Erkenntnistheorie der Raumvorstellung
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Der Raum ist die Form des »äußeren Sinnes«. »Vermittelst des äußeren Sinnes (einer Eigenschaft unseres Gemütes) stellen wir uns Gegenstände als außer uns und diese insgesamt im Raume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegeneinander bestimmt oder bestimmbar« (Krit. d. rein. Vern. S. 50). Der Raum ist nicht empirisch, sondern apriorisch, kein diskursiver Begriff, sondern Anschauung, er wird als unendliche Größe vorgestellt. »1) Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußern Begriffen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mir bezogen werden (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde), imgleichen damit ich sie als außer (und neben) einander, mithin nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zugrunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äußern Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich.« - »2) Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zugrunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen und ist eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußern Erscheinungen zugrunde liegt.« - »3) Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze und die Möglichkeit ihrer Grundsätze a priori. Wäre nämlich diese Vorstellung des Raumes ein a posteriori erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äußern. Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze der mathematischen Bestimmungen nichts als Wahrnehmungen sein. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahrnehmung, und es wäre eben nicht notwendig, daß zwischen zween Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Erfahrung würde es so jederzeit lehren.« - »4) Der Raum ist kein diskursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstlich kann man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen redet, so verstehet man darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Teile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Bestandteile... vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Mannigfaltige in ihm...« - »6) Der Raum wird als eine unendliche Größe gegeben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum, der sowohl einem Fuße, als einer Elle gemein ist, kann in Ansehung der Größe nichts bestimmen. Wäre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so würde kein Begriff von Verhältnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bei sich führen« (l. c. S. 51 ff.). - Nun ist weiter zu bestimmen, was der Raum ist, und warum er so ist, wie er bestimmt wird. »Geometrie ist eine Wissenschaft, welche die Eigenschaften des Raumes synthetisch und doch a priori bestimmt. Was muß die Vorstellung des Raumes denn sein, damit eine solche Erkenntnis von ihm möglich sei? Er muß ursprünglich Anschauung sein. denn aus einem. bloßen Begriffe lassen sich keine Sätze, die über den Begriff hinausgehen, ziehen, welches doch in der Geometrie geschieht.« Diese Anschauung muß a priori sein, da die geometrischen Axiome apodiktisch sind. »Wie kann nun eine äußere Anschauung dem Gemüte beiwohnen, die vor den Objekten selbst vorhergeht und in welcher der Begriff der letzteren a priori bestimmt werden kann? Offenbar nicht anders, als sofern sie bloß im Subjekte, als die formale Beschaffenheit desselben, von Objekten affiziert zu werden und dadurch unmittelbare Vorstellung derselben, d. i. Anschauung zu bekommen ihren Sitz hat, also nur als Form des äußern Sinnes überhaupt« (l. c. S. 53 f.). Kant schließt also aus der Apodiktizität der geometrischen Sätze auf die Apriorität des Raumes und aus dieser auf deren Subjektivität. in Wirklichkeit bedingt also die Subjektivität des Raumes dessen Apriorität und diese die Apodiktizität (strenge Notwendigkeit) der geometrischen Axiome. Der rein ideale, nicht absolut reale Charakter des Raumes wird nun genauer bestimmt: »Der Raum stellet gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältnis aufeinander vor, d. i. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschauet werden.« »Der Raum ist nichts anderes als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d. i. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. Weil nun die Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden, notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht, so läßt sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen mithin a priori, im Gemüte gegeben sein könne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstände bestimmt werden müßten, Prinzipien der Verhältnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten könne.« »Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen vom Raum, von ausgedehnten Wesen etc. reden. Gehen wir von der subjektiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauung bekommen können..., so bedeutet die Vorstellung des Raumes gar nichts. Dieses Prädikat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Die beständige Form dieser Rezeptivität, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine notwendige Bedingung aller Verhältnisse, darinnen Gegenstände als außer uns angeschauet werden, und, wenn man von diesen Gegenständen abstrahiert, eine reine Anschauung, welche den Namen Raum fahrt.« Die Dinge an sich sind nicht räumlich, als Erscheinungen des äußeren Sinnes aber sind alle Dinge räumlich. »Unsere Erörterungen lehren demnach die Realität (d. i. die objektive Gültigkeit) des Raumes in Ansehung alles dessen, was äußerlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealität des Raumes in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, d. i. ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaupten also die empirische Realität des Raumes (in Ansehung aller möglichen äußern Erfahrung), obzwar zugleich die transzendentale Idealität desselben, d. i. daß er nichts sei, sobald wir die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zugrunde liegt, annehmen« (l. c. S. 54 ff.). Der Raum gehört nur zur Erscheinung (s. d.) der Dinge, und zwar als apriorische Bestimmung. er schreibt (mit der Zeit und den Kategorien, s. d.) aller möglichen Erfahrung ihr Gesetz vor, ist daher nicht Schein (Prolegomena, Anh.). Die Unabhängigkeit des absoluten Raumes vom »Dasein aller Materie« und daß der absolute Raum selbst der erste Grund ihrer Möglichkeit sei, lehrt Kant schon (1768) in der Abhandlung »Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume«: »Es ist... klar, daß nicht die Bestimmungen des Raumes Folgen von den Lagen der Teile der Materie gegeneinander, sondern diese Folgen von jenen sein... können.« Der Raum ist »kein Gegenstand einer äußern Empfindung«, sondern ein »Grundbegriff«, der die Erfahrungsobjekte »zuerst möglich macht« (l. c. Schluß). - Daß die Raumvorstellung nicht angeboren, sondern »erworben« sei, betont Kant schon in »Dc mundi sensib. etc.«. Der Raum ist die unveränderliche Grundform, welche durch die eigene Tätigkeit der Seele, die nach ewigen Gesetzen ihre Empfindungen ordnet, mittelst Anschauung erlangt werden muß, nur veranlaßt durch die Empfindungen. angeboren ist nur das Gesetz der ordnenden Seele (l. c. sct. III, § 15). Der Raum ist »ursprünglich erworben«. Angeboren ist nur der erste »formale Grund« der Raumvorstellung (Üb. eine Entdeck. 1. Abschn., S. 44). Der Raum ist Subjektiv, hat aber einen objektiven Grund (l. c. S. 26 ff.: vgl. Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 106 ff.). - Leere Räume sind denkbar, aber die Erfahrung zeigt uns nur comporativ- leere Räume (Met. Anf. d. Nat. S. 105). »Der Raum, der selbst beweglich ist, heißt der materielle, oder auch der relative Raum. der, in welchem alle Bewegung zuletzt gedacht werden muß (der mithin selbst schlechthin unbeweglich ist), heißt der reine oder auch absolute Raum« (l. c. S. 1). »Einen absoluten Raum, d. i. einen solchen, der, weil er nicht materiell ist, auch kein Gegenstand der Erfahrung sein kann, als für sich gegeben annehmen, heißt etwas, das weder an sich, noch in seinen Folgen (der Bewegung im absoluten Raum) wahrgenommen werden kann, um der Möglichkeit der Erfahrung willen annehmen, die doch jederzeit ohne ihn angestellt werden muß. Der absolute Raum ist also an sich nichts und gar kein Objekt, sondern bedeutet nur einen jeden andern relativen Raum, den ich mir außer dem gegebenen jederzeit denken kann, und den ich nur über jeden gegebenen ins Unendliche hinausrücke, als einen solchen, der diesen einschließt und in welchem. ich den ersteren als bewegt annehmen kann« (l. c. S. 3 f.). - Vgl. A. KEYSERLING, Üb. Raum u. Zeit 1894. Nach REINHOLD ist nur die Bedingung der Raumvorstellung apriorisch (Vers. ein. neuen Theor. S. 305 f.). Nach BECK ist die reine Raumanschauung nichts als die ursprüngliche Größenerzeugung oder die ursprüngliche Synthesie des Gleichartigen (Erl. Ausz. III, 141, 197). Nach KRUG sind Raum und Zeit »ursprüngliche Schemata alles sinnlich Vorstellbaren..., in welchen sich die allgemeine und notwendige Anschauung- und Empfindungsform unseres Geistes selbst abbildet« (Handb. d. Philos. I, 260 ff.). Nach FRIES ist der Raum eine reine Anschauung der produktiven Einbildungskraft, die bei Gelegenheit der Erfahrung zum Bewußtsein kommt (Neue Krit. I, 178. Syst. d. Log. S. 78 f.). Ähnlich ABICHT (Syst. d. Elementarphilos. S. 42 ff.). - Nach BOUTERWEK ist der Raum aus der Form des Bewußtseins zu erklären, aber nicht a priori. »Der Raum, als Objekt, ist ein transzendentales Phantom, ein Etwas, das weder physische, noch metaphysische Realität hat, aber von der Einbildungskraft, der Form unseres Gemüts angemessen, erzeugt wird« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 62 f.). SAL. MAIMON hält den Raum für die subjektive Art der Vorstellung der Verschiedenheiten der Dinge (Vers. üb. d. Transcendent. S. 179). Aber der Raum (der nur als endlich vorstellbar ist, l. c. S. 182) ist nicht bloß eine Anschauungsform, sondern als allgemeiner Begriff eine Form der Objekte. Nach BARDILI ist der Raum ein »modus generalis« des Vorgestelltwerdens, »eine Anwendung des Denkens auf das im Denken durchs Denken unvertilgbare Nebeneinander« (Gr. d. erst. Log. S. 82). - Nach G. E. SCHULZE sind Raum und Zeit »Bedingungen der Existenz der Dinge«. Die Bewegung besonders »erfordert die Annahme eines Etwas, worin die Körper sich bewegen« (Üb. d. menschl. Erk. S. 123 f.). Kants Lehre vom Raum als einer apriorischen Form des äußeren Sinnes ist unhaltbar (l. c. S. 131 ff.). es müßte jede Sinneswahrnehmung das (dreidimensional) Räumliche enthalten (l. c. S. 133). Die Subjektivität der Raumvorstellung ist nur eine Hypothese (l. c. S. 198). Nach HERDER ist der Raum ein empirischer Begriff. »Unser Sein ist umgrenzt, und wo wir nicht sind, können andere sein. dies verneinende Wo nennen wir Raum« (Verst. u. Erfahr. I, 91). BIUNDE bemerkt: »Wenn wir allen Stoff nach der sinnlichen Anschauung fallen lassen, dann erhalten wir eine leere Form, die bei den äußern Dingen Raumteil, bei den innern Dingen, aber auch bei den Zuständen der Dinge außer uns, Zeitteil heißt« (Empir. Psychol. I, 1, 248 f.). DESTUTT DE TRACY erklärt: »L'espace est... la propriété d'être étendue, considérée séparément de tout corps à qui elle puisse appartenir. c'est une idée abstraite« (Elém. d'idéol. I, ch. 9).
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