Sprache - Antike, Scholastik, Neuzeit

Daß die Sprache thesei, nicht von Natur aus in Beziehung zum Bezeichneten stehe, behaupten zuerst die Sophisten (vgl. Gomperz, Griech. Denk. I, 317 ff.. nur teilweise dagegen PLATO, Cratyl.), ARISTOTELES (bei Orig., Contr. Cels. I, 23. vgl. Rhetor. I, 1). Die Stoiker hingegen lehren die natürliche Nachahmung der Dinge durch Laute: physei mimoumenôn tôn prôtôn phônôn ta pragmata, kath' hôn ta onomata, katho kai stoicheia tina etymologias eisagousin (l. c. I, 23. vgl. Seelenvermögen). So auch Epikur, welcher die Bedingtheit der Sprachen zunächst durch die Naturtriebe der Menschen, später durch Convention, lehrt: ta onomata ex archês mê thesei genesthai, all' autas tas physeis tôn anthrôpôn kath' hekasta ethnê idia paschousas pathê kai idia lambanousas phantasmata idiôs ton aera ekpempein, stellomenon hyph' hekastôn tôn pathôn kai tôn phantasmatôn, hôs an pote kai hê para tous topous tôn ethnôn diaphora eiê. hysteron de koinôs kath' hekasta ethnê ta idia tethênai pros to tas dêlôseis hêtton amphibolous genesthai allêlois kai syntomôterôs dêloumenas. tina de kai ou synorômena pragmat' eispherontas tous syneidotas parengyêsai tinas phthongous, hôn tous men anankasthentas anaphônêsai, tous de logismô hepomenous kata tên pleistên aitian houtôs hermêneusai (Diog. L. X, 75 squ.). LUCREZ erklärt: »At varios linguae sonitus natura subegit mittere, et utilitas expressit nomina rerum, non alia longe ratione atque ipsa videtur protrahere ad gestum pueros infantia linguae, cum facit ut digito quae sint praesentia monstrent. Sentit enim vim quisque suam quoad possit abuti« (De rer. nat. V, 1026 squ.). Nach ALEXANDER VON APHRODISIAS sind die Wörter conventionell gesetzt (Quaest. III, 11. vgl. De an f. 132a). SEXTUS EMPIRICUS bestimmt die Sprache als tên tou nooumenou pragmatos sêmantikên phônên (Adv. Math. VIII, 80).

Dem Mittelalter gilt die Sprache als ein von Gott dem Menschen verliehenes Vermögen. ABAELARD erklärt: »Sermo generatur ab intellectu et generat intellectum«. Die Abhängigkeit der Sprache vom Klima u.s.w. lehrt CARDANUS (De subtil XI, 553). Den natürlichen Charakter der Sprache lehrt L. VIVES: »Tam naturalis est homini sermo, quam ratio« (De an. II, 85,). Auf soziale Convention führt die Sprache HOBBES (De corp.) zurück. Nach LOCKE hat Gott dem Menschen die Sprachfähigkeit verliehen, Organe, welche artikulierte Laute bilden können (Ess. III, ch. I, § 1 ff.). Nach LEIBNIZ sind zwar die Worte als solche willkürlich, aber in ihrer Anwendung und Verknüpfung kommt etwas zur Geltung, was nicht mehr willkürlich ist: ein Verhältnis, das zwischen ihnen und den Dingen besteht (Gerh. VII, 193). CHR. THOMASIUS betont: »Ratio absque sermone non est, sermonis extra societatem nullus est usus, nec ratio citra societatem se exerit« (Inst. iur. pr. div. III, 1, 4, § 54). Den göttlichen Ursprung der Sprache lehren PUFENDORF (Jus nat. IV, 3 f.), BEATTIE (Diss. p. 233), SÜSSMILCH (Beweis, daß die erste Sprache ihr. Urspr. nicht von Mensch., sond. allein vom Schöpf. erhalten habe, 1767). Den natürlichen Ursprung der Sprache betont DESBROSSES, welcher sie aus Gefühlen ableitet. Die Sprachwerkzeuge konnten nur ihrem Baue gemäße Laute erzeugen. zugleich nötigt die Beschaffenheit der Gegenstände die Verwendung bestimmter Laute, durch die sie dargestellt werden (De la format. mécan. des langues 1765, I. 11, § 2 ff.). Auf Schreie, Assoziation, Übung führt CONDILLAC die Sprache zurück (Sur l'orig. des conn. I, sct. 1). Ähnlich und als Produkt der Gesellschaft betrachtet die Sprache ROUSSEAU (Sur l'inegal. I, p. 45 ff.). Den sozialen Faktor berücksichtigen auch TETENS (Üb. d. Urspr. d. Sprache, 1772), TIEDEMANN (Vers. ein. Erklär. d. Urspr. d. Sprache, 1772). Den Anteil der Reflexion betonen mehr MONBODDO (Orig. of the language I, 2, 1. 