Reflexion (reflexio, Zurückbeugung) bedeutet (psychisch): 1) die Zurücklenkung der Aufmerksamkeit von den Objekten des Erkennens auf das erkennende, psychische Tun, auf die Bewußtseinsvorgänge als solche, die innere Wahrnehmung (s. d.), 2) (logisch) das daran anknüpfende Nachdenken, Meditieren, Überlegen, selbstbewußte Denken.
Die Tatsache der innern Wahrnehmung, des Wissens um das Wissen berücksichtigt schon PLATO (S. Bewußtsein). ARISTOTELES gleichfalls (noêsis noêseôs, s. Denken, Gott), der die Reflexion als innere Wahrnehmung dem Gemeinsinn (s. d.) zuweist. Die Lehre vom innern Sinn (s. d.) in der Folgezeit ist zugleich eine Theorie der Reflexion im psychologischen Sinne. - THOMAS spricht von dem »reflecti supra actum suum« (De ver. 1, 9). »secundum candem reflexionem intelligit et suum intelligere et speciem, qua intelligit« (Sum. th. I, 85, 2c).
An Stelle des innern Sinnes setzt LOCKE die »reflection« als eine der Quellen der Erkenntnis (s. d.). sie ist innere Wahrnehmung, innere Erfahrung, Erfahrung der »innern«, d.h. geistigen Prozesse, die Kenntnis, welche der Geist von seinem eigenen Tun nimmt (Ess. II, ch. 1, § 4). HUME unterscheidet »impressions of sensations« und »of reflection« (Treat. I, sct. 2). Die »ideas« sind eine »reflection« der »impressions« (l. c. sct. 1). JAMES MILL bemerkt: »Reflection is nothing but consciousness« (Analys. ch. 15). - Nur eine Entwicklungsstufe der Empfindung sieht in der Reflexion CONDILLAC: »La sensation, après avoir été attention, comparaison, jugement, devient... la réflexion même.« »L'attention ainsi conduite est comme une lumière qui réflechit d'un corps sur un autre pour les éclairer tous deux, et je l'appelle réflexion« (Trait. des sensat., Extr. rais. p. 38). BONNET erklärt die Reflexion für die formale Quelle der Begriffe. »La réflexion est... en général le résultat de l'attention que l'esprit donne aux idées sensibles qu'il compare« (Ess. anal. XVI, 260). Durch intellektuale Abstraktion gewinnt der Geist Begriffe (l. c. 261). Physiologisch liegt der Reflexion die »force motrice« der Seele über die Nervenfibern zugrunde (l. c. 262). Alle Begriffe haben eine sinnliche Unterlage (l. c. 263 ff.). »Les idées abstraites sont... des espèces d'esquisses des objets sensibles« (l. c. 265). Die Sprache ist nicht die Quelle der Abstraktion, sondern erweitert und erleichtert sie nur (l. c. 267). Nach HOLBACH ist die Reflexion »l'exercise de ce pouvoir de se replier sur lui-même« (Syst. de la nat. I, ch. 8, P. 113). VAUVENARGUES definiert: »La réflexion est la puissance de se replier sur sa idées, de les examiner, de les modifier, ou de les combiner de diverse manière« (Introd. a la connaiss. de l'espr. hum. p. 172).
LEIBNIZ erklärt: »La réflexion n'est autre chose, qu'une attention à ce qui est en nous« (Nouv. Ess., Préf., s. Apperzeption). Nach CHR. WOLF ist die Reflexion »attentionis successiva directio ad ea, quae in re pereepla insunt« (Psychol. empir. § 257). Nach BAUMGARTEN ist sie »attentio in totius perceptionis partes sukzessive directa« (Met. § 626). H. S. REIMARUS bestimmt: »Reflektieren heißt, Dinge in seiner Vorstellung gegeneinander halten oder miteinander vergleichen« (Vernunftlehre, § 12). Durch die Reflexion entsteht die Einsicht der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Dinge (l. c. § 40). FEDER erklärt: »Die Aufmerksamkeit auf die innern Empfindungen, Gedanken und Vorstellungen, in der Absieht, das Mannigfaltige derselben deutlicher zu erkennen, wird Überlegung, Nachdenken, Reflexion genannt« (Log. u. Met. S.39 f) Nach KANT heißt Reflektieren »gegebene Vorstellungen entweder mit andern oder mit seinem Erkenntnisvermögen in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff zu vergleichen und zusammenzuhalten« (WW. VJ, 381). Reflexion ist der »Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis untereinander richtig bestimmt werden kann« (Krit. d. rein. Vern. S. 239). »Alle Urteile, ja alle Vergleichungen bedürfen einer Überlegung, d. i. einer Unterscheidung der Erkenntniskraft, wozu die gegebenen Begriffe gehören. Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als gehörig zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung untereinander verglichen werden, nenne ich die transzendentale Überlegung. Die Verhältnisse aber, in welchen die Begriffe in einem Gemütszustande zueinander gehören können, sind die der Einerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Innern und des Äußern, endlich des Bestimmbaren und der Bestimmung (Materie und Form)« (l. c. S. 239 f.). Diese Begriffe sind »Reflexionsbegriffe«. Sie sind nur Begriffe der bloßen Vergleichung schon gegebener Begriffe (Prolegom. § 39), dürfen nicht auf Dinge an sich angewandt werden (»Amphibolie der Reflexionsbegriffe«) (ursprünglich nennt Kant »Reflexionsbegriffe« die Kategorien, Reflex. II, 146). Die »logische Reflexion« ist eine »bloße Comparation«, die »transzendentale Reflexion« enthält »den Grund der Möglichkeit der objektiven Comparation der Vorstellungen untereinander« (Krit. d. rein. Vern. S. 240 f.).
