Als lebendiges Für-sich-sein, Innen-sein, aktives Bewußtsein fassen das Sein verschiedene Spiritualisten (s. d.) auf (s. auch oben). So z.B. E. BOIRAC (L'idée du phénom.). Nach L. DAURIAC heißt Existieren für sich und für andere sein (Croyance et Réalité, 1889). So L. BUSSE: »Sein ist Für-sich-sein«, Ich-sein, Bewußtsein (Philos. u. Erk. I, 127, 229, 234 f.), schon LOTZE, HAMERLING u.a. »Es gehört eben zur Natur des Seins, zu wirken, alles Sein ist lebendige Tätigkeit, Aktualität. ein totes ruhendes Sein gibt es gar nicht« (l. c. S. 193). Nach B. EUCKEN ist das Sein Produkt der Selbsttätigkeit des Geistes (Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 45). Nach J. BERGMANN ist das absolute Sein ewiges Producieren, aktives Bewußtsein, ewiges Werden, »aktives Beharren« (Sein u. Erk. S. 133). Jedes Urteil setzt das Dasein seines Gegenstandes voraus. »Das Dasein eines von unserem Ich verschiedenen Dinges besteht... in seinem Zusammensein mit andern Dingen in der Welt oder, kürzer, in seinem Enthaltensein in der Welt« (Begr. d. Das., Arch. f. system. Philos. II. Bd., 1896, S. 151, 280 f.). Alles Vorgestellte stellen wir als existierend vor (l. c. 13. 150). »Wenn wir ein Ding als etwas vom Denken Unabhängiges, dem Denken gegenüber Selbständiges denken, so denken wir seine Natur und Wesenheit ab eine solche, durch die es in diesem Verhältnisse zum Denken stehe, und diese Seite unserer Natur und Wesenheit ist es, was wir mit dem Worte Existenz bezeichnen« (l. c. S. 166). »Jeder vorgestellte Gegenstand, dessen Existenz, innerlich möglich ist, existiert wirklich« (l. c. S. 171). Alles Seiende denken wir als »zusammenseiend mit unserm Ich in einem Ganzen« (l. c. S. 302. vgl. Sein u. Erk. S. 10 ff., 20 ff., 44 ff., 48 ff., 55).
Als Bewußtsein, Bewußtseins-, Wahrnehmungs- Möglichkeit wird das Bein idealistisch, immanent, positivistisch (s. d.) bestimmt. Nach J. ST. MILL ist Existenz permanente Wahrnehmungsmöglichkeit (s. Objekt). Nach SPENCER ist Existenz Fortdauer (»persistence«) im Bewußtsein (Psychol. § 59), Fortdauer eines Zusammenhanges (l. c. § 467). »Sein« bedeutet Bleiben, Feststehen, Existenz ist fortdauerndes Sein (l. c. § 394. vgl. § 63). Nach HODGSON ist Existenz »presence in consciousness« (Philos. of Reflect. I, 165). Ähnlich mehrere englische Idealisten (s. d.). Auch nach BOSTRÖM ist esse = percipi, und zwar nicht bloß für andere, sondern auch für sich, also in spiritualistischem Sinne. - Nach A. V. LECLAIR sind Denken und Sein nur zwei begriffliche Auffassungen desselben Gegebenen. Denken ist »das Haben der Bewußtseinsdata unter Gesichtspunkten der Tätigkeit«, Sein - der »Individualinhalt, an dem wir uns überhaupt erst einer Tätigkeit bewußt werden« (Beitr. S. 18). Sein ist »nur der höchste Gattungsbegriff alles desjenigen, was Bewußtseinsdatum ist oder sein kann« (ib.). Denken ist stets »Denken eines Seins«, Sein ein Gedachtes, Denkinhalt (l. c. S. 19). Es gibt aber verschiedene Spezies des Seins, verschiedene Wirklichkeitsgrade (l. c. S. 21). Nach SCHUPPE ist alles Sein Bewußt-sein. »Es gehört zu dem Sein selbst, daß es in sich die beiden Bestandteile, den Ich-Punkt und die Objektenwelt... in dieser Einheit zeigt, daß jedes von ihnen ohne das andere in nichts verschwindet, eines mit dem andern gesetzt ist« (Log. S. 22). »Der Begriff des wirklichen Seins geht nicht in der bloßen Empfindung auf, sondern schließt die absolute Gesetzlichkeit ein, nach welcher je nach Umständen und Bedingungen bestimmte Empfindungsinhalte bewußt werden. Diese Notwendigkeit gehört zum Sein, und der Widerspruch unter Empfindungen beweist, daß? eine von ihnen nicht wirkliches Sein bedeuten kann, nur Schein. Die absolut zuverlässige Gesetzlichkeit, daß ich und jeder andere, die nötigen Bedingungen vorausgesetzt, z.B. die der