur (l. c. II, 6. VII. Ess. I, p. 116). Auch DUGALD STEWART zählt den Glauben an die Außenwelt zu den evidenten Erkenntnissen (Elem. of the philos. of the hum. mind I, p. 28). Während die Empfindung (sensation) bloß ein »change in the state of mind« ist, ist die Wahrnehmung (perception) »the knowledge we obtain, by means of our sensations, of the quality of matter« (l. c. p. 14). Auf der Unabhängigkeit der Wahrnehmung von unserem Wollen (l. c. I, 5, p. 301), sowie auf der konstanten und einheitlichen Ordnung der Natur (l. c. II, 2, p. 157 ff.. vgl. C. 3) beruht das Außenweltsbewußtsein. Auf einen »objektiven« Glauben (s. d.), ein »Geistesgefühl« gründet JACOBI das Außenweltsbewußtsein. Die Wirklichkeit ist selbst »der kräftigste Vertreter ihrer Wahrheit«. »Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas außer mir ist, in demselben Augenblick... Keine Vorstellung, kein Schluß vermittelt diese zwiefache Offenbarung. Nichts tritt in der Seele zwischen die Wahrnehmung des Wirklichen außer ihr und des Wirklichen in ihr. Vorstellungen sind noch nicht. sie erscheinen erst hintennach in der Reflexion, als Schatten der Dinge, welche gegenwärtig waren« (WW. II, 60 f., 107, 175 f., 232). - JAMES MILL spricht von der »fundamental antithesis of oonsciousness and of existence«. Es gibt einen Unterschied zwischen »the sense of expended muscular energy and the feelings, that are neither energy in themselves«. »The qualities of things admitted on all hands to be qualities of the externe (or objekt) world - called the primary qualities, - resistance and extension, - are modes of our muscular energies. the qualities, that do not of themselves suggest externality, or objektivity, - the secondary qualities, as heat, colour etc. - are our passive sensibilities, and do not certain muscular energy. When these secondary qualities enter into definite connections with our movements, they are referred to the external, or objekt world« (Analys. I, ch. 1, p. 5). Die Widerstandsempfindung vermittelt, als das konstanteste Element des Bewußtseins, das Außenweltsbewußtsein ganz besonders (l. c. ch. 6, p. 58. s. unten BAIN u. a.). In der Perzeption wird das actuell Erlebte auf einen gesetzmäßig verknüpften Qualitätenkomplex als »common cause« des Erlebnisses bezogen (l. c. ch. 11, p. 349 f.). Dem Glauben an die dauernde Existenz der Objekte liegt die Überzeugung von der Möglichkeit bestimmter Wahrnehmungen zugrunde (l. c. p. 355. s. J. ST. MILL). Ähnlich TH. BROWN. Das Gegenstandsbewußtsein entsteht durch eine »interruption of the usual train of antecedents and consequents, when the painful feeling of resistance has arisen, without any change of circumstances of which the mind is conscious in itself«. »I consider this belief as the effect of that more general intuition, by which we consider a new consequent, in any series of accustomed events, as the sign of a new antecedent, and of that equally general principle of association, by which feelings, that have frequently coexisted, flow together, and constitute afterwards one complex whole. There is something, which is not ourself, something, which is representative of length - something, which excites the feeling of resistance to our effort. and these elements combined are matter« (Lectur.21, 24, p. 150, 157 ff.. 28, p. 176). - W. HAMILTON betont die gleiche Ursprünglichkeit des Objekt- und des Subjektmomentes. »We may... lay it down as an undisputed truth, that consciousness gives, as an ultimate fact, a primitive duality. a knowledge of the ego in relation and contrast to the ego. The ego and non-ego are thus given in an original synthesis, as conjoined in the unity of knowledge, and in an original antithesis, as opposed in the contrariety of existence.« »I am conscious of both existences in the same indivisible moment of intuition« (Lect. on Met. I, p. 288 ff.). Unmittelbar durch die Perzeption (s. d.) ist die Existenz des Objekts gegeben. - Auf Erwartung und Assoziation, aber in idealistischer Fassung (s. oben), gründet J. ST MILL den Glauben an die Existenz dauernder Objekte. Die Vorstellung eines außer uns Existierenden schließt außer der aktuellen Wahrnehmung eine Summe von Wahrnehmungsmöglichkeiten (»a countless variety of possibilities of sensation«) ein, die sich durch größere Konstanz auszeichnen. Sie stellen sich stets in Empfindungskomplexen dar. Durch den Kausalbegriff beziehen wir jede einzelne Empfindung auf eine permanente Gruppe von Wahrnehmungsmöglichkeiten als deren Grundlage und Ursache. Durch Vergessen der Wahrnehmungsgrundlage der Objekte (d.h. der genannten Gruppen) erscheinen sie als außerhalb des Bewußtseins existierende Wesenheiten, als Substanzen (Exam. ch. 11).

