Realität des Raumbegriffs
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Nach J. E. FICHTE beruht die Vorstellung des Raumes auf einem ursprünglichen »Ausdehnungs- (Körper-)Gefühl« (Psychol. I, 337). Wir selbst sind Raumwesen, nehmen einen Ort ein (l. c. S. 340). Unsere Seele ist ein raumsetzendes Wesen (l. c. S. 360). Raum und Zeit sind a priori, Bedingungen der Erfahrung, aber doch von objektiver Bedeutung (l. c. S. 323 f.). Der Raum ist die unmittelbare Folge der Selbstbehauptungen der Wesen (Anthropol. S. 187). Der rauhende Raum ist das Produkt einer Aus-Dehnung, einer Expansionstat (Psychol. I, 28). Der unendliche Raum ist »die schlechthin erste und ursprünglichste Wirkung des sich selbst setzenden (ausspannenden) absoluten Urgrundes« (l. c. 63. 30). der »göttliche. Raum« ist die Grundbedingung jeder Wechselwirkung (l. c. S. 31). Der sinnliche Raum ist ein objektives Phänomen (l. c. S. 40). Als »Triebphänomen« bestimmt den Raum FORTLAGE. »Was die Wahrnehmung einzig zu einer äußerlichen macht, ist in nichts anderem begründet, als in dem Gefühl entweder eines hindernislos sich vollziehenden, oder eines in reiner Ausübung gehinderten Triebes« (Syst. d. Psychol. I, 386). Nach ULRICI sind Raum und Zeit Kategorien, aber durch die Empfindungen bedingt (Glaub. u. Wiss. S. 103, 107). Der Raum ist das allgemeine Außer- und Nebeneinander der Dinge (l. c. S. 80, 104 f.. Geist u. Nat. S. 664. Syst. d. Log.. t3. 256 f.). Der Raum ist von Gott gesetzt (Geist. u. Nat. S. 665). Die Raumvorstellung beruht auf der unterscheidenden Tätigkeit des Geistes (Log. a 82, 86). Daß der Raum nicht bloß subjektiv sei, betont PLANCK (Testam. eines Deutsch. S. 277 ff.. Die Weltalter I, 98 f., 189, 195). Nach M. CARRIERE sind Raum und Zeit »die notwendigen Formen des Seins und Erkennens«, »die durch Unterschied und Kausalität notwendig gesetzten und geforderten Formen des Seins« (Sittl. Weltordn. S. 128). »Tätige Kräfte nebeneinander bilden den Raum und durch ihre Tätigkeit selbst die Zeit« (l. c. S. 129). »Raum und Zeit sind Grundformen unserer Anschauung, weil sie Grundformen der Dinge sind« (Asthet. I, 13). »Indem individuelle Wesen sich voneinander unterscheiden und zur Selbständigkeit gelangen, sind sie außereinander da, behaupten sie sich in einer bestimmten Sphäre, die sie durch Ausdehnung ihrer eigenen Kraft für sich einnehmen und erfüllen. so setzt alles Reale die Sphäre seines eigentümlichen Seins und Wirkens, und der Raum ist seine Existenzweise, da es irgendwo sein muß« (l. c. I, 13). Nach O. CASPARI ist der Raum die Anschauungsform eines unendlichen realen Geschehens (Zusammenh. d. Dinge, B. 208 ff.). Der objektive Raum an sich besteht nicht, sondern es liegen überall nur »Raumschemata als wechselnde Phänomene« vor, »die für verschieden organisierte Wesen die verschiedensten Grundlocalzeichen hinsichtlich der Divergenz von dimensionalen Richtungen bieten« (l. c. S. 276). Der Raum zerfällt »in ein Gebilde von relativen Kontinuitäten und Discontinuitäten, aus welchen nun erst unter bestimmten Bedingungen und nach genetisch-empirischen Vorgängen des Seelenlebens das volle Wesen und die abgeklärte Anschauung des Raumes hervorgeht« (l. c. S. 267 ff.). Der als Continuum vorausgesetzte Raum kommt erst aus der relativ negativen diskontinuierlichen Form empiristisch zustande (l. c. S. 273). - E. V. HARTMANN unterscheidet Räumlichkeit und Raum. nur erstere ist apriorisch, als unbewußte synthetische Funktion (Krit. Grundleg. S. 157 f.). Der Raum ist die konstruierte fertige Anschauung (l. c. S. 153), das alles Umfassende von potentieller Unendlichkeit, eine