2. Objekt und Außenwelt

 

Auf räumliche Momente u. dgl. wird die Entstehung des Außenweltsbewußtseins vielfach bezogen (s. Selbstbewußtsein). WAITZ leitet es aus einer Projection der Vorstellungen nach außen ab (Lehrb. d. Psychol. S. 430). Nach VOLKMANN setzt sich die Vorstellung des Gegenstandes außer uns aus »der Projection in den Raum und dem Bewußtwerden der Abhängigkeit im Haben der Empfindung« zusammen (Lehrb. d. Psychol. Il4, 139). Ihre letzte Ausgestaltung erhält diese Vorstellung durch den Substanzbegriff (l. c. S. 141). Nach E. MACH erscheinen dem naiven Bewußtsein die Elemente der Dinge räumlich und außerhalb der Elemente des Leibes, »und zwar unmittelbar, nicht etwa durch einen psychischen Projections- oder einen logischen Schluß- oder Constructionsprozess, der, wenn er auch existieren würde, sicher nicht ins Bewußtsein fiele« (Anal. d. Empfind.4, S. 26). Unabhängig erscheint die Außenwelt, weil man die Abhängigkeit der »Elemente« (s. d.) von den Elementen des eigenen Leibes nicht, dafür aber die festen Zusammenhänge der Körper-Elemente beachtet (l. c. S. 27). STÖRRING erklärt: »Der Objektivitätscharakter der Wahrnehmungen des Gesichts im Gegensatz zu dem Subjektivitätscharakter der Pseudohallucinationen und... der Vorstellungen hängt davon ab, daß die Wahrnehmungsinhalte dem Individuum in den im gegebenen Moment wahrgenommenen Raum eingeordnet erscheinen und demselben eine konstante durch Erfahrung ihm bekannt gewordene Abhängigkeit von den Bewegungen des Sinnesorganes und des Gesamtkörpers zeigen« (Psychopathol. S. 71). Nach HAGEMANN geben wir den Empfindungen »objektive Deutung, und zwar, nachdem wir einmal die Wahrnehmung gewonnen haben, ganz unbewußt und unwillkürlich. wir vereinigen sie in demselben Raumbilde, woher gleichzeitig die Sinneserregung ausgegangen ist« (Psychol.2, S. 62). JODL betont: »Da jede Wahrnehmung Bewußtseinszustand ist, so ist jeder der Gegensatz und die Spaltung von Subjekt und Objekt wesentlich« (Lehrb. d. Psychol. S. 108). - »Das wichtigste Kriterium, welches für die naive Beobachtung einen Komplex gewissermaßen legitimiert und die Grenzlinie von Ding zu Ding zieht, ist die Möglichkeit, irgend eine Gruppe aus einer gegebenen Totalität von Eindrücken selbständig abzulösen, ohne ihre Erscheinung und den Zusammenhang ihrer Teile zu verändern und sie durch Bewegung und Ortsveränderung in eine ganz andere Umgebung zu bringen.« »Jeder derartige Komplex von verschiedenen Sinnesempfindungen, die immer miteinander vorkommen oder wenigstens miteinander vorkommen können, bildet nun den Nucleus einer dinglichen Vorstellung, die Vorstellung einer Sache, welche bestimmte Eigenschaften hat. Dies bedeutet nichts anderes als die Auslegung, welche das Bewußtsein unter dem Einflusse der... Prozesse der Lokalisation und Projection einem solchen Empfindungskomplexe gibt.« »Dinge oder Sachen sind in erster Linie sichtbare Dinge. das Gesichtsbild wird vorzugsweise zum Zeichen für die Sache selbst« (l. c. S. 91, 94, 546, 549 ff.).

