Qualität - Demokrit, Descartes, Locke


Das Vaiçeshika-System unterscheidet vierundzwanzig Qualitäten (»guna«) der Substanzen (»dravya«), das Sankhya-System drei Arten von Qualitäten. Die Subjektivität (s. d.) der Sinnesqualitäten wird schon in der indischen Philosophie erkannt. Bei den Griechen teilweise schon von den Eleaten (s. Sein), besonders aber von DEMOKRIT. Hier ist auch der Ursprung der Unterscheidung zweier Arten von Qualitäten, objektiver und bloß Subjektiver. Zu den ersteren gehören nur die Eigenschaften der Atome (s. d.): Gestalt, Größe, Härte Schwere, alle anderen Qualitäten sind nur Wahrnehmungsinhalte: tôn de allôn aisthêtôn oudenos einai physin, alla panta pathê tês aisthêseôs alloioumenês, ex hês genesthai tên phantasian (Theophr., De sens. 62). sie sind nur nomô objektiv, nicht eteê, in Wahrheit: nomô glyky, nomô pikron, nomô thermon, nomô psychron, nomô chroiê. eteê de atoma kai kenon (Sext. Empir. adv. Math. VII, 135). haper nomizetai men einai kai doxazesthai ta aisthêta, ouk esti de kata alêtheian tauta (ib.. vgl. IX, 44). chrômata - ou physei - alla nomô kai thesei tê pros hêmas echei to einai (Simplic. ad Phys. f. 119). Die Relativität (s. d.) und Subjektivität alles Wahrnehmbaren lehrt PROTAGORAS (vgl. Plat., Theaet. 157 A, 160B), auch ARISTIPPUS (Sext. Empir. adv. Math. VII, 191). Die Eretrier sollen die Qualitäten dem Seienden abgesprochen haben (anêroun tas poiotêtas Simpl. in Cat. 68a 24). Auch PLATO rechnet die Sinnesqualitäten nicht zur Seinswelt der Ideen (s. d.). Dagegen lehren ARISTOTELES und THEOPHRAST (De sens. 68 squ.) die Objektivität der Qualitäten (s. Wahrnehmung). So auch die Stoiker (Galen., De plac. Hipp. et Plut. V, 642K. vgl. L. STEIN, Psychol. d. Stoa II, 152). EPIKUR hat die quantitative Weltanschauung (s. d.), welche die Sinnesqualitäten für subjektiv erklärt: kai mên kai tas atomous nomisteon mêdemian poiotêta tôn phainomenôn prospheresthai plên schênatos kai barous kai megethous kai hosa ex anankês schêmati symphyê esti. poiotês gar pasa metaballei, hai d' atopoi ouden metaballousin (Diog. L. X, 54). Die Subjektivität der nicht geometrisch-dynamischen Qualitäten betont auch LUCREZ (De rer. nat. II, 730 squ.). Nach AVICENNA sind die Qualitäten (Akzidenzen) weder unkörperlich, noch körperlich (Met. III, 7. vgl. Körper). Die Scholastiker unterscheiden schon »qualitates primae (primariae)« und »secundae (secundariae)«. »Qualitates primae sunt a quibus aliae fluunt et sunt quatuor: caliditas et frigiditas, siccitas et humiditas. - Secundae sunt quae ab aliis fluunt« (BARTHOL. ARNOLDI USIGENSIS, bei Eucken, Terminol. S. I96). Während die meisten Scholastiker die objektive Realität der Qualitäten anerkennen (s. Spezies), betrachtet schon WILHELM VON OCCAM die Sinnesqualitäten als »Zeichen« (signa) der wirklichen Eigenschaften der Dinge.