3, 1 ff., auch der Gesellschaft), SULZER (Verm. Schr. I. ohne Sprache keine Vernunft), die Bedürfnisse der Menschen, welche Laute ausstoßen ließen, BONNET (Ess. ch. 18). vgl. MEINERS (Gr. d. Seelenlehre, S. 115). HERDER betont den natürlichen, organischen Ursprung der Sprache. »Schon als Tier hat der Mensch Sprache. Alle heftigen und die heftigsten unter den heftigen, die schmerzhaften Empfindungen seines Körpers, sowie alle starken Leidenschaften seiner Seele äußern sich unmittelbar durch Geschrei, durch Töne, durch wilde unartikulierte Laute« (Üb. d. Urspr. d. Spr. I, 1). Aber erst die Besinnung, Reflexion, die Apperzeption von interessierenden Merkmalen der Objekte schafft Worte (l. c. I, 2). So wird die Sprache »ein Ausdruck und Organ des Verstandes« (l. c. I, 2). »Tönende Verba« sind die ersten Elemente der Sprache (l. c. I, 3). Die Merkmale, welche die Seele hat, sind »innere Sprache« (l. c. I, 3. vgl. Ideen IX, 2). Nach PLATNER entstand die Sprache des Menschen »durch die natürliche, obwohl sehr allmähliche Wirksamkeit seiner geistigen Kräfte, zugleich aber auch durch den Einfluß gewisser anregender Verhältnisse« (Philos. Aphor. I, § 574 ff.). Für tönende Gegenstände sind die natürlichsten Gattungsmerkmale die Töne. »Jede Empfindung hat ihren natürlichen Laut. Wenn also Gegenstände, die nicht selbst tönen, in das Empfindungsvermögen wirken: so erregen sie Töne, die, schon vor ihrem wirklichen Ausbruch, in der Phantasie sie ansetzen« (Log. u. Met. S. 58 f.). Weiter wirkte dann die Analogie (l. c. S. 59). Die sozialen Verhältnisse »erhöhten das Bedürfnis des Ausdrucks, schärften die Erfindsamkeit zu neuen Wörtern und konnten deren viele durch Verabredung veranlassen« (l. c. S. 60). MAASS erklärt, eine Sprache setze als »letzte Bedingung ihrer Möglichkeit den Verstand voraus. Denn da ohne diesen keine Begriffe möglich sind, so kann es auch ohne ihn keine Ausdrücke für Begriffe, mithin keine Sprache geben«. Der nähere Grund der Sprache ist die Assoziation der Vorstellungen, welche in der »Einbildungskraft« (s. d.) wurzelt (Üb. d. Einbild. S. 172 f.). »Sobald nur zwei Menschen zusammen lebten, hatten sie auch das unvermeidliche Bedürfnis, sich einander ihre Gedanken und Empfindungen mitzuteilen.« Dieses Bedürfnis ließ den Verstand anstrengen, Ausdrücke zur Bezeichnung ihrer Gedanken und Empfindungen zu suchen. »Die erste Art, sich mitzuteilen, war die, welche durch die natürlichen Ausdrücke der Empfindungen und der sehr lebhaften, anschauenden Vorstellungen bewerkstelligt wird« (l. c. S. 174 f.). Für die Ausgestaltung der Sprache war die Onomatopöie von Bedeutung (l. c. S. 176 ff.). - HAMANN identifiziert Vernunft und Sprache. »Sprache ist Organon und Kriterion der Vernunft.« »Vernunft ist Sprache.« »Die ganze Philosophie ist Grammatik« (Schrift. VI, 365). »Die Metaphysik mißbraucht alle Wortzeichen und Redefiguren unserer empirischen Erkenntnis zu lauter Hieroglyphen und Typen idealischer Verhältnisse.« Das Denkvermögen beruht auf der Sprache. Wörter werden für Begriffe, diese für die Dinge selbst genommen (l. c. VII, 5 f., 360. vgl. unten Nietzsche, Mauthner). Nach G. E. SCHULZE sind die »höchsten Äußerungen des Verstandes« »ohne Sprache gar nicht oder doch nur in einem sehr geringen Grade möglich« (Psych. Anthr. S. 198). »Zugleich ist die Sprache Beförderin und Erhalterin der gesellschaftlichen Verbindungen unter den Menschen« (ib.). In der Sprache spiegelt sich der Charakter einer Nation (l. c. S. 200). Das Wort ist »nicht der Vater, sondern nur der Pate einer Erkenntnis« (l. c. S. 203). Nicht die Onomatopöie ist von ursprünglicher Bedeutung (l. c. S. 206). Die Sprache entspringt einem Bedürfnis des Menschen (l. c. S. 208). Das lebhafte Gefühl bestimmt das Sprachwerkzeug zur Hervorbringung eines Lautes (l. c. S. 207). Nach BIUNDE ist kein Verstand ohne Sprache, keine Sprache ohne Verstand (Empir. Psychol. I 2, 78). Das »Bezeichnungsvermögen« gehört dem Verstande an (l. c. S. 58). Mit dem Sprechen entwickelt sich das Denken, der empirische Begriff (l. c. S. 72). Dieser ist der »Inbegriff dessen, wonach diejenigen verschiedenen Gegenstände (einer Art) einerlei sind, welche zusammen vorgestellt und einzeln mit demselben Worte bezeichnet werden« (l. c. S. 73). CALKER erklärt: »Ohne Sprache gibt es kein höheres Denken, aber ohne Denken auch keine höhere Form der Sprache« (Denklehre, S. 269).

