Erkenntnistheorie der Raumvorstellung
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Nach H. MORE ist der unendliche Raum eine Realität (»reale saltem, si non divinum«), die Gottheit selbst (Enchir. met. C. 6 ff.). Als »sensorium« der Gottheit fassen den Raum CLARKE und NEWTON auf. Nach OETINGER ist der Raum die wahre Substanz als Ort aller Geister. - Ähnlich später J. SCHLESINGER (s. unten). Den leeren Raum nimmt GIASSENDI an, als »vacuum separatum« (vgl. Lasswitz, G. d. Atom. II, 142). -- Von der Körperlichkeit unterscheidet die Ausdehnung LOCKE (Ess. II, ch. 13, § 11). Einen leeren Raum muß es geben (l. c. § 21). als Vacuum, das unabhängig vom Körper zurückbleiben müßte, würde der Körper zerstört (l. c. § 22). Auch beweist die Tatsache der Bewegung den leeren Raum (l. c. § 23). Unbestimmt ist, ob der Raum Substanz oder Akzidenz einer solchen ist (l. c. ch. 13, §17). Einen absoluten, in sich gleichartigen, unbeweglichen Raum nimmt NEWTON an: »Spatium absolutum, natura sua sine relatione ad externum quodvis, semper manet similare et immobile. Relativum est spatii huius mensura seu dimensio quaelibet mobilis, qua a sensibus nostris per situm suum ad corpora definitur« (Nat. philos. princ. mathem. def. VIII, schol.). Es gibt erfahrungsgemäß auch leere Räume. Ähnlich lehrt CLARKE. Dagegen LEIBNIZ (s. unten). Nach E. WEIGEL, ist der Raum die unbewegliche Ausdehnung, das Nichts mit der Fähigkeit, Dinge in sich haben zu können. Nach D'ALEMBERT ist die Idee des Raumes eine einfache, weil alle Teile des Raumes die gleiche Beschaffenheit haben (Mél. V).
Die Phänomenalität des Raumes lehrt schon HOBBES. Der Raum als solcher ist ein Abstraktum, ein »imaginarium, quia merum phantasma« (De corp. a. 3). Er ist ein (durch die Dinge bewirktes) »phantasma rei existentis, quatenus existentis, id est, nullo alio eius rei accidente considerato praeterquam quod apparet extra imaginantem« (l. c. C. 7, 2). Den bloßen Vorstellungscharakter des Raumes lehrt BROOKE (vgl. Arch. f. Gesch. d. Philos. VI, 191 ff., 380 ff.). Als Phänomen faßt den Raum LEIBNIZ auf. Nach ihm gibt es unabhängig von den Dingen keinen Raum (Erdm. p. 602). Der Raum ist nichts als die Ordnung des Zugleichseins, »ordre de coëxistenee« (Erdm. p. 461. Gerh. IV, 491. 5. Br. an Clarke 29). Der Raum ist eine Relation, eine Ordnung für die wirklichen und die möglichen Dinge. seine Wahrheit ist in Gott, der Quelle aller Ordnung, begründet (Nouv. Ess. II, ch. 13, § 17). Die Stetigkeit des Raumes ist (wie dieser selbst) ein »phaenomenon bene fundatum«, eine »verworrene« Vorstellung, der eine Vielheit unausgedehnter Monaden (s. d.) entspricht. Außerhalb der Welt gibt es keinen Raum, ein leerer Raum ist unnötig (5. Br. an Clarke 33. Erdm. p. 241). Nach BERKELEY kann ein absoluter Raum weder vorgestellt noch gedacht werden, er ist überhaupt nichts (De mot. 53. Siris 270 f.). Es gibt nur den durch die Sinne percipierten Raum, und dieser ist nichts außerhalb des Bewußtseins. Die Idee eines reinen Raumes ohne Körper ist unmöglich. »Rufe ich eine Bewegung in einem Teile meines Körpers hervor und läft sich dieselbe frei oder ohne Widerstand vollziehen, so sage ich, es ist dort Raum.. finde ich aber einen Widerstand, so sage ich, es sei dort ein Körper, und in dem Maße, wie der Widerstand gegen die Bewegung geringer oder größer ist, sage ich, der Raum sei mehr oder weniger frei. Es muß also, wenn ich von freiem oder leerem Raume spreche, nicht vorausgesetzt werden, das Wort Raum stehe für eine Idee, die von Körper und Bewegung gesondert oder ohne diese denkbar wäre. Freilich sind wir geneigt zu glauben, daß jedes nomen substantivum eine bestimmte Idee vertrete, die von allen andern gesondert werden könne, was unzählige Irrtümer veranlaßt hat. Wenn ich also annehme, die ganze Welt werde vernichtet außer meinem eigenen Körper, so sage ich, es bleibe noch der bloße Raum. hiermit ist nichts anderes gemeint, als daß ich es als möglich denke, daß die Glieder meines Leibes nach allen Seiten hin ohne den geringsten Widerstand sich bewegen. wäre aber auch noch mein Leib vernichtet, dann könnte keine Bewegung und folglich kein Raum sein« (Prinz. CXVI). Nur so wird man von dem Dilemma befreit, »entweder annehmen zu müssen, daß der reale Raum Gott sei, oder andernfalls, daß es etwas von Gott Verschiedenes gebe, das ewig, ungeschaffen, unendlich, unteilbar, unveränderlich sei, und beide Vorstellungen scheinen doch verderblich und ungereimt zu sein« (l. c. CXVII). Nach HUME hat die Raumvorstellung nur die Art und Ordnung, in welcher Gegenstände existieren, zum Inhalt (Treat. II, sct. 3, S. 57 f.). - JAMES MILL erklärt: »Spare is a comprehensive word, including all positions, or the whole of synchronous order.« - Gegen die idealistische Raumtheorie erklärt sich L. EULER (Réflex. sur l'espace et le temps 1748).