Position des »Unbewußten« (Philos. d. Unbew.3, S. 524). Der Raum ist nicht bloß Subjektiv, er ist zwar keine Subsistenz-, wohl aber eine Existenz- (Äußerungs-)Form des Wirklichen (Krit. Grundleg. S. 159). Vom Standpunkt der Stammesgeschichte erscheint die empiristische, von dem des Individuallebens die nativistische Theorie als die wahre (Kategorienlehre, S. 114). Die Räumlichkeit ist eine »Kategorialsfunktion« (l. c. S. 117). »Das Ausgedehnte, Bewegliche u.. s. w, ist die Empfindung, der durch ihr Localzeichen eine bestimmte Stelle in der räumlichen Ordnung der Emplindungen angewiesen ist.« »Die Gesamtheit der räumlichen Bestimmungen, die an diesem Räumlichen haften, sind die Räumlichkeit. die einheitliche Totalität der dreidimensionalen Ausdehnung, in welche alles Räumliche mit seinen räumlichen Bestimmungen eingeordnet wird, ist der Raum« (l. c. S. 125). Es ist von Subjektiv-idealen Reconstructionen der »transcendentrealen Raumverhältnisse der afficierenden Dinge an sich« die Rede (l. c. S. 134). »Die Vorstellung des endlichen, physisch erfüllten Raumes ist... das Subjektivideale Abbild des endlichen, wirklichen Weltraums. die Vorstellung der unendlichen, leeren, mathematischen Raumes ist aber nur der Subjektiv-ideale Repräsentant des unendlichen, potentiellen Weltraumes, d.h. der unendlichen Erweiterungsfähigkeit der Grenzen des wirklichen Weltraumes durch Hinausgreifen der physischen Bewegung über die bisherigen Grenzen« (l. c. S. 138 f.). Der objektive Raum ist das Produkt des Aufeinanderwirkens der Atomkräfte (l. c. S. 155). Die Kraft als Potenz ist unräumlich, die Kraftäußerung räumlich (l. c. S. 158). Der absolute Raum wird durch den absoluten Willen realisiert (l. c. S. 163). »Der Raum in der absoluten Idee ist... das eigentliche Principium individuationis für das absolute Wollen« (l. c. S. 165. vgl. Grundprobl. d. Erk. S. 102 ff.. Lotzes Philos. S. 99 ff.. Kants Erkenntnisk. u. Metaph. S. 22 ff., 145 ff., 199 ff.. Philos. d. Unb. I10, 281 ff.). Die »Dynamiden« (s. d.) setzen Raum und Zeit, indem sie sie dynamisch erfüllen. »Dynamisch erfüllt ist der ganze Weltraum, materiell erfüllt dagegen heißen nur die Räume, denen die Dynamiden dicht genug gruppiert sind, um durch ihre Abstoßungswirkungen auf moleculare Entfernung an den Grenzen dieser dichten Gruppierung die Phänomene des Widerstandes gegen Eindringen und der Lichtreflexion hervorzubringen« (Weltansch. der mod. Phys. S. 207 f.). Nach HORWICZ sind Raum und Zeit zugleich objektive Formen des Seins (Psychol. Anal. II, 143 f.). Nach A. DÖRING ist der Raum ein reales, aber unwirksames Ingrediens der Welt (Üb. Zeit u. Raum, Philos. Vortr. III. Folge, H. I, 1894). Objektiv ist der Raum nach KROMAN (Unsere Naturerk. S. 457), nach SCHOLKMANN (Grundlin. ein. Philos. d. Christent. S. 22). Die Ausdehnung bezeichnet »das Hinausstreben des geistigen Atommittelpunktes aus sich selbst hinaus. das Ergebnis dieser Lebensbewegung als Form ihres Inhaltes ist der Raum«. Alles, was im Raum ist, ist auch in der Zeit, aber nicht umgekehrt (l. c. S. 23). A. DORNER betrachtet den Raum als Produkt der Wechselwirkung der Substanzen (Das menschl. Erkennen, 1887). SIGWART betont: »Die Aufgabe, die Bewegung als Veränderung des Orts auf objektiv gültige Weise zu prädizieren, setzt einen absolut festen Raum voraus, auf welchen die Veränderungen der relativen Örter in eindeutiger Weise bezogen werden können. Dieser absolute Raum ist kein Gegenstand der Wahrnehmung, sondern nur auf Grund von Kausalgesetzen über die Wirkung von Bewegungskräften zu erschließen« (Log. II2, 352 ff.. vgl. I, 37, 336, 402).
