Den sekundären Charakter des Selbstbewußtseins lehrt SCHOPENHAUER. Es ist »durch das Gehirn und seine Funktionen bedingt«. »Indem der Wille, zum Zweck der Auffassung seiner Beziehungen zur Außenwelt, im tierischen Individuo ein Gehirn hervorbringt, entsteht erst in diesem das Bewußtsein des eigenen Selbst, mittelst des Subjekts des Erkennens, welches die Dinge als daseiend, das Ich als wollend auffaßt. Nämlich die im Gehirn aufs höchste gesteigerte, jedoch in die verschiedenen Teile desselben ausgebreitete Sensibilität muß zuvörderst alle Strahlen ihrer Tätigkeit zusammenbringen, sie gleichsam in einen Brennpunkt konzentrieren... Dieser Brennpunkt der gesamten Gehirntätigkeit ist das, was Kant die synthetische Einheit der Apperzeption nannte: erst mittelst desselben wird der Wille sich seiner bewußt, indem dieser Focus der Gehirntätigkeit, oder das Erkennende, sich mit seiner eigenen Basis, daraus er entsprungen, dem Wollenden, als identisch auffaßt und so das Ich entsteht« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 22). Sich selbst kann das erkennende Subjekt als solches nicht erkennen, wohl erkennt es aber den Willen als Basis seines Wesens. dieser ist das einzige Erkannte im Selbstbewußtsein (l. c. II. C. 19. Parerg. II, § 32). Das Ich erkennt sich nur in seinem Intellekt, »Vorstellungsapparat«, »durch den äußern Sinn als organische Gestalt, durch den innern als Willen« (Parerg. II, § 65). Das Subjekt (s. d.) erkennt sich »nur als ein Wollendes, nicht aber als ein Erkennendes. Denn das vorstellende Ich, das Subjekt des Erkennens, kann, da es als notwendiges Korrelat aller Vorstellungen Bedingung derselben ist, nie selbst Vorstellung oder Objekt werden«. Es gibt kein Erkennen des Erkennens (Vierf. Wurz. § 41). Das Erkannte in uns ist nicht das Erkennende, sondern das Wollende. »Wenn wir in unser Inneres blicken, finden wir uns immer als wollend,« wobei zu betonen ist, daß auch die Gefühle Zustände des Wollens sind. Die Identität des Subjekts des Wollens mit dem erkennenden Subjekt »ist der Weltknoten und daher unerklärlich« (l. c. § 42). Das Ich entsteht »erst durch den Verein von Wille und Erkenntnis« als ein »Zentrum des Egoismus« (Neue Paralipom. § 360).
Auf »Widersprüche«, die sich aus dem Begriff der Reflexion des Ich (s. d.) auf sich ergeben, macht HERBART aufmerksam. »Das Ich stellt vor sich, d.h. sein Ich., d.h. sein Sich-vorstellen, d.h. sein Sich-als-sich-vorstellend-vorstellen u.s.w. Dies läuft ins Unendliche« (Lehrb. zur Einl.5, S. 189 ff., 193). Das Ich ist so, als Vorstellen ohne Vorgestelltes, ein Widerspruch (ib,. Psychol. als Wiss. § 132 ff.. Encykl. S. 236. vgl. SCHELLING, Lehrb. d. Psychol, S. 165 ff.). Das Ich (s. d.) ist als solches Resultat des Vorstellungsprocesses. Nach VOLKMANN ist das Selbstbewußtsein »die innere Wahrnehmung innerhalb des Ich«. »Das Ich wird zum Ich-selbst, indem es sich erst differenziert, dann aus dieser Differenzierung wieder integriert« (Lehrb. d. Psychol. II4, 217). Auch R. ZIMMERMANN betont, die Vorstellung des Ich sei Entwicklungsprodukt. Ich ist zuerst der Leib, dann das Vorstellende, dann die Einheit von Vorstellen, Fühlen, Begehren (Philos. Propäd.1867, S. 302, 305, 307 ff.). Nach WAITZ ist der Wille der Kern des Selbstbewußtseins: Inhalt desselben ist, »daß man sich vorstellt als ein einziges und unteilbares Subjekt zu einer großen Menge von verschiedenen wirklichen und möglichen Prädikaten« (Lehrb. d. Psychol. S. 679). Nach A. SPIR ist das Ich ein Komplex, welcher sich ab Einheit, Substanz setzt, was eine notwendige Täuschung ist. Vorstellendes und Vorgestelltes sind nicht identisch (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 6. Bd., f3, 368 ff.. 376 f.. vgl. Denk. u. Wirkl. II, 55). - Nach BENEKE ist die Vorstellung von uns selbst nicht angeboren, sondern bildet sich als ein Aggregat, sich langsam zur Klarheit entwickelnd (Lehrb d. Psychol.3, § 150). Vorstellendes und Vorgestelltes, d.h. die Begriffe, durch