Synthese

Synthese (synthesis, Zusammenstellung): Verbindung, Verknüpfung, Vereinigung einer Vielheit zur Einheit, zu einer organischen, übergeordneten Einheit, in welcher die Mannigfaltigkeit der Teile zu einem selbständigen Ganzen geeint ist. Die (geistige) Synthese ist das Resultat der (synthetischen) Tätigkeit des Bewußtseins, des Ich, welches kraft seiner Natur sich selbst und die objektiven Inhalte seines Erlebens immer wieder zu zusammenhängenden Einheiten, zur Einheit des Selbst- und Objektbewußtseins verbindet. Psychologisch ist die Synthese eine Leistung der Apperzeption (s. d.). Die assoziative Synthese geht von der »passiven«, die apperzeptive Synthese von der »aktiven« Apperzeption aus. »Schöpferisch« ist die Synthese insofern, als sie aus psychischen Elementen neue, in der bloßen Summe der Bestandteile noch nicht gegebene geistige Gebilde (z.B. die höheren ästhetischen Gefühle) erzeugt. Die logische Synthese ist die Betätigung des Denkens (s. d.) in der Verknüpfung von Vorstellungen, Begriffen, Urteilen, Schlüssen, sie führt zum »System« (s. d.) der Wissenschaft, wie die ästhetische zum Kunstwerk, die spekulative, philosophische zur »Weltanschauung«. Im engeren Sinne ist logische Synthese die synthetische Methode (s, d,), im Gegensatz zur analytischen (s. d.). Erkenntnistheoretisch ist die Synthese von hoher Bedeutung. sie liegt den Kategorien (s. d.) und Anschauungsformen (s. d.) zugrunde. Vgl. Synthesis, Methode.

Von der Synthese der Gedanken (synthesis tis êdê noêmatôn hôste hen ontôn, De an. III b, 430 a 28), sowie von der logischen Verknüpfung im Urteil (De interpret. 1, 16 a 12) spricht schon ARISTOTELES. Zusammensetzung von Merkmalen zum Begriff ist synthesis. bei EPIKTET (Diss. I, 6, 10). - Nach AUGUSTINUS nötigt die Natur des Geistes ihn, »unum quaerere« (De ord. I, 3). - Über synthetische und analytische Methode vgl. LEIBNIZ, De synthesi et analysi universali, Gerh. VII, 292 ff.

Von fundamentaler Bedeutung wird der Begriff der Synthese bei KANT. Die Synthese ist bedingt durch die Spontaneität (s. d.) des Denkens, welche es erfordert, das Mannigfaltige der (reinen) Anschauung durchzugehen, aufzunehmen und zu verbinden, um daraus Erkenntnis zu machen. Synthesis ist »die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen«. Die Synthesis »bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann und also der Analysis bedarf. allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt und zu einem gewissen Inhalte vereinigt. sie ist also das erste worauf wir achtzugeben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen« (Krit. d. rein. Vern. S. 94 f.). An sich, psychologisch, ist die Synthesis »die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind.« Aber »die Synthesis auf Begriffe zu bringen«, das ist »eine Funktion, die dem Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschaffet.« »Rein« (s. d.) ist eine Synthesis, wenn das Mannigfaltige a priori (s. d.) gegeben ist. »Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht« (l. c. S. 94 f.). Höchste Einheit des Bewußtseins als solchen ist die des Ich (s. d.), die transzendentale synthetische Einheit der Apperzeption (s. d.). Im Erkenntnisprozess tritt eine dreifache Synthesis auf: die Synthesis der Apprehension (s. d.), der Reproduktion (s. d.), der Recognition (s. d.). - FRIES bemerkt: »Die erste unmittelbare Verbindung oder Synthesis ist... in unserer Erkenntnis früher als alles Denken des Verstandes, aus ihr werden die Begriffe erst durch Trennung herausgehoben. Aber eine Synthesis von Begriffen, eine logische Zusammensetzung ist immer erst eine Wiedervereinigung des früher Getrennten und kann also erst auf die Analyse folgen. Wir müssen hier also die unmittelbare Synthesis der Vernunft wohl von der mittelbaren Synthesis des Verstandes unterscheiden« (Syst. d. Log. S. 116). Nach KRUG setzt die empirische Synthese, die Verknüpfung eines bestimmten Seins mit einem bestimmten Wissen im Ich als Bewußtseinstatsache, eine transzendentale (apriorische) Synthese voraus, d.h. »eine ursprüngliche Verknüpfung des Seins und des Wissens im Ich, wodurch das Bewußtsein selbst erst konstituiert wird«. Sie ist »die Urtatsache« des Bewußtseins (Handb. d. Psychol. I, 43 f.), ist »schlechthin unerklärbar und unbegreiflich«, der absolute Grenzpunkt des Philosophierens (l. c. S. 44. vgl. Fundamentalphilos.).

Nach F. A. LANGE liegt aller Erkenntnis, Metaphysik, Religion u.s.w. der synthetische Einheitstrieb des Bewußtseins zugrunde. Nach H. LORM ist der synthetische Trieb dem Menschen angeboren als »Trieb nach Verknüpfung alles Gedachten und alles Angeschauten« (Gr. Optim. S. 72). Eine apriorische Funktion der Vernunft, eine Bedingung der Möglichkeit der Anschauung ist die Synthese nach MAINLÄNDER (Philos. d. Erlös. S. 12). So auch nach E. v. HARTMANN, der aber den unbewußten (s. d.) Charakter der synthetischen Tätigkeit des Geistes betont. Nach H. COHEN ist die Synthesis eine Form des Bewußtseins selbst, welche die Erfahrung schon bedingt (Kants Theor. d. Erfahr. S. 249). so auch P. NATORP u. a. Neukantianer. Nach WINDELBAND ist die synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Grundcharakter des Bewußtseins, aus dem auch die (konstitutiven und reflexiven) Kategorien entspringen (Philos. Abh., Sigwart gewidm. 1900). Die synthetische Einheitsfunktion des Bewußtseins betrachtet auch A. RIEHL als das Apriori (s. d.) des Erkennens (vgl. Philos. Krit. II 2, 68).