Nach A. RIEHL hat der Raum seine empirische Grundlage in der Coëxistenz der Empfindungen (Philos. Krit. II 1, 186). Die logischen Eigenschaften derselben, Gleichartigkeit und Kontinuität, stammen aus der Identität (s. d.) des Selbstbewußtseins (l. c. S. 78 ff.). Als Größenbegriff, »Fundamentalbegriff« aller Erfahrung ist der Raum einzig in seiner Art (l. c. S. 93 ff., 100). Der Raum ist ein »empirischer Grenzbegriff, dessen Inhalt in gleichem Grade für das Bewußtsein wie für die Wirklichkeit selber gültig ist« (l. c. S. 73). Nach WUNDT ist der Raum Anschauung und Begriff zugleich. Er ist (mathematisch) »eine stetige, in sich congruente unendliche Größe, in welcher das unzerlegbare Einzelne durch drei Richtungen bestimmt wird«, (Log. I2, 502 ff.). A priori ist der Raum nicht wegen seines vorempirischen Ursprungs, sondern infolge seiner Konstanz und Unableitbarkeit. Der Raum ist weder angeboren, noch bloßes empirisches Abstraktionsprodukt, sondern Form und Bedingung der Erfahrung (l. c. S. 490 ff., 505 ff.. Syst. d. Philos.2, S. 140). Trotz der subjektiven Bedingtheit der Raumvorstellung als solcher ist der Raum doch objektiv begründet: »Die Raumanschauung kann, als eine Ordnung der Empfindungen, die von unserem Bewußtsein nach psychologischen Gesetzen vollführt wird, nicht die objektive Ordnung der Dinge selbst sein. Gleichwohl kann ihr nicht bloß die Bedeutung einer subjektiven Anschauungsform zukommen, welcher die objektive Wirklichkeit in nichts entspräche. Vielmehr weist schon der äußere Zwang, durch welchen unser Bewußtsein genötigt wird, die Dinge in eine räumliche Ordnung zu bringen..., auf objektive Bestimmungsgründe hin, unter deren Einfluß jene Anschauung gebildet wird. Bezeichnen wir diese Bestimmungsgründe als den objektiven Raum, so ist derselbe als ein Unbekanntes zu betrachten, das uns selbst nicht unmittelbar gegeben ist, auf das wir aber werden zurückschließen können, wenn es uns gelingt, die subjektiven Prozesse zu eliminieren, welche zur Raumanschauung geführt haben.« Es bleibt dann als Rest »die regelmäßige Ordnung eines Mannigfaltigen, das aus einzelnen selbständig gegebenen realen Objekten besteht«. Wie die Zeit, ist der Raum die »subjektive Reconstruction« der von uns unabhängigen Ordnung der Objekte, in der sich die eigene Natur der Dinge verraten muß (Log. I2, S. 506 ff.. Syst. d. Philos.2, S. 140. Philos. Stud. X, 114. XIII, 355). Andere Räume als der unsrige sind wohl begrifflich denkbar, aber nicht vorstellbar. Die »metamathematischen« Spekulationen können nichts für oder gegen die Apriorität des Raumes beweisen (Log. I2, 502 ff.).
»Metamathematisch« heißen die Raumtheorien, nach welchen unsere Raumanschauung nur eine unter anderen möglichen Arten, unser dreidimensionaler, ebener, euklidischer Raum nur ein Spezialfall unter anderen (sphärisehen, n-dimensionalen) Räumen ist (GAUSS, Disquisitiones 1828. RIEMANN, LOBATSCHEWSKY, BOLYAI u. a.). Die Möglichkeit eines vierdimensionalen Raumes erörtert FECHNER (Vier Paradoxa. Kleine Schrift. 1875, S. 260 f., »Flächenwesen«). Spiritistische Folgerungen zieht aus der Idee des vierdimensionalen Raumes ZÖLLNER (Abhandl. 1878/79). Nach RIEMANN ist der Baum nur ein besonderer Fall einer dreifach ausgedehnten Größe. Die Eigenschaften des Raumes sind uns nur aus der Erfahrung bekannt, haben nur empirische Gewißheit (Gesamm. mathemat. Werke 1870, S. 254 f.). Ähnlich HELMHOLTZ (Üb. d. tatsächl. Grundlag. d. Geometrie, Heidelberger Jahrb. 1868. Populär. Vorles. H. 3, 1876). Auch nach B. ERDMANN ist die Raumvorstellung keine apriorische Vorstellung, sonst könnten wir uns nicht die Vorstellungen anderer dreifach ausgedehnter Mannigfaltigkeiten mit abweichenden Maßbestimmungen (Krümmungsmaßen) anschaulich bilden (Axiome d. Geometr. S. 91). Der Raum ist das Produkt einer Wechselwirkung zwischen den Dingen und uns (l. c. S. 95). Die Raumvorstellung aber ist, sofern sie durch psychische Vorgänge erzeugt wird, ein dem Bewußtsein eigentümliches Besitztum, in diesem Sinne nur a priori (l. c. S. 97). Der Raum ist »eine stetige Größe, deren Elemente durch drei voneinander unabhängige Veränderliche eindeutig bestimmt sind« (l. c. S. 4D), »eine dreifach ausgedehnte, in sich selbst congruente, ebene (unendliche) Mannigfaltigkeit« (l. c. S. 83). Nach FR. SCHULTZE sind die metamathematischen Begriffe »rein metaphysisch-spekulative Begriffsconstructionen«, haben aber einen kritischen Wert, belehren uns über die Subjektivität und Relativität unserer Raumanschauung (Philos. d. Naturwiss. II, 148 ff.). Vgl. LEWES, Probl. II, 509 ff.. JACOBSON, Philos. Untersuch. zur Metageom., Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. VII, 129 ff.. O. LIEBMANN, Zur Anal. d. Wirkl.3, 1900.