Die Unmittelbarkeit (oder höchstens psychologische Genesis) des Außenweltsbewußtseins bezw. die primäre Objektivität des Wahrgenommenen wird in verschiedener Weise betont (s. auch oben: REID, JACOBI u. a.). Nach GALUPPI ist das Objektbewußtsein unmittelbar gewiß (Elem. di filos. I, 155 ff.). So auch nach ROYER-COLLARD (Adam, Philos. en France p. 195 ff.), AMPÈRE (l. c. p. 178), nach RENOUVIER (Critique philos. XV, 1879), L. DAURIAC (als Glaube an das phänomenale Objekt) (Croyance et Réalité, 1889) u. a. Nach FECHNER vertritt uns die Anschauung das Objektive selbst, erscheint uns unmittelbar als dieses. Das durch Anschauung Gegebene und das dazu Associierte wird objektiviert (Zend-Av. I, 177 f.). Reflexionslos verwechseln wir »das, was in die Wahrnehmung eintritt, geradezu mit etwas Äußerem« (Tagesans. S. 224). »Glaubenssache wird die Annahme einer Außenwelt immer bleiben, da wir doch das, was wir von ihr haben und wissen, tatsächlich nur als unser Inneres haben« (l. c. S. 225). »Aus dem Bewußtsein kann man nicht heraus, kann auch nicht beim eigenen stehen bleiben. Der praktische Gesichtspunkt nötigt den Menschen, an eine Außenwelt zu glauben, um seine Handlungen darauf zu richten« (Üb. d. Seelenfr, S. 200). Die Dinge an sich müssen wir uns uns analog denken (Tagesans. S. 230 ff.). Dieser »objektive Idealismus« betont: »An etwas überhaupt denken, was nicht in unsern oder damit vergleichbar einen andern oder allgemeinen Geist falle oder fallen könne oder daraus abstrahierbar sei, heißt an nichts denken« (l. c. S. 240). Nach R. HAMERLING ist die Anschauung des Objekts eins mit dem Objekt selbst (Atomist. d. Will. I, 44). Einen ursprünglichen Glauben an die Außenwelt in der Anschauung lehrt MARTINEAU. Nach LEWES ist die »reality of an external existence, a Not-self« »a fact of feeling« ursprünglicher Art, ebenso gewiß wie das eigene Ich (Probl. I, 177, 179). Aber das Objekt (als »Universe«) ist der »larger circle«, welcher das Ich einschließt (l. c. p. 194 f.). Nach W. JAMES besteht das Wahrgenommene ursprünglich in »simple beings, neither in nor out of thoughts«. »Sameness in a multiplicity of objektive appearances is thus the basis of our belief in realities outside of thought« (Princ. of Psychol. I, 272. vgl. p. 32 ff.). Nach KIRCHMANN setzt die Wahrnehmungsvorstellung ihren Inhalt als seiend, das Seiende außerhalb der Wahrnehmung (s. d.) (Katech. d. Philos.3, S. 21. Lehre vom Wiss.4, S. 10, 68). - Nach G. GLOGAU fassen wir nicht die Bewußtseinserscheinungen als sekundäre Folgen einer für sich seienden Realität auf. Die Wahrnehmung allein ist das Gegebene, das Primäre (Abr. d. philos. Grundwiss. I, 24 f.). »Aus uns selbst... verlegen wir die Anschauung, welche wir allmählich gebildet haben und die uns in unserem gegenwärtigen Handeln bedingt, in die Außenwelt.« Es gehört zum Wesen des Bewußtseins, »bei jedem einzelnen Acte von der Gesamtheit aller früheren ähnlichen Acte sieh abhängig zu fühlen«. »Diese Abhängigkeit besteht nun genauer darin, daß in der Wahrnehmung die bewußte Tätigkeit nicht auf die directe Veranlassung beschränkt bleibt, welche sie diesmal herausfordert, sondern daß alles, was den Inhalt früherer ähnlicher Acte gebildet hat, jetzt (bei Eintritt des gleichen oder eines ähnlichen Reizes) ebenfalls in erneute Energie versetzt wird und sich der direkten Erregung hinzuaddiert. Ein solcher größerer psychischer Komplex aber, der indirekt geweckt wird, fällt (scheinbar) aus den Grenzen des tätigen Prinzips heraus, da die eigene Aktivität in den schon früher erschaffenen, jetzt mittelbar erweckten alten Massen wenig gefühlt wird. So setzt er sich als unabhängig auf sich selber ruhende Gegenständlichkeit dem tätigen Prinzip gegenüber und erscheint dadurch als der die Tätigkeit bedingende, aber in sie nicht aufgehende, mit ihr nicht identische, unabhängige Reiz« (l. c. S. 26 f.). J. BERGMANN erklärt: »Während die Empfindung an sich ein subjektiver Zustand, eine Daseinsweise des empfindenden Subjekts ist, findet durch das Bewußtsein gleichsam eine Zersetzung statt. der Inhalt der Empfindung oder das Empfundene wird aus dem Zustande als solchem ausgeschieden und als ein selbständiges Wesen dem empfindenden Subjekt gegenübergestellt« (Grundl. ein. Theor. d. Bewußts. S. 34 ff.). Nach C. GÖRING hingegen wird die Wahrnehmung auf äußere Gegenstände bezogen (Syst. d. krit. Philos. I, C. 9, S. 172). - Nach VOLKELT haben die Empfindungen unmittelbar den Schein der TransSubjektivität (Beitr. zur Anal. d. Bewußts., Zeitschr. f. Philos. Bd. 112, S. 217 ff., 221). Die Empfindung ist gegeben, bedeutet nur sich selbst, es fehlt ihr die Abbildlichkeit (l. c. S. 219 ff.). »überall und immer erfahren wir, indem wir empfinden, zugleich den Eindruck des Außenweltlichen. wir glauben unmittelbar das Draußen unseres Bewußtseins so zu empfinden« (l. c. S. 222). »Die Empfindung steht uns mit einem Schlage als scheinbar transsubjektiv vor dem Bewußtsein« (l. c. S. 224). »Das Bewußtsein wird im Empfinden der Bewußtseinsjenseitigkeit seines Inhalts in unmittelbarer Weise inne« (l. c. S. 230 f.). »Das Bewußtsein spürt, indem es sich spürt, zugleich sein eigenes Jenseits« (l. c. S. 236). Das »Gefühl des TransSubjektiven« wird durch die Erfahrung des Bewegungswiderstandes unterstützt. Auf Grund desselben füllen wir die Außenwelt mit (unserem Willen analogen) Kräften aus (l. c. S. 239. vgl. Transcendent). Nach P. JANET drückt die Empfindung als Qualität eine Erscheinung aus, sie setzt ein Objekt voraus (Princ. de mét. et de psychol. II, 160 ff., 164 f.). Schon in der primitivsten Empfindung (sensation) ist ein »caractère objektif« (l. c. p. 166). »La relativité des sensations ne répose... pas plus que la Subjektivité contre l'existence des choses sensibles. car lors même qu'il y aurait de telles choses, la relativité et la Subjektivité seraient précisément telles qu'elles sont« (l. c. p. 191). Die Objekte sind zugleich mit dem Ich gegeben. »nous sommes en rapport direct avec des choses extérieures« (l. c. p. 192). Es besteht eine »union directe du moi et du non-moi« (l. c. p. 193). Das Außenweltsbewußtsein ist »un acte primordial et irrésistible, un instinct« (ib.), kann aber auch induktiv gestützt werden (l. c. p. 193 ff.). Aus dem Widerstande, den unsere Kraft, unser Wille erfährt, schließen wir auf Kräfte außer uns (l. c. p. 195 ff.). - SCHUPPE bestreitet die Projection der Empfindungen auf Dinge außer dem Bewußtsein, vielmehr baut sich die Außenwelt aus Empfindungsinhalten auf (Log. S. 15 ff.).