welche die Vorstellung geschieht, und die vorgestellten Seelenzustände sind nicht eins Angeboren ist nur die »allgemeine Einheit des Seelenseins« (l. c. § 151. vgl. Psychol. Skizz. II, 258 ff.. Syst. d. Met. S. 171 ff.. Pragmat. Psychol. II, 1 ff.. Psychol. Skizz. II, 616 ff.. Die neue Psychol. S. 198 ff.). Auch nach ULRICI ist das Selbstbewußtsein nicht angeboren. es ist Produkt der unterscheidenden Denktätigkeit (Leib und Seele S. 67 ff.). LOTZE erklärt, nicht in dem Zusammenfallen des Denkens mit dem Gedachten, sondern als »Ausdeutung eines Selbstgefühls« besteht das Selbstbewußtsein (Mikrok. I2, 280 f.. vgl. Med. Psychol. S. 493 ff.). Auf das Selbstgefühl führt das Selbstbewußtsein TH. ZIEGLER zurück. G. THIELE bemerkt: »Im Fühlen weiß die Seele ursprünglich, unmittelbar von sich, das Ich ist Selbstgefühl« (Philos. d. Selbstbew. S. 303 ff.). In diesem Seelengefühl muß die Seele »ihr umwandelbares, beharrliches stets mit sich identisches Selbst gesichert wissen« (l. c. S. 311). G. GERBER unterscheidet »Ichbewußtsein«, als Folge eines Aktes der Selbstbestimmung. und »Ichgefühl« (Das Ich, S. 213). Die Ichheit ist das »Sein des Universums« (l. c. S. 425). Keine Welt ohne Selbstbewußtsein (l. c. 9. 41). Nach R. HAMERLING ist das Kind sich seiner Existenz vom ersten Augenblicke an bewußt, nur fehlt ihm das rechte Wort dafür (Atom. d. Will. I, 238 ff.). - J. H. FICHTE erklärt: »Selbstempfindung mit stets wechselndem Gehalte ist der unterste, aber schlechthin unabstrahierbare, in alle höheren Zustände mit hineinscheinende Ausgangspunkt des Bewußtseins« (Psychol. I, 212). Allmählich findet das »Zu-sich-selbst-kommen« des Geistes statt (l. c. S. 213 f.). »Der Geist selbst ist ursprünglich das eine Wesen, welches zufolge des Bewußtseinsaktes genötigt ist, sich (sein ›Ich‹) zu unterscheiden von einem andern in ihm« (ib.). Auch nach M. CARIERE ist das Selbst nicht als fertiger Geist geboren, sondern kommt nur durch eigene. Denken und Wollen zu sich (Sittl. Weltordn. S. 158). »Das Selbst kommt zum Bewußtsein, indem es sich als die einwohnende und bleibende Einheit der mannigfaltigen und wechselnden Gedanken, als die reale Macht und hervorbringende Ursache von ihnen als den Erzeugnissen und Äußerungen der Denktätigkeit unterscheidet« (Ästhet. I, 37). »Das Selbst ist... ein ursprünglich Reales, das fähig ist, für sich zu werden, sich selbst zu erfassen. das Ich, das Selbstbewußtsein ist als solches nicht das Wirkliche, Seiende, sondern die Selbstbespiegelung, Selbstverdoppelung eines solchen. es ist das Sein, das seiner bewußt wird« (Sittl. Weltordn. S. 98). W. ROSENKRANTZ betont: »Der Geist kann sich... nicht seiner bewußt werden, ohne sich selbst ins Sein zu versetzen« (Wissensch. d. Wiss. I, 252. vgl. S. 242 ff.).
Als Fähigkeit, die Beziehungen der Dinge zu uns zu empfinden, bestimmt das Selbstbewußtsein MOLESCHOTT (Kreislauf d. Leb. S. 144). ÜBERWEG unterscheidet drei Momente in der Entwicklung des Selbstbewußtseins: 1) die Einheit eines bewußtseinsfähigen Individuums, 2) das Bewußtsein des einzelnen von sich als einem Individuum, 3) die Wahrnehmung, daß das vorgestellte und das vorstellende Wesen ein Wesen ist (Log. S. 74. vgl. Welt- u. Lebensansch. S. 30 f.). Nach L. KNAPP ist das Ich der Leib als Träger der Empfindungen (Syst. d. Rechtsphilos. S. 49 f.). Das Selbstbewußtsein ist »der logische, d.h. abstrahierend und associierend tätige Bezug des Ich mit einer andern Vorstellung« (l. c. S. 52 ff.). Nach C. GÖRING ist Selbstbewußtsein Wahrnehmung der Person, nicht der Identität (Syst. d. krit. Philos. L, 162 ff.. s. Ich). F. A. LANGE bemerkt gleichfalls: »Selbsterkenntnis kann niemals etwas anderes sein als Erkenntnis seiner Person, wie sie als leibhaftes Ich den übrigen Gegenständen der Außenwelt handelnd und duldend gegenübersteht« (Log. Stud. S. 138). Nach CARNERI ist das Selbstbewußtsein »die gefühlte Zentralisierung der mannigfaltigsten Vorstellungen« (Sittl. u. Darwin. S. 160).