Anwesenheit am bestimmten Orte, eine Wahrnehmung bestimmter Art machen würde, ist nicht nur Beweis für die Existenz dieses Wahrnehmbaren, sondern ist gleichbedeutend mit seiner Existenz, auch wenn gerade niemand diese Wahrnehmung macht... Der Begriff des existierenden Unwahrgenommenen geht in solchem auf, was seinem Begriffe nach Wahrnehmbares ist, z.B. Rotes, Rundes« (l. c. S. 29 f.). Das Sein ist nur als in notwendigen Zusammenhängen stehend denkbar (l. c. S. 65. vgl. S. 167). Existenz ist also Wahrnehmbarkeit nach festen Gesetzen (Grdz. d. Eth. 55 ff.. Erk. Log § 23 f.), Objekt sein, d.h. zu einem Bewußtsein gehören (Log. S. 28). Mit dem Bewußtsein identifiziert das Sein REHMKE (Welt als Wahrn. u. Begr. S. 71, 92, 98 ff.). M. KAUFFMANN erklärt: »Das Dasein oder die Wirklichkeit eines Dinges besteht in seiner Gegenwart im Bewußtsein« (Fund. d. Erk. S. 9). Und SCHUBERT-SOLDERN: »Was soll denn das Wort ›Gegeben-sein‹, ›Bestehen‹, ›Dasein‹ u.s.w. bedeuten, wenn es einen Sinn über das Bewußtsein hinaus haben soll« (Gr. ein. Erk. S. 98). Erkenntnistheoretisch ist alles Bewußtseinsinhalt (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 6. Bd., 1882, S. 139 ff., 169). Sein ist kein Gattungsbegriff, es gibt nur bestimmte Seinsarten (Gr. d. Erk. S. 192. vgl. S. 9). Nach ILARIU-SOCOLIU ist alles Sein ein Werden, und dieses ist »Denken schlechthin«, von welchem das bewußte Denken einen Spezialfall bildet (Grundprobl. d. Philos. S. XV f.). Die Wahrnehmungsinhalte selbst haben objektive Existenz. »Das Sein guckt sozusagen aus einer jeden Wahrnehmung hervor und gibt sich da dem gewöhnlichen Menschen als ›Außenheits-Koëffizient‹: es tritt bei ihm als Glaube an die Realität des Wahrnehmungsinhaltes... auf. Desgleichen ist es in jeder Erinnerung vorhanden« (l. c. S. 185). Nach H. CORNELIUS hat die Beharrlichkeit der Existenz eines nicht gegenwärtig wahr-genommenen Objekts nur die Bedeutung, »daß gewisse Wahrnehmungen gemacht werden können, deren einfacher und zusammenfassender Ausdruck eben mit der Behauptung der Existenx jenes Objekts gegeben wird« (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt., 1894, S. 55). »Existieren und Vorgefundenwerden, Gegenstand des Bewußtseins sein, ist für die Bewußtseinsinhalte ein und dasselbe« (Psychol. S. 99 f.). Objektive Existenz meint die Erwartung eines bestimmten Inhalts (l. c, B. 106 f.). »Obgleich uns keine andern als eben psychische Daten, Bewußtseinserlebnisse zu Gebote stehen, gewinnen wir doch aus diesen Daten vermöge einer natürlichen Theorienbildung den Begriff einer von unserer Wahrnehmung unabhängigen Existenx« (l. c. S. 114). Existieren ist dauerndes Stehen in gesetzmäßigen Zusammenhängen (Einl. in d. Philos. S. 263 f.). Das Existentialurteil ist ein »Ergebnis vergangener Erfahrungen«. Das Existentialgefühl ist »die besondere Relationsfärbung, die jeder auf den Gegenstand bezüglichen Vorstellung vermöge der vielfältigen Erwartungszusammenhänge zukommt, in welche wir dieselbe auf Grund unserer Erfahrungen einordnen müssen« (l. c. S. 276). Das »bleibende Sein« ist nur das bleibende Gesetz für die Veränderung der Erscheinungen (l. c. S. 100 f.). - R. AVENARIUS versteht unter »Existential« einen »Charakter« der »Fidentialität« (Bekanntheit), infolgedessen das Wahrgenommene sich als »Sachhaftes« gegenüber dem »Gedankenhaften« abhebt (Krit. d. rein. Erfahr. II, 32 ff.). Nach G. SIMMEL ist das Sein keine Eigenschaft der Dinge, sondern der Vorstellungen. »indem wir einer Vorstellung das Sein zusprechen, drucken wir damit das Vorhandensein gewisser Beziehungen derselben zu unserem Empfinden und Handeln aus. Die Realität ist etwas, was zu den Vorstellungen psychologisch hinzukommt« (Einl. in d. Mor. I, 5). Das Sein ist eine Art »Localzeichen« der Vorstellung (l. c. E.. 6).
