Die Upanishads bezeichnen die individuelle Seele als »jiva âtman« und unterscheiden davon die Weltseele (s. d.). Der Buddhismus unterscheidet die Lebenskraft (»akegerun«) und die geistige Seele (erkin sunesun) (vgl. Bastian, Psychol. d. Buddhism. S. 34 ff.). Ähnlich die Bibel, in welcher »nephesch« das im Blute befindliche Lebensprinzip ist (IV. Mos. 6, 6), im Unterschiede vom »ruach« oder »neschamâ«. Die altgriechische Anschauung von der Seele findet sich bei HOMER dargestellt. Darüber bemerkt VOLKMANN (Lehrb. d. Psychol. I4, 56): »Die Homerische Psyche ist nur die personifizierte Lebenskraft: ein ätherischer Leib im materiellen Leibe, von diesem abtrennbar und dann als eidôlon gleichsam als Schattenbild, als Rauchsäule oder Traumgestalt des früheren Menschen fortbestehend« (Od. X, 495, XI, 222. II. XXIII, 100). »Der eigentliche wirkliche Mensch, der autos, ist der Leib« (II. I, 4), »ihm steht die Psyche gegenüber, als das, weil belebende, dem Tode unzugängliche Princip« (II. XXIII, 65). »Das eigentliche, wenn auch materialistisch gefaßte Prinzip des Seelenlebens ist bei Homer der thymos..., dem freilich nicht mehr die bloße Empfindung und Bewegung, sondern auch alles, was der Empfindung nachfolgt und der Bewegung vorangeht: Überlegung, Erkenntnis, Gefühl und Begierde, beigelegt wird. Auch er verläßt nach Homerischer Anschauung, ohne mit der psychê. identisch zu sein, im Tode den Leib. nach der Darstellung der Nekyia hingegen hört er, während die Psyche den Gebeinen enteilt, mit den Funktionen des Lebens auf« (Od. XI, 220 ff.). »Das Organ und die somatische Vorbedingung des thymos sind die phrenes, die daher tropisch statt des thymos selbst gesetzt und überall angenommen werden, wo der thymos selbst zum Vorschein kommen soll« (II. XI, 245, XVIII, 419. Od. VII, 556).
Als Prinzip der Empfindung und Bewegung bestimmen die älteren griechischen Naturphilosophen die Seele (vgl. Aristot., De an. I 2, 405 b 11). So THALES, der die Seele als kinêtikon, auffaßt. der Magnet hat eine Seele, weil er das Eisen bewegt (Arist., De an. I 2, 405a 19. vgl. Stob. Ecl. I, 794).
Nach HIPPON ist die Seele Wasser, Feuchtes (Arist., De an. I 2, 405 b 2. Stob. Ecl. I, 798). Nach ANAXIMENES ist sie Luft, aêr ousa synkratei hêmas (Plut., Ep. I, 3, Dox. 278). So lehrt auch DIOGENES VON APOLLONIA. Die Seele ist Luft als die feinste Substanz, die zu bewegen und zu erkennen vermag (Arist., De an. I 2, 405 a 21 squ.). - Als Harmonie (s. d.) des Leibes bestimmen die Pythagoreer die Seele: harmonian gar tina autên legousi. kai gar tên harmonian krasin kai synthesin enantiôn einai, kai to sôma synkeisthai ex enantiôn (Arist., De an. I 4, 407 b 27 squ.. Polit. VIII 5, 1340b 18). Nach einigen Pythagoreern sind die Sonnenstäubchen oder das sie Bewegende die Seele: ephasan gar tines autôn psychên einai ta en tô aeri xysmata, hoi de to tauta kinoun (Arist., De an. I 2, 404 a 18 squ.). Auch als apospasma aitheros kai tou thermou kai tou psychrou wird die Seele bezeichnet (Diog. L. VIII, 1, 38). Nach ALKMAEON ist die Seele eine sich selbst bewegende Zahl (arithmon auton kinounta, Stob. Ecl. I, 794), die ihren Sitz im Gehirn hat (Theophr., De sens. 26 squ.. Plut., Plac. IV, 16 squ.. vgl. Arist., De an. I 2, 40.5 a 30 squ.. Stob. Ecl. I, 796). Nach HERAKLIDES kommt die Seele vom Äther herab (Stob. Ecl. I, 796, 904). - Als feinste (unkörperliche) Materie, als Teil des Urfeuers bestimmt die