Religion - Kant, Schleiermacher, Schelling


 

KANT setzt Religion und Moralität in enge Beziehung zueinander. Der Inhalt der Religion als solcher ist ein Postulat der Vernunft. Religion ist »Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote« (Krit. d. Urt. II, § 91, Allg. Anmerk.). Das moralische Gesetz führt durch den Begriff des höchsten Gutes (s. d.) zur Religion (Krit. d. prakt. Vern. l. Tl., 2. B., 2. Hptst.). »Religion ist derjenige Glaube, der das Wesentliche aller Verehrung Gottes in der Moralität der Manschen setzt« (WW. VII, 366). »Die Moral führt unausbleiblich zur Religion« (WW. VI, 201). »Religion ist das Gesetz in uns, insofern es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält. Sie ist eine auf die Erkenntnis Gottes angewandte Moral« (WW. VIII, 508). »Da alle Religion darin besteht, daß wir Gott für alle unsere Pflichten als den allgemein zu verehrenden Gesetzgeber ansehen, so kommt es bei der Bestimmung der Religion in Absicht auf unser ihr gemäßes Verhalten darauf an zu wissen, wie Gott verehrt und gehorcht sein wolle. Ein göttlicher gesetzgebender Wille aber gebietet entweder durch an sich salbst bloß statutarische oder durch rein moralische Gesetze. In Ansehung der letzteren kann ein jeder aus sich selbst durch seine eigene Vernunft den Willen Gottes, dar seiner Religion zum Grunde liegt, erkennen. Denn eigentlich entspringt der Begriff von der Gottheit nur aus dem Bewußtsein dieser Gesetze und dem Vernunftbedürfnisse, eine Macht anzunehmen, welche diesen den ganzen in einer Welt möglichen, zum sittlichen Endzweck zusammenstimmenden Effekt verschaffen kann. Der Begriff eines nach bloßen rein moralischen Gesetzen bestimmten göttlichen Willens läßt uns nur einen Gott, also auch nur eine Religion denken, die rein moralisch ist« (WW. VI, 201). - Nach KRUG ist das Gewissen die Grundlage der Religion. Religiosität (subjektive Religion) ist »die durch Gesinnung und Handlung sich überall ankündigende Überzeugung von der Möglichkeit des höchsten Gutes« (Handb. d. Philos. II, 355 f.). Objektive Religion ist ein Inbegriff von Glaubenswahrheiten (l. c. B. 357).

Nach BOUTERWEK ist die Grundlage der Religion »das Bewußtsein der menschlichen Beschränktheit« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 225). Gegen Kant, an Jacobi sich anlehnend, ist CLODIUS (Gr. d. allgem. Religionslehre, 180S). Nach G. E. SCHULZE liegt der Keim zur Religion in der geistigen Natur des Menschen. Auf das Entstehen der Religion hat Einfluß »das Streben des Verstandes nach der Erkenntnis der ursachlichen Verbindung der Dinge in der Natur, ferner die Empfänglichkeit für Gefühle der Furcht, der Dankbarkeit, des Großen und Vortrefflichen, welches das in unserer Natur davon Vorkommende übertrifft, endlich das Bestreben, unser Dasein zu verbessern und zu veredeln« (Üb. d. menschl. Erk. S. 233. Psych. Anthropol. S. 366 f.). Nach BIUNDE stammen die religiösen Gefühle aus Vernunftregung (Empir. Psychol. II, 250). Sie gehen aus religiösen Gefühlen hervor, »wenn wir statt unseres Verhältnisses zu einem andern Menschen uns unser Verhältnis zu Gott denken in Beziehung auf Vollkommenheit m ihm und Unvollkommenheit in uns« (l. c. S. 260 f.). Nach FORBERG ist Religion der praktische Glaube an eine moralische Weltordnung (Entwickl. des Begr. d. Relig., Philos. Journ. VIII, H. 1, 1798). So auch J. G. FICHTE (Üb. d. Grund uns. Glaub. an eine göttl. Weltregier., ib.). Die moralische Weltordnung (als »ordo ordinans«, s. d.) ist das Übersinnliche, ist Gott. Religion ohne Moral ist Aberglaube. Religion ist durch Moral in die Welt gekommen (WW. V, 469 ff.). Religion ist »das Hinströmen aller Tätigkeit und alles Lebens mit Bewußtsein in den einen, unmittelbar empfundenen Urquell des Lebens, die Gottheit« (WW. V, 184 ff.. vgl. Vers. ein. Krit. all. Offenbar. § 3). - Nach SCHELLING ist die Religion »die zur unmittelbaren objektiven Anschauung gewordene Spekulation selbst« (WW. I 5, 108). Sie ist ein Schauen des Unendlichen im Endlichen, ein Gebundensein an das Göttliche, eine Zuversicht auf das Göttliche (l. c. I, 6, 558. vgl. S. 11 ff.). - J. J. WAGNER bestimmt: »Die Sittlichkeit, von einer Seele in die Weltbetrachtung hineingelegt, heißt Religion« (Syst. d. Idealphilos. S. LVII). SUABEDISSEN erklärt »Indem und wiefern der Mensch mit dem Bewußtsein des Bedingtseins seines Wesens aus dem Unbedingten zugleich das Bewußtsein des Bedingiseins seines ursprünglichen Willens hat und ihn also als Willen und Kraft aus dem Urwillen der Urkraft erkennet und sich alles Eigenwillens gegen diesen Willen, als den Willen des Heiligen in ihm, begibt und von ihm beseelet sich besonnen und tatkräftig gegen die Außenwelt wendet: so und sofern ist Religion in seinem Wollen und Handeln« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 161).