FRIES versteht unter Reflexion den Gebrauch der Aufmerksamkeit zur willkürlichen Selbstbeobachtung (Syst. d. Log. S. 69). Vom »reflexen Erkennen«, der »reflektierenden Vernunft« spricht BIUNDE (Empir. Psychol. I 2, 254 ff.). Erkenntnistheoretische Bedeutung hat die Reflexion auf die Setzungen des Ich (s. d.) bei J. G. FICHTE. Nach SCHELLING kann vom (analytischen) Standpunkt der Reflexion aus »keine Handlung im Ich gefunden werden, die nicht schon synthetisch in dasselbe gesetzt wäre« (Syst. d. tr. Ideal. S. 277). Nach HEGEL ist die Reflexion der »Akt, durch den das Ich, nachdem es seine Natürlichkeit abgestreift hat und in sich selbst zurückgekehrt ist, sich seiner Subjektivität an der gegenübergesetzten Objektivität bewußt wird und sich von ihr mit Feststellung dieser Beziehung unterscheidet« (Encykl. § 413). Er unterscheidet »setzende«, »äußerliche«, »bestimmende« Reflexion (Log. I, 15 f.). ROSMINI bestimmt: »La riflessione... é un ripiegamento della mia attenzione sulle cose percepite.« »La riflessione... é un attenzione volontaria data alle nostre perrezioni« (Nuovo saggio, p. 77 f.. Psicol. § 1032 ff.). Nach HERBART ist die Reflexion »die Zurückbeugung des Gedankenlaufs auf einen bestimmten Punkt«. Sie hebt und formt Vorstellungen (im Arbeiten), wird auch in der Apperzeption des Gegebenen (in der Erfahrung) hervorgerufen. Bei der »Reflexion über einen bloß im Denken festgehaltenen Gegenstand« liegt die Bewegung in der reflektierenden Vorstellungsmasse selbst (Lehrb. zur Psychol.2, S. 87 f.). Nach HODGSON ist die »reflection« (»reflective mode«) die Basis der ganzen Philosophie (Philos. Of Reflect. I, p. 223, 229). »Reflection is reexamination of the states of consciousness from which it is derived« (l. c. p. 229). RENOUVIER erklärt: »L'attention est une volonté de s'arrêter a la considération d'un objet et de ses rapports au lieu de suivre le cours naturel des associations.« »La réflexion et une volonté d'examiner ces rapports afin de motiver des jugements et des actes en conséquence« (Nouv. Monadol. p. 97). UPHUES unterscheidet »ontologische« Reflexion (auf die Empfindungsinhalte als Vergegenwärtigungen des Transzendenten) und »psychologische« Reflexion (auf die Empfindungen als Bewußtseinsvorgänge) (Psychol. d. Erk. I, 241). SCHUPPE erklärt: »Was gemeinhin, ohne in klarer Abstraktion ins Bewußtsein zu treten, bei der Verknüpfung von etwas als Eigenschaft oder Tätigkeit mit etwas als dem Dinge gemeint ist, wird... durch die Reflexion als das eigentlich Gemeinte ausgesondert. - daher Reflexionsprädikat« (Log. S. 132). »Das naive Denken verknüpft Gegebenes, ohne sich über seine eigene Tätigkeit Rechenschaft zu geben, und was dabei ins Bewußtsein tritt, ist immer das Ganze der verknüpften Data. Erst die logische Reflexion zieht ans Licht, daß in diesem Ganzen das Gegebene als solches und dasjenige, was dem Denken dieses Gegebenen zugerechnet oder... so bezeichnet werden kann, zu unterscheiden ist.« »Wenn nun eben dieses letztere als Bestandteil, und zwar absolut wesentlicher, in diesem Ganzen erblickt wird, so kann es als solches um seiner Bedeutung willen als Prädikat von diesem Ganzen ausgesagt werden, z.B. ist ein Ding, eine Eigenschaft oder Tätigkeit, ist eine Ursache oder eine Wirkung, - daher ›Reflexionsprädikat‹. Es hebt dann etwas hervor, was in dem Subjekte schon mitgedacht wurde und ohne welches dieses Subjekt nicht gedacht werden kann, weil es eben zu ihm gehört, worauf sich aber doch im gewöhnlichen Verkehr nicht die Aufmerksamkeit richtet, weil sie immer von den verknüpftem Inhalten in Anspruch genommen ist« (l. c. S. 165). Nach SCHUBERT-SOLDERN ist Reflexion »das Hervortreten einer Beziehung als solcher, also die Unterscheidung dieser Beziehung von dem bezogenen Inhalt« (Gr. ein. Erk. S. 106). Nach WUNDT besteht die Reflexion in Apperzeptionsverbindungen (s. d.: Gr. d. Psychol.5, S. 301). Vgl. Sinn (innerer), Wahrnehmung (innere), Selbstbewußtsein, Denken.