Seele HERAKLIT (Mull., Fragm. I, 74). Er bezeichnet sie als tên anathymiasin, ex hês talla synistêsin (Arist., De an. I 2, 405 a 25 squ.). Nach XENOPHANES ist die Seele ein pneuma (Diog. L. IX 2, 19). DEMOKRIT lehrt die Existenz von Seelenatomen, feinsten, beweglichen, runden Atomen, die sich zwischen den Körperatomen im Organismus befinden: toutôn (stoicheiôn) de ta sphairoeidê psychên, dia to malista dia pantos dynasthai diadynein tous toioutous rhysmous kai kinein ta loipa kinoumena kai auta, hypolambanontes tên psychên einai to parechon tois zôois tên kinêsin. dio kai tou zên horon einai tên anapnoên (Arist., De an. I 2, 404 a 1 squ.). kinoumenas gar phêsi tas adiairetous sphairas dia to pephykenai mêdepote menein synephelkein kai kinein to sôma pan (l. c. I 3. 406b 15 squ.). - Den Aktualitätsstandpunkt soll schon PROTAGORAS ausgesprochen haben: elege te mêden einai psychên para tas aisthêseis (Diog. L. IX, 51). SOKRATES unterscheidet Seele und Leib principiell (vgl. Xenoph., Memor. I, 4). So auch PLATO. Nach ihm ist die Seele unkörperlich, unbewegt, aber sich selbst und damit ihren Leib bewegend (autokinêton), sie ist ein Mittleres zwischen dem Teillosen (den Ideen, 6. d.) und dem Teilbaren (Theaet. 35 A. Phaed, 245). Auf Erden ist die (schon präexistentiale) Seele an den Leib als ihren Kerker gefesselt (Cratyl. 400. Phaedr. 247 C, 250. Clorg. 493). Der Leib ist sêma psychês, daß Fahrzeug (ochêma) der Seele. das sie wie ein Steuermann lenkt (Tim. 41 E). Der Mensch besteht aus Seele und Leib (Phaedr. 246 D), wobei die Seele das Lebensprinzip ist: aition esti tou zên autô, tên tou anapnein dynamin parechon kai anapsychon, hama de ekleipontos tou anapsychontos to sôma apollytai te kai teleuta (Cratyl. 399 D). Die Teile, Formen (eidê) der Seele sind das logistikon (noêtikon, theion) im Haupte, das thymoeides in der Brust, das epithymêtikon im Unterleib (Rep. 435 B, 441 E. Tim. 77 B). - Nach SPEUSIPPUS ist die Seele die durch die Zahl harmonisch gestaltete Ausdehnung (Stob. Ecl. I 41, 862. Plut., De an. procr. 22). Nach XENOKRATES ist die Seele die sich selbst bewegende Zahl: arithmos hyph' heautou kinoumenos (Plut., De an. procr. 1. Stob. Ecl. I, 862. Arist., De an. I 4, 408 b 32).
Nach ARISTOTELES ist die Seele das den Leib zu einem Lebendigen Machende (vgl. Siebeck, Aristoteles S. 70), »die stetig vorhandene Möglichkeit« der Lebensfunktionen des Leibes, die »Funktionsverwirklichung eines organischen Körpers« (ib.). Sie ist das hô zômen kai aisthanometha kai dianooumetha prôtôs (De an. II 1, 414 a 12 squ.), tou zôntos sômatos aitia kai archê (l. c. II 4, 415 b 8). dokei gar tounantion mallon hê psychê to sôma synechein. exelthoisês goun diapneitai kai sêpetai (l. c. I 5, 411b 8). Die Seele ist Form (s. d.), Energie (s. d.), Entelechie (s. d.), sich selbst verwirklichende, entwickelnde, vollendende, geistig-teleologisch gestaltende Aktualität des Organismus: hê psychê estin entelecheia hê prôtê sômatos physikou dynamei zôên echontos. toiouto de, ho an ê organikon (De an. II 1, 412 a 27 squ.). ei gar ê ho ophthalmos zôon, psychê an ên autou hê opsis. hautê gar ousia ophthalmou hê kata ton logon. ho d' ophthalmos hylê opseôs, hês apoleipousês ouket' ophthalmos (l. c. II 1, 412 b 10 squ.). Die Seele ist nicht ein Wesen, das vom lebenden Organismus getrennt existiert, da sie die psychische Kraft desselben ist (l. c. II 1, 413a 4 squ.). Die Seele