Rein: frei von fremdem, nicht zum Wesen einer Sache gehörendem Zusatz, in selbsteigener Seinsweise. Reine Anschauung (s. d.) ist die Anschauungsform als solche. Reine Verstandesbegriffe sind die Kategorien (s. d.). Reine Vernunft ist das erkennende Bewußtsein in der ihm eigenen Gesetzmäßigkeit (s. A priori). Reine Erfahrung ist die von allen Denkzutaten (in der Abstraktion) gereinigte Erfahrung (s. d.). Reines Denken ist das (in der Abstraktion) von der Erfahrung gereinigte Denken, die Denktätigkeit als solche, die für sich allein ebensowenig konkret vorkommt, wie die reine Erfahrung. Reines Ich ist das jedem empirischen Ich immanente Moment der Ichheit (s. d.). Über reine Vernunft s. Vernunft.
»Pura mathesis« bei DESCARTES (Medit. VI). »Pure raison«, »entendement pure« bei LEIBNIZ (Erdm. p. 229a, 230b, 778 b). CHR. WOLF bestimmt: »Weil die Deutlichkeit der Erkenntnis für den Verstand, die Undeutlichkeit aber für die Sinnenund Einbildungskraft gehöret, so ist der Verstand abgesondert von den Sinnen und der Einbildungskraft, wenn wir völlig deutliche Erkenntnis haben: hingegen mit den Sinnen und der Einbildungskraft noch vereinbaret, wo noch Undeutlichkeit und Dunkelheit bei unserer Erkenntnis anzutreffen. Im ersten Falle heißet der Verstand reine, im andern aber unreine« (Vern. Ged. § 282). BILFINGER erklärt: »Purus est intellectus, cuius definitio oompetit simpliciter: hoc est, qui ideas habet non nisi distinctas« (Dilucid. § 274).
Den Begriff reiner im Sinne apriorischer (s. d.) Erkenntnis prägt KANT. »Rein« heißt bei ihm unabhängig vom Erfahrungsinhalte, aus der Gesetzmäßigkeit des erkennenden Bewußtseins allein entspringend und alle Erfahrung bedingend, konstituierend. »Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form sinnlicher Anschauungen überhaupt im Gemüte a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der Erscheinungen in gewissen Verhältnissen angeschauet wird. Diese reine Form der Sinnlichkeit wird auch selber reine, Anschauung heißen« (Krit. d. rein. Vern. S. 49. s. Vernunft). Das Reine einer einfachen Empfindungsart bedeutet, daß die Gleichförmigkeit derselben durch keine fremdartige Empfindung gestört wird, und gehört zur Form (Krit. d. Urt. § 14). Reine Sittlichkeit ist streng autonome (s. d.) Sittlichkeit.
Nach SAL. MAIMON ist rein, was nur dem Verstande, nicht der Sinnlichkeit entstammt (Vers. üb. d. Transc. S. 56 f.). Nach KIESEWETTER ist rein »eine Erkenntnis, die nicht aus der Erfahrung geschöpft, sondern a priori, d.h. durch das Erkenntnisvermögen... selbst gegeben wird« (Gr. d. Log. § 8). Nach BIUNDE sind die reinen Begriffe nicht angeboren, aber sie »bedürfen der Wahrnehmung nur als einer Veranlassung und gehen auf solche Veranlassung aus uns sogleich ihrem ganzen Inhalte nach hervor« (Empir. Psychol. I 2, 78). Nach SCHELLING ist rein, »was ohne allen Bezug auf Objekte gilt« (Vom Ich, S. 36). Das reine Ich (s. d.) ist bei J. G. FICHTE, das reine, sich selbst denkende Denken (s. d.) bei HEGEL von großer Bedeutung. Den Begriff reiner Erfahrung hat schon R. MAYER. Nach L. KNAPP besteht in der Reinheit der sinnlichen Erkenntnis die absolute Methode des Denkens (Syst. d. Rechtsphilos. S. 12 f.). Das »reine, d.h. streng sinnliche Denken« (l. c. S. 13, s. Sensualismus). Die reine Erfahrung betonen AVENARIUS, Mach u. a. (s. Erfahrung, Empiriokriticismus). Dagegen u. a. HEYMANS (Gr. u. El. d. wiss. Denk. S. 12). - Nach H. COHEN entdeckt die Vernunftkritik das Reine in der Vernunft, insofern sie die »Bedingungen der Gewißheit entdeckt, auf denen die Erkenntnis als Wissenschaft beruht« (Princ. d. Infin. S. 6).