Aus dem Urteil leitet den Existenzbegriff F. BRENTANO ab (Psychol. I, 276). »A ist« bedeutet: A wird als wahr anerkannt (l. c. I, 279). Durch Reflexion auf das bejahende Urteil wird der Existenzbegriff gewonnen (Vom Urspr. sittl. Erk. S. 61). »Die Begriffe der Existenz und Nichtexistenz sind die Korrelate der Begriffe der Wahrheit (einheitlicher) affirmativer und negativer Urteile. Wie zum Urteil das Beurteilte... gehört, so gehört zur Richtigkeit des affirmativen Urteils die Existenz des affirmativ Beurteilten, zur Richtigkeit des negativen die Nichtexistenz des negativ Beurteilten, und ob ich sage, ein negatives Urteil sei wahr, oder, sein Gegenstand sei nicht existierend: in beiden Fallen sage ich ein und dasselbe« (l. c. S. 76). Nach A. MARTY bezeichnet der Existenzbegriff nur »die Beziehung irgend eines Gegenstandes... auf ein mögliches Urteil, das ihn anerkennt und dabei wahr oder richtig ist« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., 1884, S. 171 f.). Existenz ist nichts als »Gegenstand eines wahren anerkennenden Urteils sein können« (l. c. 18. Bd., S. 441). »Existierend heißt alles, was mit Recht anerkannt werden kann« (l. c. 19. Bd., S. 32 f.). Alles, was mit Recht anerkannt wird, besteht oder existiert, auch wenn es keine Realität ist. Sein heißt nicht Realsein (l. c. S. 279 f.). Der Existenzbegriff gehört zu den »aorista, d.h. zu den Prädikaten, welche sowohl Realem als Nichtrealem zukommen können« (l. c. S. 38). An der Beschaffenheit der Gegenstände selbst liegt es, daß man die Existenz mit Recht von ihnen aussagen kann (l. c. S. 77). Nach A. MEINONG sind »Dasein« und »Bestand« zwei »Objektive« (s. d.) (Üb. Gegenst. höh. Ordn. S. 186. Üb. Annahm. S. 191). »Existentialgefühl« ist das Gefühl der Lust oder Unlust, welches sich auf einen bestimmten Vorstellungsinhalt bezieht, insofern dieser zugleich auch Inhalt eines bejahenden oder verneinenden Existentialurteils ist. Aus dem Urteil leitet den Existenzbegriff auch HILLEBRAND ab (Neue Theor. d. Kat. Schl. B. 20, 27 f.). - Nach H. RICKERT hat »Sein« nur Sinn als Bestandteil eines Urteils (Gegenst. d. Erk. S. 84). Begrifflich früher als das Sein ist das Sollen (l. c. S. 83). - WUNDT zählt das Sein zu den reinen Wirklichkeitsbegriffen (s. Kategorien).
Unter dem Seinsbegriffe sind drei, auf logischen Funktionen beruhende, Postulate zusammengefaßt: Gegebensein (Existenz), objektives Gegebensein, unverändertes Gegebensein (Philos. Stud. II, 167 ff.). Der Begriff des Seins ist »kein Begriff, der sich auf irgend welche tatsächlichen Eigenschaften oder Beziehungen der Gegenstände zurückführen läßt«. Er kommt so zustande, »da, die logische Forderung erhoben wird, von allen solchen Eigenschaften und Beziehungen, insbesondere also auch von allen Veränderungen zu abstrahieren und so den Gegenstand nur unter dem Gesichtspunkte, daß er ist, im Begriff festzuhalten« (Syst. d. Philos.2, S. 227). Vgl. H. BERGSON, Mat. et Mém. p. 159 ff.. O. WEIDENBACH, Das Sein, 1900. K. MARBE, Exper.-psychol. Unters. üb. d. Urt., 1901. - Vgl. Wesen, Objekt, Werden, Substanz, Realität, Wirklichkeit, Bewußtsein, Immanenzphilosophie, Realismus, Idealismus, Relativismus, Parallelismus (logischer), Wissen, Nichts, Identitätsphilosophie.