Als »Ordnung der Dinge, die zugleich sind« bestimmt den Raum CHR. WOLF (Vern. Ged. I, § 46). »Spatium est ordo simultaneorum, quatenus scilicet coëxistunt« (Ontolog. § 589). BAUMGARTEN definiert: »Ordo simultaneorurm extra se invicem positorum est spatium« (Met. § 239). Ähnlich BILFINGER (Dilucid. § 155). Als das Nichtberühren der Dinge gegeneinander bestimmt den Raum HOLLMANN (Philos. prima, 1747). Nach CRUSIUS ist der Raum »dasjenige, darinnen wir denken, daß die Substanzen sind, und welches in Gedanken übrigbleibet, wenn wir dieselben davon abstrahieren, welches sich auch zu allen Substanzen, welche darin vorkommen, gleichgültig verhält« (Vernunftwahrh. § 48). Der Raum ist weder Substanz noch Akzidens, sondern bloß das »Abstraktum der Existenz«. Es gibt keinen leeren Raum (l. c. § 51). Nach FEDER ist da Raum, »wo Dinge außer- und nebeneinander sind oder sein können« (Log. u. Met. S. 274 f.). Nach PLATNER ist der Raum »nichts Wirkliches in der Welt, sondern ein Schein der Phantasie, abhängig von einem Schein der Sinnen« (Philos. Aphor. I, § 908). Nach LAMBERT ist der Raum ein »reeller Schein« (Neues Organ.).
Eine neue Theorie des Raumes begründet KANT. Er stellt den »absoluten« Raumbegriff (Newtons) philosophisch wieder her, aber zugleich bestimmt er das Räumliche (als solches) als bloße Form (s. d.) der Anschauung der Dinge, nicht der Dinge an sich. Der Raum ist: 1) ein formaler Bestandteil der Erkenntnis, 2) nicht empirisch, nicht zur Empfindung gehörig, sondern »reine Anschauung«, a priori (s. d.), 3) Subjektiv, d.h. nicht transcendent, sondern nur zu einem möglichen Bewußtsein gehörend, 4) objektiv gültig, empirisch-real, für alle Erscheinungen (s. d.) geltend, diese bedingend. Das Wesentliche der Raumtheorie Kants findet sich schon in der Schrift »De mundi sensib. etc.« »Conceptus spatii non abstrahitur a sensationibus externis. Non enim aliquid ut extra me positum concipere licet, nisi illud repraesentando in loco, ab eo, in quo ipse sum, diverso, neque res extra se invicem, nisi illas collocando in spatii diversis locis. Possibilitas igitur perceptionum externarum, quo talium, supponit conceptum spatii, non creat. sicuti etiam, quae sunt in spatio, sensus afficiunt, spatium sensibus hauriri non potest.« »Conceptus spatii est singularis repraesentatio omnia in se comprehendens, non sub se continens notio abstracta et communis. Quae enim dicis spatia plura, non sunt, nisi eiusdem immensi spatii partes, certo positu se invicem respicientes neque pedem cubicum concipere tibi potes, nisi ambienti spatium quaquaversum conterminum.« - »Conceptus spatii itaque est intuitus purus. cum sit conceptus singularis, sensationibus non conflatus, sed omnis sensationis externae forma fundamentalis.« - »Spatium non est aliquid obiecti et realis, nec substantia, nec accidens, nec relatio. sed subiectivum et ideale e natura mentis stabili lege proficiscens, veluti schema, omnia omnino exteme sensa sibi coordinandi.« - »Quamquam conceptus spatii, ut obiectivi alicuius et realis entis vel affectionis, sit imaginarius, nihilo tamen secuius respective ad sensibilia quaecunque non solum est verissimum, sed et omnis veritatis in sensualitate externa fundamentum« (De mund. sens. sct. III, § 15)
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