Einen »ästhetischen Rationalismus« lehrt FRIES. Organ der Religion ist die »Ahnung« (s. d.). Ästhetisch- symbolisch wird das Göttliche in der Erhabenheit und Schönheit der Welt erschaut (Religionsphilos., 1832). Ähnlich E. F. APELT, nach welchem die philosophische Religionslehre objektive »Weltzwecklehre« ist (Religionsphilos. 1860), DE WETTE (Üb. Relig. u. Theol.2, 1821).

SCHLEIERMACHER führt die Religion subjektiv auf Anschauung und Gefühl (Red. üb. d. Rel.), später (l. c. 2. A.) insbesondere auf das Gefühl zurück, auf das »schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl« (Dogmat.3, § 3d,. vgl. Psychol. S. 195 ff., 212, 461 ff.). Mitten im Endlichen sich des Unendlichen bewußt sein, das ist Religion (Monol.). Unmittelbar offenbart sich uns in jedem Augenblick das Universum in seinen Einwirkungen auf uns, »und in diesen Einwirkungen und dem, was dadurch in uns wird, alles einzelne nicht für sich, sondern als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte nicht in seinem Gegensatze gegen anderes, sondern als eine Darstellung des Unendlichen in unser Leben aufnehmen und uns davon bewegen lassen, das ist Religion« (Red. üb. d. Relig. S. 75). Es ist »das Eins und Alles der Religion, alles im Gefühl ms Bewegende in seiner höchsten Einheit als eins und dasselbe zu fahlen und alles Einzelne und Besondere nur hierdurch vermittelt, also unser Sein und Leben als ein Sein und Leben in und durch Gott« (l. c. S. 76). - Nach CHR. KRAUSE ist die Religion die Bestimmtheit unseres Lebens, wonach es als ein Teil des Lebens Gottes bestimmt ist, ein Wesenvereinleben. Religion ist »Gottinnigkeit« (Vorles. üb. d. Grundwahrh. d. Wissensch. 1829. Urb. d. Menschh.3, S. 70). Ein »Urtrieb« zur Religion besteht (vgl. Syst. d. Sittenlehre 1810, S. 420 ff.. Absol. Religionsphilos., 1834). - Auf die »reale Abhängigkeit vom Absoluten« gründet die Religion CHALYBAEUS (Philos. u. Christent. 1853. vgl. Wissenschaftslehre S. 340 ff.).

HEGEL. erblickt in der Religion eine objektive Gestaltung des absoluten Geistes, die Selbstoffenbarung desselben im Menschen in der Form der Vorstellung. »Die Religion ist die Art und Weise des Bewußtseins, wie die Wahrheit für alle Menschen, für die Menschen aller Bildung ist« (Encykl., Vorr. zur 2. A., S. 13). Die Religion ist »Wissen von Gott« (Vorles. üb. d. Philos. d. Rel. I, S. 12), die »höchste Sphäre des menschlichen Bewußtseins« (l. c. S. 30), die »Beziehung des Subjekts, des subjektiven Bewußtseins auf Gott« (l. c. S. 35), das »Wissen des endlichen Geistes von seinem Wesen als absoluter Geist« (l. c. S. 37 ff.), »Selbstbewußtsein Gottes« (l. c. S. 151). Stufen der Religion sind: die Naturreligion (Einheit des Geistigen und Natürlichen, l. c. S. 185), die Religion der geistigen Individualität [1) Religion der Erhabenheit, 2) Religion der Schönheit, 3) Religion der äußeren Zweckmäßigkeit)], absolute Religion (l. c. S. 149 ff.), in welcher der absolute Geist sich selbst manifestiert (Encykl. § 564). Erst in der Religion des Geistes ist Gott als Geist auf höhere Weise gewußt (Ästhet. I, 136 f.). »Daß der Mensch von Gott weiß, ist nach der wesentlichen Gemeinschaft ein gemeinschaftliches Wesen, d. t. der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst weiß« (Religionsphilos. II, 496). Den religiösen Prozess betrachtet als Subjektiven, objektiven, absoluten Prozess K. ROSENKRANZ (Syst. d. Wissensch. S. 576 ff.). - Nach HILLEBRAND ist die Religion »das Dasein des Göttlichen im Element der endlich-geistigen Wirklichkeit«, »Leben und Dasein mit dem Göttlichen«, Einheit mit Gott (Philos. d. Geist. II, 339 ff.). Nach C. SCHWARZ ist Wesen und Ziel der Religion Versöhnung des Menschen mit Gott und mit sich (Das Wes. d. Relig. 1847). - SCHOPENHAUER führt die Religion auf den metaphysischen Trieb zurück (W. a. W. u. V. XI. Bd., C.17). Es gibt keine natürliche Religion (Neue Paralipom. § 390).