Den abgeleiteten, reflexiven Charakter der Unterscheidung der Vorstellung von Subjekt und Objekt betont KRUG (gegen REINHOLDS »Satz des Bewußtseins«, s. d.): »Die Unterscheidung der Vorstellung als solcher von Subjekt und Objekt und die Beziehung derselben als solcher auf beides ist kein Factum des natürlichen Bewußtseins. In diesem verliert sich das Subjekt so in der Vorstellung des Objektes, daß jene Unterscheidung gar nicht stattfindet.« »Wir schließen... nicht von den wahrgenommenen Vorstellungen auf nicht wahrgenommene Dinge, sondern wir nehmen die Dinge wahr und schließen eben daher und weil wir uns die wahrgenommenen Dinge auch abwesend vergegenwärtigen oder andere an deren Stelle denken können, daß Vorstellungen von den äußern Objekten... in uns entstanden seien« (Fundamentalphilos. S. 130). Die Vorstellung vergegenwärtigt das Objekt. »Wir finden in uns zuerst eine Tätigkeit, die bloß innerlich (immanent) ist, indem wir uns irgend etwas vorstellen und es durch unsere Vorstellungen erkennen können. Durch diese Tätigkeit wird daher nur etwas Subjektives erzeugt, wenn es sich auch auf ein Objektives beziehen mag, das dadurch im Ich vergegenwärtigt oder abgebildet wird« (Handb. d. Philos. I, 55. vgl. UPHUES). G. E. SCHULZE betont, in der Anschauung selbst fände keine Unterscheidung von Vorstellung und Gegenstand statt (Aenesidem. S. 85). Von der Beschaffenheit der Vorstellung kann der Verstand auf eine außer der Seele vorhandene schließen (Krit. d. theoret. Philos. II, 34). Das Vorstellen »besteht aus dem Bewußtsein von etwas in uns, das nicht die dadurch erkannte Sache selbst ist aber doch als ein Zeichen davon dazu dienet, die Beschaffenheiten der Sache zu erkennen« (Üb. d. menschl. Erk. S. 22 f.). »Da Vorstellungen allererst durch ihre Beziehung auf etwas anderes, als sie selbst sind, Vorstellungen ausmachen, so können sie von dem, was dadurch vorgestellt wird, sehr verschieden sein und gleichwohl eine Erkenntnis desselben vermitteln. Diese Verschiedenheit findet an denselben auch immer statt, wenn das, worauf sie sich beziehen, und dessen Stelle sie für das Bewußtsein vertreten, keine Vorstellung und keinen Gedanken, sondern etwas Objektives in der Natur und dessen Beschaffenheit ausmacht« (l. c. S. 24). Nach FRIES ist zu beachten, daß »in der Empfindung von vornherein ein Anschauen von etwas außer mir oder einer Tätigkeit in mir... enthalten sei, und daß die Vorstellung eines Gegenstandes oder eines Objektiven nicht erst durch die Reflexion oder sonst hinterher hinzugebracht werde, sondern schon gleich von Anfang an vollständig dabei sei« (Neue Krit. I2, 88. Vgl. WUNDT). »Die Anschauung in der Empfindung hat für sich allein unmittelbare Evidenz, indem sie den Gegenstand als gegenwärtig vorstellt« (l. c. S. 91). Die Dinge können in ihrer Beziehung zum Subjekt oder in ihren wechselseitigen Beziehungen aufgefaßt werden (l. c. S. 94). - TIEDEMANN wiederum erklärt: »Wir kennen die Dinge nicht anders als dadurch, daß sie mittelst der Eindrücke auf uns sich zu erkennen geben... Diese Eindrücke allein sind es, was von den Gegenständen unmittelbar zu unserer Kenntnis gelangt. das hinter ihnen Liegende entdeckt sich nicht unmittelbar, sondern muß allenfalls aus den Eindrucken und den damit verbundenen Umständen geschlossen werden. Demnach sind Objekte uns unmittelbar nichts anderes als die Empfindungen, welche uns gegeben werden.« Gegenstand und Empfindung sind für uns nicht innerlich und wesentlich verschieden, sondern »der Gegenstand bekommt nur einen kleinen Zusatz aus anderen Betrachtungen, um ihn von der bloßen Empfindung zu unterscheiden« (Theaet. S. 146 f.). Nach ABICHT ist die Nötigung, meine Vorstellungen auf fremde Ursachen zu beziehen, nur meine eigene, subjektive Notwendigkeit (Philos d. Erk. S. 368 f.). - Nach BOUTERWEK erfaßt das Ich das Objekt als entgegengesetzt dem Subjekt (Apodikt. II, 73), durch den Widerstand, den es uns entgegensetzt (l. c. S. 60 ff.). »Die Vernunft erkennt in ihrer ursprünglichen Verbindung mit der Sinnlichkeit das Dasein einer wirklichen... Außenwelt an, indem sie durch denselben ursprünglichen Reflexionsact, durch den das Ich als Subjekt oder erkennendes Wesen im Bewußtsein hervortritt, dem Ich ein Nicht-Ich, dem Subjekt ein Objekt, dem erkennenden Wesen ein Erkanntes... gegenüberstellt. Dieser ursprüngliche Reflexionsakt ist ein Denken, aber kein Schließen. Er ist eine von den unmittelbaren Funktionen der Denkkraft, die der Entstehung der Begriffe, Urteile und Schlüsse zum Grunde liegen« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 51. vgl. SCHOPENHAUER u. a.).

 


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