Die Unterscheidung zweier Arten von Qualitäten, subjektiver und objektiver, wird in der neueren Philosophie von großer Wichtigkeit. Die Subjektivität der Sinnesqualitäten lehrt CAMPANELLA (De sensu rer. II, 12 f.). Nach GALILEI kommen den Körpern zu: Begrenzung, Figur, Größe, Bewegung u. a., während Farben, Töne u.s.w. subjektiv sind. »Che questi sapori, odori, colori... per la parte del suggesto, nel quale ei par, ehe riseggano, non sieno altro, che puri nomi, ma tengano solamente lor residenza nel corpore sensitivo, sicchhè rimosso l'animale sieno lerate, ed annichilate tutte queste qualità« (Saggiat. II, 340). Nach HOBBES sind die Qualitäten der Sinne »seeming and apparitions only. - We conclude such things to be without, that are within us« (Works IV, 8, 19). Die Körper haben als Akzidenzen nur »magnitudo, motus«, Größe und Bewegung (Leviath. I, 9). »Lux, color, calor, sonus, et caet. qualitates, quae sensibiles vocari solent, obiecta non sunt, sed sentientium phantasmata« (De corp. C. 25, 3). In »ipso obiecto« sind sie »nihil aliud praeter materiae motum, quo obiectum in organa sensam diversimode operatur. neque in nobis aliud sunt quam diversi motus«. »Nam si colores illi et soni in ipso obiecto essent, separari ab illis non possent« (Leviath. I, 1). Von den Qualitäten rechnet DESCARTES die einen (die geometrischen, klar und deutlich bestimmten) zu den Dingen selbst (»in rebus ipsis«), die anderen zum bloßen Empfindungsinhalte, zur subjektiven Betrachtungsart (»in nostra tantum cogitatione«) (Princ. philos. I, 57). Während Figur, Größe, Bewegung klar erkannt werden, sind die übrigen Qualitäten verworren: »semper enim eorum imagines in cogitatione nostra sunt confusae, nec, quidnam illa sint, scimus« (l. c. IV, 200. Medit. VI). Die Sinnesqualitäten subjektiver Art sind nur Reaktionen des empfindenden Subjektes, veranlaßt durch die davon verschiedenen Dispositionen der Dinge. »Qaae cum ita sint, et sciamus eam esse animae nostrae naturam, ut diversi motus locales sufficiant ad omnes sensus in ea excitandes, experiamurque illos reipsa varios sensus in ea excitare, non autem deprehendamus quicquam aliud, praeter eiusmodi motus, a sensuum externorum organis, ad cerebrum transire: omnino concludendum est, non etiam a nobis animadverti, ea quae, in obiectis externis, luminis, coloris, odoris, saporis, soni, caloris, frigoris et aliarum tactilium qualitatum vel etiam formarum stubstantialium nominibus indigitamus, quicquam aliud esse quam istorum obiectorum varias dispositiones, quae efficiunt, ut nervos nostros variis modis movere possint« (l. c. IV, 198). Primäre und sekundäre Qualitäten (diese Bezeichnung überträgt R. BOYLE auf die Cartesianische Lehre) unterscheidet auch GASSENDI, nach welchem die »qualitates sensibiles« in den Dingen nur »facultates feriendi et afficiendi certo modo sensus« sind (Philos. Epic. synt. II, sct. 1, 12, 15), so auch R. BOYLE selbst (vgl. Lasswitz, Gesch. d. Atomist. II, 268). Nach BAYLE sind alle Qualitäten nur Modifikationen unserer Seele (Dict. hist. et crit., Art. Pyrrhon.)

Zu erneuerter Bedeutung kommt diese Unterscheidung durch LOCKE. Er erklärt: »Wenn man die Qualitäten in den Körpern so betrachtet, so ergeben sich zunächst solche, welche von dem körperlichen Gegenstande ganz untrennbar (inseparable) sind, gleichviel in welchem Zustande er sich befindet. er behält sie trotz als Veränderungen, die er erleidet, und aller gegen ihn gebrauchter Kraft. sie werden in jedem Stoffteilchen wahrgenommen, das noch wahrnehmbar ist, und die Seele findet, daß sie von keinem Stoffteilchen abgetrennt werden können, selbst wenn diese so klein sind, daß sie von unseren Sinnen nicht mehr wahrgenommen werden können... Diese Qualitäten der Körper nenne ich die ursprünglichen (original) oder ersten (primary), und man bemerkt, daß sie einfache Vorstellungen in uns, wie Dichtheit, Ausdehnung, Bewegung oder Ruhe und Zahl, hervorbringen« (Ess. II, ch. 8, § 9). »Zweitens gibt es Eigenschaften, welche in Wahrheit in den Gegenständen selbst nichts sind als Kräfte, welche verschiedene Empfindungen in uns durch ihre ursprünglichen Eigenschaften hervorbringen. Wenn sie z.B. durch die Masse, Gestalt, das Gewebe und die Bewegung ihrer unsichtbaren Teilchen Farben, Töne, Geschmäcke u.s.w. hervorbringen, so nenne ich sie sekundäre (secondary) Qualitäten.« Es sind dies Farben, Töne, Geschmäcke u.s.w. »Diesen könnte man noch eine dritte Art von Qualitäten beifügen, die man für bloße Kräfte nimmt« vermöge deren die Körper aufeinander wirken (l. c. § 10). Die Vorstellungen der primären Qualitäten sind diesen selbst ähnlich: »The ideas of primary qualities of bodies are resemblances of them and their patterns do really exist in the body themselves« (l. c. § 15. vgl. Wahrnehmung).

