Schicksal (moira, atê, heimarmenê, anankê, fatum) bedeutet: 1) das Geschick, die Summe der Erlebnisse eines Wesens als abhängig von der Natur desselben und den Gesetzen der Außenwelt betrachtet, 2) die Hypostasierung der Faktoren, welche das Geschick, die Lebenswendung bestimmen (insbesondere der äußeren Faktoren, der Notwendigkeit des Alls, des äußeren Kausalnexus) zu einer selbständigen, blind-gesetzvoll handelnden Macht, welche den Erfolg des menschlichen Handelns letzten Endes determiniert, oft so gedacht, daß die Freiheit des einzelnen, der Persönlichkeit gar nicht zur Geltung kommt, die doch selbst ein Aktiver, das Geschick beeinflussender, bestimmender Faktor ist, sein kann. Als selbständige, absolute Macht betrachten das Schicksal die Griechen.
HOMER sagt: moiran d' outina phêmi pephygmenon emmenai andrôn, ou kakon oude men esthlon, epên ta prôta genêtai (Il. .' 488). HERAKLIT faßt die heimarmenê als Logos (s. d,) auf (s. Ethos). Als gesetzmäßige Notwendigkeit bestimmen das Schicksal die Stoiker (Diog. L. VII,- 149. Cicer., De nat. deor. I, 25, 70). CHRYSIPP erklärt: heimarmenê estin ho tou kosmou logos, ê logos tôn en tô kosmô pronoia dioikoumenôn (Stob. Ecl. I 5, 180). ZENO nennt das Schicksal dynamin kinêtikên tês hylês (l. c. 178). Nach SENECA ist das »fatum« »series implexa causarum« (De benef. IV, 7). »Ordinem rerum fati aeterna series rotat, cuius prima haec lex est, stare decreto. Quid enim intelligis fatum necessitatem rerum omnium actionumque quam nulla vis rumpat« (Natur. quaest. II, 36, 46). Nach MARC AUREL ist durch das Schicksal alles notwendig bestimmt (In se ips. IX, 15). ALEXANDER VON APHRODISIAS erklärt: heimarmenên mêden allo ê tên oikeian physin hekastou (De fato 6, p. 14, ed. Orelli). Nach PROKLUS ist das Schicksal abhängig von der Vorsehung, ist gleichsam deren Bild (Opp. I, 24).
Nach ALBERTUS MAGNUS ist das »fatum« »decretum principis proridentiae divinae promulgatum in omnia quae suis ordinibus nectenda sunt« (Sum. th. I, 68, 3). THOMAS bemerkt: »Fatum est in ipsis causis creatis, inquantum sunt ordinatae a Deo ad aliquos effectus producendos« (Sum. th. , 116, 2 c).
Im Sinne der Stoa lehrt POMPONATIUS (De fato, 1523). Nach CAMPANELLA besteht das Schicksal im Zusammenwirken vieler Dinge, es gehört zur Ordnung der Dinge (Univ. philos. IV, 1). MICRAELIUS erklärt: »Fatum est vel physicum vel Chaldaicum vel Stoicum.« »Fatum physicum est ordo secundarum causarum decreta providentiae divinae exequentium.« »Fatum Chaldaicum seu astrologicum est, quo quis astrorum inclinationibus subiacet.« »Fatum Stoioum est, quo ipse Dens ad necessitatem compellitur« (Lex. philos. p. 426). LEIBNIZ unterscheidet »fatum Mahometanum, Stoicum, Christianum« (Theod. § 58). Nach BAUMGARTEN ist das »fatum« »necessitas eventuum in mundo« (Met. § 382). Nach PLATNER ist das Schicksal »die Reihe der Begebenheiten, welche in der Welt aufeinander folgen« (Philos. Aphor. I, § 1021). SCHILLER: »In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne« (Wallenstein). ESCHENMAYER bemerkt: »Wie sich die einzelne Handlung des Menschen mit dem Ganzen verkettet, wie das reagiert, auf das sie trifft, durch welche Collisionen unser frei entworfener Plan geführt und durch welche günstige Umstände er befördert werde, das bleibt ewig Schicksal« (Psychol. S. 433). - EMERSON bemerkt: »Was uns immer begrenzt, das nennen wir Schicksal.« Aber die Freiheit des Menschen ist ein Teil des Schicksals. Die Seele des Menschen enthält ihr Schicksal. »Die Ereignisse unseres Lebens sind ein Abdruck unseres Wesens.« »Unsere Schicksale sind das Resultat unserer Persönlichkeit« (Essays, Lebensführ. S. 16 ff.). Vgl. Notwendigkeit, Fatalismus, Prädeterminismus.