Die Einheit von Raum und Zeit betont M. PALÁGYI. Raum und Zeit sind nicht zwei selbständige Anschauungsformen (Neue Theor. von Raum u. Zeit S. VIII). Richtig ist nur die Idee vom »fließenden Raum«, »in der der Raum als ein sich in der Zeit stetig erneuernder aufgefaßt wird« (ib.). Es gilt das »Prinzip der Reciprocität zwischen Raum und Zeit« (l. c. S. X). Ohne das Merkmal der Gleichzeitigkeit ist der Raum nicht zu denken. die Zeit denken wir durch einen Raumpunkt fließend (l. c. S. 3). »Die Mannigfaltigkeit aller Raumpunkte schließt sich in dem Zeitpunkte zu einer einheitlichen Totalität zusammen.« »Der Zeitpunkt entfaltet sich in allen Raumpunkten zu dem unendlichen Weltenraume« (l. c. S. 6). Der Zeitpunkt ist »die Einheit des Weltenraumes«, der Weltraum »die endlose Entfaltung des Zeitpunktes« (ib.). »Der Zeitpunkt ist der Weltraum« (l. c. S. 7). »Die Mannigfaltigkeit aller Zeitpunkte schließt sich in dem Raumpunkte zu einer einheitlichen Totalität zusammen.« »Der Raumpunkt entfaltet sich in allen Zeitpunkten zu dem unendlichen Zeitstrom« (l. c. S. 8). Der Raumpunkt ist »die Einheit des Zeitstromes«. Der Zeitstrom ist »die endlose Entfaltung eines Raumpunktes« (l. c. S. 9). »Der Raumpunkt ist der Zeitstrom« (ib.. Log. auf d. Scheidewege S. 49, 115 M, 122 ff., 279 ff., 288). »Der sich stets erneuernde Raum begreift... schon die Zeit in sich« (Log. S. 124). Der »fließende« ist als der »dynamische« Raum zu bezeichnen (l. c. S. 125). Keine Erscheinung kann bloß im Raume, bloß in der Zeit stattfinden (l. c. S. 289 ff.). Raum und Zeit bilden »eine einheitliche Doppelordnung der Erscheinungswelt« (l. c. S. 293). An der ständigen Erneuerung des Raumes hat jede Erscheinung im Raume teil, so daß es keine absolute Ruhe gibt. die ruhenden Qualitäten »erhalten den Charakter der rhythmischen Wiederholung« (l. c. S. 306). Nach der »dynamischen Raumtheorie« ist die Zeit dem Raume oder der Raum der Zeit immanent (l. c. S. 308). Der ganze Weltenraum »erneuert sich in jedem Augenblicke der Zeit« (l. c S. 312). Die Metageometrie muß sich dessen bewußt sein, daß z.B. die Übertragungen des Flächenkrümmungsbegriffes auf mehrdimensionale Räume »durchaus metaphorischer Natur sind und nur dazu dienen, die höhere mathematische Spekulation zu versinnlichen und zu erleichtern« (l. c. S. 321). PALÁGYI weist auf folgende Stelle bei LOCKE hin: »Raum und Zeit greifen wechselseitig ineinander und umschließen einander, indem jeder Teil des Raumes in jedem Teile der Zeit und jeder Teil der Zeit in jedem Teil des Raumes enthalten ist« (Ess. II, ch. 15, § 12). - Vgl. G. HEYMANS, Zur Raumfrage, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XII, 265 ff., 429 ff.. SCHMITZ-DUMONT, Zeit u. Raum, 1875 (gegen die »Metageometrie«. der dreidimensionale Raum wird aus dem Satze des Widerspruches als denknotwendig abgeleitet, l. c. S. 13 ff.). ISENKRAHE, Ideal. oder Realism. 1883. KLEINPETER, Entwickl. d. Raum- u. Zeitbegr., Arch. f. system. Philos. IV, 1898, S. 32 ff.. G. SCHLESINGER, Energismus, d. Lehre von d. absol. ruh. substantiell. Wesenh. d. allgem. Weltraumes u. der aus ihr wirk. schöpfer. Urkraft, 1901. Vgl. Ausdehnung, Ort, Anschauungsformen, Zeit.
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