Nach WUNDT ist die Außenwelt »die ganze Summe der Erfahrungsinhalte, die in der unmittelbaren Wahrnehmung als ein von dem fühlenden und wollenden Ich Verschiedenes gegeben sind« (Log. I2, 424). Das ursprünglich Gegebene ist das »Vorstellungsobjekt« (s. oben). Die Objektivität ist ein ursprüngliches Merkmal des Gegebenen. die Vorstellung wird nicht erst auf ein Objekt durch Schluß bezogen. »Die Welt, soweit wir sie kennen, besteht nur in Vorstellungen. Diese aber werden von dem natürlichen Bewußtsein den Gegenständen, auf die wir sie beziehen, identisch gesetzt, und erst die wissenschaftliche Reflexion erhebt die Frage. wie sich das in der Vorstellung gelieferte Bild und sein Gegenstand zueinander verhalten.« »Da wir die objektive Wahrnehmung gar nicht unmittelbar zugleich als subjektiven Zustand unseres Bewußtseins auffassen, so ist ursprünglich die Vorstellung des Gegenstandes eins mit dem Gegenstand selber. erst eine nachträgliche Reflexion unterscheidet diesen von seinem subjektiven Bilde und trennt so das ursprünglich einheitliche Vorstellungsobjekt in zwei Bestandteile: das Objekt und die Vorstellung« (Log. I2, S. 424, Grdz. d. physiol. Psychol. II4, S. 1, 437 f.. Philos. Stud. X, 87. Ess. 5, S. 140). Subjekt und Objekt als solche gibt es erst begrifflich durch die Reflexion (Syst. d. Philos.2, S. 97. Philos. Stud. XII, 343, 383 f., 396, 399. XIII, 322). Nach KÜLPE bildet sich das Ichbewußtsein zugleich mit der Vorstellung einer Außenwelt (Philos. Stud. VII, 410). Das Ursprüngliche ist die weder objektiv noch subjektiv differenzierte Einheitlichkeit des Erlebten (l. c. S. 313). Zunächst ist die Außenwelt »die Summe aller außer dem eigenen Körper gesehenen oder sichtbaren Objekte« (l. c. S. 321). »Im« Ich ist die Außenwelt bezüglich ihrer Abhängigkeit vom Körper (l. c. VIII, 335). Mit der Anerkennung des eigenen Körpers als eines Vorstellungsobjektes vollzieht sich eine weitere Scheidung (ib.). - R. STEINER bemerkt: »Der naive Mensch betrachtet seine Wahrnehmungen in dem Sinne, wie sie ihm unmittelbar erscheinen, als Dinge die ein von ihm ganz unabhängiges Dasein haben« (Philos. d. Freih. S. 58 ff.)

 


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