kommt als vegetative Seele (threptikon) auch schon den Pflanzen zu (l. c. II 2, 413 b squ.). Die Tierseele ist zugleich begehrend (orektikon) empfindend (aisthêtikon), bewegend (kinêtikon kata topon) (l. c. II 2, 414a 30 squ.). Im Menschen kommt dazu noch das dianoêtikon, der Geist (s. d.), welcher vom Leibe trennbar, unsterblich (s. d.) ist, eine »andere Art Seele« (psychês genos heteron, l. c. i1 2, 413 b 26). Von den Peripatetikern (s. d.) bemerkt EUDEMUS, psychês ergon to zên poiein (Eth. Eud. 1219a 28). STRATO faßt die Betätigungen der Seele als »Bewegungen« auf: tên psychên homologei kineisthai ou monon tên alogon, alla kai tên logikên, kinêseis legôn einai tas energeias tês psychês (Simpl. ad Phys. f. 225). - Nach DIKAEARCH ist die Seele nur eine Harmonie der vier Elemente (harmonian tôn tettarôn stoicheiôn, Stob. Ecl. I, 796. Plut., Plac. IV, 2). »Nihil esse omnino animum, et hoc esse nomen totum inane, frustraque et animalia et animantes appellari. neque in homine inesse animum vel animam, nec in bestia, vimque omnem eam, qua vel agamus quid, vel sentiamus, in omnibus corporibus vivis aequabiliter esse fusum, nec separabilem a corpore esse, quippe quae nulla sit, nec sit quidquam, nisi corpus unum et simplex, ita figuratum, ut temperatione naturae vigeat et sentiat« (Cicero, Tusc. disp. I, 10, 21). Nach ARISTOXENUS ist die Seele eine »Stimmung« des Leibes. »Aristoxenus... ipsius corporis intentionem. velut in cantu et fidibus, quae harmonia dictur, sic ex corporis totius natura et figura varios motus cieri. tanquam in cantu sonos« (Cic., Tusc. disp. I, 10, 20). Nach KRITOLAUS ist die Seele die »quinta essentia« (s. d.), welche den Leib zusammenhält (Tertull., De an. 5). Die Stoiker betrachten die menschliche Seele als Teil, Ausfluß der (stofflich gedachten) Weltseele (s. d.). Sie ist to symphyes hêmin pneuma (Diog. L. VII, 156), pneuma symphyton hêmin syneches panti tô sômati diêkon (Galen, Hipp. et Plat. plac. ed. K. V, 287), ätherisches Feuer (Cicer., De nat. deor. III, 14, 36. Tusc. disp. I, 9, 19). Im Menschen ist das pneuma (s. d.) zu einer synektikê dynamis verdichtet (vgl. Diog. L. VII 1, 138b, 156). Sie ist ein pneuma enthermon - toutô gar hêmas einai empnoous kai hypo toutou kineisthai (l. c. 157). dia tên psychên ginetai to zên (Stob. Ecl. I, 336). Man sieht in der Seele araioteron pneuma tês physeôs kai leptomeresteron (Plut., Stoic. rep. 41, 2). Sie ist physis proseilêphyia phantasian kai hormên (Phil. Leg. Alleg. 1, 1). Die Seele ist stofflich, denn nur Stoffliches kann wirken und leiden (Cicer., Acad. I, 39. Senec., Ep. 106, 3. Nemes., De nat. hom. 2). Sie besteht aus acht Teilen (s. Seelenvermögen). CICERO nennt die Seele »incorpoream naturam, omnisque concretionis ac materiae expertem« (Acad. IV, 39). Auch SENECA (Ep. 65, 22. 92, 13) und EPIKTET (Diss. I, 3, 3) bringen Seele und Leib in einen gewissen Gegensatz. - Streng materialistisch lehren die Epikureer. Die Seele ist luftartig, besteht aus feinsten Atomen. sie ist sôma leptomeres, par' holon to athroisma paresparmenon (Diog. L. X, 63 squ.). ex atomôn autên synkeisthai leiotatôn kai strongylôtatôn, pollô tini diapherousôn tôn tou pyros (l. c. X, 66). Die Seele ist krama ek tettarôn, ek poiou pyrôdous, ek poiou aerôdous, ek poiou pneumatikou, ek tetartou tinos akatonomastou (Plut., Plac. IV, 3). Die materielle Natur der Seele betont LUCREZ (De rer. nat. III, 161 squ.).