Nach HERBART setzt die Religion das Ewige dem Zeitlichen entgegen. Sie entspringt der Hülfsbedürftigkeit des Menschen, beruht auf Demut und dankbarer Verehrung, ergänzt und stützt die Sittlichkeit, erhält die Gesellschaft. Ein Wissen um Gott ist unmöglich (Lehrb. zur Einl.5, S. 158 f., 277 f.). Ähnlich G. TAUTE (Religionsphilos., 1840), DROBISCH (Grundlehr. d. Religionsphilos., 1840), nach welchem die Religion ein Produkt der Bedürftigkeit des Menschen nach Befreiung und Erlösung von dem Drucke der Natur ist. Nach SCHILLING treiben den Menschen zur Religion »vor allem Leiden und Unglück, moralische Übertretung und Verderbnis, die Abnahme der leiblichen Kräfte und der Gedanke an den Tod samt den Betrachtungen Über die Veränderlichkeit und Zufälligkeit der wahrgenommenen Welt« (Lehrb. d. Psychol. S. 189). LINDNER erklärt: »Der Mensch bemerkt sehr bald... seine eigene Ohnmacht und Abhängigkeit von höheren Mächten. Er bemerkt, daß die Größe und Herrlichkeit der Schöpfung einen allmächtigen Herrn, die sinnvollen Einrichtungen der Natur und die nicht hinwegzuleugnende Vorsieht im Laufe der Begebenheiten einen weisen Regenten, endlich die Unabweislichkeit der sittlichen Forderungen einen höchst sittlichen (heiligen) Urheber des Sittengesetzes voraussetzen« (Lehrb. d. emp. Psychol. S. 177). Nach NAHLOWSKY ist die Grundquelle des religiösen Gefühls »das Bewußtsein der eigenen Endlichkeit, Abhängigkeit, Beschränktheit, welches den Menschen zur Vorstellung eines unbeschränkten, altwaltenden Urwesens hinführt« (Das Gefühlsleben, S. 20S ff.). VOLKMANN erklärt: »Dem religiösen Gefühle liegt zunächst allenthalben das Ergriffensein durch eine hinter der sinnlichen Erscheinung wirksame höhere, und zwar übersinnliche Macht zugrunde« (Lehrb. d. Psychol. II4, 368 f.). - Nach BENEKE ist eine der Quellen der Religion die Sehnsucht, unsere lückenhaften Vorstellungen von der Welt zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen. »Die bedingenden Grundmotive der religiösen Entwicklung sind: die Formen des Vorstellens, das Bruchstückartige alles dessen, was wir durch die Erfahrung aufzufassen oder derselben unmittelbar unterzulegen vermögen. für die affectiven und praktischen Formen das Mangelhafte der Befriedigung und des Haltes, die wir im Anschluß an das Irdische finden.« Erst durch die Erhebung über das Gefühl der Beschränktheit und Abhängigkeit entsteht die Religion (Lehrb. d. Psychol.3, § 223 f.. Syst. d. Met. S. 362 ff., 548 ff.. ähnlich DITTES, Üb. Relig., 1855).

 

 


Vergleiche ferner:

- Religion (Kirchner, Wörterb. d. phil. Grundbegr.)

- Religionsphilosophie (Kirchner, Wörterb. d. phil. Grundbegr.)

- IV. Religionssoziologie (Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft):

- § 1. Die Entstehung der Religionen

- § 2. Zauberer — Priester

- § 3. Gottesbegriff. Religiöse Ethik. Tabu

- § 4. »Prophet«

- § 5. Gemeinde

§ 6. Heiliges Wissen. Predigt. Seelsorge

- § 7. Stände, Klassen und Religion

- § 8. Das Problem der Theodizee

- § 9. Erlösung und Wiedergeburt

- § 10. Die Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung

- § 11. Religiöse Ethik und »Welt«

- § 12. Die Kulturreligionen und die »Welt«

- Feuerbach (Religion, Sensualismus, Ethik) (Vorländer, Gesch. d. Phil.)

- Of Unity in Religion (Bacon, Essays)


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