Nach C. G. CARUS entsteht die Sprache, indem das Ertönen aller Dinge in ihren Zuständen vom Menschen nachgebildet wird durch »symbolische Klangfiguren« (Vorles. üb. Psychol. S. 120 ff.). Nach TROXLER ist die Sprache ein Analogen des »Erzeugungsvermögens« (Blicke in d. Wes. d. Mensch. S. 67). SUABEDISSEN bemerkt: »Zu reden ist dem Menschen notwendig. Das stets rege und strebende Leben hat das ursprüngliche Bedürfnis, seine Regungen und Strebungen zu äußern, und äußert sie auf die unmittelbarste und vernehmlichste Weise in dem stets erregbaren und alle Regungen in sich aufnehmenden Elemente der Luft, also durch den Laut.« Dieser hat als unmittelbare Offenbarung des innern Lebens eine »Bedeutung« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 195). Der Gedanke ist des Wortes Geist, er verwirklicht sich in und mit dem Worte, seinem Leibe (l. c. S. 196. so schon K. F. BECKER, Organism. d. Sprache, 1827). Einen besondern Sprachtrieb nimmt u. a. LICHTENFELS an (Gr. d. Psychol. S. 142 ff.). Nach MICHELET ist die Sprache zuerst Nachahmung der Naturlaute, später symbolisch, conventionell (Anthropol. S. 339 ff.). Nach SCHLEIERMACHER entwickelt sich die Sprache als dienend der organisierenden Tätigkeit und als Gefühlsausdruck, gemeinsam in der Horde (Philos. Sittenl. § 279). Denken und Sprechen sind identisch (Psychol. S. 133 ff.). Nach HILLEBRAND ist die Sprache die »Symbolik des Denkens«, die »unmittelbare Äußerlichkeit des Denkens« (Philos. d. Geist. I, 251), sie ist »der logisch- bestimmte Organismus in den Artikulationen der Stimme« (l. c. S. 255), aber das sprachformale Moment ist nicht allein im abstrakten Logismus zu suchen (l. c. S. 257). BENEKE lehrt: »Alles selbsttätige Denken erfolgt zunächst ohne Sprache... Die Sprache ist Produkt des Denkens« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 54 f.). »Der Besitz der Sprache beim Menschen ist also nicht Ursache, sondern Wirkung seines geistigen Charakters.« Schon deshalb sprechen die Tiere nicht, weil sie keine entsprechenden psychischen Gebilde haben (l. c. S. 55). Die Sprachbildung beruht auf dem »Gesetze der allgemeinen Ausgleichung«. »Wie sich von einer neu entstandenen Erregung aus die beweglichen Elemente innerlich nach allen Seiten ausbreiten auf dasjenige, was damit in unmittelbarer Verbindung steht: so werden dieselben auch auf die nach außen hin liegenden Kräfte übertragen, und durch deren Erregung und Ausbildung treten, wie Gebärden, Mienen u.s.w., so auch Laute als äußere Zeichen der innern Erregung hervor.« Wir sehen, hören unsere Äußerungen. »Vermöge dessen associieren sich die sinnlichen Auffassungen derselben mit den unmittelbaren Empfindungen und Vorstellungen von unseren inneren Erregungen, und nehmen wir dann die gleichen Äußerungen bei andern... Wesen wahr: so macht sich Jene Assoziation auch für diese Wahrnehmungen geltend: auf Veranlassung ihrer reproduzieren sich die Vorstellungen von unseren inneren Erregungen« (l. c. S. 52 f.. Pragmat. Psychol. I, 138 ff.. Erziehungs- u. Unterrichtsl. I2, 215 ff., II, 110 ff.). - Nach W. V. HUMBOLDT ist die Sprache ein Entwicklungsprodukt des menschlichen Geistes, lebendige Wirksamkeit, Organ des Gedankens. Sie entspringt einem Bedürfnis der Menschen. Die Sprache ist die Äußerung des Volksgeistes. Die Wörter sind ursprünglich nicht selbständig, sondern gehen aus der Rede hervor. Die Lautform ist Ausdruck des Gedankens. Den Begriff der »innern Sprachform« führt Humboldt ein (Üb. d. Verschiedenh. d. menschl. Sprachbaues, Ges. WW. VI, S. 37 ff., 53 ff., 92 ff.).


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