Die Subjektivität, bloß mentale Existenz aller Sinnesqualitäten lehrt COLLIER (Clav. univers. I, 1, sct. 1, p.20 ff.). Besonders BERKELEY, welcher voraussetzt, eine Idee (s. d.) könne wieder nur einer Idee ähnlich sein (Princ. VIII). Die sogen. primären Qualitäten können nicht einmal in Gedanken von den sekundären abgesondert werden, mit diesen sind sie nur im Geiste, Bewußtsein (l. c. X). Die Relativität der Ausdehnung (s. d.) und Bewegung bezeugt dies auch (l. c. XI). Alle Sinnesqualitäten sind nur intramental, nicht extramental (l. c. XIV). »Colour, figure, motion, extension and the like, considered only as so many sensations in the mind, are perfectly known, there being nothing in them which is not perceived. But if they are looked on as notes or images, referred to things or archetypes existing without the mind, then are we insolved all in scepticism« (l. c. LXXXVII. vgl. Hyl. and Philon.). Nach CONDILLAC werden die »sensations« durch Objektivierung zu »qualités des objets« (Trait. de sens. II, ch 7, § 16). Vielleicht sind auch die primären Qualitäten nur subjektiv (l. c. IV, 5). Nach HUME sind zunächst die sekundären Qualitäten Subjektiv, und zwar aus folgendem Grunde: »Wenn derselbe Sinn von einem Gegenstand verschiedene Eindrücke gewinnt, so kann unmöglich jedem dieser Eindrücke eine gleiche Qualität in dem Gegenstande entsprechen. Derselbe Gegenstand kann nicht zu gleicher Zeit mit verschiedenen, auf dieselben Sinne wirkenden Eigenschaften ausgestattet sein, und ebenso wenig kann dieselbe Eigenschaft gänzlich verschiedenen Eindrücken gleichen. Es folgt also klar, daß viele unserer Eindrücke kein Original oder Urbild außer dem Geiste haben können. Nun vermuten wir aber bei gleichen Wirkungen gleiche Ursachen. Wir schließen: Viele der Eindrücke von Farben, Tönen u.s.w. sind zugestandenermaßen nichts als innere Existenten und entstehen aus Ursachen, die ihnen keineswegs gleichen. Diese Eindrücke sind ihrem Charakter nach von den andern Eindrücken von Farben, Tönen u.s.w. nicht verschieden. Also werden sie alle in gleicher Weise von Ursachen herstammen, die ihnen nicht gleichen« (Treat. IV, sct. 3, S. 297). Da aber die primären nicht ohne die sekundären Qualitäten vorgestellt werden können, so müssen auch sie subjektiv sein (l. c. IV, sct. 3, S. 297 f., 303). - Die Objektivität der ersten Qualitäten, als deren Zeichen die zweiten gelten, betonen hingegen REID, TH. BROWN (Lectur. II, p. 62, vgl. p. 56), der in den primären Qualitäten die der Materie wesentlichen (Ausdehnung, Widerstand), in den sekundären die bloß akzidentiellen Bestimmtheiten der Materie sieht. W. HAMILTON unterscheidet primäre (primary), secundo-primäre (secondoprimary), sekundäre (secondary) Qualitäten (Lect. on Met. I), H. SPENCER, dynamische (dynamic), statisch-dynamische (statico-dynamic), statische (static) Eigenschaften (Psichol. II, § 317. vgl. HODGSON, Philos. of Reflect. I, 402). - Nach J. ST. MILL bezeichnen die ersten Qualitäten nur eine konstantere, allgemeinere Permanenz von Wahrnehmungsmöglichkeiten (Examin.). A. BAIN, der zu den ersten Qualitäten Ausdehnung und Widerstand zählt, hält sie wie die zweiten nur in Beziehung zu einem Subjekt gegeben (vgl. Sens. and Intell. p. 366. Ment. and Mor. sc. p. 198). Noch weiter gehen die ausgesprochenen (englischen) Idealisten (s. d.). -


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