Sinnlichkeit

Sinnlichkeit (sensualitas) bedeutet: 1) die Sinnesempfänglichkeit, die sinnliche Erkenntnisfähigkeit, die Empfindungsfähigkeit, psychische Rezeptivität (s. d.) als Quelle der Sinnesdata, im Unterschiede von der Intellektualität, der Sponteneität (s. d.) des Denkens. 2) das sinnliche Verhalten, die Disposition zum Sinnengenuß, sinnliche Erregbarkeit.

Die Scholastiker verstehen unter der »sensualitas« das niedere, sinnliche Fühlen und Begehren als Seelenvermögen, nach ALBERTUS MAGNUS »vis animae inferror, ex qua est motus, qui intenditur in corporis exteriores sensus et appetitus, rerum ad cotpus« (Sum. th. II, 92, 1). Nach THOMAS bezeichnet »sensualitas« »illam tantum partem..., per quam movetur animal in aliquod appetedum vel fugiendum« (2 sent. 24, 2, 1 c).

In theoretischen Sinne bestimmt »Sinnlichkeit« KANT. Sinnlichkeit ist die Empfänglichkeit der Person, durch die ihr Vorstellen von der Gegenwart eines Gegenstandes erregt wird (De mund. sens. sct. II, § 3). »Vorstellungen, in Ansehung deren sich das Gemüt leidend verhält, durch welche also das Subjekt affiziert wird (dieses mag sich nun selbst affizieren oder von einem Objekt affiziert werden), gehören zum sinnlichen... Erkenntnisvermögen« (Anthropol. I, § 7 ff.). »Die Sinnlichkeit im Erkenntnisvermögen (das Vermögen der Vorstellungen in der Anschauung) enthält zwei Stücke: den Sinn und die Einbildungskraft« (l. c. §13). - »Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affeziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen, durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihnen entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (directe) oder im Umschweife (indirekte), vermittelst gewisser Merkmale zuletzt auf Anschauungen, Gegenstand gegeben werden kann« (Krit. d. rein. Vern. S. 48). Sinnlichkeit ist rein rezeptiv, Denken aktiv, aber es ist doch möglich, daß beide »aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen« (l. c. S. 47). Nach S. MAIMON ist die Sinnlichkeit der »unvollständige Verstand« (Vers. üb. d. Transc. S. 183). es entspringen Sinnlichkeit und Verstand aus dem Bewußtsein überhaupt (Vers. ein. neu. Log., 1794). und J. G. FICHTE leitet beide aus dem Ich (s. d.) ab. - JACOB erklärt: »Die Fähigkeit, zu empfinden, wird im allgemeinen Sinnlichkeit genannt, und alles, was von Empfindungen abhängt, heißt sinnlich« (Gr. d. Erfahrungsseelenl. S. 73). HOFFBAUER bestimmt: »Sinnlichkeit nennen wir das Vermögen, Vorstellungen zu erzeugen, ohne sie aus andern hervorzubringen« (Log. S. 21). Nach REINHOLD ist Sinnlichkeit das »Vermögen, durch die Art und Weise, wie die Rezeptivität affiziert wird, zu Vorstellungen zu gelangen« (Vers. ein. neuen Theor. II, 362). Nach FRIES ist die Sinnlichkeit die »Vernunft, wiefern sie in der Materie ihrer Erregungen unter dem Gesetze des Sinnes steht« (Neue Krit. I 76 f.), »die Vernunft selbst nur in denjenigen ihrer Äußerungen, welche der Anregung am nächsten liegen« (Syst. d. Log. S. 40). - Nach BENEKE ist Sinnlichkeit »das Vermögen, die Fähigkeit, Reize von außen aufzunehmen« (Lehrb. d. Psychol. § 38). »Sinnliches Auffassungsvermögen« ist »alles, was die Seele zu sinnlichen Auffassungen aus ihrem Innern hinzubringt« (l. c. § 61). - Nach L. FEUERBACH ist die Sinnlichkeit »nichts anderes als die wahre, nicht gedachte und gemachte, sondern existierende Einheit des Materiellen und Geistigen« (WW. VIII, 15). Nach R. AVENARIUS ist das »Sinnliche« eine Modifikation des »Körperlichen« (Krit. d. rein. Erfahr. II, 91). Die Korrelation von Sinnlichkeit und Denken betont H. COHEN (Princ. d. Infin. S. 128). Vgl. Hedonismus.


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