Die »schöpferische Synthese« des Bewußtseins wird verschiedenerseits betont. So von WUNDT. Die Synthese überhaupt ist das Produkt der beziehenden Apperzeption (s. d.). Die »apperzeptive Synthese« ruht auf den Verschmelzungen (s. d.) und Assoziationen (s. d.). »Sie scheidet sich von diesen durch die Willkür, mit der bei ihr von den durch die Assoziation bereit liegenden Vorstellungs- und Gefühlsbestandteilen einzelne bevorzugt und andere zurückgedrängt werden, während zugleich die Motive dieser Auslese im allgemeinen erst aus der ganzen zurückliegenden Entwicklung des individuellen Bewußtseins erklärt werden können. Das Produkt der Synthese ist infolgedessen ein zusammengesetztes Ganzes, dessen Bestandteile sämtlich von früheren Sinneswahrnehmungen und deren Assoziationen herstammen, in welchem sich aber die Verbindung dieser Bestandteile mehr oder minder weit von den ursprünglichen Verbindungen der Eindrücke entfernen kann« (Gr. d. Psychol.5, S. 316). Die Apperzeption hat die Bedeutung einer Einheitsfunktion (Grdz. d. phys. Psychol. II4, 499. Philos. Stud. X, 119. vgl. Log. I2, 33 ff., II2, 2, 288 f.. Vorles.2, S. 340 ff.. Syst. d. Philos.2, S. 583 ff.). Im »Gesetz der psychischen Resultanten« (s. Beziehungsgesetze) kommt das »Prinzip der schöpferischen Synthese« zum Ausdruck, indem »nicht nur die durch apperzeptive Synthese verbundenen Bestandteile neben der Bedeutung, die sie im isolierten Zustande besitzen, in der durch ihre Verbindung entstehenden Gesamtvorstellung (s. d.) eine neue Bedeutung gewinnen, sondern da namentlich auch die Gesamtvorstellung selbst ein neuer psychischer Inhalt ist, der zwar durch jene Bestandteile ermöglicht wird, darum aber doch in ihnen noch nicht enthalten ist« (Gr. d. Psychol.5, S. 394. hier findet eine Art »psychische Chemie« statt. vgl. Philos. Stud. X, 123 ff.). Das Prinzip besagt, »daß die psychischen Elemente durch ihre kausalen Wechselwirkungen und Folgewirkungen Verbindungen erzeugen, die zwar aus ihren Komponenten psychologisch erklärt werden können, gleichwohl aber neue qualitative Eigenschaften besitzen, die in den Elementen nicht enthalten waren, wobei nahmentlich auch an diese neuen Eigenschaften eigentümliche, in den Elementen nicht vorgebildete Wertbestimmungen geknüpft werden. Insofern die psychische Synthese in allen solchen Fällen ein Neues hervorbringt, nenne ich sie eben eine schöpferische« (Philos. Stud. X, 112 f.). Auch nach SIGWART ist die Synthese niemals die bloße Summe der Elemente, »vielmehr ist die Art, wie das einzelne im Bewußtsein zusammen ist, wieder etwas für sich und nicht aus den Bestandteilen zusammenzusetzen« (Log. II2, 199. vgl. I2, 328 ff.. I2, 63 ff.). Ähnlich lehren TÖNNIES (La synthèse créatrice, Bibl. du congr. internat. de philos. 1900, p. 415 ff.), G. VILLA (Einl. in d. Psychol. S. 417 ff.), EUCKEN, L. F. WARD (»Creative synthesis«, Pure Sociol. 79 ff.), HÖFFDING (Psychol.2, S. 65), welcher das »Beziehungsgesetz« so formuliert: »Die einzelne Empfindung ist bestimmt durch den Zusammenhang und durch die Beziehung der verschiedenen Zustände oder der Teile desselben Zustandes zueinander.« »Selbst wenn wir uns das Bewußtseinsleben als eine Reihe von Empfindungen denken, ist die Synthese als... eine notwendige Voraussetzung« (l. c. S. 149, 153. Philos. Probl. S. 11). - Unter »noetic synthesis« versteht STOUT die durch Beziehung auf ein einziges Objekt hergestellte Einheit von Bewußtseinsinhalten zu Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begriffen (Anal. Psychol. II, ch. 1). - Nach VACHEROT ist das Denken »l'acte pur de l'esprit, la synthèse dans laquelle viennent se résumer les objets de la sensibilité, de l'entendement et de la raison« (Mét. III, 209). Die synthetische Funktion des Denkens betont RAVAISSON (Franz. Philos. S. 256 f.). FOUILLÉE lehrt die »fonction synthétique du vouloir« (Psychol. d. id. -forc. II, 148). - Nach PLANCK: ist die Grundform der Wirklichkeit »die innere Beherrschung der Teile durch eine zusammenfassende Einheit des ganzes oder ihre innere Konzentrierung zu hervorbringender Gesamttätigkeit« (Test. ein. Deutsch. S. 9). - Vgl. A. BAIN, Log. II, 397 ff., u. andere logische Compendien. vgl. J. WARD, Encycl. Brit. XX, 78 f. Vgl. Synthesis, Analyse, Verbindung.


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