Erkenntnistheorie der Raumvorstellung

 

Als ideal-reales Gebilde wird der Raum spekulativ von verschiedenen idealrealistischen Philosophen bestimmt. Das subjektive Moment betont noch stark J. G. FICHTE. Der Raum ist ein Produkt der »Einbildungskraft« (s. Phantasie). Das Ich setzt den Raum, indem es das Objekt als »ausgedehnt, zusammenhängend, teilbar ins unendliche« setzt (Gr. d. g. Wissensch. S. 432 f.). Der Raum ist nichts weiter als das durch das Produkt jeder Kraft Erfüllte oder zu Erfüllende, dasjenige, »was den Dingen so zukommt, daß es ihnen, und gar nicht dem Ich zugeschrieben wird, aber doch nicht zu ihrem innern Wesen gehört« (l. c. S. 434). Der leere Raum besteht nur in dem »Übergehen der Einbildungskraft von der Erfüllung des Raumes durch A zur beliebigen Erfüllung desselben mit b, c, d u.s.f.« (l. c. S. 433. WW. II, 92 ff., 702. I, 217. Nachgelass. WW. I. 84). Nach SCHELLING ist der Raum »die Anschauung, wodurch der äußere Sinn sich zum Objekt wird« (Syst. d. tr. Ideal. S. 214). Der Raum ist »nichts anderes, als der zum Objekt werdende äußere Sinn« (l. c. S. 217). »Das Entgegengesetzte des Punkts, oder die absolute Extensität ist die Negation aller Intensität, der unendliche Raum, gleichsam das aufgelöste Ich« (l. c. S. 216). Raum und Zeit bedingen einander. »Alles Zugleichsein ist nur durch ein Handeln der Intelligenz, und die Coëxistenz ist nur Bedingung der ursprünglichen Sukzession unserer Vorstellungen... Coëxistieren ist nichts anderes, als ein wechselseitiges Fixieren der Substanzen durcheinander. Wird nun dieses Handeln der Intelligenz ideell, d.h. mit Bewußtsein reproduziert, so entsteht mir dadurch der Raum als bloße Form der Coëxistenz oder des Zugleichseins. Überhaupt wird erst durch die Kategorie der Wechselwirkung der Raum Form. der Coëxistenz, in der Kategorie der Substanz kommt er nur als Form der Extensität vor. Der Raum ist also selbst nichts anderes, als ein Handeln der Intelligenz. Wir können den Raum als die angehaltene Zeit, die Zeit dagegen als den fließenden Raum definieren« (l. c. S. 231. B. unten Palágyi). Der Raum ist »absolute Ruhe, absoluter Mangel der Identität, und insofern nichts« (ib.. WW. I, 2, 363. I, 4, 263. I, 6, 219 ff., 230 ff., 478 ff.. I, 7, 221, 230. I, 8, 324 f.. I, 10, 314, 339 f.). - Nach J. J. WAGNER ist der Raum eine Gruppierung von Gegensätzen (Organ. d. menschl. Erk. S. 91 ff.). Raum und Zeit sind »nichts als der... unvermittelte Gegensatz, wie er nach Begründung der Dinge... in ihrer durch Entwicklung... gewonnenen Erscheinungsform hervortritt« (l. c. S. 99). Ausdehnung kann nur »von einem lebendigen Sinne als Tätigkeit konstruiert werden« (Syst. d. Idealphilos. S. 20 f.). Nach TROXLER ist das »Unendliche des Raumes« eine Offenbarungsweise der Unendlichkeit (Blicke in d. Wes. d. Mensch. S. 43). Nach ESCHENMAYER sind Raum und Zeit keine Begriffe oder Begriffsformen, weder ideell noch reell. »Sie sind eigentlich die allgemeine indifferente Form der Schöpfung selbst, an welcher jeder differente Prozess des Denkens sich zernichtet. Ihre Natur besteht in ihrer Unmittelbarkeit für den Sinn und eben daher in der Unmöglichkeit, sie in Begriffe zu fassen« (Gr. d. Naturphilos. S. 13). Nach STEFFENS wird durch den Baum »die Indifferenz des Unendlichen und Allgemeinen in die Differenz des Besonderen gesetzt« (Grdz. d. philos. Naturwissensch. S. 20). Der Raum ist »die Materie selbst, insofern ihm die endliche Unendlichkeit der Zeit eingepflanzt ist« (l. c. S. 23). - Nach SUABEDISSEN schweben die Bilder der Einbildungskraft im »innern Raume. denn so mag das heißen, daß sie vor der innern Anschauung auf und ab und zu den Seiten sich bewegen, auch zusammenziehen und ausdehnen können« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 104). Nach CHR. KRAUSE entspringt aus der Tätigkeit der Einbildungskraft ein intelligibler Baum (Anthropol. S. 35). Der Raum ist »die Form der Vereinwesenheit (des Vereinseins, des jedartigen Zusammenseins) des Leiblichen... in der Natur« (Log. S. 40). Nach SCHLEIERMACHER ist der Raum das »Auseinander« des Seins, eine Daseinsweise der Dinge selbst (Dial. H. 335). C. H. WEISSE bestimmt den Raum als »die Urqualität des Seienden, durch deren Gesetztsein das Sein zur Wesenheit, das Seiende zu Wesen oder Dingen wird« (Gr. d. Met. B. 317). Der Raum ist »das Dasein der reinen metaphysischen Kategorie des durch die Dreiheit seiner Momente sich selber setzenden Wesens« (Gr. d. Met. S. 354). HILLEBRAND erklärt: »Der Raum ist das reine objektive Da des Seins gegenüber der Subjektivität, während die Zeit die subiektiv-endliche Vorstellung jenes Da ist nach seiner allmählichen Entwicklung in Beziehung auf die individuelle Endlichkeit des psychischen Subjekts« (Philos. d. Geist. I, 107). U. RITTER erklärt: »Die Gesamtvorstellung aller möglichen Orte nennen wir... den Raum«. Er ist die Form der äußern Wahrnehmung (Abr. d. philos. Log.2, S. 31). »Zeit und Raum werden... nicht von uns empfunden, sondern ihre Vorstellung entsteht erst in uns, indem wir die Elemente der sinnlichen Empfindung aufeinander beziehen« (l. c. S. 32). Es gibt keinen leeren Raum (l. c. S. 35). Aus dem Zusammentreffen der Dinge gehen die Formen der Zeit und des Raumes hervor »als notwendige Weisen, in welchen die Empfindungen durch das Bewußtsein der für sich seienden Dinge in der Welt aufgefaßt werden«. »Denn durch die stetige Wechselwirkung der Dinge in der Welt bildet sich auch eine stetige Folge der Empfindungen, welche nur in der Form der Zeit vorgestellt werden kann. Und indem. die Dinge sich untereinander äußerlich erregen, bildet sich in ihnen auch die Vorstellung der äußern Verhältnisse, in welchen sie leben und welche von ihnen in der Form des Raumes vorgestellt werden müssen« (l. c. S. 141. vgl. BENEKE, Metaphys.). - HEGEL sieht im Raume eine logischmetaphysische Kategorie, ein Moment der dialektischen Begriffsentfaltung. »Die erste oder unmittelbare Bestimmung der Natur ist die abstrakte Allgemeinheit ihres Außer-sich-seins, - dessen vermittlungslose Gleichgültigkeit, der Raum. Er ist das ganz ideelle Nebeneinander, weil er das Außer-sich-sein ist, und schlechthin kontinuierlich, weil dies Außereinander noch ganz abstrakt ist und keinen bestimmten Unterschied in sich hat« (Naturphilos. S. 45). Der Raum ist »eine unsinnliche Sinnlichkeit und eine sinnliche Unsinnlichkeit. die Naturdinge sind im Raume, und er bleibt die Grundlage, weil die Natur unter dem Bande der Äußerlichkeit liegt« (l. c. S. 47). »Der Raum ist die unmittelbar daseiende Quantität, worin alles bestehen bleibt, selbst die Grenze die Weise eines Bestehens hat. das ist der Mangel des Raumes. Der Raum ist dieser Widerspruch, Negation an ihm zu haben, aber so, daß diese Negation in gleichgültiges Bestehen zerfällt« (l. c. S. 52. Encykl. § 254 f.. WW. II, 23. VII, 44 ff.). Nur der Natur (s. d.) als solcher, nicht dem Absoluten kommt Raum zu. So auch K. ROSENKRANZ. Nach ihm ist der Raum »das inhaltslose gleichgültige Außereinander«, »das Nichts der reinen Quantität, die Grenzenlosigkeit als actu existierende, die nach allen Seiten sich selbst fliehende reale Unendlichkeit« (Syst. d. Wissensch. S. 178 ff.. vgl. andere Hegelianer, auch G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswissensch. II, 334 ff.). Nach ZEISING ist der Raum »die unbeschränkte Bewegung in Form der äußerlichen, also anschaulichen Selbstauseinandersetzung« (Zeitschr. f. Philos. Bd. 38, S. 196 ff.), »das allgemeine, indifferente, thetische Nebeneinandersein« (Ästhet. Forsch. S. 118). Nach CHALYBAEUS ist der Raum die »abstrahierte Form der Objektivität« (Wissenschaftslehre S. 116 f.). - Nach AD. STEUDEL ist der Raum die »Form des Nichts«, die »Form der Formlosigkeit selbst« (Philos. I, 1, 327 ff.).

 


 © textlog.de 2004 • 21.11.2024 18:05:05 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z